Blockadebrecher gegen Napoleon

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- Gasthof und Ausspannung - - Albert Feil -

»Hier sind wir richtig«, meinte der Leutnant.

Aber erst mussten wir den Pfarrhof finden, denn hier sollten die Pferde untergestellt werden.

Der Pfarrpächter, ein kräftiger älterer Mann, empfing uns freundlich und erkundigte sich neugierig nach unserem zu Hause.

Auch hier hatte ein Meldereiter im Voraus den Stationierungsbefehl überbracht und alle Formalitäten geregelt.

Hier standen unsere Pferde nach langer Zeit wieder in einem massiven Stall und konnten auch gegebenenfalls den Winter gut überstehen.

Im Gasthof brachte der Wirt unerwartet ein üppiges Abendbrot mit Braten und Wein auf den Tisch. Das ließen wir uns gefallen, aber alt wurden wir diesen Abend nicht.

Nachdem man uns unsere Schlafquartiere zugewiesen hatte, fielen wir buchstäblich ins Bett, nach langer Zeit wieder im frisch bezogenen, weißen Bett.

Hier in Schaprode behandelte man uns von Anfang an sehr freundlich, obwohl wir ja eine Art Besatzungsmacht waren. Die Einheimischen hatten wohl Franzosen erwartet und waren angenehm überrascht, dass in den französischen Uniformen Männer steckten, die deutsch sprachen.

Am ersten Abend machte ich mir darüber keine weiteren Gedanken, später konnte ich mir die Freundlichkeit schon erklären.


Marktplatz in Bergen

Alle hatten irgendwie mit der Fischerei zu tun und dadurch mehr oder weniger auch mit der Schmuggelei und wer wollte es sich dann mit uns verderben?

Am nächsten Morgen standen wir früh auf.

Nachdem wir unsere Pferde versorgt hatten, fanden wir uns zum Frühstück im Gasthof Feil ein. Froh gelaunt nahmen wir am größten Tisch Platz und erwarteten den Wirt.

Ganz erstaunt waren wir, als aus der hinteren Küche ein hübsches, junges Fräulein den Gastraum betrat. Sie war so anmutig – da ging die Sonne auf.

»Bonjour monsieur, un petit dejeuner, une omelette a vec confiture?«

(Guten Tag die Herren, kleines Frühstück, Eierkuchen mit Konfitüre?)

»Bonjour Mademoiselle, wir möchten richtig deutsch frühstücken mit Speck und Eiern.«

»Seit ihr keine Franzosen?«

»Nein, wir sind westfälische Kavalleristen.«

»Ihr tragt aber die Uniformen der Franzosen.«

Und wieder mussten wir alles erklären, von unserem französischen König, Napoleons Bruder Jerome und den französischen Sitten und Gebräuchen.

Nachdem sie unsere Bestellung aufgenommen hatte, verschwand sie wieder in der Küche, um das Frühstück vorzubereiten.

Vielsagende Blicke machten die Runde.

»Na Vincent, habe ich dir nicht prophezeit, was hier alles auf uns wartet, auf französisch werden wir hier sogar angesprochen und du dachtest, wir kommen ans Ende der Welt.«

»Mach dir nicht zu früh Hoffnungen, wir werden sehen«, war seine ernüchternde Antwort, »die werden hier gerade noch auf dich warten.«

Es dauerte nicht lange und sie kam mit unserem Frühstück zurück.

Alles sah verlockend aus. Nicht nur das Frühstück, ich meine alles drum herum, aber vor allem unser hübsches Fräulein. Ihre Augen waren genau so dunkel wie ihr Haar. Eine wohl proportionierte Figur mit Rundungen an der richtigen Stelle bewegte sie sich auf hübschen Beinen gewandt durch den Gastraum, dazu ein Lächeln, dass ich so schnell nicht vergaß.

Wenn wir versuchten, mit ihr eine längere Unterhaltung anzufangen, war sie sehr schnell wieder verschwunden, zu mal sich die Wirtschaft jetzt auch noch mit anderen Gästen füllte und sie allmählich richtig Arbeit bekam.

Gerichte mit Eiern aux couleurs waren offenbar hier Stammessen.

Nachdem wir unser ausgiebiges Frühstück beendet hatten inspizierten wir den Hafen. Hier lag eine Zeese7 hinter der anderen.

Außer den einheimischen Booten lagen hier auch Boote von Fischern aus anderen Häfen, die entweder ihren Fang verkauften oder neuen Proviant bunkerten.

Wir benötigten ein schnelles Boot für unsere Aufgabe, es sollte das schnellste sein. Um das heraus zu finden, verwickelten wir die Fischer in Gespräche und erkundigten uns nach diesem und jenem, wobei wir nicht versäumten, das eine oder andere Zeesboot zu bestaunen.

Als wir unsere Wahl getroffen hatten, mussten wir das Boot für absehbare Zeit requirieren, sagten dem Fischer eine angemessene Entschädigung zu und auch eine entsprechende Entlohnung, denn wir benötigten auch die fachkundige Mannschaft dazu.

Wir nahmen bewusst ein Boot von außerhalb, um uns nicht von vorn herein mit den Einheimischen des Ortes anzulegen.

Jeder Protest war zwecklos, jedes Sträuben wurde erstickt, als wir den militärischen Befehl aus dem Ärmel zogen, in dem bei Zuwiderhandlung der Tod durch Erschießen angedroht wurde.

So weit kam es Gott sei Dank nicht.


Schaprode

Dem Schiffseigner trugen wir auf, dass er sich von nun an Tag und Nacht zur ständigen Verfügung halten sollte, was der zusammen mit einem Schiffsjungen auch befolgte.

Damit der Schiffer nicht in unserer Abwesenheit Reißaus nahm, belegten wir sein Ruder mit Schloss und Kette.

An den folgenden Tagen inspizierten wir die Küste im größeren Umfeld.

Unser Interesse galt auch Fuhrwerken, die zum Beispiel mit Getreide auf dem Weg zur Küste waren, fanden aber überall nichts Verdächtiges.

Regelmäßig montags und freitags unternahmen wir Kontrollfahrten entlang der Küste, sicherlich wäre es besser, diese Fahrten spontan zu unternehmen, denn man wird unser Tun ganz bestimmt genaustens verfolgen, da konnten wir sicher sein. Von Engländern keine Spur.

Sollten wir uns geirrt haben oder waren wir einfach noch nicht hinter die raffinierte Taktik gekommen? Uns sollte das egal bleiben.

Wir verlebten eine Zeit wie im Sanatorium, was auch immer so bleiben konnte. Regelmäßig wurden wir durch unsere Vorgesetzten inspiziert. An solchen Tagen kam der Kapitän mit zwei Leutnants und weiteren Kavalleristen.

Nachdem sie genügend inspiziert, kontrolliert und Dienständerungen kommandiert hatten, verbrachten sie den Rest des Tages und vor allem den Abend in der Gastwirtschaft.

An uns ging der Befehl, unsere Kontrollfahrten auf See nicht nach einem festen Plan zu gestalten und unsere Aufsicht auch auf die Nacht auszudehnen und nicht bis sieben Uhr zu schlafen und vor allem nicht die Abende im Kroog zu verbringen.

Fischer stehen früh auf, daran sollten wir denken!

Solche Inspektionen waren für den Wirt nicht die schlechtesten Tage. Der Wein floss, üppige Mahlzeiten wurden bestellt und dazwischen unsere hübsche Serviererin, von der wir inzwischen erfahren hatten, dass sie Marga Pagels hieß, hier bei ihrem Onkel, dem Wirt vom Gasthof wohnte und, ganz wichtig, noch nicht vergeben war.

Zu Hause war sie auf Voigtdey, einem kleinen Hof auf der Insel Ürkewitz zwischen dem rügenschen Festland und der Insel Ummanz.

Ein Besuch zu Hause war immer eine abenteuerliche Reise durch mehrere Furten. Ich war immer wieder verwundert und begeistert, mit welcher Gastfreundlichkeit der Wirt auch den Kapitän empfing. Langsam machte ich mir Gedanken, was wohl dahinter stecken konnte.

Vielmehr beschäftigte mich aber, ja verwirrte mich, die Nähe dieses hübschen Mädchens. Immer wenn sich unsere Blicke trafen, schlug mein Herz schneller und sie gab mir zu verstehen, dass auch ich ihr nicht gleichgültig war, als sie meine Blicke erwiderte. Wie konnte ich sie näher kennen lernen?

Langsam bemerkten auch meine Kameraden unsere schüchterne Zuneigung. Ich musste sie, ohne dass die anderen es bemerkten, sprechen können.

Eines Tages klappte es. Ich kam morgens etwas später vom Pferdefüttern über den Hof, als sie aus der Hoftür trat und sich abmühte, frisches Wasser von der Pumpe zu holen.

Jetzt nutzte ich die Chance, als Kavalier bester Erziehung nahm ich ihr die Wassereimer ab.

»Guten Morgen Mademoiselle«, mischte ich etwas französisch in die eingeleitete Unterhaltung, »darf ich Ihnen die Wassereimer abnehmen?«

»Sehr freundlich von Ihnen«, bedankte sie sich.

»Für Sie tue ich doch fast alles.«

»Ich nehme Sie beim Wort«, war ihre Antwort.

Ich setzte die Wassereimer in der Küche ab und meinte keck: »Viel lieber würde ich Sie mal an ihrem freien Tag zu einem Spaziergang einladen.«

»Das können wir Montag Nachmittag machen, da habe ich frei«, entgegnete sie überraschend schlagfertig.

»Ich habe aber erst am Abend frei.«

»Gut, sagen wir um 19 Uhr vor dem Pfarrhof?«

»Einverstanden.«

Ich schüttelte ihr die entgegengestreckte Hand und war überglücklich.

Vorsorglich verließ ich die Küche wieder in Richtung Hof, denn meine Kameraden sollten noch nichts bemerken.

Alle anderen waren schon am Frühstückstisch versammelt. Was konnte sie nur damit gemeint haben: »Ich nehme Sie beim Wort.« Diese Worte gingen mir nicht aus dem Sinn.

Etwas zurückhaltend nahm ich schweigend mein Frühstück zu mir.

»Hast du heute nicht richtig ausgeschlafen«, blubberte mich Vincent unerwartet an, »du sagst ja nicht ein Wort.«

 

»Es ist alles in Ordnung, ich muss ja nicht immer der Vorredner sein«, erwiderte ich.

»Sehr bescheiden«, konterte er.

Ich war froh, als dies Thema vom Tisch war. Sie hatten nichts bemerkt.

Den kommenden Montag konnte ich kaum erwarten. Die Tage wollten nicht vergehen.

Endlich war es so weit und ich wartete am vereinbarten Ort zu der vereinbarten Zeit auf sie. Warten war eigentlich die falsche Bezeichnung, denn sie kam keine fünf Minuten später.

»Für die Pünktlichkeit einer Frau nicht der Rede Wert«, schoss es mir durch den Kopf.

Wir wählten einen Weg entlang der Küste, Richtung Norden, vorbei an weidenden Schafen, immer den Wellenschlag des anlaufenden Boddens in den Ohren.

Sie erzählte mir von ihrem zu Hause und ich ihr umgekehrt aus Westfalen.

Erst als es fast schon dunkel war, kehrten wir zurück.

Ich verhielt mich völlig brav, denn ich wollte sie nicht mit abgebrühten Soldatenpraktiken überfallen, ich wollte sie Schritt für Schritt erobern.

Das hier war nicht wie in Güstrow, ihre Zuneigung zu gewinnen lag mir sehr am Herzen.

Als ich beim Verabschieden ihre Hand hielt, reckte sie sich zu mir empor und gab mir einen Kuss auf die Wange.

Der Funke hatte gezündet. Ich war glücklich über meine Eroberung.

Die darauf folgenden Begegnungen blieben aber nicht mehr nur beim »Händchen halten«. Da sprühten die Funken, es war nicht nur ein Funke, es war ein Feuer, welches entfacht war.

Es war Erntezeit und auf den Feldern standen die Hocken. Nichts lag näher, als es uns an einer der Hocken bequem zu machen, wo wir die halbe Nacht verbrachten.

Es war ein warmer Sommerabend und das nahe Wasser lockte zum Baden. Nichts konnte uns stören, wir genossen unser Glück bis wir einschliefen.

Erst bei völliger Dunkelheit kehrten wir heim, um uns müde aber glücklich auf unsere getrennten Schlafstätten zu schleichen.

Wie so oft, wenn Fremde sich im Dorfkroog nach den Schönen umschauen, erzeugt das Eifersucht bei den einheimischen jungen Burschen. So auch hier in der Gastwirtschaft bei Albert Feil in Schaprode.

Als wir alle Mann zusammen saßen und unser Bier tranken, begannen zu vorgerückter Stunde junge Burschen, die schon einige Glas Bier mehr als wir getrunken hatten, uns anzupöbeln.

Unsere Dienstvorschrift besagte, auf so etwas nicht zu reagieren.

Später verließen sie vor uns die Gastwirtschaft, offenbar um uns nicht mit den besten Absichten, aufzulauern.

Nichts ahnend verließen die ersten zwei von uns die Gaststätte, um schlafen zu gehen, als sie von den »Prügelknaben« draußen angegriffen wurden.

Durch den Lärm alarmiert eilten wir zur Hilfe und nach einigem Schlagabtausch konnten wir die Kerle überwältigen und nahmen sie in Gewahrsam, wo sie bis zum Morgen ausnüchtern konnten.

Von einer weiteren Verfolgung wegen Angriffs auf unsere militärische Präsenz nahmen wir aber Abstand.

Nachdem wir uns schon eine Weile kannten, nahm Marga mich an einem weiteren arbeitsfreien Tag mit nach Hause zu ihren Eltern.

Diese Reise konnte nur zu Pferd beziehungsweise mit Pferd und Wagen erfolgen.

Marga nahm das Pferd ihres Onkels Albert, das meinige stand immer für mich bereit und so brachen wir an ihrem arbeitsfreien Montag auf zu ihr nach Hause, um ihre Eltern zu besuchen.

Meinen Dienst konnte ich beim Leutnant entsprechend meinem Anliegen gestalten. Er hatte großes Verständnis für meine Wünsche und konnte sich ein: »Na denn Voila«, nicht verkneifen. Zu gerne hätte er wohl mit mir getauscht, das war ihm anzumerken.

Von Schaprode ging es nach Streu, um dort die Furt durch die Udarser Wiek zu nehmen nach Wokenitz und weiter über Tankow, Böschow zur Insel Ürkevitz.

Dabei mussten wir erneut eine Furt passieren und über die Nachbarinsel Mährens gelangten wir wieder durchs Wasser zu unserem Ziel Ürkevitz.

Marga fand den Weg mit solcher Sicherheit, dass ich mit geschlossenen Augen folgen konnte. Für einen ausgebildeten Kavalleristen war das überhaupt kein Problem. Mein Pferd folgte in dieser ungewohnten Umgebung treu der Vorreiterin. Ab und zu blieb sie stehen und wartete, bis ich aufgeschlossen war.

Für mein gehorsames Folgen wurde ich jedes Mal mit einem Kuss belohnt.

Vater Pagels hatte die Ankömmlinge schon von weitem beobachtet und Mutter alarmiert, so dass das Kaffeewasser bereits kochte, als wir die Insel betraten.

Schäferhund Rex kam uns schon auf Mährens entgegen, um Marga freudig zu begrüßen. Pudelnass schüttelte er sich zu unserer Freude in unmittelbarer Nähe, um darauf erneut ins Wasser zu gehen, als ob er sich neue Munition holen wollte.

Allmählich wurden wir so nass wie er selbst war.

Marga fiel ihrem Vater zur Begrüßung um den Hals.

»Nooh mien Deern«, mit diesen Worten nahm Vater seine heimkehrende Tochter in die Arme und drückte sie.

Jetzt war ich an der Reihe.

Mit den Worten: »Das ist mein deutscher Franzose ›Jan‹, nein, nein er ist Westfale und das ist mein Papa«, machte Marga uns bekannt.

»Magnus Pagels«, stellte sich der Vater nähertretend, noch einmal selbst vor, streckte mir seine kräftige Fischerhand entgegen und hieß mich willkommen.

Obwohl man hier in der Familie plattdeutsch sprach, beherrschte Margas Vater auch das Hochdeutsche.

Mir war das hiesige Platt halbwegs geläufig, weil es viel Ähnlichkeit mit der Mundart bei uns an der holländischen Grenze und selbst in Holland hatte.

Er war keineswegs erstaunt über meine Uniform der Chasseuer a Cheval.

Marga hatte bereits im voraus eine ausführliche Beschreibung meiner Person hinterlassen, bevor sie ihren Liebsten zu Hause vorstellte.

Der Vater war, obwohl Insulaner, ein weltoffener Mann und dachte vielleicht im Stillen, dass diese Bekanntschaft absolut nicht schaden könnte.

Er war ein großer, kräftiger Mann in mittleren Jahren mit von Sonne, Wind und Wetter gebräunten Gesichtszügen und scharfen, aber freundlichen Augen.

Auf dem Weg zum Haus kam uns auch Margas Mutter entgegen. Die Tochter war ihr Ebenbild, vielleicht etwas kleiner.

Nachdem ich auch von ihr sehr herzlich begrüßt worden war, ließen wir uns an einen Gartentisch vor dem Haus zum Kaffeetrinken nieder.

Ein üppiger Nussbaum spendete ausgiebigen Schatten. Um das ganze Wohnhaus wuchsen üppige gelbe und rote Kletterrosen.

Der Duft von echtem Bohnenkaffee und frisch gebackenem Apfelkuchen verliehen das Gefühl, wieder zu Hause zu sein.

Den guten Kaffee musste ich doch bei der Hausfrau loben, denn durch die Blockade tranken wir schon längere Zeit nur Kaffee aus gerösteter Gerste.

Vater Magnus beeilte sich mit der vorsichtigen Bemerkung: »Ja, die Seefahrer haben immer ihre Reserven«, wobei er leicht schmunzelte und mir zuzwinkerte.

Auch ich hatte so meine Gedanken, behielt sie aber höflicher Weise für mich.

Anschließend machten wir Männer einen Spaziergang rund um die Insel und Vater Pagels zeigte mir sein »Königreich«, während die Frauen das Abendbrot vorbereiteten.

Bei der Größe der Insel brauchten wir für diesen Rundgang nicht mal eine Stunde.

Von der höchsten Erhebung hatte man einen guten Überblick über das flache Land, die vielen Inseln und Halbinseln, die meistens von breiten Rohrplänen umsäumt waren. Dazwischen glitzernde Wasserflächen mit einer Unzahl von Wasservögeln.

»Man könnte annehmen, mitten in einem endlosen Meer mit vielen Inseln zu leben«, begann Vater Magnus seine schwärmerischen Schilderungen, »wenn man aber sieht, wie die Kraniche im Wasser stehen, begreift man, dass diese Gewässer meist nur knietief sind.«

Natürlich durfte ich es nicht versäumen, den bescheidenen Viehbestand zu besichtigen.

Bei dieser kleinen Bauernwirtschaft handelte es sich um einen sogenannten Fischerbauern, wie man sie zu dieser Zeit hier an der Küste noch häufig antraf.

Einerseits ergänzte sich die Tätigkeit als Fischer und Bauer jahreszeitlich gut, zum Anderen konnte eine Tätigkeit alleine die Familie nicht ernähren.

Die Insel war nicht viel größer als vier Hektar. Magnus Pagels besaß aber noch Ackerland auf Ummanz und begrenzt nutzbares Weideland auf den Inseln Liebes und Mährens. Begrenzt deshalb, weil auf diesen Inseln Vogelbrutkolonien waren, für die der Bewuchs auch kurz gehalten werden mussten.

Das besorgten das ganze Jahr über an die zwölf Schafe, so genannte Pommersche Rauhwollschafe mit grauer Wolle sowie schwarzen Köpfen und Beinen, eine äußerst widerstandsfähige Rasse, direkt für das Klima an der Küste geschaffen. Im Winter brauchten sie allenfalls ein Schutzdach, können aber weitgehend draußen bleiben.

»Zwei Pferde, sechs Kühe, etliche Schweine, ein paar Hühner, Enten und Gänse, das reicht zum Leben, dazu meine Fischerei«, erklärte Pagels.

Die fast baumlose Insel Ürkevitz wurde ausschließlich als Weideland genutzt.

»Ja«, meinte er, »zu dieser Jahreszeit ist es ein Paradies, aber im Winter gibt es hier nichts wie Wind, Wind und nochmals Wind. Ich glaube vierhundert Tage im Jahr.«

Als er bemerkte, dass ich ihn groß ansah schmunzelte und korrigierte er: »Jedenfalls mehr Wind, als einem Recht ist. Der einzige Vorteil besteht im Winter in den kürzeren Verbindungswegen, weil wir dann bei ausreichend Frost über das Eis fahren.«

»Ist das nicht gefährlich?«

»Im Laufe der Zeit entwickelt sich da eine gewisse Erfahrung. Leichtsinn bestraft der liebe Gott nur einmal. Wenn man viel Glück hat, vielleicht auch ein zweites Mal.«

Als wir an eine Stelle westlich der Insel kamen, an der uns das Wasser keine zwanzig Meter von Ummanz trennte, fragte ich: »Warum reiten und fahren Sie nicht hier durch und machen statt dessen den Umweg über Mährens. Das ist doch hier nur ein Sprung.«

»Hier ist aber es moorig und deshalb nicht passierbar«, war Pagels Antwort.

»Das leuchtet mir ein.«

»Nicht immer ist der kürzeste Weg auch der sicherste«, belehrte er.

»Ja, das stimmt.«

Als es draußen etwas ungemütlich wurde, gingen wir ins Haus. Es war ein mit Rohr gedeckter Backsteinbau, die Räume mit niedrigen Decken und groben, breiten Dielen.

So genannte Danebroog-Fenster8, die nach außen geöffnet und mit Sturmhaken gesichert wurden, ließen gerade so viel Licht wie benötigt ins Innere, denn jedes größere der einfachen Fenster bedeutete Wärmeverlust im Winter.

Durchdacht war auch das Öffnen der Fenster nach außen, denn dann drückte der Sturm die Fenster von selbst zu, und Sturm gab es hier genug.

In der Küche fiel sofort, der mit einer gewaltigen Rauchglocke überspannte Kohleherd auf.

In den Zimmern gaben bis an die Decke reichende Kachelöfen den Räumen eine gemütliche Atmosphäre, schon der Anblick dieser Öfen strahlte Wärme aus.

Selbstverständlich gab es zu dieser Zeit noch keinen elektrischen Strom.

Mir fielen sofort mehrere wunderschöne, sitzende Porzellanhunde in der Wohnstube auf, die alle ihre Plätze auf dem Schrank bzw. der Anrichte hatten. Es waren immer Pärchen, die zusammen gehörten. Sie hatten ausgeprägte, hübsche Köpfe und goldene Halsbänder.

Als ich danach fragte, nahm Pagels mich bei Seite, sah sich nach den Frauen um und erklärte mir mit leiser Stimme: »Das sind Souvenirs, die Vater als Seemann aus England mitgebracht hat. Was die Frauen nicht wissen ist, dass diese Porzellanhunde aus den dortigen Rotlichtgassen stammen, sonst hätte sie meine Mutter wohl schon zerdeppert. Dort stand immer ein Pärchen im Fenster. Wenn die Rotlichtdamen besetzt waren, sahen sich die beiden Hunde an, waren sie frei, guckten die Hunde in die entgegengesetzte Richtung.«

Er konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Aber jetzt wollen wir erst mal einen kräftigen Rum trinken.«

»O, das ist ja Fünfzigprozentiger aus Übersee.«

»Ja, was sonst?«

Er füllte die Gläser und sagte: »Prost, ich heiße Magnus.«

»Und ich Jan.«

Das Eis war gebrochen.

Gegen Abend kam auch Margas jüngerer Bruder Carl nach Hause. Er befand sich in der Zimmermannslehre und hatte aus Gingst kommend mit einem Boot übergesetzt. Er konnte es gar nicht erwarten, den angekündigten Gast in der schmucken Uniform zu sehen.

 

Als er sein Boot fest gemacht hatte, sprang er in wenigen Sätzen die Anhöhe zu uns hinauf und begrüßte einen nach dem anderen.

Auch ich wurde von ihm freundschaftlich begrüßt, wobei er sich ausgiebig für meine Uniform interessierte, die ich aber im Laufe des Tages schon nach und nach abgelegt hatte.

Die Mütze musste er sich gleich selbst aufsetzen, um damit vor den Spiegel zu ziehen und sich unter allgemeinem Gelächter zu präsentieren.

Die Frauen deckten den Abendbrottisch und zu meiner Überraschung gab es frisch geräucherten Spickaal (Räucheraal) und selbst gebackenes Brot.

Geräucherter Aal war etwas, was ich noch gar nicht kannte. Vater Pagels erläuterte, dass nun im Herbst der erste dickere Aal läuft und erklärte ausgiebig wie er zubereitet wird. Dabei vergaß er nicht, das zweite Mal Rum einzuschenken.

Dieses Mal tranken auch die Frauen und der Bruder ein Gläschen mit und allmählich wurde die Runde immer lustiger.

Lange saßen wir vergnügt um den Abendbrottisch und hatten viel zu erzählen.

Rex war mitten drin und lag unter dem Tisch, ihm entging nichts.

Am nächsten Morgen waren Vater und Sohn schon früh auf den Beinen. Ich schloss mich ihnen an, während Marga sich noch im Bett kuschelte und ihren freien Tag genoss.

Margas Bruder Carl musste wieder zur Arbeit nach Gingst. Ich begleitete Vater Magnus und wir ruderten zusammen auf den Bodden, um die Ringreusen zu kontrollieren.

Mit reichlichem Aalfang kehrten wir heim.

Der Fisch wurde in Gingst auf dem Markt verkauft beziehungsweise an den Schwager für die Gastwirtschaft in Schaprode geliefert.

Nach dem Mittagessen hielten wir uns nicht mehr lange auf der Insel auf. Wir wollten die mit Birkenreisig markierten Furten auf dem Nachhauseweg unbedingt bei Tageslicht passieren.

In dem seichten Wasser hatten sich hunderte Kraniche eingefunden.

Marga erklärte mir: »Zu dieser Jahreszeit sind sie, wie alle Jahre wieder, als Zugvögel von Skandinavien und Sibirien auf dem Weg in den Süden und halten sich hier mehrere Tage auf. Im knietiefen Wasser übernachten sie dann und schlafen, manchmal auf einem Bein. Kannst du das auch? Tagsüber fressen sie sich auf den Feldern satt, aber da fühlen sie sich nachts nicht sicher.«

Um die Furt zu finden, waren gute Ortskenntnisse und ein scharfes Auge gefragt.

Zwischen Streu und Ummanz kam uns ein Pferdegespann entgegen.

Erst als wir uns fast auf gleicher Höhe befanden, erkannte Marga ihre langjährige Freundin Stiene Gau aus Heide auf Ummanz. Es war ein freudiges Wiedersehen.

»Besucht uns mal«, und an mich gewandt rief sie: »Bring deinen schneidigen Kameraden mit«, gemeint war Vincent. Ich dachte so bei mir, wir sind also schon bei den Einheimischen bekannt.

Unterwegs sagte Marga plötzlich: »Ich glaube, du hast einen guten Eindruck bei meinen Eltern hinterlassen, beim Verabschieden zwinkerte Vater mir so zu, als wolle er sagen, Mädchen ich freue mich für dich.«

»Mir gefallen deine Eltern auch.«

An einem der nächsten Tage brachten wir am Südbug ein aus Richtung der rügenschen Bodengewässer kommendes Zeesboot auf.

Am Abend vorher hatten wir uns dort vor Anker gelegt und waren in aller Frühe zur Stelle.

Als der Schiffer nicht sofort seine Segel fallen lassen wollte, um seine Fahrt zu stoppen, bekam er den berühmten Schuss vor den Bug.

Es war zwar nur eine Gewehrkugel und kein Zehnpfünder, aber die Wirkung war zufriedenstellend und der Kaptän9 stoppte seine Fahrt.

Als wir näher kamen, stellten wir fest, dass der aus Breege stammende Fischer sein Schiff bis an den Rand mit Getreide beladen hatte.

Ladung und Schiff wurden konfisziert und dem Schiffsführer befohlen, uns im Kielwasser zu folgen.

Mit großem Interesse wurde unser Einlaufen in den Schaproder Hafen verfolgt und wir spürten, dass wir von nun an mit großem Respekt betrachtet wurden, Sympathie war es bestimmt nicht gerade.

Schiff und Getreide wurden beschlagnahmt und dem Schiffseigner auferlegt, die Ladung auf seine Kosten zu entladen.

Erst nach Entrichtung einer Kaution, die einer Geldstrafe gleich kam, erhielt der Kaptän sein Schiff zurück, wobei ihm die völlige Enteignung angedroht wurde, wenn er ein zweites Mal beim Schmuggeln ertappt würde.

Bei solchen Prozeduren zeigte unser Leutnant kein Pardon. Dieses Durchgreifen zeigte kurze Zeit Wirkung, wahrscheinlich wurden danach nur andere Wege beschritten.

Etwa an der gleichen Stelle »Südbug« hatten wir mittlerweile das fünfte Boot aufgebracht.

Eigenartiger Weise kamen von Süden, also aus Richtung Stralsund, keine Durchbruchsversuche. Diese Tatsache beschäftigte mich so manche Nacht, wenn ich wach lag.

Eines Abends saß ich noch lange in der Wirtschaft, um Marga Gesellschaft zu leisten, da fielen mir zwei Männer an einem der hinteren Tische auf, die jedes Mal, wenn Marga neu einschenkte, halblaut aber energisch auf sie einredeten.

Ich verabschiedete mich dann, um noch einmal zu den Pferden auf dem Pfarrhof zu sehen.

Es war langsam Mitternacht geworden und am nächsten Tag war keine Seeinspektion geplant. Als ich von den Pferden zurück kam und mich dem Wirtshaus näherte, sah ich, wie die besagten Männer gerade die Wirtschaft verließen, in Richtung Hafen gingen und mit einem Boot zur Öhe überzusetzen. Das machte mich neugierig.

Ich folgte ihnen bis zur der Stelle, wo sie mit dem Boot abgelegt hatten und suchte einen Punkt, von wo ich trotz der Dunkelheit so gut es ging, beobachten konnte.

Sie bewegten sich auf der Insel in Richtung Westküste, waren aber dann durch die Dunkelheit meinen Blicken entzogen.

Trotzdem verweilte ich noch einen Augenblick in meiner Deckung, als ich plötzlich in ziemlicher Entfernung einen Feuerschein durch das Schlehengebüsch auf der Öhe aufleuchten sah. Sollten die beiden dort ein Signalfeuer entfacht haben?

Ich verließ meine Deckung und eilte am Bollwerk entlang bis zu der Spitze, wo der Strom in den Schaproder Bodden geht und rechter Hand der Strand beginnt, zog meine Stiefel aus und ging so weit wie möglich hinaus in das flache Wasser.

Jetzt konnte ich das Feuer deutlich sehen. Zwei Gestalten liefen dort umher und legten Treibholz auf die Flammen. Sie sprangen um das Feuer wie Rumpelstilzchen im gleichnamigen Märchen.

Ich ging zurück und zog mir gerade meine Stiefel am Strand wieder an, als lautlos aus dem Dunkel drei Zeesboote hintereinander an der Küste vorbei zogen.

Sollte ich Alarm schlagen? Eine innere Stimme riet mir zur Besonnenheit, erst überlegen, dann handeln! Sollten Marga und ihre Familie darin verwickelt sein? Sollte ihre Liebe nur gespielt sein, machte sie mir etwas vor, um mich auszuspionieren?

Mein Herz schlug wie ein Hammer auf den Amboss.

Es war bereits zwei Stunden nach Mitternacht und ich hatte noch kein Auge zugemacht. Ich war immer noch aufgeregt und hellwach.

Als ich mich endlich schlafen legte, beschloss ich keinem von meiner nächtlichen Beobachtung etwas zu sagen.

Ich erwachte früh und grübelte von Neuem. Haben die Schmuggler herausgefunden, dass heute keine Inspektionsfahrt stattfindet? Deshalb haben wir aus Richtung Stralsund nie ein Boot abgefangen. War Marga die Spionin? Was hat ihr Vater vielleicht damit zu tun?

Als Blockadesicherer und mit meiner Liebe zu Marga andererseits, stand ich plötzlich zwischen zwei Fronten, was mich vor’s Kriegsgericht bringen könnte.

Heute hatte Marga wieder dienstfrei und wir trafen uns wie gewohnt.

Eine Heimfahrt war dieses Mal nicht geplant, wir nahmen unseren gewohnten Weg entlang der Küste in Richtung Seehof.

Wir gingen lange Hand in Hand schweigend nebeneinander her. Plötzlich wandte sie sich zu mir, vergrub ihr Gesicht an meiner Brust und fing an, bitterlich zu weinen.

»Nanu, was ist denn los?«

»Ich will dich nicht verlieren. Es gibt so vieles, was du nicht weißt.«

»Nun beruhige dich erst einmal. Glaubst du wirklich, ich hätte nichts bemerkt?«

Bei diesen Worten hörte sie auf zu schluchzen. »Was hast du bemerkt?«

»Ich denke, alles was dich beunruhigt.«

Ihre hübschen Augen wurden immer größer und nun sprudelte es aus ihr heraus: »Es gibt da einen Kerl aus Streu, der übrigens gestern Abend mit einem zweiten bis spät in die Nacht in der Wirtschaft saß. Fortlaufend bedrängt er mich, ich solle für ihn in Erfahrung bringen, wann ihr auf Patrouille seid, damit sie danach ihre Schmuggelfahrten organisieren können. Wenn ich das nicht mache, würde er meinen Vater …«

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