Die Passion Jesu im Kirchenlied

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From the series: Mainzer Hymnologische Studien #28
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Das Danken als rechte Betrachtung der Passion Christi

Luther hat in seinem oben dargestellten Sermon den inneren Weg des rechten Betrachtens des Leidens Christi beschrieben. Demnach erschrickt der Betrachter über die Leiden Christi, weil er erkennt, daß er diese mit seiner Sünde verschuldet hat. Er wird ihm gleich im Leiden (conformatio), indem er sich in seinem Gewissen martert, aber er schreitet weiter, denn angesichts der Liebe Christi und der Liebe Gottes des Vaters, die in der Passion zum Ausdruck kommen, wirft er getrost seine Sünde auf Christus, weil er gewiß ist, daß dieser die Sünde trägt und zunichte macht.

Der Weg vom Erschrecken zum Trost führt im weiteren Denken Luthers weiter zum Dank:

In seiner Predigt vom Karfreitag 1533 formuliert Luther:

„Deshalb sollen wir das Leiden Christi so lernen, daß wir wissen, es sei uns zugut geschehen, auf daß wir solches Leiden nicht anders ansehen als eine ewige Hilfe. Seinen blutigen Schweiß, seine Angst in der Nacht und sein Kreuz soll ich so deuten und sagen: Das ist meine Hilfe, meine Stärke, mein Leben, meine Freude. Denn das alles ist geschehen, auf daß wir Frucht und Nutzen davon sollen haben und daß wir glauben, es sei uns zugute geschehen, und daß wir ihm von Herzen danken. Wer das tut und vom Leiden Christi diesen Gebrauch macht, der ist ein Christ.“

In seinem Lied setzt Luther bei diesem dritten Schritt ein. Als erste affektive Handlung legt er dem Singenden hier folgende bei: „Des wir sollen froh sein, Gott loben und ihm dankbar sein und singen Halleluja.“

Im Laufe der Entwicklung hat sich Luther immer mehr von dem Versuch, den compassio-Gedanken umgedeutet zu erhalten, abgewandt und sich mehr einem neuen Schwerpunkt, der „Exklusivität des Sühneleidens Christi“1, genähert. Der inklusive Charakter des Leidens führt zur Gefahr des Mißbrauches des compassio-Gedankens, bei dem das Mitauferstehen des Glaubenden doch auf dem eigenen Mitleiden beruht, wodurch die von Christus erworbene Gerechtigkeit abgewertet wird und der Mensch eine eigene Gerechtigkeit aufrichtet2. Aber gerade im Selbstbehauptungswillen des Menschen gegenüber Gott liegt seine Sünde, denn er verkennt, daß die Schwere der Sünde des Menschen nicht durch eigene Verdienste aufgewogen werden kann. Um dieser Gefahr zu wehren, verlagert Luther den Schwerpunkt seines Passionsverständnis auf die Exklusivität des Sühnehandelns Christi, die für die rechte Passionsbetrachtung Erkenntnis der Liebe Christi und Dank bedeutet.

Das große Gewicht, das Luther in „Christ lag in Todes Banden“ auf das exklusive Geschehen des Kampfes zwischen Leben und Tod legt, die Deutung des Sterbens Jesu auf dieser universalen Ebene, die die menschliche Existenz zwischen dem Machtbereich des Tod und der Herrschaft Christi ansetzt, die Betonung dessen, daß Christus „für uns“ in diesen Kampf eintritt und die eindeutige affektive Lage des Menschen, die aus reiner Freude, Dank, Lob und Gesang besteht, all diese Elemente seines Liedes verweisen auf diesen Schwerpunkt: Der Betrachtende soll das Kreuzesereignis als seine „Stärke, Leben und Freude“ (s.o.) deuten und Christus „von Herzen danken“.

Die Perspektive auf das Kreuz im Sermon und im Lied

In seinem Lied, das er fünf Jahre nach Erscheinen des Sermons gedichtet hat, kommen Grunderkenntnisse daraus zur Sprache, doch haben sich Schwerpunkte der Passionsbetrachtung verschoben.

Luther läßt sein Lied, verstanden als Betrachtung des Handelns Christi am Kreuz, an einem anderen Ort einsetzen. Mit dem og. Schwerpunkt, den Luther in seinem Lied auf das Danken legt, setzt er dort an, wohin ihn die Passionsbetrachtung nach dem Sermon erst geführt hat. Steht im Sermon zu Beginn das Erschrecken und die Erkenntnis der eigenen Sünde, die dann erst zum Erkennen der Liebe Gottes, die in der Passion wirkt, führt, so ist im Lied Freude und Dank der Beginn; und das Gedenken an Sünde und Verlorenheit an den Tod wird im Rahmen des Dankens betrachtet und als etwas Überwundenes zur Sprache gebracht. Im Sermon findet sich nach der Selbsterkenntnis und der Gotteserkenntnis die Aufforderung zum Annehmen der Tat Christi, indem man die Sünde mit „ganzem Wag“ auf ihn wirft. An dieser Stelle erst wird die Befreiung für den Betrachter wirksam. Im Lied hat die Befreiung schon vor der Zeit im duellum mirabile, das außerhalb des menschlichen Wirkungsbereiches steht, stattgefunden.

Die Erkenntnis der Liebe Gottes ist im Sermon ein Schritt auf dem Weg von verschiedenen Erkenntnisschritten. Im Lied ist es das Zentrum: Im „Hie ist das recht osterlamb“ wird deutlich, daß der Blick auf das Lamm Gottes die Situation ist, in der sich der Singende befindet, d.h. der Blick auf das Lamm ist der entscheidende Moment für ihn. Die „heiße Liebe“, aus der heraus er sich zum Opferlamm gegeben hat, ist hier die einzige und damit herausgehobene Aussage zur Erklärung des Geschehens.

Wie der Betrachter im Sermon im Sterben Christi seine Liebe und darin die des Vaters erkennt, so ist dies aus der Formulierung „davon Gott hat geboten“ ebenso ersichtlich: Das Ereignis geschieht nach dem Willen des Vaters.

Aus der Liebeserkenntnis heraus folgt im Lied die Sündenerkenntnis: Von dem Liebesgeschehen am Kreuz her wird Christus als Gnadensonne erkennbar, der das Herz des Menschen erhellt. In diesem Licht erkennt der Mensch, daß die Sünde, die zu Beginn allein als das universale Verhängnis zur Sprache kam, nun aus dem Herzen verschwunden ist; d.h. die individuelle Verlorenheit aufgrund der Sünde, die wie der Glaube im Herzen zu verorten ist, wird erkannt als der Vergangenheit angehörig und nicht mehr wirksam.

Am Ende des Sermon steht eine weitere Erkenntnis: Das Geschehen ist abgeschlossen. Niemand leidet mehr, weder Christus noch das eigene Gewissen. Entsprechend der oben beschriebenen Entwicklung zu einer neuen Schwerpunktsetzung Luthers beim exklusiven Sühnehandeln Christi ist auch im Lied jedes eigene Leiden und jede eigene Bezugnahme auf das Sterben Christi in seinem noch unabgeschlossenen Verlauf ausgeklammert. Zu dem Zeitpunkt, an dem der Singende einsetzt, kann er schon „loben und dankbar sein“, denn das durch Christus erworbene Leben ist schon bei ihm eingekehrt. So ist die Betrachtung des Gekreuzigten in dem Lied eine, die vom Ende her erfolgt: Dank und Freude steht zu Beginn und am Ende des Liedes; der Blick auf das Lamm Gottes ist für den Betrachter allein Grundlage für das Gotteslob.

Wie sich dem Sermon folgend in der Betrachtung des leidenden Christus ein sakramentales Geschehen vollzieht, daß „der mensch alßo warhafftig new ynn got geporen“ ist, so vollzieht sich dies auch im Singen des Liedes: Der Singende tritt zu der feiernden Schar, die ihr Herz von dem Gnadenschein Christi erleuchten läßt. Aus der präsentischen Formulierung wird deutlich, daß die Gnade in der Gegenwart das Herz des Singenden erleuchtet und so der Sünde keinen Raum mehr läßt. Das Heilsgeschehen, der Sieg des Lebens über den Tod, hat zwar vor der Zeit stattgefunden, doch die Zueignung vollzieht sich in der Gegenwart. Statt der Sünde herrscht die Gnade, statt des Todes ist nun Christus selber der Herr über das Lebens des Singenden. Diese Wandlung, gleich einer Neugeburt, hat sakramentalen Charakter; unterstützt wird diese Bedeutung auch in dem Hinweis auf das Abendmahl, in dem Christus zur Seelenspeise des Glaubenden wird.

Infolgedessen ist auch der Weg der Betrachtung wie im Sermon als Beziehungsstiftung zu verstehen. Das Geschehen außerhalb des menschlichen Wirkungsbereiches und des menschlichen Zeitrahmens wird in der Betrachtung in dem Augenblick zum Geschehen am Einzelnen, in dem der Glaube das Blut Jesu dem Tod vorhält und er sich so auf den Sieg Christi über den Tod verläßt als ein für ihn gültiges Ereignis. So antwortet er auf die Beziehung, die Christus in seinem Tun zu ihm errichtet hat. In der Verbundenheit, die durch die Einwohnung des Lichtes Christi in seinem Herz stattfindet, ist die Christusbeziehung für ihn existentiell geworden.

Es zeigt sich also, daß der Weg, den der Betrachter des Kreuzesgeschehens nimmt, im Sermon und im Lied ein anderer ist. Die Grundaussagen über die Liebe Gottes, über die Sünde, über den Glauben und über das abgeschlossene Kreuzesgeschehen bleiben darin bestehen, aber der Ansatzpunkt der Betrachtung hat sich verändert. Grund dafür könnte der Ort des Liedes sein, das Osterfest, an dem der Singende von der Auferstehung her auf den Kreuzestod Christi blickt, im Gegenüber zum Sermon, der die Tradition der Passionsmeditation in der Passionszeit zum Anlaß nimmt. Doch wird dieser Perspektivwechsel auch der Entwicklung Luthers geschuldet sein, in der er sich allmählich von einem umgedeuteten Compassio-Gedanken abwendet und der Betonung des exklusiven Leidens Christi und damit dem Schwerpunkt des vollendeten Heilgeschehens zuwendet.

2.2.4.3 Zueignung der Passion im Singen
Der Ort und der Weg des Singenden im Bezug auf den Gekreuzigten

Bei dem Osterlied Luthers handelt es sich um eine rechte Passionsbetrachtung: Der Singende steht vor dem gekreuzigten Christus. Denn der erste Hinweis auf den Ort des Singenden in Form der ersten Formulierung im Präsens ist dieser: „Hie ist das recht osterlamb“.

In den Strophen zuvor ist im Praeteritum ein Bericht ergangen von dem vorzeitigen Geschehen, in dem Christus den Tod seiner macht über „uns“, die in ihrer Sünde ihm ausgelieferte Menschheit, beraubt hat.

Nun steht dem Singenden das „recht osterlamb“ vor Augen: Es sieht auf Christus, er sieht seine „heiße Liebe“, die ihn zu diesem Handeln gebracht hat, der Glaube, der geistlich schaut, ergreift das Blut des Lammes und hält es dem Tod als Unterpfand des Lebens vor.

 

In der Betrachtung des Gekreuzigten ist die eschatologische Hoffnung schon Gegenwart geworden: Der Tod hat seinen Stachel verloren, er ist nur noch ein Spott, der Würger kann nicht mehr Besitz über uns ergreifen, die Nacht der Sünden ist vergangen, Christus ist die Gnadensonne, die allein in unseren Herzen scheint, niemand anders als Christus ist es, auf den sich der Glaube ausrichtet, wir leben nun in seinem Herrschaftsbereich.

Die Antwort der Glaubenden auf das schon angebrochene eschatologische Heil ist das Feiern des Mahles: Ostern, das erneuerte Passahfest; das Fest der Befreiung aus der Gefangenschaft des Todes, der Herrschaftswechsel hat stattgefunden: das „hoh fest“ hat die Qualität des eschatologischen Freudenmahles in ungetrübter Gottesgemeinschaft.

Im Augenblick der Betrachtung des gekreuzigten Christus wird der Betrachter Teil der Ewigkeit Gottes: Das in der Vergangenheit vollendete Heilsgeschehen, das Aneignen im Glauben und die zukünftige Gottesgegenwart sind hier vereint. Der Glaubende gewinnt die Teilhabe am Heil, das Christus für ihn erworben hat.

So kann man sagen, daß im Vollzug des Singens des Liedes die singende Gemeinde zur eschatologischen Gemeinde wird. Die Betrachtung des leidenden Christus im gesungenen Lied findet seine Verwirklichung in der Feier des Mahles. So hat das Lied seine liturgische Verortung nicht nur im Osterfest, sondern im Gottesdienst, d.h. im Abendmahl der Gemeinde gefunden.

Der Schlüssel zur Passion: Zueignung im Glauben

Die Anknüpfung an das in diesem Lied als extra nos und vor der Zeit ausgewiesene Heilsereignis findet für den Singenden statt im Betrachten und im glaubenden Ergreifen des Blutes Christi als machtvolles Mittel gegen den Besitzanspruch des Todes auf ihn.

Aufgrund des Heilsgeschehens, das ohne menschliches Zutun geschieht, ist es ein Zueignen durch Christus, der gehandelt hat „für uns“ und der nun das Fest „scheinen laßt“, der als Sonne der Gnaden die Herzen der Glaubenden erleuchtet und die Sünde austreibt.

Eine Aneignung, also ein aktives Handeln des Glaubenden findet statt dort, wo das erste aktive Verb im Liedtext auftaucht: „das helt der glaub dem tode fuer“. Das erste Handeln ist also das Ergeifen des Blutes im Glauben, mit dem der Mensch sich dem Tod entgegenstellt im Vertrauen auf das, was mit dem Blut errungen wurde.

Der Glaube ist der Weg der Zueignung, denn im Glauben, in dem Christus an dem Einzelnen handelt, kommt ihm sein Sieg zu. Er weiß: Ich bin dem Tod nicht mehr ausgeliefert. Der Glaube ist es auch, der ihn in Christus hält: Er „will keins andern leben“, das eigene Leben ist in seiner grundlegenden, existentiellen Ausrichtung auf Christus untrennbar mit seinem verbunden. Hier findet sich das paulinische „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20) umgesetzt.

Im Lied wird deutlich, daß es bei der Zueignung des Sieges Christi nicht nur um die Übereignung seiner Verdienste an den Glaubenden geht, sondern daß die Gegenwart Christi die Gabe ist, daß also Christus Geber und Gabe zugleich ist.

In diesem Sinne formuliert Luther:

„Christus ist Gottes gnaden, barmhertzigkeit, gerechtikeit, warheit, weisheit, stercke, trost und seligkeit, uns von Gott gegeben on allen verdienst. Christus, sage ich, nicht, als etlich mit blinden worten sagen, causaliter, das er gerechtigkeit gebe, und bleibe er draussen, denn die ist tod, ia sie ist nimer gegeben, Christus sey denn auch selbs da, gleich wie die glentzen der sonnen und hitze des fewers ist nicht, wo die sonne und das fewer nicht ist.“ 1

Infolge dieser Gabe ist das „hoh Fest“ zu feiern. In der Freude des „Herzens“: Die eigene Existenz ist verwandelt, denn Christus, die Sonne der Gerechtigkeit erleuchtet das Herz, das Zentrum des Seins des einzelnen Menschen, so daß die Sünde keinen Raum mehr darinnen hat. So kann die Gemeinde singen: „… wir leben wohl im rechten Osterfladen“, denn das Leben kommt allein vom Wort Gottes; Christus ist nun alleinige Speise der Seele, der sich den Glaubenden im Mahl gibt.

Die Zueignung des Verdienstes Christi, die Zueignung seines errungenen Lebens an den Menschen geschieht also im Glauben, in dem er sich selbst ihm gibt. Die existentielle Verwandlung ist im Herzen verortet, d.h. es handelt sich um eine individuelle Beziehungsstiftung zwischen Chriustus und dem einzelnen Glaubenden.

Dennoch ist seine Gabe nicht nur als individuelle zu verstehen: Es kommt an keiner Stelle das Wort „ich“ vor. Wenn das Ich gemeint ist, spricht Luther von dem „Glauben“, in dem die Existenz des Einzelnen in Christus aufgehoben ist. Die neue Existenz ist „exzentrisch“ (Joest), in Christus liegt nun das Zentrum des Personseins.

Häufig verwendet er das „wir“ der im Namen Christi versammelten Gemeinde der Erlösten. Darum sind das gepredigte Wort Gottes, der rechte Osterfladen, und das Sakrament des Altars, die Seelenspeise Christus, der Weg, auf dem Christus sich der Gemeinde im Glauben gibt.

Im Gottesdienst geschieht die Zueignung Christi an das Herz des Glaubenden. Der Gottesdienst ist demnach Vollzug des Sieges Christi an uns und dem Leben der Einzelnen. Er vereint sich mit der singenden Gemeinde in Glauben, Wort und Sakrament.

2.3 Christus, der uns seligmacht

MICHAL WEISSE, 1531

1. Christus der uns seligmacht / kein boess hat begangen / wart fuer uns zur mitternacht / als ein dieb gefangen/gefurt vor gottlosse leut / unnd felschlich verklaget / verlaht verhoent und verspeit / wie denn die schrieft saget.

2. Inn der ersten tages stund / wart er unbescheiden / als ein moerder dargestelt / pilato dem heiden / der ihn unschueldig befandt / und on sach des todes / yhn derhalben von sich sandt / zum koenig herodes.

3. Umb drey wart der gotes sohn / mit geysseln geschmissen / unnd seyn haupt mit einer kron / von doernen zurissen / gekleydet zu hohn unnd spot / wort er ser geschlagenn / unnd das krewtz zu seynem tod / must er selbest tragen.

4. Umb sechs wart er nakt und blos / an das kreutz geschlagen / an dem er sein blut vergos / betet mit weklagen / die zuseher spotten sein / auch die bey jhm hingen / biss die sonn auch yhren schein / entzoch soelchen dingen.

5. Jhesus schrey zur neunden stund / klaget sich verlassen / bald wart gall jnn seinen mundt / mit essig gelassen / da gab er auf seinen geyst / und die erd erbebet / des tempels vorhang zureys / und manch fels zurkluebet.

6. Da man het zur vesper zeit / die schecher zurbrochen / wart jhesus inn seine seyt / mit eim sper gestochen / daraus blut und wasser rahn / die schrieft zu erfuellen / wie johannes zeyget an / nur umb unsret willen.

7. Da der tag sein ende nahm / der abent war kommen / wart jhesus vons kreutzes stamm / durch jozeph genommen / herlich nach judischer art / jnn ein grab geleget / alda mit huettern verwart / wie matheus zeiget.

8. O hilf christe gotes sohn / durch dein bitter leiden / das wir dir stetz unterthan / all untugent meiden / deinen todt und sein ursach / fruchtbarlich bedencken / da fuer wie wol arm unnd schwach / dir dankopffer schenckenn.

Amenn1

Andere Varianten in der modernisierten Fassung im EG, die z.T. auch geänderte Reime in der Folgezeile nach sich ziehen:

1: statt: „geführt vor gottlose leut“ – nun: „eilend zum Verhör gebracht“

3: „mit geysseln geschmissen“ – „Geißeln fühlen müssen“

5: „klaget sich verlassen“ – „großer Qual verfallen“

7: „herlich nach judischer Art“ – „herrlich, nach der Väter Art“

8: „all untugent meiden“ – „Sünd und Unrecht meiden“

2.3.1 Einführung
Michael Weisse – biographischer Abriss

Der Dichter des Liedes, Michael Weisse, hat es in seinem von ihm herausgegebenen Gesangbuch „Ein new gesengbuchlen“, Jungbunzlau 1531, veröffentlicht. Er ist zu dem Zeitpunkt Prediger in den deutschsprachigen Gemeinden der böhmischen Brüder im tschechischen Landskron und in Fulnek.1

Weisse stammt aus Neisse in Schlesien, wo er 1488 geboren worden war; später war er ins Franziskanerkloster in Breslau eingetreten.

Er verließ das Kloster im Winter 1517/182 und fand Aufnahme im Brüderhaus in Leitomischl in Böhmen. 1522 wurde er von den in Landskron und Fulnek angesiedelten aus Brandenburg vertriebenen Waldensern zum Vorsteher und Prediger gewählt.

Er genoß einerseits Ansehen unter den Brüdern, aber war andererseits gleichzeitig wegen seiner Anschauungen nicht unangefochten, befand sich in Auseinandersetzungen mit Lukas von Prag, dem führenden Theologen der Böhmischen Brüder, was zusammen mit dem Umstand seiner römisch-katholischen Priesterweihe dazu führte, daß er erst 1531 (nach dem Tode des Lukas) die brüderische Priesterweihe empfing und im Folgejahr Mitglied des Engen Rates wurde.

1534 starb Weisse, vermutlich an den Folgen des Verzehrs von ungenießbarem Wolfsfleisch.

Die Brüder

Kennzeichnend für die Böhmischen Brüder war die Idee eines weltflüchtigen, schlichten Lebens, ihr Gottesdienst war durch einfache Formen geprägt. Mit Lukas von Prag, seit 1494, haben die Brüder mehr Weltoffenheit gezeigt, sich der Wissenschaft gegenüber geöffnet und Nähe zum Staat gesucht.

Michael Weisse ist kein typischer Verteter der Böhmischen Brüder, da er sich auf der Grenze zwischen verschiedenen Einflüssen und Traditionen bewegt: Er kam aus der römisch-katholischen Tradition, hat sich in die Tradition der böhmischen Brüder gestellt, war wegen seiner Haltungen nicht unangefochten. Er öffnete sich nicht nur Luther, sondern später auch Zwingli und seinem Sakramentsverständnis, möglicherweise hat er Nähe zu den Täufern entwickelt, in diesem Sinne erwähnt Luther Weisse in seiner Vorrede zum Babstschen Gesangbuch, in der er ihm schwärmerische Tendenzen zuspricht. Michael Weisse ist daher in seiner vielfachen Offenheit als einer zu verstehen, der auch theologisch selbständige Texte entwirft.

Der Kontakt der böhmischen Brüder zu Martin Luther

Die Böhmischen Brüder befanden sich, veranlaßt durch Jan Roh1, im Gespräch mit Martin Luther. Aus den Jahren 1522/23 sind fünf Male bekannt, daß private Besuche oder offizielle Delegationen bei Luther auftauchten und über Lehrfragen diskutiert wurde.2 Michael Weisse war häufig, vermutlich jedesmal dabei.

Martin Luther hatte eine positive Haltung gegenüber den Brüdern aufgrund eine Übereinstimmung in wesentlichen Fragen, z.B. der Schriftbindung; er schätzte die Schrift des Lukas von Prag „Apologia sacrae scripturae“ von 1511. Auch führte seine Achtung vor Jan Hus und der von ihm ausgelösten Bewegung in Böhmen ihn dazu, sich selbst als „unbewusster Hussit“ zu bezeichnen. Ihm lag daher an einer Übereinstimmung in theologischen Topoi.

Zunächst hatten Jan Roh und Michael Weisse ohne Wissen des Lukas von Prag die Gespräche begonnen. Als sie schließlich offiziellen Charakter bekamen, zeigten sich Differenzen im Abendmahlsverständnis:

Lukas distanzierte sich gegenüber allen nicht direkt aus der Schrift belegbaren theologischen Lehren, so daß er sich in seinem Verständnis der Einsetzungsworte lieber darauf beschränken wollte, sie „im Sinne Jesu“ zu verstehen, der diesen Sinn aber nicht näher ausgeführt habe, so daß die Brüder dieses auch nicht tun wollten.

Auch in der Frage, ob man Christus in den Hostien anbeten dürfe, waren schwer Übereinkünfte zu treffen, da Luther sich in diesem Punkt moderat verhielt und es zulassen wollte3, was aber bei den Brüdern auf Ablehnung stieß.

Zwar ist nach den fünf Besuchen in Wittenberg keine weitere Delegation zu Luther bekannt, dennoch drängte Luther weiter auf eine Formulierung des Abendmahlsverständnisses der Brüder. Dies hatte nach dem Tod des Lukas Folgen und schlug sich schließlich 1533 in einer Schrift der Brüder „Rechenschafft des glaubens“ nieder, in der sie von der Wiedertaufe abrückten, einem vormals schwerwiegenden Hindernis der Verständigung, und sie die lutherische Position in der Abendmahlslehre anerkannten. Luther versah diese Schrift mit einem Vorwort.

Infolge der Annäherung in der Frage des Abendmahles wurden in der Bearbeitung des Gesangbuches von 1531, die 1541 erfolgte, Formulierungen in Abendmahlsliedern entsprechend geändert.4

 

Die gewonnene Nähe zeigt sich im Frontispiz des 1566 von Petrus Herbert herausgegebenen Brüdergesangbuches, das mit Abbildungen von Jan Hus und Martin Luther versehen wurde.

Daß sich die Böhmischen Brüder und die lutherische Kirche über Jahrzehnte umeinander bemühten, ist nicht nur im Wunsch nach Verständigung in theologischen Fragen zu begreifen, sondern es bestand darüberhinaus das Bedürfnis der Brüder nach Rückhalt in der Bewegung der lutherischen Reformation, da auch die Brüder zwar Zustimmung unter den böhmischen Ständen fanden, die sich aber – ähnlich wie in den deutschen Territorien – sich gegen die größere Gewalt der Habsburger bzw. des Papstes erwehren mußten. Daß Jan Hus und Martin Luther als Parallelgestalten verstanden wurden, hat sicher auch seinen Grund darin, daß sie vergleichbare Positionen in dem jeweiligen innenpolitischen Machtkampf einnahmen.