Paganini - Der Teufelsgeiger

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19

Felice Baciocchi, der gesichtslose Ehemann, lernte indessen das Geigenspiel bei Paganini. In den letzten Wochen hatte der Gesichtslose viele Damen schwitzend und nach Luft ringend im Saal erlebt, sobald Paganini seine Violine hatte erklingen lassen. Die atemberaubenden Läufe, Triller und Akkordfolgen fegten männliche und weibliche Zuhörer von den Stühlen. Dabei war er so jung, so schmal, wirkte so zerbrechlich, sah aus, als wolle er in der nächsten Minute vor Schwäche umsinken. Signor Baciocchi vermutete ein Geheimnis hinter Paganinis Kunst. Ein Fluch, ein Zauber, eine Krankheit. Irgendetwas Skurriles. Kein normaler Mensch, selbst hochbegabt, kann in jungen Jahren solche Kunststücke vollbringen und Klangwirkungen schaffen, die Frauen jeder Altersgruppe außer Rand und Band bringen, dachte Felice erregt. Elisa fängt schon an zu zittern, sobald der Musiker den Hals der Geige packt und sie unters Kinn schiebt. Bei den ersten Tönen verdreht sie die Augen, nach einigen harmonischen Klängen sinkt sie um. Mit seiner schmächtigen Figur und dem leidenden Gesicht wird er Elisa nicht verführen können, denn darin ist sie wählerisch wie ihr verdammter Bruder. Was aber, wenn er es mit seinen teuflischen Künsten schafft? So grübelte Felice und trachtete danach, selbst ein guter Geiger zu werden.

„Mache ich Fortschritte?“, fragte er seinen genialen Lehrer Ende Mai des Jahres 1806.

„Nach sechs Monaten Unterricht lässt sich nicht viel sagen, mon Prince!“ Paganini packte hastig die Geige ein. Er wollte seine kostbare Zeit nicht noch weiter mit dem schwerfälligen, tapsigen Prinzen vergeuden, obwohl er ihn schätzte. Außerdem war es besser, Elisa zu meiden. Nicht ein Bankett, nicht eine Soirée hatte sie verstreichen lassen, ohne um ihn herumzuschwänzeln. Sie war eine Wespe. Sie schwirrte herbei, summte um ihn herum und passte er nicht auf, stach sie ihn an der empfindlichsten Stelle.

„Seien Sie ehrlich, Maestro! Ein Lehrer weiß schon nach zwei Wochen, ob sein Schüler begabt ist.“

Santa Maria, dachte Niccolò. Er hat mich doch nicht nach seiner Begabung gefragt, sondern nach seinen Fortschritten. Und mit beiden ist es nicht weit her.

„Erlauben Euer Gnaden, mit dem Urteil noch ein wenig zu warten.“ Paganinis Wangen röteten sich, was ihm gut stand. Sein Gesicht wurde ernst und in seinen Augen blitzte es. Felice erschrak. Plötzlich zweifelte er nicht mehr daran, dass Paganini ein Geheimnis hatte. Aber welches?

„Gut, gut, Maestro. Muntern Sie mich dennoch ein wenig auf. Alles, was Sie tun, ist mit dem Kopf nicken oder Hmmm murmeln. Mir ist zu Ohren gekommen, wie eifrig Sie Ihre Schüler vom Orchester anspornen. Bin ich, Ihr Prinz, weniger wert als die kleinen Schüler?“

Paganini schloss die Augen und stellte sich schnell das Gesicht seines strengen Vaters vor, weil er fürchtete, höhnisch und ungebührlich aufzulachen. War der Prinz dumm oder naiv? Wie konnte er sich mit einem Musiker des Orchesters vergleichen? Paganini ging den Weg des geringsten Widerstandes, um rasch verschwinden zu können.

„Euer Gnaden sind meiner Verehrung gewiss. Sie haben enorme Fortschritte gemacht! Vertrauen Sie mir: Ich werde Sie zukünftig tüchtig anspornen.“

Unglücklicherweise tauchte in dem Augenblick Elisa auf. Sie war kugelrund und figurlos, was ihr Kleid noch hervorhob. Der Rockteil war hoch angesetzt und von einem goldenen Band über dem Bauch gehalten. Ihre schmale Nase wirkte durch das hagere Gesicht noch länger und die Augen hingen wie zwei feuchte Trauben unter den Augenbrauen. Paganini verneigte sich und griff nach seinem Geigenkasten.

„Maestro, s’il vous plaît, ne partez pas si vite!“

„Madame, mi scusi!“ Er verneigte sich ein drittes Mal. Diesmal lächelten seine Augen. Sein Mund verzog sich charmant, so jedenfalls wirkte es auf Elisa. Paganini bezweckte nicht, charmant zu sein, er suchte das Weite. Und er fand Elisa, bei aller Hochachtung, die er ihr entgegenbrachte, schlicht und einfach albern. Heute oder morgen sollte ihr Kind zu Welt kommen und sie hörte nicht auf, ihren Kammervirtuosen anzuschmachten und an dem Vater des Kindes vorbeizusehen, als wäre er ein Möbelstück. Felice schien davon nichts zu bemerken. Ihm fehlten gewisse Antennen. Das machte sich natürlich auch im Geigenunterricht bemerkbar.

„Lieber Signor Paganini, wann immer ich Ihnen begegne, sind Sie in Eile. Das gefällt mir durchaus nicht. Bis auf die ungezogenen Gegner meines Bruders sind Sie der Einzige, der nicht jede Sekunde mit mir ausnützen will. Nennen Sie mir bitte den Grund Ihrer permanenten Hast.“

Paganini verneigte sich ein weiteres Mal. Diesmal, um seine gelangweilte Miene zu verbergen. Als er den Kopf wieder hob, verbarg ein Lächeln seinen Ärger.

„Madame, ich erlaube mir zu behaupten, dass ich Ihrer kostbaren Zeit nicht würdig bin, solange ich nicht spiele. Meine Bedeutung liegt in meiner Kunst und liegt die brach, will ich Ihrer Herrlichkeit mit meiner Wenigkeit nicht auf die Nerven gehen.“ Paganini versuchte, sich rückwärts davonzumachen, sich dabei stets verneigend, um seine spöttische Miene zu verbergen. Elisa wackelte ihm hinterher. An der Tür verlangte es die Höflichkeit von ihm, nochmals aufzusehen.

„Madame, au revoir!“

Elisa blickte ihm geradewegs in die Augen. Mit einer Glut, die ihn entzünden musste, ob er wollte oder nicht.

„Sie haben schöne Augen, mon Virtuose! Es lodert ein Kaminfeuer darin, an das man sich setzen möchte.“ Ihre Stimme hatte einen samtenen Klang und für wenige Augenblicke spürte er ein sonderbares Verlangen. Ein Ziehen im Magen, ein kurzer Drang, sich im weichen Samt ihres Kleides niederzulassen. Die Idee berührte ihn flüchtig und kaum hatte er das Zimmer verlassen, dachte er nicht mehr daran.

20

Elisa will mich um jeden Preis. Es schmeichelt mir, dennoch wehre ich mich energisch. Der Gedanke, dem armen Wicht von Ehemann Hörner aufzusetzen, schmerzt körperlich. Genügt es nicht, dass er auf Wunsch des Kaisers seinen Namen Pasquale in Felice hatte ändern müssen? Er ist ein Einfaltspinsel, aber ein gutmütiger Kerl und verdient mehr Respekt. In der Regel sind mir dumme Menschen eine Qual, bei Felice hingegen urteile ich milder. Er tut mir leid. Seine Frau schert sich nicht um ihn. Er kann sich alle Mühe geben, er bleibt eben nichts weiter als das Anhängsel einer Bonaparte.

Zwei Wochen vor der Geburt des Kindes taucht die Prinzessin kaum noch auf ihren Empfängen auf und auch ich mache mich rar. Ich betreue, so weit es geht, die Schüler, erfülle meine Pflichten im Hoforchester.

Unter den Musikern tummelt sich ein gar sonderliches Subjekt. Es frisst alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Nein, es frisst auch, was fest ist. Seine Fingernägel, seine Haare, seine Kleider und selbstverständlich seine Partituren. Immer wieder sind wir veranlasst, die Partitur für ihn zu kopieren, bevor er sie auffrisst. Leider ist der Mann Violinist, was mich fürchten lässt, er knabbere eines Tages an seiner Geige oder am Bogen. Flöte und Pauke laufen weniger Gefahr, gefressen zu werden. Der Musiker hört auf den Namen Alessandro und hat ein vorzügliches Ohr. Er spielt auch ganz anständig, überrascht zwar nicht mit seinem Spiel, aber das erwartet ja kein Mensch von einem Orchestermusiker. Wie auch immer. Wäre nicht der absonderliche Mensch, würde ich mich in aller Ruhe auf meine neue Komposition für Orchester und Violine konzentrieren können. Elisa, die Teufelin, wünscht etwas Besonderes zum Geburtstag ihres Bruders im März des kommenden Jahres. Als sie es mir sagt, streift ihr Arm meine Brust und ihr dicker Bauch meine Schenkel. Ich spüre den Strom ihres Verlangens. Er überträgt sich bei jeder Berührung.

Endlich kommt das Kind zur Welt und Elisa ist abgelenkt. Ich arbeite an der Sonate. Einen Monat lang habe ich Ruhe, in einem freundlichen Zimmer des Hauses Quilici. Mein Fenster zeigt auf den Garten, der im Augenblick in seiner ganzen Farbenpracht erblüht. Eine schmale Allee von roten Rosensträuchern führt zu einer Laube in dunklem Grün. Dahinter blitzt etwas blauer Himmel, in dem weiße Wolken schweben. Sie erinnern tatsächlich an ungeschorene Schafe. Mit Notenblatt, Feder und Tintenfass setze ich mich täglich ans Fenster. Ich schaue hinaus und bald schon sehe ich die Farben vor meinen Augen nicht mehr. Nein, ich höre sie. Ich höre das Thema, ein wenig pastoral, ein wenig poetisch, leicht dahinwiegend, im Sechsachteltakt. Eine fließende Melodie, die ein Frauenherz erweicht. Aber wird es Elisa genügen? Einen Sprung in den Zweivierteltakt mag diese gestrenge Frau sicherlich. Das klingt nach Marsch. Jawohl, Madame, wir Lakaien marschieren vor Ihrer Hoheit in Reih und Glied auf: Eins, zwei, eins, zwei. Nun jucken meine Finger. Drei Variationen werden folgen und dazu tanze ich nicht nach Madames Rhythmus. Raus aus dem Gefängnis der Gewohnheit. In den beiden ersten Variationen springt mein Bogen, dann wechseln sich Flagoletts mit Grundtönen ab und endlich, gegen Ende der dritten Variation bebt mein ganzer Körper von der Tonfülle, die mir in schnellen Läufen von Zweiunddreißigstel-Quartolen aus den Fingern strömt. Und alles auf der G-Saite. Ja, die Violinstimme wird nur auf der G-Saite singen. Eine kühne Idee! Wunderbar! Jetzt noch ein bombastisches Finale. Und einen eindrucksvollen Anfang. Wie soll beides aussehen? Es fällt mir in diesem Sommer nicht mehr ein.


Anfang Juli befiehlt Elisa den gesamten Hof auf ihre Sommerresidenz Bagni di Lucca. Mir gestattet sie eine kurze Konzertreise nach Livorno. Angeblich kann sie mich entbehren. Obwohl sie mir ziemlich egal ist, verletzt es, von ihr vorgeladen und dann wieder weggestoßen zu werden. Sie geht mit mir um wie mit ihren Dienern. Aber das hat Paganini nicht nötig. Jedenfalls nicht mehr, denke ich und lasse mich weiterhin wie einen Lakai behandeln. Andererseits: Habe ich Grund zur Klage? Ich bin kein brotloser Künstler wie viele andere. Als Genueser kann ich rechnen. Einnahmen und Ausgaben notiere ich sorgfältig in meinem Notizbuch. Alles in allem geht es mir nicht schlecht. Ich bewege mich in illustren Kreisen, esse unter Kandelabern, trinke vorzüglichen Wein und werde angebetet. Und wie besonders tröstlich ist es, von Madame Frassinet angebetet zu werden. Die junge Frau ist Hofdame bei Elisa und versäumt keinen meiner Auftritte. Wo und wann auch immer ich spiele, sie sitzt unten und hebt ihr entzücktes Gesicht zu mir herauf. Manchmal andächtig, manchmal erhitzt. Ich sehe ihre glänzenden Augen, sehe ihre Brust sich heben und senken, erkenne trotz des diffusen Lichtes die hektischen Flecken auf ihren Wangen und ich weiß, dass ihr Herz wild klopft, ihr Blut wallt. Ich spüre es auf der Bühne, denn von dieser zarten Gestalt dort unten geht eine himmlische Gewalt aus. Diese Gewalt nimmt mich vollständig in Besitz. Ich spiele das Adagio meines neuesten Werkes und bringe sie zum Weinen. Im changierenden Licht des Teatro Avvalorati in Livorno glitzern ihre Tränen wie Edelsteine. Da empfinde ich Liebe für sie. Zärtliche Liebe und das Verlangen, sie zu küssen, ihr zu danken, ihr meine Violine zu Füßen zu legen.

 

Wir lieben uns in einem Hotel in Livorno. Es ist das erste Mal. Sie ist so anders als Emilia. Nur wenig älter als ich, doch scheu und voller Erwartung. Ich wollte ihr meine Guarneri zu Füßen legen, doch bevor ich es tue, sinkt sie nieder und umklammert meine Knie: „Nimm mich wie deine Geige. So sanft, so großzügig, so gewaltig. Und pack mich mit der Guarneri in den Geigenkasten. Trage mich bei dir, wo immer du auch hingehst. Ich will nicht mehr Hofdame einer herrischen Kuh sein und Ehefrau eines verknöcherten Generals.“

Ich entdecke nicht nur Madame Frassinets unersättliche Lust, ich entdecke auch ihre Gesangsstimme und ihre Gitarrenkünste. Beides beherrscht sie nicht perfekt, doch angenehm. Wir können also unsere Liebe im Geheimen weiterpflegen, da sie von nun an bei mir Gitarrenunterricht nimmt und hin und wieder als Sängerin auftritt. Elisa und auch Frassinets Ehemann, ein gebeutelter General unter Napoleon, dürfen nichts erfahren. Madame Frassinet belebt meine freien Stunden in Lucca, ihr anschmiegsamer Körper inspiriert mich. Ich verstecke mich während der Liebe nicht mehr unter der Decke. Sie wirft jedes Kleidungsstück zu Boden, schiebt Schleier und Decken zur Seite, schlingt sich um mich und zieht mich in sich hinein. Unser letztes Treffen in Lucca löste eine bombastische Orchesterintroduktion für meine Sonate in mir aus. Mit einigen trillernden, leichten Flöten, die sich in Elisas Ohr schleichen und warm über ihren Rücken rieseln werden. Und schlicht, aber eindrucksvoll höre ich das Finale. Die Violinstimme unterhält sich voller Übermut, hin- und her springend mit der Flöte, kurz trumpfen Streicher, Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner in Es und Posaunen auf, werden von der übermütigen Violine unterbrochen, erklingen ein letztes Mal triumphierend und verneigen sich vor ihrer Herrlichkeit. Vor welcher eigentlich?

21

Im Februar 1807 steht die „Sonata Napoleone“ auf dem Blatt. Mein bis dato bestes Werk. Und nicht Napoleon soll sie gewidmet sein, sondern der zarten Elise Napoleone Baciocchi, die mir Elisa für einige Monate vom Leib gehalten hat.

Ich habe vor, das Stück ausschließlich auf der G-Saite vorzutragen, und möchte damit nicht nur dem Hof oder dem fernen Napoleon imponieren, ich möchte besonders meinen Verehrerinnen gefallen. Das Orchester und ich üben gemeinsam nur eineinhalb Tage. Zuvor teile ich das Manuskript an die Musikanten aus und verordne strengste Auseinandersetzung mit dem neuen Werk. Selbstverständlich fertigte ich eine zweite Kopie für den Vielfraß Alessandro an. Ich tat gut daran, denn als wir uns vor dem Konzert zur Probe treffen, hat er seine Partitur bis zur Unkenntlichkeit zernagt und ist augenblicklich dabei, seinen Bogen anzufressen. Meine Nerven sind nicht die besten, aber ich bin gefasst. Letztendlich ist die Erste Violine die Hauptperson und sollte Alessandro auch jede Note verspeisen, so merkt das Publikum nichts davon. Ich werde harmonische Klänge erzielen und Effekte herstellen, die Frauen atemlos machen und ihre Dekolletés vom Schweiß glänzen lassen. Dazu wende ich Kunstgriffe aus der Barockzeit an und kein Mensch beachtet Alessandro, den Allesfresser. Hinter mancher Zauberei verbirgt sich nur perfektes Handwerk. Ich hyperakkordiere die Geige, stimme die G-Saite um eine Terz höher, wodurch sie stärker gespannt ist und man eine höhere Klangbrillanz erzielt. Diese Klangbrillanz muss Elisas Blut zum Herzen getrieben und den Kopf entleert haben. Die Flageolette können es nicht gewesen sein, denn sie fällt schon bei den harmonischen Klängen des Larghetto in Ohnmacht. Sehr elegant. Sofort eilen alle Lakaien, außer mir, herbei, heben sie hoch und tragen sie hinaus. Während des Andantino-Teils liegt sie im Nebenzimmer und horcht. Das weiß ich, denn ihr entgeht nichts. Selbst bewusstlos nimmt sie alles wahr. Die Pauken setzen ein und ich gleite in die tänzerische Variation, in der ich mit Flageoletten arbeite, die jeder Frau unter die Haut gehen. Es ist ja charmant von den Damen, mich hin und wieder mit einer Ohnmacht zu beehren. Nur bei Elisa geht es mir langsam auf die Nerven. Ihre Ohnmachten sind lästig und gefährlich. Eine leise Ahnung beschleicht mich, wie man Elisa von ihrer Schwäche erlösen könnte. Dabei läuft es mir heiß über den Rücken.


Der Kaiser selbst hatte sich nicht die Ehre gegeben, doch wo auch immer er gerade wieder ein Land eroberte, der Erfolg der „Sonata Napoleone“ kam ihm zu Ohren. Ich erfahre es von Elisa. Es ist eine schwüle Augustnacht in Massa, als sie mich in ihre starken Arme nimmt und … nun wie sage ich’s … zuerst im spöttelnden Corrente und schließlich im Adagio seducente liebt. Auch auf diesem Gebiet ist sie sehr anspruchsvoll und nach ihrer stöhnenden, etwas unmusikalischen Hingabe zu urteilen von ihrem Ehemann gehörig vernachlässigt worden. Der Gehörnte scheint auf allen Gebieten eine Pfeife zu sein. Inzwischen tut er mir nicht mehr leid. Der Mann braucht vorläufig für nichts zu fürchten. Und solange er Napoleon und Elisa nicht stört, darf er auch am Leben bleiben. Ein eigenartiges Völkchen, die Bonapartes und ihr Anhang.

Madame Frassinet vernachlässige ich in jener Zeit, aber sie tut es ebenfalls. Wir vernachlässigen uns gegenseitig, da Elisa stärker ist. Ich liege in ihren Armen wie angeschmiedet. Auch in der Villa Marlia, in die wir Anfang September zurückkehren, verzichtet sie nicht auf mich. Ich stehe ihr immer zur Verfügung und kümmere ich mich nicht um sie oder das Hoforchester, spiele ich Elise Napoleone auf der Mandoline vor. Die Kleine sitzt in einer kaiserlichen Kinderkarosse im Garten der Villa und lauscht mit geöffnetem Mund. Ich sage: „Du hast recht Elise, mach den Mund gut auf und ziehe die Töne durch die Zähne ein.“ Sie lacht und zeigt mir ihr zahnloses Mündchen. Das nette Geschöpf hat die ersten Teile einer Komposition angeregt, die ich später das „Duetto amoroso“ nenne. Es sind harmonische Spielereien auf der Mandoline. Die Töne kommen leichtfüßig zu mir, sie schweben einfach daher und verweben sich zu unkomplizierten Melodien. Lieder für Kinder. Sonatinen für kindliche Erwachsene, hübsche Damen in lieblicher Toilette. Ich blicke in den hellen Himmel, sehe das saftige Grün des Rasens und Elise Napoleones strahlendes Gesicht. Madre mia, ich erkenne weder Vater noch Mutter in dir, bambina! Deine Mutter ist ein Teufelsweib. Ihre Beine schlingen sich um meinen Nacken, wenn ich sie liebe, packt sie mich erregt an meiner langen Nase und schnürt mir den Atem ab. Sie keucht und jauchzt. Ihr Busen hebt und senkt sich leidenschaftlich … Aber ach, was rede ich daher. Das ist nichts für deine Ohren. Höre die Stimme der Mandoline. Ich spiele sie so gut wie die Violine, findest du nicht? Nun, Elise Napoleone, wie soll ich die klingenden Gemälde nennen, die mir beim Anblick deiner Kinderaugen einfallen? Fangen wir noch einmal an. Das erste heißt Beginn. Der Anfang eines Spiels, eines Tanzes. Heiter, leicht. Das zweite nenne ich Gebet. Es klingt nachdenklich, ein wenig wiegend. Schläfst du ein? Dann würzen wir mit mehr Schwung. Das dritte heißt Einwilligung und das vierte werde ich Schüchternheit taufen, denn nun wirkst du besorgt. Aus Schüchternheit? Es ist möglich. Deine Amme kommt und ich entferne mich. Die Sonatinchen werde ich später weiterkomponieren.


Bald ist Weihnachten, und ich sehne mich danach, mia carissima Signora Madre wiederzusehen. An manchen Tagen fehlt sie mir. Leider ist eine Rückkehr mit Schwierigkeiten verbunden. Die Kontrollen haben sich geändert, seit Napoleon König von Italien ist und er das Königreich Italien proklamiert hat. Sogleich teilte er das Land nach napoleonischem Gutdünken ein. Das Piemont, die Toskana, das Herzogtum Parma, die Kirchenstaaten und natürlich Ligurien wurden jeweils in mehrere Regierungsbezirke geschnitten, damit auch alle Familienangehörigen Bonapartes etwas zu regieren haben und Hof halten können. Überall trat das französische Recht in Kraft. Mensch, Tier und Landschaften waren davon betroffen. Parma und Florenz wurden Präfekturen, Flüsse, Meere und Berge wurden ohne Rücksicht auf ihre Herkunftsbezeichnung einfach umgetauft.

Was ich zuvor nicht benötigte, brauche ich jetzt: einen Pass, um nach Genua zu reisen. Sicherlich werde ich einen bekommen, denn Elisa setzt sich für mich ein. Lästig sind nur diese Wartezeiten. Einst dachte ich, der Korse, der jeden Feldzug aufs Kleinste plant und die mindeste Abweichung einkalkuliert, helfe der italienischen, von Sonne und Wein geprägten Mentalität auf die Sprünge. Hat er dazu nicht eine neue Klasse geschaffen? Diese sonderbare Spezies der Funktionäre, Präfekten, Ratgeber und so weiter! Sie müssten ihre Arbeit im Handumdrehen verrichten. Aber es sind eben nur Menschen, diese Funktionäre und Bürokraten. Minderwertige Menschen, Tieren ähnlich. Träge, desinteressiert, gleichgültig, wenn es um den Nächsten geht, und zu allem bereit, wenn es um sie selbst geht. Eigentlich mag ich den Menschen nicht. Aber mit Tieren kann ich auch nicht viel anfangen. Am liebsten ist mir Madre. Sie kann nicht schreiben, nicht lesen und hat doch Verstand. Vor allem hat sie Herz. Und wegen dieses lahmen Gesindels auf den von Napoleon wieder eingeführten Präfekturen besitze ich keinen Pass und kann die liebe Madre und meine Schwestern zu Weihnachten nicht sehen. Ich werde mich damit begnügen müssen, Ihre Hoheit zu beglücken.

Wenige Tage vor Weihnachten liege ich nackt und zufrieden neben ihr, unter der Decke natürlich, denn vor Elisa habe ich gewisse Hemmungen. Da plötzlich fährt sie hoch und wandert hektisch im Schlafzimmer auf und ab. Der wallende Rock ihres Boudoirumhanges schleift wild hinter ihr her. Politische Veränderungen stünden bevor, schimpft sie, Felice verlange mehr Aufmerksamkeit und sie könne nicht alles bewältigen. Kurz und gut, sie werde das Kammerorchester auflösen, die Hofmusik auf ein Streichquartett reduzieren und mit uns ginge das ebenfalls nicht so weiter. Erstaunt blicke ich vom Bett hoch, dabei rutscht die Decke ein wenig und meine Brust ist zu sehen. Bevor ich sie bedecken kann, ruft sie:

„Ach, Paganini, bedecke schnellstens deine Brust. Ich fürchte immer, du wirst krank. Sie sieht so leidend aus. So schmal und weiß. Du bist ein begnadeter Musiker, aber deine Brust …“ Sie lässt ihre Arme resigniert sinken. Wenn für eine Frau die Brust eines Mannes wichtiger wird als der Rest, dann sollte der Mann gehen. Diese Frau war mir schon immer ein Rätsel und jetzt zwingt sie mich auch noch dazu, abzuwägen, welches meiner jüngsten Werke sie verdient. Das Duetto amoroso ist ein simples, aber sehr hübsches Kunstwerk, das niemand anderem zusteht als Elise Napoleone. Sie wird es eines Tages würdigen. Ihrer Mutter fehlt die Feinheit.

„Es tut mir leid, meine Liebe, dich mit meiner Brust zu peinigen!“ Rasch ziehe ich die Decke hoch. „Aber, so ist sie nun mal. Und ihr habe ich vieles zu verdanken, wenn ich mich auch um ihr Innenleben sorge. Manchmal habe ich das Gefühl zu ersticken.“

Sie steht vor dem Bett, die Hände in die Hüften gestützt, das Gesicht streng, die Lippen aufeinander gepresst.

„Trotz deiner Brust musizierst du auch im Bett besser als Felice. Und wenn ich dich aus meinem Bett verbannen muss, so nicht um dem Langweiler Platz zu schaffen.“ Sie setzt sich auf die Bettkante. „Und es wäre ein Jammer, würdest du ersticken.“ Ihre Hand schlüpft unter die Decke und streichelt unter anderem meine Brust.

 

Da ich momentan an mehreren Sonaten arbeite, will ich ihr die Sonate in C-Dur widmen und sie dementsprechend gestalten. In diesem Stück werfe ich ihr alles zu Füßen. Meine Hände, meine Finger, meine Arme, meine Beine und natürlich meine Brust. Eine Komposition von 47 Takten ist mehr als genug für ihre Hoheit. Anfangen werde ich mit einem zaghaften Dialog, der zu einem aufgeregten Gezeter anwächst, in dem die Solostimme der Geige in cantabiler Verzweiflung auf die aggressiven Sticheleien seines Partners antwortet. Natürlich werden die sanften, sich steigernden Antworten zunächst wild niedergemacht. Hier lasse ich den Bogen springen und zupfe, was das Zeug hält. Mit der linken Hand, selbstverständlich. Darauf folgt, wie kann es auch anderes sein, eine versöhnende Mattigkeit in Form einer demütigen Melodie. Der Partner Elisa beruhigt sich, um jedoch alsbald wieder aufzufahren. Nun baue ich Doppelgriffe ein, denn mit einer Stimme ist dem Teufelsweib nicht beizukommen. Und was tut sie? Sie antwortet mit hoher Stimme, wie es aufgeregte Frauen oft tun. Den Flageoletten stelle ich Grundtöne gegenüber und tatsächlich verständigen wir uns über kurze Zeit. Doch schon entgleitet sie mir wieder, auffahrend, hin- und hergerissen. Sie ohrfeigt und küsst mich. Und sie reißt mir die wenigen Haare von der Brust, auf die ich stolz bin. Jetzt treiben wir ein wenig orientierungslos dahin und halten uns hin und wieder an unserer Unfähigkeit fest. Auch in dieser Frau steckt, wie in dieser ganzen Bonaparte-Brut, etwas fürchterlich Hochmütiges und Wahnsinniges.

Im Januar löst Elisa tatsächlich das Kammerorchester auf und reduziert die Hofmusik. Alessandro darf bleiben, vermutlich, weil er aufgrund seiner dummen Angewohnheit nirgends unterkäme. Jüngstens überfiel ihn während der Probe ein ungezügelter Heißhunger, und er nagte an der Partitur des Kontrabassisten. Ein Jammer. Domenico Puccini wird Kapellmeister, Carlo und ich bekommen nur noch 45 Scudi monatlich. Was für eine geizige Frau Elisa doch ist. Hingegen erhalte ich endlich meinen Pass. Leider bekomme ich ihn nicht, um endlich freier zu sein und nach Genua reisen zu können, sondern um die Ankunft von Elisas Schwester in Turin zu feiern. Die Borghese kommen aus Frankreich und sollen als Regenten des nördlichen Piemonts ins Schloss Stupinigi einziehen. Wieder eine Bonaparte auf dem Regierungssessel und wieder ein idiotischer Ehemann. Ich stelle es an einem Aprilabend in Turin fest. Zwei Konzerte genügen und das Gesicht von Camillo Borghese zerläuft. Völlig benommen reicht er mir seine schlappe Hand und lobt mich in höchst unangebrachten Tönen. In Misstönen zelebriert er mein Genie. Redet stümperhaft über Musik, überschüttet mich mit seinem dilettantischen Wissen. Napoleon verheiratete seine Schwestern absichtlich mit Hanswursten. Sie sollen schließlich den Schwestern aus den Händen fressen, deren Hände wiederum an Napoleons Willen gebunden sind. Und alle Schwestern nebst deren Hanswursten bekommen vom Kaiser persönlich andere Vornamen verpasst. Was für eine Brut! Und die Vetternwirtschaft nennt sich demokratisch. Proklamierte nicht die Französische Revolution hoch und unheilig demokratische Prinzipien?

Die schöne Pauline hat nur eins mit Elisa gemein. Sie trägt ihr Dekolleté so tief, dass man atemlos darauf wartet, es verziehe sich und entblöße ihre weißen Brüste. Ich sehe sie nur einen Augenblick und stelle dabei fest, wie herrisch unabhängig sie liebt. Ehemann Camillo nächtigt im Schloss Stupinigi derweil in Paulines Schlaf­gemach, während Liebhaber Felice Blangini Einzug hält. Was für eine fürchterliche Brut! Enttäuscht reise ich ab.

Unbeschreiblich wohltuend ist es, nach langen Monaten inmitten aufgeplusterter Prinzessinnen, vertrottelter Ehemänner und eines blasierten Hofes einfache, ja schlichte Menschen zu treffen. Auch das Hoforchester zehrt an meinem empfindlichen Nervensystem. Nicht selten werde ich von Schüttelkrämpfen und eigenartigen Zuckungen heimgesucht. Madre weint und nimmt mich in die Arme.

„So wie du jetzt zitterst, hast du schon mit sieben Jahren gezittert, Niccolò. Ich erinnere mich, wie dein ganzer Körper bebte, damals, als du die Masern hattest. Du warst oft krank. Achte auf dich, mein Kind! Du magst wohl zwanzig Jahre sein, aber du bist zart wie ein Kind. Du solltest der Musik nicht so viel Zeit und Platz einräumen.“ Durch Mamas Haare wandern nun sehr viele silbrige Streifen. Ihre Haut ist um einen Ton erdiger als beim letzten Mal. Aber ihre Augen strahlen voller Liebe. Ja, sie liebt mich. Sie ist der einzige Mensch auf Erden, der mich liebt. Jedenfalls glaube ich das ganz fest.

„Die Hofmusiker sind wohl liebe Kerle und fleißig, aber einige von ihnen machen mich verrückt. Alessandro frisst alles, was ihm in die Finger kommt, und Salvatore klappert während des Konzertes mit den Zähnen. Es wäre vernünftig, ihn zu entlassen, ich bringe es aber nicht übers Herz, weil er ein hervorragender Musiker ist und halb blind.“ Ich sehe Madre traurig an. Es heißt, ich sei ein strenger Dirigent, exakt und gefürchtet. Wer meine Zeichen nicht sogleich versteht, den schwärze ich beim Konzertmeister an, damit er ihn hinauswirft. Aber es gibt Künstler, denen kann ich nicht die Tür weisen. Salvatore ist einer von ihnen. Er ist begabt, er gibt sich ganz, er lebt mit der Musik, er kann kaum sehen, aber da ist dieses fürchterliche Zähneklappern mit dem er schon manchen Zuhörer irritiert hat. Natürlich kann mir Madre nicht helfen und so erzählt sie von Paolas nichtsnutzigem Ehemann, von Nicolettas baldiger Hochzeit mit einem Glashändler und von den Sorgen ihres kleinen Lebens.

Vater spricht kaum mit mir und wenn, dann nur über Geld. Was zahlt dir der Hof? Ist die Prinzessin großzügig? Verdient Carlo auch genug? Seid ihr beide bis ans Lebensende abgesichert? Das wäre ihm recht. Er brauchte sich nicht mehr um uns zu scheren und könnte uns ganz aus seinem Gedächtnis streichen.

„Niccolò, schau deinen Vater nicht so misstrauisch an. Er ist kein böser Mensch, er sieht nur ein wenig so aus.“

Sonderbarerweise schlafe ich schlecht, obwohl schlafen einer meiner höchsten Genüsse ist. Meine Nächte werden von vielen Frauengestalten bevölkert. Sie alle bedrängen mich, flattern um mich herum, zupfen an meinen Kleidern, zerren an meinen Haaren. Entführen mich in einer Kutsche, hinaus aus der Stadt zu einem kleinen Platz auf den Anhöhen der Bucht von Genua. Das Ganze ähnelt einem Hexensabbat. Sobald ich aus der Kutsche steige, muss ich spielen. Die Damen ziehen sich zu den Klängen meiner Violine aus und geraten in höchste Ekstase. Auf dem Höhepunkt ihrer Erregung stürzen sie sich auf mich und verlangen alle auf einmal, von mir beglückt zu werden. Keuchend vor Lust winden sie sich zu meinen Füßen. Da überspanne ich die G-Saite, damit sie reißt. Es ist ein Kinderspiel, eine erregte Frau nach der anderen mit der Saite zu erwürgen. Wenige Minuten später ist alles still. Reglos liegen sie vor mir. Schöne, leblose, makellose Körper. Schweißgebadet wache ich auf. In dieser Nacht fängt das eigenartige Schwitzen an, das mich allmählich immer häufiger im Verlauf meiner Konzerte

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