Im Bett des ungeschliffenen Diamanten

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Das war es. Und es hatte Probleme mit Matts Familie – mit seiner Arbeit – verursacht und war für Matts Beteiligung in dieser Branche mehr oder weniger der letzte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Aber das war nicht Joes Schuld. Er würde es überhaupt nicht interessant finden. »Ich will heute nicht mehr darüber reden, okay? Ehrlich gesagt vermisse ich die Arbeit. Ich liebe es, zu sehen, wie Metalle zu sagenhaften Formen gebogen werden, wie kostbarer, feiner Schmuck geschaffen und mit Edelsteinen gekrönt wird. Es ist wie ein Rezept – ich kombiniere alles in einem Design. Aber es geht nicht nur um den Glanz, darum, diese Dinge kostspielig zu machen, weil ich es kann. Nicht nur darum, den Markt zu befriedigen. Weißt du, was ich meine?«

»Ja. Das weiß ich.«

»Ja?« Matt erwiderte Joes Blick etwas länger, als angebracht war. Der Kerl sah tatsächlich so aus, als würde er verstehen. Was für eine verdammte Erleichterung das war! Matt fühlte sich schon seit langer Zeit wie ein Außenseiter.

»Aber…«, begann Joe langsam, als wäre er nervös, wie Matt seine Worte auffassen würde, obwohl Matt sich nicht vorstellen konnte, dass irgendjemand je wagte, Joe vom selbstbewussten Aussprechen seiner Meinung abzuhalten. »Das Kommerzielle spielt auch eine Rolle. Die Guild hat Vertreter überall auf der Welt. Eine gute Kollektion hat es verdient, da draußen präsentiert zu werden.«

Matt zuckte mit den Schultern. Seit seinem Ausstieg hatte er eine Menge Zeit gehabt, um über alles nachzudenken. Mehr als genug Zeit, um zu erkennen, dass immer Kompromisse gemacht werden mussten, auch wenn ihm diese verdammten Kompromisse nicht gefielen. »Zu einem vernünftigen Preis, ja. Das verstehe ich. Menschen verdienen damit ihren Lebensunterhalt, Schmieden müssen betrieben werden. Und Schönheit ist nicht dafür da, dass nur einige wenige Leute sie privat genießen können. Aber kommerzieller Gewinn sollte nie das einzige Ziel sein.« Er fing Joes andächtigen Blick auf. »Deshalb bist du hier? Wegen des Geschäfts?«

»Ich schätze, das könnte man so sagen.« Zum ersten Mal schien sich Joe unbehaglich zu fühlen. »Es tut mir leid, ich kann dir nichts Genaues erzählen, das ist vertraulich. Aber ich feiere heute etwas sehr Aufregendes.«

Matt nickte. Er verstand auch die Geheimniskrämerei. Widerwillig unterbrach er den Blickkontakt und sah wieder auf sein Bier hinab. »Wie auch immer. Es ist spät. Nicht einmal ich kann den ganzen Abend lang wütend bleiben. Die Leute hier würden sagen, dass sie nur ihren Job machen. Aber ich denke, dass sie ihren Weg aus den Augen verlieren. Das ist es, woran mich diese Veranstaltungen erinnern. In dieser Branche geht es inzwischen nur noch um den Profit, obwohl es eigentlich um…«

»Um Schönheit gehen sollte?«

»Ja.« Er schob seine Haare wieder zurück und Joes Blick schien der Bewegung zu folgen. »Hör mal, genug von mir. Was ist mit dir? Magst du deine Arbeit?«

Matt zwang sich zum Small Talk – nicht gerade etwas, in dem er glänzte –, aber scheinbar war das die richtige Bemerkung für Joe gewesen, der seine Begeisterung nicht verborgen hatte.

»Ich liebe sie. Ich lebe sie.« Auch er lachte verlegen. »Juwele sind mein Ding, vielleicht sogar mehr als Metalle.«

»Aber das ist in Ordnung. Juwele sind der coup de grâce, oder? Der Glanz, der den Grundstein in eine Kathedrale verwandelt. Den leeren Teller in ein Bankett. Das Banale in etwas Magisches.« Ja, Matt übertrieb etwas, aber er hatte Spaß an dieser völlig unerwarteten Begegnung. Er war mit einem heißen Mann zusammen, der Schmuck ebenso sehr liebte wie er und der das Gespräch zu genießen schien, seiner nachdenklichen Miene und den leuchtenden Augen nach zu urteilen. »Es geht um… na ja, um ihre Majestät. Als wären sie ihre eigenen Könige.«

»Könige?« Joe wurde plötzlich still und seine Pupillen weiteten sich. »Ja, du hast recht.«

Matt hatte keine Ahnung, warum Joes Ton angespannt geworden war – hatte er etwas Unangebrachtes gesagt? –, aber inzwischen hatte er sich in Fahrt geredet. »Ich liebe es, dass Schmuck immer noch Herzen und Gedanken fesselt, egal, in welchem Alter. Ich habe die Designgeschichte nachverfolgt und die Einstellung zu Schätzen im Laufe der Zeit studiert. Wir fühlen uns immer noch genauso zu schönen Designs und wundervollen Stilen hingezogen wie, sagen wir mal, in der Bronzezeit. Wir schätzen Schmuck, haben es schon immer getan, aber nicht immer, um ihn auch zu besitzen.«

»Das war nicht immer eine Option für Leute, die sich keinen leisten konnten.« Jetzt nickte Joe und lehnte sich vor. »Aber die Bewunderung war trotzdem da, meinst du das? Der Wunsch, von so edlen Dingen verblüfft und gefesselt zu werden.«

»Gott, ja, du hast recht. Genau das.« Matt hatte sich lange nicht mehr so verstanden gefühlt. Joes Augen leuchteten und sein Lächeln war blendend. Er war so hinreißend. Und jetzt hatte er die Hand auf Matts Arm gelegt.

»So, wie du es beschreibst… es ist eine Weile her, seit ich so gedacht habe. Seit ich den Kern der Dinge gesehen habe. Aber das liebe ich auch.«

Matt grinste verschmitzt. »Wie gesagt. Schmuck ist Magie. Oder kann es sein. Egal, in welchem Zeitalter und in welcher Gesellschaft. Die Metalle, die Juwele, die sind zeitlos. Und wenn die besten Designs diesen unsterblichen Strom des Verlangens anzapfen können, wenn sie wahrhaftig zeitlos sein können…«

»Dann ist das der wahre Schatz!«

Sie starrten einander breit lächelnd und begeistert an. Plötzlich war Matt atemlos. Er war lange nicht an Dates interessiert gewesen, aber jetzt… Joe hatte etwas an sich. Er war so anders als Matt – wortgewandt, wo Matt schroff war, gut gekleidet, wo Matts Outfit gerade so als formell durchging. Und er fügte sich so gut in die Branche ein, dass der Kontrast Matt ein unangenehmes Gefühl der Feindseligkeit hätte bescheren müssen. Aber wenn sie gemeinsam lachten, wenn sie über Juwele sprachen, wenn sie so ähnliche Meinungen zu der ihrem Gewerbe innewohnenden Schönheit hatten…

Joe zog sein Sakko aus und Matt beobachtete, wie die Muskeln seiner breiten, sehnigen Schultern sich anspannten. Matts Blick wanderte genau in dem Moment zu Joes Mund, als Joe sich mit der Zunge die Lippen befeuchtete.

»Du weißt, wie gut du aussiehst, oder?«, sagte Matt heiser.

»Du bist… Ich weiß nicht, was ich über dich sagen soll.« Joe wirkte seltsam verblüfft, während er suchend in Matts Gesicht blickte. »Du bist ungewöhnlich. Das gefällt mir. Du bist etwas Besonderes.«

Matts Lachen kam als tiefes Brummen heraus. Der Kuss schien einfach zu passieren. Matt hätte nicht sagen können, wer den ersten Schritt tat. Sie beugten sich sanft und wie selbstverständlich zueinander und ihre Lippen trafen sich. Es gab nicht die Spur der fürs erste Mal typischen Unbeholfenheit, bei der Nasen aneinanderstießen. Matt legte eine Hand in Joes Nacken und Joe packte Matts Hemd. Die Seitenwände der Nische waren hoch und der Barkeeper war zum anderen Ende der Bar davongeschlurft. Das lachende Paar war vor einiger Zeit gegangen. Niemand konnte sie sehen. So, wie Joe ihn packte und wie bestimmt seine Zunge in Matts Mund eindrang, glaubte Matt allerdings, dass es sie auch nicht gestört hätte, wenn es anders gewesen wäre.

In seinem überschaubaren Liebesleben hatte Matt nicht viele Männer geküsst und nicht geglaubt, dass ihm da viel entgangen wäre. Aber das hier war etwas anderes. Joe war anders. Sie trennten sich langsam und ihre Lippen berührten sich bis zur letzten Sekunde.

Joes Augen waren halb geschlossen und sein Mund glänzte. Matt sah, dass ein Schweißtropfen sich in der Kuhle an seinem Hals gebildet hatte. Verdammt, vermutlich sah er selbst ebenso erregt aus.

Er strich mit einem Finger über Joes Wangenknochen und seufzte. »Wow. Das war unerwartet.«

»Aber gut?«

Großartig. Joe wirkte sehr belustigt von der ganzen Sache, als hätte Matt ihm mit einem Eisenrohr eins übergezogen und nicht versucht, ihn zu verschlingen. »Ja«, sagte er grinsend. »Sehr gut.«

Joe lachte leise. Er wirkte, als wollte er Matt nicht loslassen, aber dann griff er mit der freien Hand in seine Haare. Sie mussten überhaupt nicht gerichtet werden, waren genauso perfekt gestylt wie zuvor. Aber Matt war seltsam gerührt von der nervösen Geste.

Und dann vibrierte Matts Handy in seiner Tasche. Er tastete danach und holte das alte Modell heraus, das er für kaum mehr als Anrufe verwendete. Auf dem Display stand: Gary. Gary, sein Cousin, der nur selten wusste, wo sein Handy war, geschweige denn spätabends anrief, um mit seinem Cousin zu plaudern.

Ein kalter Schauder lief Matt über den Rücken.

»Den Anruf muss ich annehmen.« Er kämpfte sich aus der Nische und ging zum anderen Ende der Bar. Er wusste nicht, warum er das so unbedingt privat halten wollte, aber etwas sagte ihm, dass es wichtig war. »Gary? Was gibt's?«

»Matt? Es ist dein Dad. Er ist im Krankenhaus.«

Matt hörte Geräusche im Hintergrund: fremde Stimmen, ein leises Piepen, ratternde Wagen auf Linoleumboden. Klang, als wäre Gary selbst im Krankenhaus. Matt wurde übel. »War es ein Unfall?«

»Oh nein. Ihm ist nur zu Hause schwindlig geworden und er ist gestürzt. Ich persönlich glaube, dass es eine Panikattacke war. Aber sie wollen einige Tests durchführen, für den Fall, dass es ein Schlaganfall war. Ich dachte, das solltest du wissen.«

»Ein – was?«

»Matt, bleib ruhig. Es geht ihm gut. Er ist bei Bewusstsein und genauso klar im Kopf wie immer. Er hat sogar gesagt, dass ich dich nicht anrufen soll, weil du auf dieser geschäftlichen Veranstaltung in London bist…«

»Ich mache mich sofort auf den Weg. Ich nehme ein Taxi.«

»Gott, aus dem Zentrum von London? Das kostet…«

»Scheiß drauf«, sagte Matt leise und grimmig und legte auf.

 

Sein Herz hämmerte, als würde ein irrer Drummer in seiner Brust sitzen, und sein Mund war trocken. Er sah zu Joe hinüber, der vor der Sitznische stand. Auf dem Tisch waren zwei halb geleerte Biergläser und ein kleines weißes Rechteck. Matt nahm an, dass es Joes Visitenkarte war. Er würde Matt wahrscheinlich bitten, ihn anzurufen. Sie könnten etwas trinken gehen, in einem weniger einschüchternden Lokal, weniger formell als ein Business Dinner im Claridge's. Spaß haben. Mehr von diesen überwältigenden Küssen tauschen.

Joe hatte eine fragende, besorgte Miene aufgesetzt. Er konnte wahrscheinlich erraten, dass es etwas Ernstes war. Matt wusste, dass sein Gesicht meistens ein offenes Buch war. Joe tat einen Schritt auf ihn zu, die Hand ausgestreckt, wie um seine Hilfe anzubieten.

»Ich muss gehen. Ich muss gehen.« Matt wusste nicht, ob Joe ihn aus der Entfernung hören konnte. Er konnte nicht klar denken. Konnte nicht an den großen, gut aussehenden, gepflegten jungen Mann denken, der ein paar Bier mit ihm getrunken hatte und die Beziehung vielleicht sogar vertiefen wollte.

Stattdessen drehte er sich abrupt um und eilte aus der Bar und auf die immer noch belebten Londoner Straßen hinaus.

Kapitel 3

»Das geht nicht. Keiner von denen ist geeignet.«

Joel hörte, wie der scharfe Unterton in seiner Stimme von den nackten Wänden des Sitzungssaals von Starsmith widerhallte. Aber es kümmerte ihn nicht – konnte ihn nicht kümmern. Sein Team durchkämmte Starsmiths Designportfolio schon seit einer Woche und war Inspiration für Project Palace nicht ein Stück näher gekommen.

Die offizielle Ankündigung, dass Starsmith Stones der ausgewählte Designer für die königliche Hochzeit sein würde, stand erst in ein paar Wochen an, obwohl in den Medien bereits spekuliert wurde. Das würde der Beginn öffentlicher Euphorie, großer Aufregung und hoher Erwartungen an das Project Palace-Team sein. Es war natürlich der wichtigste Auftrag, den Starsmith je bekommen hatte, aber Joel hielt das Planungsteam vorerst so klein wie möglich. Zum Teil, weil Verschwiegenheit notwendig war, aber auch weil er hoffte, sie so lange wie möglich vor strenger Beobachtung und Stress zu bewahren. Die Arbeit an ihren Plänen für den Palace war im Moment genug für sie.

Der Head of Design, Addam de Broek, ein lebhafter, junger schwarzer Mann, dessen Designeranzüge immer etwas zu exzentrisch für die Stadt waren, seufzte dramatisch und warf sich in seinem Stuhl zurück. »Verdammt, Joel. Mehr haben wir nicht in der Datenbank. Und ich bin stolz auf die Arbeit meiner Designer, möchte ich bemerken.« Die rote Haarsträhne zwischen seinen schwarzen Locken fiel ihm bei der übertriebenen Reaktion in die Stirn. »Sie haben 2014 mit unserer Rose Collection eine Auszeichnung gewonnen und im Jahr danach mit der Constable Collection. Und die Diamanthalsketten aus der Jubilee Collection von 2012 verkaufen sich immer noch.«

Er musste nicht erst sagen Und das war, bevor du überhaupt zu uns gekommen bist, damit Joel den Vorwurf verstand. Starsmith hatte einen langjährigen und gefeierten Ruf als Designer edlen, eleganten Schmucks.

»Für diesen Auftrag will ich etwas ganz Besonderes.« Joel strich mit der Hand über die Zeichnungen auf dem großen Tisch. Der Sitzungssaal war der größte Raum im Büro und er hatte ihn für die Dauer von Project Palace übernommen. Papiere und Hochglanzfotos bedeckten beinahe die ganze Tischfläche. »Etwas, das noch nie zuvor gesehen wurde. Etwas Einzigartiges.«

Die zwei Marketingvertreter, Lily und Freddie, die sich mit ihren blassen, aristokratischen Zügen und weißblonden Haaren zum Verwechseln ähnlich sahen, schlürften abwechselnd von ihren Kaffees.

»Ich weiß zwar die Macht von etwas völlig Neuem zu schätzen…«, begann Lily.

»… was ja auch der Kern dieses ganzen Hochzeitsevents ist…«, fügte Freddie hinzu und läutete damit ihre vertraute Sprechweise ein, bei der sie sich gegenseitig ergänzten.

»… aber es gibt doch gewisse Erwartungen vom Markt, was die Firmenmarke betrifft…«

»… und auch von der Königsfamilie selbst.«

Joel nickte, allerdings eher höflich als zustimmend. »Das weiß ich. Ich habe wie alle hier das offizielle Briefing vom Palace gelesen. Aber das bedeutet nicht, dass wir keine Kollektion schaffen können, die nicht nur den Bedarf nach britischem Stil und Geschmack befriedigt, sondern auch außerordentliche, zeitlose Schönheit zeigt. Majestätische Pracht.« Über die letzten Worte wäre er beinahe gestolpert. Er erkannte, dass er etwas wiederholte, das er erst vor einer Woche gehört hatte – Matts intensive, leuchtende Augen, seine feste Meinung, der Geschmack seines Munds – und das verstörende, beinahe körperliche Erregung heraufbeschwor.

Teresa berührte in sanfter Unterstützung seinen Arm. »Wann ist die Deadline des Palace?«

Joel biss sich auf die Lippe. »Sie haben darum gebeten, die vorläufigen Designs einen Monat nach der offiziellen Ankündigung zu sehen. Außerdem wollen sie, dass der Prinz und Mr. Astra sie an mehreren Meilensteinen im Prozess absegnen.«

»Hurra!«, kam die ungezügelte Antwort von Lily oder Freddie – Joel war nicht sicher, wer von beiden es war, sie klangen oft genau gleich. Sie waren das enthusiastischste und am besten vernetzte Promotionteam, das er je erlebt hatte, aber sie schienen immer zu zweit zu denken und zu arbeiten.

Ein Klopfen an der geschlossenen Tür lenkte Teresa ab. Sie hörte sich die gemurmelte Neuigkeit von einem der Angestellten am Empfang auf dem Flur an und kehrte dann an Joels Seite zurück.

»Unten ist jemand, der das Designteam sehen will. Er sagt, er hat einen Anruf von Addam bekommen?« Sie runzelte die Stirn. »Der dumme Junge an der Rezeption hat nicht nach seinem Namen gefragt.«

Addam schwang sich schnell aus seinem Stuhl, seine Augen leuchteten. »Ist es einer der unabhängigen Designer, die ich angerufen habe?«

»Du hast in der letzten Woche mindestens 20 angerufen«, sagte Teresa mit einem Lächeln, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. »Warum sollte irgendeiner antworten, obwohl du nicht sagen konntest, um was für eine Zusammenarbeit es geht?«

»Weil sie das Abenteuer mit offenen Armen begrüßen sollten!« Addam winkte herablassend mit der Hand und grinste jetzt breit. »Okay, bisher hatte ich wirklich nicht den Eindruck, dass irgendjemand von ihnen Interesse hätte, wie Teresa gesagt hat. Aber wenn es der Kerl ist, von dem ich bisher noch gar nichts gehört habe… Gott, dann könnte das die beste Neuigkeit von allen sein!«

»Was ist so besonders an ihm?«

Addam fuhr hastig und mit entzückter Miene fort. »Ehrlich gesagt war ich nicht sicher, ob er noch im Geschäft ist. Ich habe seit Ewigkeiten nichts Neues mehr von ihm gesehen. Er hat immer nur für sein Familienunternehmen gearbeitet und das ist seit einer Weile in einer finanziellen Flaute.«

Einer von Joels Assistenten aus dem Business Development erhob die Stimme. »Sprichst du von Barth's? Matthew Barth?«

Alle drehten sich zu ihm um. Rafe war jemand, den Joel nicht selbst eingestellt hatte – er hatte kurz vor Joel bei Starsmith angefangen –, und er hatte sich noch kein Urteil über ihn gebildet. Rafe war sehr attraktiv, sehr charmant, aber auch sehr arrogant. Seine Erfolgsrate war hoch, aber Joel hatte so eine Ahnung, dass Rafe einige Abkürzungen dafür in Kauf genommen hatte. Joel hatte es nie gemocht, wenn Kunden mit der Peitsche gewonnen wurden.

»Ja«, sagte Addam. »Erinnerst du dich an die herrliche ägyptische Anubis-Kollektion, die er designt hat?«

»Das ist Jahre her«, murmelte Rafe und schüttelte den Kopf.

»Sie war meisterhaft.« Joel erinnerte sich, sie in den Zeitschriften gesehen zu haben. Sie hatte sogar eine Erwähnung vom British Museum bekommen.

»Sie ist immer noch eins der besten Werke, die ich je gesehen habe«, sagte Addam lebhaft. »Wie er das Metall so winzig gestaltet hat, dass es den ägyptischen Schakalgott darstellt – ich habe selten jemanden mit solchem Talent darin gesehen, Alt und Neu auszubalancieren. Er ist den Linien uralter Amulette und Talismane gefolgt, den Gegenständen, die für Leute in diesen Zeiten kostbar waren. Aber gleichzeitig hat er ihnen mithilfe moderner Produktionsprozesse einen edlen Schimmer verliehen.« Addam stieß einen weiteren übertriebenen Seufzer aus und legte eine Hand aufs Herz. »Einige der Stücke haben lebendig ausgesehen, so stark sind Leben und Lust durch sie geflossen.«

Teresa zog die Augenbrauen hoch und lächelte über Addams Begeisterung. »Lust?«

»Hey.« Addam war nicht beleidigt. Mit seinem Selbstbewusstsein war er das selten. »Manche müssen sich ihr Vergnügen holen, wo sie können. Joel, zieh den Mann ernsthaft in Betracht. Er hat mit Gold gearbeitet, genau das, was wir suchen. Und er hat ein Auge für das Ungewöhnliche. Aber wenn ich so an die konservativen Leute denke, die immer noch einen Großteil der Guild führen, ist das wahrscheinlich der Grund, warum er nie groß rausgekommen ist.«

Rafe schnaubte. »Das und seine problematische Einstellung.«

Joel drehte sich zu ihm. »Was meinst du damit?«

Rafe zuckte mit den Schultern. »Ich habe gehört, dass er ein wandelndes Pulverfass ist. Aggressiv, arrogant. Es ist nicht so, dass er mit niemandem außerhalb seines Familienunternehmens zusammenarbeiten will – viel wahrscheinlicher ist, dass niemand mit seinem Benehmen zurechtkommt.«

»Das habe ich auch gehört«, sagte Freddie widerwillig.

»Ja, Digby hat mir davon erzählt.« Lilys Verlobter Digby arbeitete ebenfalls im Business Development von Starsmith und hatte viele Kontakte in der Branche. »Er hat an einem Gemeinschaftsprojekt…«

»… mit Cavendish Gems gearbeitet, ja, ich erinnere mich«, fuhr Freddie fort. »Nach der Anubis-Kollektion haben sie Matthew Barth angesprochen, damit er die Designs übernimmt, aber er hat sich diese einmalige Gelegenheit entgehen lassen. Er…«

»… konnte kaum höflich bleiben, hat Digby gesagt«, endete Lily mit einem ironischen Lächeln.

»Ich würde nicht mit ihm arbeiten wollen, selbst wenn man mich dafür bezahlen würde«, sagte Rafe.

»Was ich tatsächlich tue«, murmelte Joel.

Rafe errötete und presste die Lippen zusammen.

»Er hat so großes Talent«, bettelte Addam, den Blick auf Joel gerichtet.

»Er kann nicht mit anderen zusammenarbeiten«, konterte Rafe.

»Joel?« Teresa seufzte leise, fast entschuldigend. »Matthew Barth war derjenige, mit dem wir das Problem bei der Übernahme hatten.«

Und das war etwas Ernsteres als künstlerische Meinungsverschiedenheiten. »Hilf mir auf die Sprünge.«

»Es war das Unternehmen seines Vaters. Desmond Barth hat den Preis bis zur letzten Minute vor Vertragsschluss in die Höhe getrieben. Die Rechtsabteilung war am Ende ihrer Kraft. Und ich bin ziemlich sicher, dass der Sohn hinter all den Streitereien gesteckt hat. Barth senior wollte alle möglichen zusätzlichen Klauseln im Vertrag haben, bevor er unterzeichnet hat. Bei diesen Klauseln ging es zwar um Zusatzleistungen für die Mitarbeiter und darum, ihre Verträge zu übernehmen, also waren sie berechtigt und wohlwollend gemeint –«

Rafe unterbrach sie: »Sie hatten schon den besten Deal, den sie bekommen konnten. Ich habe das Angebot selbst geschrieben. Das Unternehmen war kurz vor dem Ende, hatte überhaupt keine Anlagen, die Marke war so gut wie wertlos –«

»Ich glaube, mich zu erinnern, dass Barths Wohlwollen der Grund war, warum wir überhaupt an ihnen interessiert waren«, sagte Joel leise, aber bestimmt.

Rafe lief rot an. »Ja. Tja. Vielleicht hatte das einen gewissen Wert für uns. Aber der Sohn war uns ein Dorn im Auge, als es zur Unterzeichnung kam. Kommt mir vor, als würden wir uns selbst sabotieren, wenn wir ihn ins Team holen.«

Teresa stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Sabotieren?«

Rafe funkelte sie an. »Ich bin täglich an der Front, kämpfe mit unseren Konkurrenten um die besten Deals und höre mir beiläufige Bemerkungen an, aus denen sich neue Chancen ergeben könnten. Ich habe gehört, dass Matthew Barth jedem, der es hören will, Schlechtes über Starsmith erzählt.«

»Er hat nicht unrecht, Joel«, sagte Lily. »Matthew Barth hat nie ein Geheimnis aus seiner Abneigung gegen Starsmith gemacht. Soweit ich gehört habe, waren die Verhandlungen nicht einfach. Nicht, dass wir je außerhalb des Büros darüber gesprochen hätten…«

»… oder dass das Team nicht damit hätte umgehen können«, fügte Freddie hilfreich hinzu und seine Wangen waren bei dem offensichtlichen Gedanken, dass Lily vor ihrem skrupellosen Boss Schwäche zeigen könnte, leicht gerötet.

 

»… aber Digby hat tatsächlich erwähnt, dass Mr. Barth junior extrem hinderlich war«, endete Lily.

Joel seufzte. Was sollte er mit diesen widersprüchlichen Aussagen anfangen? Starsmith entschuldigte sich nicht für seine aggressive Akquisitionsstrategie. Sie war von Joel unterstützt und gefördert worden, da er entschlossen war, die Firma zu einer der größten und besten zu machen. Bei Übernahmen gab es immer persönliche Probleme, die über die finanzielle Sorgfaltspflicht hinausgingen. Aber Joel konnte es sich nicht leisten, dass das einen Einfluss auf Project Palace hatte.

»Joel? Gib ihm eine Chance«, sagte Addam.

Joel atmete tief durch und nickte langsam. Er wandte sich an Teresa. »Bitte schick Mr. Barth hoch.«

Während die anderen die Fotos und Pläne einsammelten und in die mit vertraulich markierten Ordner zurücksteckten, ging er zu den bereitgestellten Erfrischungsgetränken hinten im Raum. Etwas daran, wie Rafe über den Sohn von Barth hergezogen hatte, hatte ihn über die gesprochenen Worte hinaus beunruhigt.

Während sein Glas unter dem Wasserspender volllief, beobachtete er, wie die Blasen darin platzten und blubberten. Dann hörte er, wie Teresa jemanden in den Raum brachte. Sein Nacken prickelte und er war nicht sicher, warum. Addam eilte hinter Joel durch den Raum, um den Neuankömmling zu begrüßen, gefolgt von einer Fahne seines teuren Eau de Cologne.

»Matthew! Ich bin so froh, dass Sie zugestimmt haben, uns hier zu treffen.«

Der Besucher räusperte sich. »Wenn Sie gehört haben, was ich zu sagen habe, werden Sie das nicht mehr sein.«

Bei den groben Worten des Mannes erstarrte Joel und der Schock durchfuhr ihn wie ein Blitz. Er starrte immer noch auf den Wasserspender, sah ihn aber nur noch verschwommen.

»Ähm.« Addam war offensichtlich verdutzt, erholte sich aber schnell. »Na ja, ich hoffe, Sie nehmen sich Zeit, um sich anzuhören, was wir zu bieten haben –«

»Genauso wie Sie zugehört haben, als Sie meinem Vater die Firma gestohlen haben?« Die Stimme war laut, die Worte knapp und schonungslos ausgestoßen. »Als Sie uns dazu gebracht haben, bis aufs Blut um jedes anständige Gegenangebot zu kämpfen, als Sie ihn dazu gezwungen haben, zu einem Preis an Sie zu verkaufen, der beleidigend weit unter dem eigentlichen Marktwert war? Als Sie ihn vor einer Woche fast in den Kollaps getrieben haben?«

»Hey«, brauste Addam auf. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, aber das fällt nicht in meinen Bereich –«

»Nein.« Joel drehte sich um. »Sondern in meinen.«

Im Raum wurde es plötzlich still. Niemand konnte das eigentliche Schockmoment begreifen, aber Joel war überrascht, dass sie nicht sein Herz pochen hörten, so heftig, dass es ihm beinahe aus der Brust gesprungen wäre. Vor Joel und seinem Team stand Matt, in einem weit schickeren Anzug, aber mit denselben zerzausten Haaren und dem ausdrucksstarken Gesicht. Er war am ganzen Körper angespannt.

»Du?« Seine Augen weiteten sich, als er Joel sah, und lief rot an. »Scheiße!«

»Ja. Ich.« Joel schluckte vorsichtig, um sicher zu sein, dass seine Stimme ruhig war. »Guten Tag, Mr. Barth. Ich bin Joel Sterling, CEO von Starsmith Stones. Es freut mich, Sie… heute kennenzulernen.«

Er hätte vor heute nicht innehalten müssen, aber das gab ihm einen Moment, um alles zu verarbeiten. Matthew Barth war Matt. Matt, der Joel zum Lachen gebracht und ihm ein Gefühl der Sorglosigkeit gegeben hatte. Der einen Kuss mit ihm geteilt hatte, der Joel danach viele Nächte lang gequält hatte. Matt, den Joel nie um ein richtiges Date hatte bitten können, der nicht geblieben war, um mehr Zeit mit ihm zu verbringen.

Und jetzt flüsterte eine kleine, misstrauische Stimme in Joels Kopf: Warum war Matt an jenem Abend überstürzt gegangen? Lag es daran, dass er den wahren Grund für seine Anwesenheit auf der Veranstaltung aufgegeben hatte? Dass er eigentlich versucht hatte, aus einem vorübergehend entspannten Joel mehr über Project Palace herauszubekommen? Aber warum sollte er das tun…

Kommt mir vor, als würden wir uns selbst sabotieren, wenn wir ihn ins Team holen.

Der Sohn war uns ein Dorn im Auge, als es zur Unterzeichnung kam.

Matt hätte Teresas Anruf bezüglich des Auftrags des Königshauses an jenem Abend nicht belauschen können. Aber Joel wusste, wie ihr Gewerbe funktionierte, wusste, dass es Gerüchte gab, dass Starsmith ein Kandidat war. Auch wenn Matt nicht gewusst hatte, wer Joel war, wäre es nicht schwer gewesen, sich umzuhören, wer von Starsmith auf der Veranstaltung war, um ihm dann in der Bar aufzulauern und zu versuchen, mehr Informationen zu bekommen. Barth's war ohnehin nicht unter den Firmen gewesen, die der Palace in Betracht gezogen hatte, aber das musste nicht heißen, dass sie Starsmiths Ruf nicht schädigen konnten, wenn sie so heimtückisch sein wollten. Wenn sie sich für die Übernahme rächen wollten.

Er hat nie ein Geheimnis aus seiner Abneigung gegen Starsmith gemacht.

Joel erwiderte ruhig Matts Blick, wohingegen Wut und Schock in Matts Augen leuchteten. Und noch etwas anderes.

Hass.