Forever Collide

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From the series: Collide-Lovestory #3
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„Dat stimmt, Günni", schmatzt der andere und beißt in seinen Apfel. „Sieht richtig happy aus auf dem Bild. Empire State Building, huh?"

Ich nicke. „Ja, Empire State Building."

„Hab ick meiner Frau 'n Antrag jemacht", gluckst der andere. „Die war hin und wech, dat glaubste mir nit."

„Und heute bereut'ses", murmelt mir der mit dem Apfel ins Ohr und spuckt Apfelreste hinein.

Etwas angewidert nehme ich meinen Kopf halbherzig lachend von ihm weg und verstaue das Bild in meinem Rucksack. „Tja, dieser Frau werde ich wohl nie einen Antrag machen können."

„Wat?", ruft der rechts neben mir aus. „Hastes versaut?"

Ich lehne mich wieder zurück. „Jap. Ich hab's versaut."

„Hach", schmatzt wieder der andere. „So wie die Kleene dich auf dem Bild anjehimmelt hat, brauchste nicht lang warten und die fällt dir wieder in die Stängel, mein Freund."

„Du musst es nur so machen wie icke, als ich Stress mit meiner Ollen hatte", lässt mich der eine wissen. „Immer schön heulen und tausend Mal sagen, wie sehr du sie ja liebst, dann kofste ihr noch 'n Ring und allet is' palletti."

„Einen Ring werde ich mir kaum noch leisten können. Ich weiß nicht mal, ob ich sie je wieder sehen werde."

„Wirste, Junge." Der Apfel verschwindet in einer Tüte. „Liebe macht keine Fehler."

Raven

„Linguistik und Germanistischen Mediävistik", beantworte ich Alecs Frage, während ich ein paar Bücher in der Bibliothek sortiere.

„Richtig." Er blättert weiter durch meinen Ordner, während er die Füße auf den Tisch legt. „Worin wurde die Germanistik 1980 eingeteilt?"

„Duktus, Auslandsgermanistik und Inlandsgermanistik. Nimmst du bitte die Füße runter? Misses Ponytzi guckt schon wieder so böse."

Mit den Augen rollend nimmt er seine Füße herunter und klappt den Ordner zu. „Typische Bibliothekare. Verderben einem jedes Wohlfühlfeeling."

Ich schiebe ein weiteres Buch in das Regal. „Dein Wohlfühlfeeling kannst du Zuhause ausleben. Frag’ mich noch etwas."

„Ich habe dich bereits alles abgefragt. Und das schon zum vierten Mal wohl angemerkt. Ich denke, dass du es langsam drauf hast."

Ich seufze und schiebe das letzte Buch zwischen die anderen. „Ich hoffe es. Wenn ich diese blöde Prüfung verhaue, kann ich gleich das College hinschmeißen. Schlimmer kann es eh nicht kommen."

Alec lehnt sich in dem Stuhl zurück und legt die Füße wieder auf den Tisch. „Mach dir mal nicht so viele Gedanken, das packst du locker. Außerdem hast du ja noch morgen Zeit zum Lernen und wenn du dann noch immer unsicher bist, würde ich dich wahrscheinlich eher einweisen, als zu den Prüfungen zu lassen."

Ich gehe auf ihn zu und schiebe seine Füße von dem Tisch, setze mich zu ihm. „Ich bin nur froh, wenn es vorbei ist. Die paar Tage in England habe ich wirklich nötig."

„Es sei dir gegönnt. Willst du eigentlich mein Geburtstagsgeschenk bevor oder nachdem du nach England geflogen bist?"

„Du brauchst mir nichts schenken."

Er hebt einen Finger. „Na na, sag’ so was nicht. Du bist eine Frau und ich weiß, wie du tickst. Ich ticke nämlich auch so, und ich will immer ein Geschenk zum Geburtstag haben, obwohl ich gesagt habe, dass ich nichts möchte."

Ich grinse. „Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Du kannst es mir geben, bevor ich nach England fliege und ich öffne es an meinem Geburtstag."

„Einverstanden."

Die Tür wird zugeknallt und Jake kommt mit einem großen Karton in die Bibliothek. Er arbeitet mit mir hier und Alec ist noch immer total in ihn verknallt.

„Okay, verhalte dich ganz normal", flüstert Alec mir zu und legt seine Füße wieder auf den Tisch.

Ich verdrehe die Augen. „Nimm die Dinger endlich runter."

„Aber dann sehe ich nicht so – Oh, hi Jake, haben dich gar nicht gesehen", sagt er plötzlich lässig und lehnt seinen Arm cool auf die Stuhllehne.

„Deine Füße waren dir wohl im Weg", sagt Jake lachend und schupst Alecs Füße vom Tisch, nachdem er den großen Karton auf den Tisch stellt.

Alec läuft rot an und ich betrachte den Karton. „Was ist das?"

Jake öffnet den Karton. „Das neue Buch, das heute Morgen auf den Markt gekommen ist."

Neugierig stehe ich auf und sehe in den Karton. Ich runzle die Stirn. Ist das nicht ...? Ich nehme eines der vielen Bücher in die Hand und betrachte es. Aiden hat es tatsächlich noch geschafft seine Bücher zu veröffentlichen. Wahrscheinlich fällt ihm jetzt eine riesige Last von den Schultern.

„Ist der totale Verkaufsrenner in den Handlungen", seufzt Jake und hebt Stapel von Büchern heraus. „Wenigstens hat der Autor Geschmack was das Cover angeht. Die Frau sieht dir ziemlich ähnlich."

Jetzt steht auch Alec wissbegierig auf und sieht auf die Bücher. „Er hat Recht. Das könntest fast du sein."

Ich schlucke schwer und lege das Buch weg. „Nein, das könnte jede Frau sein. Man erkennt ja kaum etwas." Jake weiß nicht, dass der Autor eigentlich mein ... Ex-Freund ist.

Alec nimmt eines der Bücher in die Hand. „Hä?"

Ich sehe ihn an.

„Wer ist Walter Hemmings?"

Mit gerunzelter Stirn, frage ich: „Walter Hemmings?"

„Hier steht, dass der Autor Walter Hemmings heißt." Alec zeigt auf die zwei Worte, die den Namen des Autor wiedergeben.

Walter Hemmings? Ich kenne keinen Walter Hemmings. Vielleicht hat Aiden kürzlich wieder beschlossen das Buch anonym zu verkaufen, wie in England. Doch der Autor der ersten Ausgabe heißt Oliver Sunrise und nicht Walter Hemmings. Wieso sollte er den Namen ändern? Das würde keinen Sinn ergeben.

„Vielleicht weil es der Autor ist", amüsiert sich Jake und beginnt die Bücher bei den Bestsellern einzusortieren.

Alec wirft mir einen Blick zu, der mir sagen soll, dass da wohl irgendetwas nicht stimmt.

Ich zucke nur mit den Schultern, versuche die Situation locker zu sehen. „Vielleicht wollte er wieder anonym bleiben", sage ich leise, sodass es nur Alec hört.

Sein Blick ist skeptisch, doch schließlich nickt er. „Wenn du meinst."

Wieder betrachte ich das Buch innig in meinen Händen. Da drin steckt also mein August. Der August, der nicht mal existiert, eine unvollkommene Illusion meinerseits. Ich habe Als wir unendlich waren nicht mehr gelesen, seitdem ich weiß, dass Aiden der Autor davon ist. Bisher weiß ich nie, wieso ich es einfach nicht mehr lesen konnte, doch irgendwie habe ich es mich nicht getraut. Doch jetzt würde ich gerne reinschauen. Vielleicht erörtern, ob sich etwas geändert hat, ob die Liebe wischen Pepe und August noch immer so stark und unerbittlich ist, wie sie früher war. Oder vielleicht endeten sie so wie Aiden und ich.

Ich fahre mit dem Finger gedankenverloren über das schwarzweiße Cover. Diese Frau sieht mir wirklich ähnlich, egal wie seltsam es klingen mag. Doch es kann einfach nicht sein, dass Aiden mich als Cover genommen hat. Angie hat das Bild erstellt und sie würde mich niemals malen. Wahrscheinlich hasst sie mich genauso sehr, wie ich sie. Obwohl ich sie wahrscheinlich noch mehr hasse, als sie mich.

Als ich gerade die erste Seite aufschlagen will, um zu sehen, ob eine Widmung oder ein kleines Vorwort drin steht, sagt Jake: „Ravely, willst du mir helfen oder bist du im stehen eingeschlafen?"

Ich schrecke sofort aus meinen Gedanken auf und lasse das Buch wieder zufallen. Schnell schnappe ich mir einen Stapel und gehe zu dem Regal. „Tut mir leid, ich helfe dir natürlich."

„Okay, wenn ihr hier hart am Arbeiten seid, werde ich mich jetzt vom Acker machen. Englische Literatur und Athen wartet auf mich", verkündet Alec und zieht sich seine Lederjacke über.

Wir verabschieden uns von ihm und sortieren schweigend die Bücher in das Regal. Ich versuche ständig den Blick von dem Buch zu nehmen und mir meine Gedanken an Aiden zu verbieten. Doch trotzdem stellt sich mir ständig die Frage, wieso er entschlossen hat, sein Buch mit einem anderen Namen zu verkaufen. Ist etwas vorgefallen?

„Ist alles okay?", unterbricht Jake irgendwann die Stille.

Mir fällt vor Schreck ein Buch herunter und ich bücke mich sofort danach. „Ja", sage ich hektisch, sehe nach, ob es irgendwo einen Knick hat. „Ja, es ist alles okay." Ich schiebe es in das Regal. „Es sind die Prüfungen, die nehmen einfach jeden Platz in meinem Kopf ein", versuche ich mich heraus zu reden und lächele.

Jake nickt und schiebt das letzte Buch ins Regal. „Ja, die Prüfungen können einen fertig machen. Ich bin froh, dass ich schon im dritten Semester bin."

Ich muss mir einen Seufzer unterdrücken, als ich mich auf den Stuhl am Tisch fallen lasse. „Kannst du auch. Ich bin sehr müde."

Er klappt den leeren Karton zusammen. „Du kannst gehen, wenn du möchtest. Es ist nicht mehr viel zu tun und den Rest schaffe ich schon alleine."

„Das geht nicht. Ich bekomme immerhin Geld dafür, dass ich hier bin."

Jake lächelt. „Das macht mir nichts aus, wirklich. Du musst dich auf deine Prüfungen konzentrieren und ich muss mich nur darauf konzentrieren, dass ich Miss Ponytzi nicht zu nahe trete. damit sie mich nicht auffressen kann. Also bist du definitiv ärmer dran."

Ich überlege kurz, stehe dann aber doch erleichtert auf. „Danke, Jake." Ich nehme meine Jacke von dem Jackenständer am Eingang und ziehe sie mir über.

„Kein Problem, Ravely. Vergiss nicht: Morgen eine Stunde früher da sein."

„Ist notiert."

Kapitel 4

Aiden

Kurz vor acht Uhr abends komme ich am Londoner Flughafen an. Ich habe meine Mutter bereits angerufen und ihr Bescheid gegeben, dass ich heute nicht mehr komme, weil ich diese Nacht nicht durchfahren möchte bis ich in Holmes Chapel ankomme.

 

Ich hatte erst mit dem Gedanken gespielt Leon anzurufen und zu fragen, ob ich bei ihm schlafen kann, doch mir ist meine Lage momentan einfach zu unangenehm, um einen von Noah, Aby oder den anderen unter die Augen zu treten. Man sieht mir von der ersten Sekunde an, dass etwas nicht ganz stimmt und mir mindestens zehn Stunden Schlaf fehlen und ich möchte nicht erklären müssen, warum das so ist. Aby würde ausrasten, wenn sie erfährt, dass Raven sich von mir getrennt hat und der Grund würde ihr erst Recht zu Kopf steigt. Deshalb habe ich Susan angerufen. Sie hat mir natürlich sofort einen Schlafplatz angeboten, immerhin ist sie quasi meine Stiefmutter. Ich bin nur froh, dass ich gleich zu meinem Vater fahre, ohne dass er sturzbetrunken ist. Susan hat mich während ich in Amerika war, ständig auf dem Laufenden gehalten und mich darüber informiert, wie seine Therapie seines Alkoholproblems verläuft. Er soll große Fortschritte machen.

Mir bleiben noch genau sechsundsiebzig Pfund übrig, nachdem ich das Taxi zu meinem Vater bezahlt habe. Sechsundsiebzig verschissene Pfund! Ohne Stevens Geld wäre ich nicht mal so weit gekommen.

Ich klingele an der Haustür meines Vaters und hoffe einfach nur, gleich Schlaf zu finden. Meine Glieder sind extrem geschwächt und mein Magen knurrt. Das Essen im Flugzeug konnte ich nicht essen, es war einfach zu widerlich und ich konnte es mir nicht erlauben mir am Flughafen etwas zu essen zu kaufen, weil es viel zu überteuert war. Ich komme mir so jämmerlich vor.

„Da bist du ja", grüßt mich Susan im Schlafanzug lächelnd.

Ich nicke nur und trotte an ihr vorbei ins Haus, als sie einen Schritt zur Seite geht.

„Du siehst ja wirklich müde aus", stellt sie fest und schließt die Tür hinter uns. „Geh am besten gleich schlafen, ich habe dir das Gästezimmer hergerichtet."

Ich stelle meine große Tasche und meinen Rucksack auf dem Boden ab. „Eigentlich wollte ich noch Dad begrüßen."

Sie zieht mir den Mantel von den Schultern und hängt ihn auf. „Ach, das kannst du doch auch morgen machen. Geh doch einfach erst mal schlafen und ruh dich aus, ja?"

Ich lasse meinen Blick in die Küche wandern, um zu sehen, ob er dort ist. Er ist nicht da. „Nein, ich würde ihn gerne sehen. Ich habe ihn jetzt fast drei Monate nicht gesehen. Wo ist er?"

Susan drückt mich lächelnd zur Tür. „Er schläft bestimmt schon, was du jetzt auch tun solltest. Komm schon, Aiden, du brauchst deinen Schlaf."

Ich runzele die Stirn und betrachte sie skeptisch. Doch noch bevor ich was sagen kann, höre ich ihn aus dem Wohnzimmer rufen.

Susan beißt sich unsicher auf den Lippen herum. „Aiden, bitte geh’ einfach ins Bett, okay? Morgen kannst du mit –"

„Susan!", schreit mein Vater wieder laut. Man hört sofort, dass er getrunken hat.

Als Susan bemerkt, dass es mir nicht entgangen ist, lässt sie die Schultern hängen.

„Sagtest du nicht, er wäre in Therapie und es würde alles bestens laufen?", frage ich sie vorwurfsvoll. „Es hört sich nämlich nicht so an, als würde alles bestens laufen."

Sie lässt den Kopf hängen. „Ich ... Ich wollte einfach nicht, dass du dir Gedanken machst. Du warst in New York und so glücklich mit Raven, ich wollte dir nicht mit den Problemen deines Vaters zur Last fallen."

Ich atme tief ein und aus. „Egal. Ich bin jetzt wieder da und ich möchte ab sofort ständig darüber informiert werden, wenn etwas nicht stimmt. Okay?"

Schuldbewusst nickt sie. „Er ist im Wohnzimmer ... Vielleicht schaffst du es wieder ihn zu beruhigen."

Nickend gehe ich an ihr vorbei durch den Flur ins Wohnzimmer. Und dort sitzt er. Hin und her schwankend mit blutunterlaufenen Augen, sein Blick auf den Fernseher gerichtet. Vor ihm ein Glas auf dem Tisch mit dazugehöriger Whiskeyflasche.

Sein Blick fällt auf mich. Er sieht sehr gleichgültig aus.

Doch genauso gleichgültig gehe ich auch auf ihn zu und setze mich zu ihm auf die Couch, betrachte den Fernseher. Es läuft Fußball. „Drei Pfund, dass Manchester verliert."

Dad geht nicht darauf ein. Er starrt nur weiter auf den flackernden Bildschirm. Nach einer Weile sagt er lallend: „Du hast das Geld für den Grabstein deiner Schwester genommen."

„Ja, das habe ich."

Er sieht mich mit roten und traurigen Augen an. „Wieso?"

„Ich habe es benötigt."

Verbittert lacht er auf, sieht wieder nach vorne zum Fernseher. Sein vernebelter Gleichgewichtssinn bringt ihn wieder zum Schwanken. „Was ist so wichtig, dass du das hart ersparte Geld für deine Schwester nehmen musst?"

Ich sehe auf die Flasche vor ihm. Sie ist noch dreiviertel voll, das bedeutet, er ist zwar noch ganz da, gleichzeitig sagt er aber Dinge, die er im nüchternen Kopf niemals sagen würde. „Ich werde das Geld zurückzahlen", lasse ich ihn ruhig wissen.

„Bist du nicht irgendwie reich oder so?", lallt er. „Wieso zur Hölle brauchst du überhaupt dieses Geld?"

„Ich habe all mein Geld durch eine Geldstrafe in Amerika verloren", sage ich wahrheitsgemäß. „Mir haben neuntausend Dollar gefehlt, sonst hätte ich ins Gefängnis gehen müssen."

„Was?" Mein Vater blickt mich vernichtend an. Seine Augen sind so verdammt rot und seine Fahne ist enorm.

Ich richte mich etwas mehr auf, denn ich spüre den folgenden Disput schon in den Fingerspitzen. „Ja. Ich habe das Büro meines Vorgesetzten zerstört und bin vertragsbrüchig geworden. Ich musste über 400.000,00 Dollar bezahlen."

Die Augen meines Vaters verengen sich und er beginnt zu schnaufen, seine Fäuste ballen sich. „Deine Schwester bekommt keinen Grabstein, weil du ..." – Er beginnt laut zu schreien – „Weil du zu blöd warst dich in Amerika ordentlich zu verhalten!"

Ich bleibe ruhig. „Hör auf zu schreien. Susan möchte schlafen."

„Ich scheiß drauf, ob Susan schlafen will!", schreit er laut und schmeißt sein Glas fest an die Wand, worauf es in tausend kleine Teile zerspringt. Ein dunkelgrauer Fleck ist jetzt an der Wand, durch die Flüssigkeit. „Deine Schwester hat dir doch nie etwas bedeutet! Ich müsste dich rausschmeißen dafür, dass du so ein wertloser Bastard bist! Du hättest es verdient ins Gefängnis zu kommen, dafür dass du so respektlos bist!"

Ich schweige. Es macht keinen Sinn mit ihm einen Konflikt einzugehen. Er weiß nicht, was er tut und ich werde diese Diskussion nicht weiter vertiefen, um mich zu rechtfertigen, denn ich bin mir nicht mal sicher, ob ich das Recht habe, etwas für mich sprechendes zu behaupten. Eigentlich hat er Recht. Ich habe das Geld genommen, weil ich einen verdammten Fehler getan habe, weil ich zu abgefuckt bin, damit umzugehen, dass Raven mich verlassen hat.

Schließlich stehe ich auf und gehe zu einem Glasschrank neben dem Fernseher. Ich hole zwei Whiskygläser heraus und stelle sie vor Dad und mich, während er jede Bewegung von mir verwirrt beobachtet.

„Was soll das werden?", raunt er, als ich den Deckel des Whiskys öffne und uns beiden etwas einschenke.

„Ich möchte mit dir einen Whisky trinken", erkläre ich. „Kann das ein Sohn nicht mal mit seinem Vater tun?"

„Du willst nicht, dass ich Alkohol trinke."

„Das stimmt." Ich schließe die Flasche wieder und reiche ihm das Glas. „Aber es muss einen Grund haben, wieso du trinkst, weil du Probleme hast. Ich habe auch Probleme. Vielleicht fange ich ja dann an dich zu verstehen."

Argwöhnisch nimmt er mir das Glas aus der Hand. „Du hast keine Probleme."

Unlustig lache ich auf. Wenn er nur wüsste. Wenn er nur von Tammy wüsste, von Raven, von Black Poe, von meinem verlorenen Buch, von meiner ganzen beschissenen Situation. „Wahrscheinlich hast du Recht", sage ich deshalb nur und halte ihm mein Glas hin, damit er anstoßen kann. „Trinken wir darauf, dass ich ein wertloser Bastard bin."

„Dad", murre ich und stumpe meinen Vater an, der mittlerweile mit dem Kopf auf der Schulter eingeschlafen ist. Er ist sturzbetrunken. Nein, wir sind beide sturzbetrunken. Meine Sicht dreht sich und es fällt mir schwer mich auf die ständig wechselnden Bilder des Fernsehers zu konzentrieren.

Mittlerweile ist es zwei Uhr morgens und der Alkohol macht mich noch müder, als ich es sowieso schon bin. Doch genauso wie ich erschöpft bin, schwinden meine ständigen Gedanken zu ihr, zu Raven. Scheiße, sie fehlt mir einfach. Ich fühle mich, als hätte man mir meine Droge genommen und jetzt leide ich unter den Nebenwirkungen des Entzugs. Dauernd diese Erinnerungen an sie und an die Zeit die wir gemeinsam hatten.

Ich frage mich ständig, ob sie auch an mich denkt. Alec meinte, sie würde mich vermissen und das diese ganze Scheiße auch nicht einfach für sie ist, doch wieso zur Hölle bin ich im Nachhinein der einzige, der versucht noch irgendetwas zu retten, indem ich versuche sie anzurufen? Müsste sie nicht eigentlich wenigstens einmal mit mir reden wollen, weil sie meine Stimme hören will? Das, scheiße nochmal, tut man doch, wenn man jemanden liebt oder? Denn ich denke so. Ich vermisse ihre Stimme und die Worte aus ihrem Mund kommen. Doch die Tatsache, dass ich einfach der verkackt einzige in dieser Situation bin, der so denkt, macht mich krank.

Sie müsste doch verstehen, dass ich sie liebe, wieso versucht sie nicht mir zu glauben? Wie kann sie mich einfach verlassen, weil sie denkt, ich würde sie betrügen? Ich könnte sie niemals einfach verlassen, so wie sie es mit mir getan hat. Oder?

Ich versuche mich in ihre Lage zu versetzen. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich reagieren würde, wenn ich sie mit Ben so vorgefunden hätte.

Ich rümpfe angewidert die Nase.

Scheiße, ich kollabiere bei dieser Vorstellung, wie sie einen anderen Mann so berührt.

Aber es kann für sie einfach nicht so einfach sein. Sie liebt mich ... Wie konnte sie einfach zulassen, dass so etwas passiert? Wenn sie mir nur richtig zugehört hätte, wenn sie mir einfach nur verdammt nochmal richtig zugehört hätte. Doch sie ist einfach gegangen.

Mit dem Schwindel kämpfend ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und kontrolliere, ob mein Vater noch immer zu besoffen ist, um nicht aufzuwachen. Er schläft tief und fest, umgeben von dem widerlichen Gestank, der sich mittlerweile in diesem Raum angesammelt hat. Susan konnte es nicht fassen, als sie gesehen hat, dass ich mit ihm gemeinsam trinke, doch in dem Moment war mir das egal. Irgendwann komme auch ich an meine Grenzen.

Obwohl es gegen mein innerliches Versprechen spricht, öffne ich das Fotoalbum meines Handys. Wäre ich nüchtern, würde ich mir diese Bilder niemals ansehen. Doch ich bin nicht nüchtern.

Ich switche gedankenverloren durch die Fotos, die wir gemeinsam gemacht haben, genauso wie all die Fotos, die ich von ihr gemacht habe, in jeglichen Situationen. Sie in der Küche, sie schlafend auf der Couch, sie konzentriert auf den Fernseher starrend, sie lernend mit dem Bleistift zwischen den Zähnen, sie wie sie einfach nur wunderschön ist. Und jedes verkackte Mal denke ich, dass es mein Lieblingsbild ist, doch das alles sind meine Lieblingsbilder. Sie ist mein Lieblingsbild.

Dann entdecke ich ein Video. Ich sollte es mir nicht angucken, ich sollte es mir wirklich nicht angucken, doch ich sollte auch nicht Black Poe Enterprise stürmen und mich mit meinem Vater betrinken. Ich drücke auf den Play-Knopf.

Muss das sein?", fragt sie gespielt genervt in die Kamera, als sie nur mit der weißen Decke bedeckt in dem Bett liegt und sich das Buch vors Gesicht hält. Im Hintergrund sieht man den Ausblick auf das Meer in der Karibik.

Das muss definitiv sein. Komm schon, irgendwann musst du es sagen", sage ich lachend zu ihr.

Das ist bescheuert, Aiden."

Los, komm schon."

Seufzend nimmt sie das Buch von ihrem Gesicht weg und widmet sich wieder den Zeilen. „Nein, das ist bescheuert." Sie sieht wunderschön aus, wie ihr die Sonne ins Gesicht scheint und ihr Haar golden glänzen lässt.

Ich stemme mich auf, halte die Kamera genau vor sie. „Sei nicht so zimperlich. Was hältst du da in den Händen, Baby?"

Genervt verdreht sie die Augen. „Wenn die Nacht am Stillsten ist."

Wirklich? Das soll ziemlich selten sein. Wer hat dir das denn besorgt?"

Du bist ein Idiot."

Ich kann mich noch erinnern, dass ich in dem Moment breit grinsen musste. „Sag es."

Sie stöhnt auf und grinst gefaked. „Mein wunderbarer, toller Freund hat es mir besorgt. Er ist der Beste, niemand kann ihn toppen!"

 

"Und?"

"Und außerdem ist er der sexieste Mann der Welt!"

Glücklich lasse ich mich wieder neben sie fallen, halte die Kamera so, dass ihr Gesicht fast von der Sonne verdeckt ist, doch man seht noch klar ihre Lippen und ihre glänzenden Augen. „Gut, dass ich das aufgenommen habe. Das kannst du jetzt nicht mehr zurücknehmen."

Amüsiert schüttelt sie den Kopf, sieht auf das Buch in ihren Händen. „Du kannst das Ding jetzt ausmachen, du Idiot."

Ich liebe dich trotzdem, obwohl du mich Idiot genannt hast."

Sie schweigt kurz, doch schließlich lächelt sie sanft. „Ich liebe dich auch."

Das Video endet und mir wird wieder der Play Button angezeigt.

Mir ist kotzübel und mein Blick ist erstarrt. Wie konnte sie das alles einfach wegschmeißen?

Ich muss sie das fragen. Ich muss endlich wissen, wie sie mich einfach auf dem Boden sitzen lassen und aus der Tür gehen konnte.

Ohne länger darüber nachzudenken, gehe ich auf ihren Kontakt und halte mir das Handy ans Ohr, stütze meinen Kopf an meiner Hand ab. Es ist schwieriger in einem Drama zu leben, als ich dachte.

Es tutet genau elf Mal, dann werde ich wieder an die Mailbox verbunden, doch das wundert mich nicht. Selbst wenn sie hätte mit mir reden wollen, wäre sie nicht dran gegangen. Sie hat morgen Schule und es ist mitten in der Nacht.

Schließlich erklingt der hohe Piepton. Mein Herz schlägt bis ins Unermessliche.

„Hi", sage ich mit kratzender Stimme und versuche mein Lallen zu kontrollieren. „Ich bins ... Aiden." Scheiße, meine Ausdrucksweise ist im Arsch, doch das ist mir egal. Ich lache bitter auf. „Falls dir das noch was sagt ... I-Ich – Raven – E-Es – Scheiße ... Raven, ich muss es einfach wissen ... War es für dich leicht? ... War es für dich leicht, einfach ... einfach zu gehen? ... I-Ich weiß nicht – Ich weiß nicht, was ich tun soll, Ravely ... Ich sitze hier, mitten in der Nacht in einem verdammt beschissenen Zimmer und mache mir Gedanken darüber, ob du dich mindestens genauso beschissen fühlst, wie ich. Oder ob du einfach mit dieser ganzen Scheiße umgehen kannst, ob du einfach normal weitermachen kannst, ohne auch nur einen Gedanken an mich zu verschwenden, während ich hier sitze und mir verkackte Gedanken um dich mache ... Wahrscheinlich hast du viel zu tun ... Lernst ständig für die Prüfungen und den ganzen Scheiß ... Aber - Tut mir übrigens leid, dass ich so viel fluche, wirklich ... Aber, ähm ... Denkst du denn nicht manchmal noch, was wäre, wenn ... wenn unser so Etwas noch Bestand hätte?"

Ich reibe mir lachend über die Stirn, amüsiere mich selbst, über meine eigenen Worte.

„Fuck, ich rede so viel Bullshit", säusle ich in die Leitung. „Ich weiß nicht mal, was mich dazu gebracht hat, dich anzurufen. Momentan sind da so viele Konflikte in meinem Kopf, weißt du? ... Über diese ganze Situation ... Über diese ganze beschissene Situation, in der wir stecken ... Es ist einfach – Ravely, glaubst du ... Glaubst du, dass es das Ende ist? ... Unser Ende? ... I-Ich weiß es einfach nicht, weißt du? Ich weiß nicht, ob ... Ob ich dich je wieder so ansehen darf. Shit. Ich hätte mir diese beschissenen Bilder nicht ansehen dürfen ..." Wieder lache ich auf. „Siehst du, was du mit mir machst? Ich bin so abgefuckt, ich sehe mir all die Bilder von uns an und hoffe, dass diese ganze Scheiße nur ein Albtraum ist ... Ich bin so jämmerlich ... Wieso erzähle ich dir das überhaupt? Ich bin einfach – Ach, keine Ahnung was ich bin. Was bin ich? Ein Vollidiot, ein Arschloch .... Du wüsstest wahrscheinlich noch mehr Beleidigungen für mich, nicht wahr? ... Du warst immer so gut im Synonyme finden."

Ich merke, wie ein Kloß in meinem Hals wächst. Scheiße, nein, ich kann jetzt nicht weinen.

Schnell wische ich mir die bereits gebildeten Tränen aus den Augen und richte mich entschlossener auf. „Okay, wie auch immer", führe ich meine lächerliche Rede fort. „Ich bin mir sicher, dass ich es in weniger als sechs Stunden bereuen werde, dass ich all diesen Mist gesagt habe, deswegen muss ich jetzt ... Ich werde auflegen. Ä-Ähm, du kannst – Vielleicht willst du – Scheiße, ich kann mich nicht konzentrieren ... Ich – Mach's gut, Ravely."

Und ich lege auf. Starre auf das Handy in meinen Händen. Ich bereue sofort, was ich gerade gesagt habe.

Raven

Die Prüfungen sind um, mein Koffer ist gepackt und Aldbury kommt mir von Minute zu Minute näher. Nachdenklich starre ich aus dem Fenster des Taxis, das mich in meine Heimat zu Dad bringt. Mit den Kopfhörern in den Ohren und The National, die mir von Vergebung vorsingen betrachte ich die Häuser, die mir nur zu bekannt sind. Es ist schon wieder viel zu lange her, als ich das letzte Mal hier war.

Das letzte Mal war ich mit Aiden hier. Ich kann mich noch an alles ganz genau erinnern. Wie er so nervös war, weil er meinen Vater kennenlernen musste, wie ich ihm Aldbury gezeigt habe. Wie wir in der Mula waren. Ich kann mich an jedes einzelne Worte erinnern, dass er zu mir gesagt hat, sie wiederholen sich in meinem Kopf immer und immer wieder und das schlimmste an der ganzen Sache ist, dass ich diese Worte liebe. Jedes einzelne Wort liebe ich. Schon merkwürdig, wie sehr man eine Person lieben kann, obwohl sie einem das Herz herausgerissen hat.

Das Taxi hält an und ich schalte meinen iPod aus, überreiche dem Taxifahrer das Geld und klingel an der Haustür meines Vaters. Gleichzeitig sehe ich wieder dieses Bild vor mir, wie Aiden damals neben mir stand und auf und ab gewippt ist, weil er nichts falsch machen wollte. Hätte ich etwas anders gemacht, wenn ich gewusst hätte, wie alles endet?

Die Tür öffnet sich und Dad grinst mich breit an. „Ravely, endlich bist du da!"

Ich lächle leicht und trete ins Haus. Zur Begrüßung umarme ich ihn fest und bin froh, endlich wieder seinen vertrauten Geruch riechen zu können.

Dad streichelt mir liebevoll über den Rücken. „Wie geht's dir, Maus?" Er redet von der Trennung, denn er scheint zu merken, dass ich nicht gerade glücklich aussehe.

Grauenvoll. „Es ist ertragbar", lüge ich und lasse ihn los, stelle meinen Koffer neben ein Regal im Flur.

„Um dich etwas aufzuheitern, habe ich dir Lasagne gemacht", verkündet er stolz und geht in die Küche.

„Darauf habe ich mich fast am meisten gefreut." Ich setze mich an den Esstisch und beobachte ihn, wie er das Blech mit der Lasagne aus dem Ofen holt.

„Wieso bist du eigentlich ständig nicht an dein Handy gegangen?" Er stellt die Lasagne auf den Tisch. „Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht. Ich dachte, dir wäre etwas passiert in den letzten zwei Tagen."

Ich lächele beschwichtigend und schöpfe ihm und mir Lasagne auf die Teller. „Nein, es ist nichts passiert. Ich habe es ausgeschaltet, weil ich mich komplett auf die Prüfungen konzentrieren wollte." Und weil ich Angst vor Aidens Anrufen hatte.

„Ach so, verstehe. Wie sind sie denn gelaufen?"

„Ich denke, sie waren in Ordnung. Ich hatte keinerlei Probleme. Alec hat mir viel geholfen beim Lernen."

„Alec ist dein schwuler Freund oder?"

Ich grinse. „Ja, ist er."

„Finde ich wirklich toll, dass er dich bei sich wohnen lässt. Er –"

„Jared?", erklingt eine weibliche Stimme von der Tür. Eine braunhaarige, schlanke und durchaus attraktive Frau steht im Türrahmen und beobachtet uns etwas unsicher.

„Ah, da bist du ja." Dad steht auf und schiebt ihr einen Stuhl hin. „Ravely, das ist Carmen. Ich habe dir von ihr bereits am Telefon erzählt, erinnerst du dich?"

Ich blicke aus meiner kleinen Schockstarre auf und lächele sie freundlich an. „Ja, natürlich." Ich halte ihr die Hand hin. „Ich bin Ravely."

Sie schüttelt sie warm lächelnd. „Schön dich kennenzulernen, Ravely. Jared hat mir schon ganz viel von dir erzählt."

„Na ja, so viel gibt es da nicht zu erzählen", sage ich und Dad setzt sich wieder an den Tisch.

„Nun ja, wessen Tochter geht schon in New York auf eines der begehrtesten Colleges", prahlt Dad.