Der sonnenhelle Pfad

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Religion

Religion gehört der höheren Ebene des menschlichen Mentals an. Es ist die Bestrebung des höheren menschlichen Mentals, sich so weit, wie es in seiner Macht liegt, auf etwas jenseits seiner selbst zuzubewegen, etwas, das die Menschheit Gott oder Spirit oder Wahrheit oder Glaube oder Wissen oder das Unendliche nennt, eine Art Absolutes, welches das menschliche Mental nicht erfassen kann und dennoch zu erfassen sucht. Religion mag in ihrem allerletzten Ursprung göttlich sein; in ihrer gegenwärtigen Natur ist sie nicht göttlich, sondern menschlich. Wir sollten wahrlich eher von Religionen sprechen als von Religion; denn es gibt viele von Menschen erschaffene Religionen....

Der erste Hauptglaubenssatz dieser bestehenden herkömmlichen Religionen lautet: „Mein ist die höchste, die einzige Wahrheit, alle anderen befinden sich in Unwahrheit oder sind minderwertig.“ Denn ohne dieses grundlegende Dogma könnten etablierte Religionsbekenntnisse nicht existieren. Wenn du nicht daran glaubst und nicht erklärst, dass du allein im Besitze der höchsten Wahrheit bist, wirst du nicht imstande sein, Leute zu beeindrucken und dazu zu veranlassen, dir zuzuströmen.

Diese Einstellung ist für die Religiosität natürlich. Eben dies lässt aber die Religion einem spirituellen Leben im Wege stehen. Die Glaubens- und Lehrsätze einer Religion sind mental erzeugte Dinge, und wenn du an ihnen klebst und dich in einen für dich aufgestellten Lebenskodex einschließt, dann kennst du nicht und kannst auch nicht die Wahrheit des Spirits kennen, der über alle Regelsysteme und Dogmen hinausreicht, weit und gewaltig und frei. Wenn du bei einer religiösen Überzeugung halt machst und dich dort bindest, indem du sie für die einzige Wahrheit der Welt hältst, dann bereitest du dem Fortkommen und dem Weitwerden deiner Seele ein Ende. Wenn du jedoch die Religion aus einem anderen Gesichtswinkel betrachtest, braucht sie nicht immer und für alle Menschen ein Hindernis zu sein. Wenn du sie als eine der höheren Aktivitäten der Menschheit erachtest und du in ihr das Streben des Menschen erkennen kannst, ohne die Unvollkommenheiten alles Menschenerschaffenen zu übersehen, dann vermag sie wohl eine Art Hilfe für dich auf dem Weg zu einem spirituellen Leben zu sein. Indem du dich in ernsthafter und aufrichtiger Haltung mit ihr befasst, kannst du versuchen herauszufinden, welche Wahrheit sie enthält, welche Sehnsucht in ihr verborgen liegt, welche göttliche Inspiration hier durch den menschlichen Geist und eine menschliches System Umformung und Verformung erfahren hat. Mit geeigneter mentaler Einstellung kannst du die Religion selbst so, wie sie ist, dahin bringen, etwas Licht auf deinen Weg zu werfen und dir etwas Unterstützung bei deiner spirituellen Bemühung zu gewähren.

*

Yoga und Religion

Liebe Mutter, was ist der Unterschied zwischen Yoga und Religion?

Ah! Mein Kind... das ist, als fragtest du mich nach dem Unterschied zwischen Hund und Katze!

(Langes Schweigen)

Stell` dir jemanden vor, der irgendwie von etwas wie dem Göttlichen gehört oder ein eigenes Gefühl hat, dass etwas dieser Art existiert und der fängt an, sich auf alle mögliche Weise zu bemühen: Bemühungen des Willens, der Disziplin, der Konzentration, alles mögliche, um das Göttliche zu finden, um zu entdecken, was Er ist, mit Ihm vertraut zu werden und sich mit Ihm zu vereinen. Dann macht dieser Mensch Yoga.

Nun, wenn dieser Mensch alle Verfahren, derer er sich bedient hat, aufgeschrieben hat und ein starres System konstruiert und alles, was er erkannt hat, zu absoluten Gesetzen erklärt – z.B. sagt er: Das Göttliche ist so und so, um das Göttliche zu finden, musst du jenes tun, führe diese besondere Geste aus, übernimm diese innere Haltung, vollziehe diese Zeremonie und du musst gelten lassen, dass dieses die Wahrheit ist, du musst sagen: „Ich erkenne an, dass dies die Wahrheit ist und ich werde mich voll und ganz daran halten; und deine Methode ist die einzig richtige, die einzig bestehende“ – wenn all das niedergeschrieben, gestaltet und nach festen Gesetzen und Zeremonien geordnet ist, dann wird es eine Religion.

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Sri Aurobindos Lehre und Religion

Viele Leute sagen, die Lehre Sri Aurobindos sei eine neue Religion. Würdest du sagen, sie ist eine neue Religion?

Leute, die das sagen, sind Dummköpfe, die nicht einmal wissen, worüber sie reden. Man braucht nur all das zu lesen, was Sri Aurobindo geschrieben hat, um zu begreifen, dass es unmöglich ist, auf seinem Werk eine Religion zu begründen, denn er selbst stellt jedes Problem, jede Frage in all deren Aspekten dar, indem er die in jedweder Sicht der Dinge verborgene Wahrheit aufzeigt; und er erklärt, man muss, um die Wahrheit zu erfahren, eine Synthese verwirklichen, die jeglichen mentalen Begriff überschreitet und in einer Transzendenz jenseits des Denkens aufgeht....

Ich wiederhole, wenn wir von Sri Aurobindo sprechen, dann kann keine Rede von Lehre, noch nicht einmal von Offenbarung sein, sondern von einer Tat des Höchsten; darauf kann keine Religion gegründet werden.

Aber die Menschen sind so dumm, dass sie imstande sind, alles mögliche in eine Religion zu verwandeln, so groß ist ihr Bedürfnis nach einem festen Rahmen für ihr enges Denken und ihr beschränktes Handeln. Sie fühlen sich so lange nicht sicher, bis sie geltend machen können, dies ist wahr und jenes nicht; aber ein solcher Anspruch wird für jemanden, der gelesen und verstanden hat, was von Sri Aurobindo geschrieben wurde, unmöglich. Religion und Yoga gehören nicht der gleichen Seinsebene an, und ein spirituelles Leben kann nur in aller Reinheit bestehen, wenn es von allen mentalen Dogmen frei ist.

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Der Entschluss zum Yoga

Siehst du, man mag einen sehr guten Willen haben, ein Leben, das auf göttliche Realisation ausgerichtet ist, jedenfalls eine mehr oder weniger oberflächliche Hingabe an ein göttliches Werk, und dennoch keinen Yoga praktizieren.

Für Sri Aurobindos Yoga muss man sich selbst integral umwandeln wollen, es bedeutet, ein einziges Ziel im Leben zu verfolgen, in der Art, dass es nichts anderes mehr gibt, das alleine existiert. Und so fühlt man klar in sich selbst, ob man es will oder nicht. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, kann man immer noch ein Leben guten Willens führen, ein Leben des Dienens, des Verstehens. Man kann sich um das Werk mühen, damit es leichter vollbracht wird – alles das – man kann vieles tun. Doch zwischen diesem und dem Yoga besteht ein großer Unterschied.

Den Yoga auszuüben muss man bewusst wollen, du musst zunächst wissen, was das ist. Du musst wissen, was das ist, du musst dich dazu entscheiden. Sobald das hingegen geschehen ist, darfst du nicht länger zaudern. Das ist der Grund, weshalb du in voller Kenntnis der Sache eine Entscheidung fällen musst. Du musst wissen, wofür du dich entschließt, wenn du sagst: „Ich möchte Yoga machen.“ Und deshalb, von diesem Standpunkt aus, habe ich euch, glaube ich, niemals bedrängt....

Doch von dem Tag an, an dem du eine Wahl triffst – wenn du das in aller Aufrichtigkeit getan hast und in dir eine radikale Entschlossenheit fühlst – ändert sich die Lage. Da ist das Licht und der Pfad, denen man folgen muss, ganz geradlinig, und du darfst nicht davon abweichen. Weißt du, es wird niemand zum Narren gehalten. Yoga ist kein Spaß. Du musst wissen, was du tust, wenn du dich dazu entschließt. Wenn das jedoch geschehen ist, dann musst du daran festhalten. Du hast kein Recht mehr zu schwanken. Du musst geradeaus gehen! Da!...

Diesen Yoga der Umwandlung, der obendrein der mühsamste ist, diesen Yoga kann man nur machen, wenn man fühlt, dass man für ihn hierhergekommen ist (ich meine, hier auf die Erde) und dass man nichts anderes tun kann als das und dass das der einzige Grund für die eigene Existenz ist – selbst wenn man sich hart plagen, leiden und kämpfen muss, hat das keine Bedeutung – „Das ist es, was ich will, sonst nichts!“ – dann ist es anders. Sonst werde ich sagen: „Sei glücklich und sei gut, und das ist alles, was von dir verlangt wird. Sei gut im Sinne von verstehend sein und wissend. dass die Bedingungen, in denen du lebst, außergewöhnliche sind und versuche, ein bedeutenderes, trefflicheres und wahrhaftigeres Leben zu führen als der gewöhnliche Mensch, damit sich ein wenig von diesem Bewusstsein, diesem Licht und seiner Güte in der Welt auszudrücken vermag. Das wäre sehr gut.“ So ist es!

Sobald du hingegen deinen Fuß auf den Yogapfad gesetzt hast, musst du über eine stählerne Entschlossenheit verfügen und direkt auf das Ziel zu marschieren, was immer auch der Preis sein mag.

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Ein Ruf für den Pfad

Wozu willst du den Yoga? Um Macht zu gewinnen? Um Frieden und Ruhe zu erlangen? Um der Menschheit zu dienen?

Keiner dieser Beweggründe beweist ausreichend, dass du für den Pfad bestimmt bist.

Die Frage, die du beantworten musst, ist diese: Willst du den Yoga um des Göttlichen willen? Ist das Göttliche die höchste Wirklichkeit in deinem Leben, und zwar so sehr, dass es für dich einfach unmöglich ist, ohne es auszukommen? Fühlst du, dass das Göttliche deine alleinige raison d`etre ist und dass ohne es deine Existenz keinen Sinn hat? Nur wenn das so ist, kann behauptet werden, du hättest einen Ruf für den Pfad.

Das ist die erste Notwendigkeit – Sehnsucht nach dem Göttlichen.

Das nächste, was du tun musst, ist sie zu pflegen, sie immer wach, bewusst und lebendig zu halten. Und dafür ist Konzentration erforderlich – Konzentration auf das Göttliche, ausgerichtet auf eine vollständige und bedingungslose Weihe an seinen Willen und seinen Plan.

 

Konzentriere dich in deinem Herzen. Gehe dort hinein; begib dich in sein Inneres, tief und weit, so weit wie du kannst. Sammle all die weit versprengten Fäden deines Bewusstseins, wickele sie auf, wage den Sprung und senke dich hinein.

Es brennt ein Feuer dort in dem tiefen Frieden deines Herzens. Es ist die Gottheit in dir – dein wahres Wesen. Höre auf ihre Stimme, folge ihren Geboten.

* * *

Kapitel 4
HINGABE, SELBSTDARBRINGUNG, DEMUT
Zwei Pfade des Yoga

Es gibt zwei Pfade des Yoga, der eine ist der der tapasya (Disziplin) und der andere ist der der Hingabe. Der Pfad der tapasya ist mühselig. Hier hängst du einzig von dir selbst ab; du schreitest fort durch deine eigene Kraft. Du steigst empor und bist erfolgreich nach dem Maße deiner Kraft. Es besteht immer die Gefahr des Absturzes. Und bist du einmal gefallen, dann liegst du zerschmettert im Abgrund und es findet sich kaum ein Heilmittel. Der andere Pfad, der der Hingabe, ist sicher und zuverlässig. Genau damit gerät aber der westliche Mensch in Schwierigkeiten. Man hat ihn gelehrt, alles zu fürchten, was seine persönliche Unabhängigkeit bedroht. Mit der Muttermilch hat er seinen Sinn für Individualität aufgesogen. Und Hingabe bedeutet, all das aufzugeben. Mit anderen Worten, du kannst, wie Ramakrishna sagt, entweder dem Pfad des Affen- oder des Katzenbabys folgen. Das Affenbaby hält sich an seiner Mutter fest, um herumgetragen zu werden, und es muss sich entschlossen festhalten, weil es fällt, wenn es loslässt. Das Katzenbaby andererseits klammert sich nicht an seine Mutter, sondern wird von ihr getragen und hat weder Angst, noch Verantwortung; es hat nichts anderes zu tun, als sich von der Mutter tragen zu lassen und ‚Mama‘ zu schreien.

*

Hingabe und Yoga

Hingabe ist die Entscheidung darüber, die Verantwortung für dein Leben dem Göttlichen zu überlassen. Ohne diese Entscheidung ist überhaupt nichts möglich. Wenn du dich nicht hingibst, ist der Yoga völlig ausgeschlossen. Alles andere folgt natürlicherweise erst danach, denn der ganze Vorgang beginnt mit Hingabe. Du kannst dich entweder kraft des Wissens oder der Weihung überantworten. Du verspürst vielleicht eine starke Intuition, dass das Göttliche allein die Wahrheit ist und eine lichtvolle Überzeugung, dass du ohne es nicht zurechtkommst. Oder vielleicht empfindest du eine unmittelbare innere Ahnung, dass dieser Weg der einzige ist, glücklich zu werden und ein starkes psychisches Verlangen, ausschließlich dem Göttlichen zu gehören: „Ich gehöre nicht mir selbst“, sagst du und übergibst die Verantwortung für dein Sein der Wahrheit. Dann kommt die Selbstüberantwortung: „Hier bin ich, ein Geschöpf mit verschiedenen Eigenschaften, gut und schlecht, dunkel und erleuchtet. Ich bringe mich dar so wie ich bin, nimm mich mit all meinen Höhen und Tiefen, mit all meinen widerstreitenden Impulsen und Neigungen an – tu mit mir, was immer du magst.

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Wahre Hingabe lässt dich weiter werden

Mit Hingabe meinen wir... ein spontanes Sich-selbst-geben, ein dich selbst ganz an das Göttliche Überlassen, an ein größeres Bewusstsein, von dem du ein Teil bist. Hingabe macht dich nicht kleiner, sondern größer. Sie wird deine Persönlichkeit nicht schmälern oder schwächen oder zerstören, sondern stärken und erhöhen. Hingabe bedeutet ein freies, vollkommenes Sich-Geben mit all der Freude des Gebens. Sie enthält nicht das Gefühl des Opfers. Wenn du auch nur die leiseste Empfindung hast, dass du dich aufopferst, dann ist das nicht länger Hingabe. Denn das heißt, dass du dich zurückhältst oder dass du dich widerwillig, mit Schmerz oder angestrengt bemühst und nicht die Freude des Schenkens erlebst, vielleicht nicht einmal das Gefühl des Gebens. Wenn du irgend etwas im Gefühl einer Einschnürung deines Wesens tust, dann sei sicher, dass du es auf falsche Weise angehst. Wahre Hingabe lässt dich weiter werden. Sie vermehrt deine Fähigkeiten. Sie gibt dir ein größeres Maß an Qualität und Quantität, was du allein durch dich selbst nicht hättest erlangen können. Dieser neue Zuwachs an Quantität und Qualität ist anders als alles, was du vorher durch dich selbst zu erreichen imstande warst: du trittst in eine neue Welt ein, die du ohne Hingabe nicht hättest betreten können. Es ist, als fiele ein Tropfen Wasser ins Meer. Bewahrte er dort seine gesonderte Identität, bliebe er ein kleiner Wassertropfen und nichts mehr, erdrückt von der Grenzenlosigkeit um ihn herum, weil er sich nicht hingibt. Aber indem er sich hingibt, wird er eins mit dem Meer und hat Teil an dessen Wesen, Macht und ganzen Unermesslichkeit.

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Die wichtigste Hingabe

Die wichtigste Hingabe ist die deines Charakters, deiner Art zu sein, so dass sie sich ändern kann. Wenn du nicht deine dir ganz eigene Natur hingibst, dann wird sie sich niemals wandeln. Genau das ist das Wichtigste. Du hast bestimmte Auffassungen, bestimmte Reaktionsweisen, eine bestimmte Art zu fühlen, eine beinahe festgelegte Weise, Fortschritte zu machen und vor allem eine besondere Art, das Leben zu betrachten und gewisse Dinge von ihm zu erwarten – nun, eben das musst du hingeben. Das heißt, wenn du wahrhaftig das göttliche Licht empfangen und dich umwandeln willst, dann musst du deine ganze Art zu sein darbringen – darbringen, indem du dich öffnest, dich so empfänglich wie möglich machst, so dass das göttliche Bewusstsein, das weiß, wie du sein solltest, unmittelbar handeln und alle diese Regungen in solche verwandeln kann, die der Wahrheit näher sind, die mehr mit deiner tatsächlichen Wahrheit übereinstimmen. Das ist unendlich viel wichtiger, als sein Tun hinzugeben.

Nicht das, was man tut, ist das Wichtigste (das ist sehr wichtig, das ist offenkundig), sondern das, was man ist. Nicht einfach die Art, wie man etwas tut, ist bedeutend, wie immer auch die Tätigkeit, sondern der Stand des Bewusstseins, in welchem man handelt. Du magst arbeiten, ein selbstloses Werk ohne jeglichen Gedanken an persönlichen Nutzen tun, arbeiten um der Freude an der Arbeit willen, aber wenn du nicht gleichzeitig bereit bist, diese Tätigkeit aufzugeben, eine andere zu anzunehmen oder die Arbeitsmethode zu verändern, wenn du deiner eigenen Arbeitsweise verhaftet bist, dann ist deine Hingabe nicht vollständig. Du musst einen Punkt erreichen, an dem alles getan wird, weil du innerlich fühlst, sehr klar und in zunehmend gebieterischer Weise, dass genau das und in dieser besonderen Weise getan werden muss und dass du es nur deshalb tust. Du tust es nicht aus irgendeiner Gewohnheit, Bindung oder Vorliebe, nicht einmal aus einer Vorstellung oder sogar, weil du der Idee, dass dieses das Beste sei, den Vorzug gibst – anderenfalls ist deine Hingabe nicht total.

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Yoga wird durch Darbringung wirksam

Yoga bedeutet Einung mit dem Göttlichen, und diese Einung wird durch Selbstdarbringung bewirkt – sie wird begründet auf der Darbringung deiner selbst an das Göttliche. Am Anfang vollziehst du diese Selbstdarbringung in allgemeiner Form, als wäre es ein für allemal. Du sagst: „Ich bin der Diener des Göttlichen. Diesem ist mein Leben vollkommen überlassen. All mein Streben gilt der Verwirklichung des Göttlichen Lebens.“ Aber das ist nur der erste Schritt; denn das reicht nicht aus. Wenn der Entschluss gefasst ist, wenn du entschieden hast, dass dein ganzes Leben dem Göttlichen überantwortet sein soll, dann musst du dessen noch in jedem Augenblick eingedenk sein und es in allen Einzelheiten deiner Existenz leben. Bei jedem Schritt musst du fühlen, dass du dem Göttlichen gehörst. Du musst die beständige Erfahrung haben, was auch immer du tust und denkst, dass es immer das Göttliche Bewusstsein ist, das durch dich handelt. Du besitzt nichts mehr, das du dein eigen nennen kannst. Alles empfindest du als vom Göttlichen herstammend, und du musst es an seinen Ursprung zurückgeben. Wenn du das verwirklichen kannst, dann wird selbst das kleinste Ding, dem du sonst nicht viel Aufmerksamkeit oder Mühe schenkst, aufhören, unbedeutend und nichtssagend zu sein. Es wird zutiefst bedeutungsvoll und eröffnet über sich hinaus einen unermesslichen Horizont.

Das ist es, was du tun musst, nämlich deine ganze allgemeine Selbstdarbringung sich im einzelnen erfüllen lassen. Lebe beständig in der Gegenwart des Göttlichen. Lebe in dem Bewusstsein, dass es diese Gegenwart ist, die dich bewegt und alles bewirkt, was du tust. Bringe ihm alle Regungen dar, nicht nur jede mentale Tätigkeit, jeden Gedanken und jedes Gefühl, sondern sogar die allergewöhnlichsten und äußerlichsten Handlungen, wie z.B. essen. Wenn du isst, musst du fühlen, es ist das Göttliche, das durch dich isst. Wenn du auf diese Weise all deine Bestrebungen in dieses Eine Leben versammeln kannst, dann besteht Einheit in dir statt Zerteilung. Nicht länger gehört ein Teil deines Wesens dem Göttlichen, während der Rest in seiner gewöhnlichen Art verbleibt, verstrickt in gewöhnliche Dinge. Dein ganzes Leben wird erfasst, eine integrale Umwandlung wird allmählich in dir verwirklicht.

Im integralen Yoga muss sich das gesamte Leben bis in die geringste Kleinigkeit umwandeln, göttlich gemacht werden. Es gibt hier nichts, das unbedeutend, nichts, das gleichgültig wäre. Du kannst nicht sagen: „Wenn ich meditiere, mich mit Philosophie beschäftige oder diesen Gesprächen zuhöre, dann bin ich in dieser Verfassung, in der ich mich zum Licht öffne und nach ihm verlange, aber wenn ich einen Spaziergang unternehme oder Freunde besuche, kann ich mir gestatten, alles zu vergessen.“ In dieser Haltung zu verharren, bedeutet, dass du immer ungewandelt bleiben und niemals wahre Einheit erfahren wirst. Du wirst immer zerspalten bleiben. Bestenfalls wirst du einen bloß flüchtigen Einblick in dieses größere Leben gewinnen. Denn obwohl dir in der Meditation oder in deinem inneren Bewusstsein gewisse Erlebnisse und Realisationen widerfahren mögen, bleiben dein Körper und dein äußeres Leben unverändert. Eine innere Erleuchtung, die den Körper und das äußere Leben nicht berücksichtigt, ist nicht von großem Nutzen, denn sie belässt die Welt so, wie sie ist.

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