Seewölfe Paket 8

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7.

Mit der Dunkelheit kam auch der Regen. Zunächst ging er nur staubfein auf die portugiesische Kriegsgaleone „Sao Joao“ nieder, aber wenig später fielen dicke Tropfen, die das Oberdeck glänzend und schlüpfrig werden ließen, die Männer der Deckswache durchnäßten und die Segel einweichten. Das Wasser perlte von der flackernden Hecklaterne ab, die der Kapitän Joaquin Galardes hatte entzünden lassen.

Backbord voraus war ein verlorenes Licht in den Weiten der See, es gehörte zur Karavelle „Santa Angela“.

Galardes und Monforte standen auf dem Achterdeck unweit des zertrümmerten Besanmastes. Nur der Stummel ragte noch wie ein Baumstumpf von den Planken auf – ein Andenken an den schweren Sturm, den der Verband in der Vornacht abgeritten hatte. Alle anderen Beschädigungen waren inzwischen wieder ausgebessert worden. Die Verwundeten aus dem kurzen Gefecht gegen die „Isabella“ lagen wohlversorgt unter Deck.

Galardes und Monforte hatten sich alles erzählt, was es zu berichten gegeben hatte. Galardes hatte voll Staunen vernommen, was sich in der Herberge der Brancates abgespielt hatte. Er konnte wie sein Freund nicht umhin, diesen verwegenen Killigrew im stillen zu bewundern, Daß der Mann aber auch ihr Feind sein mußte!

Gleichzeitig sagten sie sich aber auch beide, daß sie Killigrew nicht schonen durften, falls sie wieder mit ihm aneinandergerieten. Ein Kapitän der Armada durfte sich etwas Derartiges niemals leisten. Es war seine Pflicht, das Vaterland zu verteidigen. Alles Gegenteilige war mit Verrat oder Fahnenflucht gleichzusetzen.

In einem anderen Punkt waren die Kapitäne sich aber auch einig: Sie würden bei ihren Vorgesetzten von der Admiralität gegen Lucio do Velho vorgehen. Ja, Galardes war bereit, das Ansinnen Monfortes zu unterstützen. Ein Kapitän durfte gegen einen Verbandsführer ein Disziplinarverfahren anstrengen – und genau das hatten sie vor.

„Falls do Velho unsere Achterlaternen brennen sieht, wird er uns rügen“, sagte Joaquin Galardes.

„Die ‚Santa Angela‘ hat das Licht als erste entzündet, und wir haben es für richtig befunden, ihrem Beispiel zu folgen“, erwiderte Alvaro Monforte. „Wollen wir uns denn wieder aus den Augen verlieren?“

„Auf keinen Fall.“

„Glaubst du, daß es Sturm gibt?“

„Ich halte das für unwahrscheinlich, Alvaro.“

„Die See ist unberechenbar, aber vielleicht bleibt es heute nacht bei dem Regen. Ob wir El Lobo del Mar in dieser Stockfinsternis jemals wiederfinden? Ich rechne nicht damit.“

„Der Comandante jagt ihn. Unerbittlich.“

„Wo mag die ‚Candia‘ stecken?“ sagte Monforte.

„Weit voraus …“

„Wir verlieren auch zu ihr jeglichen Kontakt, wenn die Sicht nicht besser wird.“

„Wahrscheinlich segelt do Velho stur auf dem Südwest-Kurs weiter“, entgegnete Galardes. „Das bedeutet, daß wir eine Chance haben, zumindest im Morgengrauen soweit aufgeholt zu haben, um unser Flaggschiff am Horizont sehen zu können.“

Monforte verzog den Mund. „Joaquin, machen wir uns doch nichts vor. Ohne den Besanmast und das Kreuzsegel ist die ‚Sao Joao‘ langsamer als die ‚Santa Angela‘, die ihrerseits schon Schwierigkeiten hat, mit der ‚Candia‘ mitzuhalten.“

„Ja, das gebe ich zu. Wir sind die Nachzügler im Verband. Wenn der Wind zunimmt, wird sich auch unser provisorisch abgestützter Großmast nicht mehr lange halten. Erinnere mich daran, daß ich den Großmars räumen lasse, ehe der elende Mast umknickt.“

„Si, Senor.“ Monforte lachte plötzlich. „Kannst du dir vorstellen, was für ein lächerliches Ding dein Schiff mit nur einem Mast abgibt, Joaquin – mit dem Fockmast?“

Galardes wandte ihm sein nasses, tief zerfurchtes Gesicht zu. „Ja. Ich schätze, es sieht dann aus wie eine flügellahme Ente, die mit hängendem Schnabel dahintreibt.“ Er mußte nun auch lachen. Sie blickten sich an, schlugen sich im rauschenden Regen auf die Schultern und brüllten vor Vergnügen.

Einer der Soldaten, der zur Deckswache auf der Kuhl gehörte, sah verdutzt seinen Kameraden an. „Hörst du das? Sag bloß, unser Capitán ist jetzt durchgedreht.“

„Nein, das glaube ich nicht.“

„Aber er lacht wie ein Irrer.“

„Wahrscheinlich hat Monforte ihm einen guten Witz erzählt.“

„Al diablo“, murmelte der Soldat. „Ich möchte wirklich wissen, wieso die beiden nicht die Hütte aufsuchen. Dort sind sie im Trockenen, dort können sie sich aufs Ohr hauen.“

„Capitán Galardes’ Verantwortungsbewußtsein ist zu groß“, erwiderte sein Gegenüber. „Er weiß, daß wir nach den Strapazen der letzten vierundzwanzig Stunden alle hundemüde sind. Er will auch dann noch wachen, wenn wir zusammenklappen.“

„Ja, er geht uns mit gutem Beispiel voran. Nur eins will er nicht – wieder mit dem Schiff von El Lobo del Mar zusammentreffen.“

„Darauf ist keiner erpicht.“

„Weißt du was? Dieser ganze Auftrag kann mir gestohlen bleiben.“

„Ja“, sagte der Soldat. „Er ist uns scheißegal.“

Dem Mann im Großmars der „Candia“ drohten immer wieder die Augenlider zuzufallen. Er versuchte, gegen die Müdigkeit anzukämpfen, indem er sich reckte und streckte und ständig auf den Beinen blieb, statt sich hinter der Segeltuchverkleidung hinzuhocken, aber auch das nutzte wenig.

Der Regen tropfte ihm ins Gesicht, aber das Wasser war nicht kalt genug, um ihn des bleiernen Trans zu berauben, der sich in seinem Körper festgesetzt zu haben schien.

Das Wetter der vergangenen Nacht, die harten Anforderungen, die jene Stunden an die Männer der „Candia“ gestellt hatten, dann die unablässige Suche nach den übrigen Schiffen des Verbandes, schließlich das Gefecht in der Felsenbucht und das Entsetzen, das sich bei Killigrews heftiger Attacke unter der Besatzung ausgebreitet hatte — dies alles zeitigte jetzt seine Folgen.

Der Mann im Großmars war am Ende seiner Kräfte angelangt. Er wünschte sich sehnlichst, abgelöst zu werden. Aber bis zum Wachwechsel um Mitternacht waren es noch mehr als vier Glasen.

Einmal schreckte er aus seinem Halbschlaf hoch. Er hatte unten, auf der Kuhl, Stimmen vernommen. Sofort beugte er sich über die Umrandung der Plattform und spähte in die Tiefe.

Durch den Dunstschleier des Regens konnte er kaum etwas erkennen, aber er glaubte doch, das kurze Aufflackern eines Lichtes und die Umrisse von Gestalten zu sehen.

Dann stellte er an den Stimmen der Männer auf der Kuhl fest, daß es der Profos und zwei Soldaten der Deckswache waren, die sprachen.

„Was fällt euch Hunden ein, eine Laterne anzuzünden?“ wetterte der Profos.

„Senor“, erwiderte der eine Soldat, „ich dachte, das eine Geschütz wäre nicht ordentlich festgezurrt, da wollte ich genau nachsehen.“

„In der Tat mußten wir die eine Brook neu festlaschen“, erklärte sein Kamerad. „Hätten wir es nicht getan, hätte der 17-Pfünder sich innerhalb der nächsten Stunden selbständig gemacht.“

„Narren!“ fuhr der Profos sie an. „Dazu hättet ihr kein Licht gebraucht. Der Comandante hat es strikt untersagt, hier mit Öllampen oder Talglichtern herumzufunzeln oder gar die Hecklaternen zu entfachen.“

„Verzeihung, Senor, aber wir dachten, die Sicherheit an Deck sei wichtiger“, verteidigte sich der eine Soldat.

„Schweig“, befahl ihm der Zuchtmeister. „Du kannst noch froh sein, daß der Bootsmann nicht in der Nähe ist. Der hätte den Vorfall nämlich sofort dem Comandante gemeldet.“

„Es wird nicht wieder geschehen, daß wir die Anweisungen vergessen“, beteuerte der zweite Soldat. „Ganz gewiß nicht.“

„Das will ich euch auch geraten haben. Und morgen früh knöpfe ich mir die Hunde vor, die für dieses Geschoß zuständig waren, als nach dem Gefecht aufgeklart wurde. So eine verfluchte Schlamperei darf nicht unbestraft bleiben.“

Damit schritt der Profos in Richtung Vordeck davon. Der Mann im Großmars sah ihn nicht, er vernahm nur noch, wie der Zuchtmeister einen derben Fluch ausstieß.

Beruhigt lehnte sich der Ausguck wieder zurück. Er hielt sich mittels eines Tampens am Großmast fest, aber immer wieder fielen ihm die Augen zu, und seine Finger drohten von dem Tampen abzurutschen.

Wenn sich ein Schiff nähert, wenn irgend etwas passiert, dachte er verdrossen, wenn du nicht rechtzeitig darauf aufmerksam wirst, läßt der Comandante dich auspeitschen. Wenn du vom Großmars abstürzt, kann der Comandante dich nicht mehr dafür bestrafen, denn in dem Falle ersäufst du entweder in der See oder du brichst dir auf dem Deck sämtliche Knochen, je nachdem, wie du fällst – was ist dir lieber?

Ärgerlich versetzte er sich einen Ruck. Er versuchte, an Dinge zu denken, die ihn wach hielten. Zum Beispiel daran, wie es war, wenn sie endlich nach Lissabon zurückkehrten und dort einen Zug durch die Hafenkaschemmen unternahmen, Wein tranken, mit den Huren schäkerten …

Aber auch das wollte nichts nutzen. Der Kampf gegen den bohrenden Schlaf ging weiter.

Schätzungsweise eine halbe Stunde später schreckte der Ausguck jäh aus seinem nun schon traumdurchwebten Dahindämmern auf. Er war im Stehen eingenickt, und es war ein Wunder, daß er nicht von seinem luftigen Posten gefallen war. Irgend etwas, ein Instinkt oder etwas anderes, das er sich nicht zu erklären wußte, riß ihn in die Wirklichkeit zurück. War es die Angst, beim Schlafen ertappt zu werden? Das nie ruhende Pflichtbewußtsein, der Disziplingeist?

Er wußte es nicht.

Er drehte nur seinen Kopf nach rechts, blinzelte im Regen und fuhr in diesem Augenblick zusammen, weil in den gischtigen Schleiern, in der Tiefe der mondlosen, stockfinsteren Nacht etwas Ungewöhnliches zu sein schien.

„Madre de Dios“, stammelte der Mann im Großmars im nächsten Moment. „Heilige Mutter Gottes, steh uns bei.“

 

Von Steuerbord achteraus näherte sich die Erscheinung. Unaufhaltsam schob sie sich auf die „Candia“ zu, durchbohrte den Regendunst und konkretisierte sich zu einer drohenden Silhouette.

Ein Koloß war das, eine gewaltige Gespenstererscheinung hart am Schanzkleid des Viermasters. Die Mächte der Finsternis schienen ihre Greuel auf die Welt entlassen zu haben, die Stunde der Abrechnung war gekommen. Lautlos drängte sich das Ungeheuer heran, bis es Kontakt mit der „Candia“ hatte, und jetzt sprangen seine furchterregenden Krallen herüber, hakten sich hinter dem Schanzkleid fest. Gestalten regten sich im Dunkel. Alle Dämonen und Schimären, Teufel und Zerberusse der Hölle schienen sich auf das portugiesische Flaggschiff zu stürzen.

Der Ausguck stieß einen würgenden Laut aus. Er taumelte, hielt sich an der Segeltuchumrandung fest, keuchte – und erst dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Zum Teufel mit allem Aberglauben! Er hatte sich täuschen und lähmen lassen, aber jetzt sah er, daß es menschliche Gestalten waren, die da im Regen von Schiff zu Schiff sprangen. Unten auf der Kuhl der „Candia“ wurden entsetzte Rufe laut, Schritte trappelten, die Soldaten und Seeleute der Wache stürzten zum Steuerbordschanzkleid – aber es war zu spät, viel zu spät!

„Alarm!“ schrie der Ausguck. „Ein Überfall! Sie entern!“

„Schlagt sie zurück!“ brüllte in diesem Augenblick auch der Profos, der von einem Soldaten geweckt worden war und aus dem Vordecksschott hervorstürmte. „Schießt sie nieder! Alle Mann an Deck! Al diablo, laßt euch nicht überrumpeln, wehrt euch eurer Haut!“

Immer mehr Enterhaken flogen. Das große fremde Schiff lag Bordwand an Bordwand mit der „Candia“, als sei es mit ihr verwachsen. Behende jumpten die Angreifer auf die Kuhl des portugiesischen Viermasters und drangen mit Säbeln, Degen, Entermessern, ja, sogar mit Handspaken auf ihre Widersacher ein.

„Arwenack!“ schrien diese Kerle.

Ein Schwarzhaariger, ein Riese von einem Mann, befand sich an der Spitze des kleinen Trupps, der sich unheimlich schnell über Deck bewegte und kämpfend zum Achterkastell der „Candia“ strebte.

Die Portugiesen erkannten ihn wieder.

„El Lobo del Mar“, stieß der Profos do Velhos entgeistert aus. „Das kann doch nicht wahr sein.“

Dann hastete er mit erhobenem Säbel auf den Todfeind zu und trachtete, ihn zu stoppen.

8.

Hätten die beiden Soldaten der Deckswache nicht die Lampe angezündet, um die Brook des einen Geschützes fester zu zurren, hätte der Seewolf wahrscheinlich noch sehr viel mehr Zeit benötigt, um sich an die „Candia“ heranzupirschen. So aber hatte der Feind ihm durch eine winzige Unachtsamkeit seine Position verraten.

Als Stoßtrupp hatte Hasard seine besten Männer ausgewählt: Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane, Smoky, Dan O’Flynn, Carberry und Batuti. Old O’Flynn übernahm während des Entermanövers das Kommando über die „Isabella“. Der Rest der Crew hielt sich als Nachhut bereit. Die Zwillinge hatten sich selbstverständlich wieder ins Mannschaftslogis zurückziehen müssen.

Dies war Hasards einfache, aber bewährte Strategie: Nicht alle Männer wollte er von Anfang an in den Kampf gegen die Portugiesen werfen, mehr als die Hälfte der Crew verweilte sprungbereit hinter dem Backbordschanzkleid der „Isabella“ und wartete die Entwicklung der Dinge ab.

Mit seinen sieben Männern fühlte sich Hasard beweglicher als mit der kompletten Mannschaft, außerdem setzte er nicht ihrer aller Leben aufs Spiel.

Die Männer der „Candia“ waren gründlich überrumpelt worden. Wie Hasard durch einen raschen Blick rundum feststellte, schien die Deckswache aus zehn, höchstens zwölf Männern zu bestehen. Die übrigen Besatzungsmitglieder kamen auf die Alarmrufe hin nicht flink genug auf die Beine, sie mußten erst ihren Schlaf abschütteln und aus den Kojen kriechen, zu den Waffen greifen und den Weg vom Logis im Vordeck bis aufs Hauptdeck zurücklegen.

Hasards „Aktionskommando“ hatte den Weg zum Achterkastell des Viermasters fast frei. Kein einziger Schuß war bisher gefallen, alles lief verhältnismäßig geräuschlos ab, wenn man von den Rufen absah, die die Portugiesen ausstießen.

Ben Brighton hatte einem Soldaten die Muskete aus den Händen geschlagen. Statt ihn anschließend mit dem Schiffshauer zu durchbohren, hatte er ihm den Knauf des Waffengriffs kurzerhand über die Stirn gezogen, und der Mann war bewußtlos zusammengebrochen. Gegen Hiebe wie diese schützte eben auch ein iberischer Eisenhelm nicht.

Ferris, Shane und Smoky hatten bei diesem Überraschungsangriff gleichfalls Seeleute und Soldaten der „Candia“ durch gezielte Schläge gefällt, bevor diese ihre Schußwaffen einsetzen konnten – und ähnlich waren der junge O’Flynn, der Profos und Batuti verfahren.

Hasard hatte ihnen eingeschärft, daß er kein Massaker anrichten wollte. Natürlich durften die Seewölfe andererseits auch nicht zu zaghaft mit den Portugiesen umspringen, aber das taten sie auch nicht. Ihre Devise bei diesem Entermanöver lautete nur: Getötet wird, wenn es unumgänglich ist, sonst nicht. Nur im Fall äußerster Notwehr gingen sie bis zur letzten Konsequenz.

Durch diese selbstgesetzte Norm hatten sich Hasard und seine Crew immer von anderen Schiffsmannschaften unterschieden. Sie waren menschlicher als alle anderen Abenteurer und Schnapphähne, die über die Weltmeere segelten und verabscheuten im Grunde ihres Herzens Grausamkeiten. Genau dies machte nach Hasards Überzeugung den feinen Unterschied zwischen einem gewöhnlichen Piraten und einem Korsaren aus.

Hasard dachte, das Achterkastell stürmen zu können, aber plötzlich schob sich eine breite Gestalt in sein Blickfeld.

„Lobo del Mar!“ brüllte der Portugiese. „Nieder mit dir! Ich töte dich wie einen räudigen Hund!“

Seiner Kleidung nach war der Mann leicht als der Zuchtmeister der „Candia“ zu identifizieren. Sein Gesicht war zu einer haßerfüllten Grimasse verzerrt, seinen Säbel hielt er hoch erhoben, um ihn auf den Todfeind Spanien-Portugals niedersausen zu lassen.

Eine fromme Rede hatte der Profos der „Candia“ da von sich gegeben, und er gedachte seine Drohung auch in die Tat umzusetzen. Hasard riß jedoch geistesgegenwärtig den langen Cutlass hoch, den er aus seiner Kammer mitgenommen hatte, parierte und ließ den gegnerischen Säbel von seiner Klinge abprallen.

„Freund!“ stieß der Seewolf aus. „Mein eigener Profos hat ein Narbengesicht, aber er ist hundertmal schöner als du.“

Auf spanisch hatte er es gesagt, der Portugiese verstand ihn und wurde durch den Ausspruch noch mehr in Rage versetzt. Durch einen wilden Ausfall trachtete er, Hasards Verteidigung niederzusensen. Aber wieder war der Seewolf auf der Hut, wieder hatte der Zuchtmeister keinen Erfolg, sondern mußte sich vor der Klinge des Gegners in Sicherheit bringen, die ihm nun bedrohlich um die Ohren pfiff. Der Kampf auf dem achteren Teil der Kuhl tobte hin und her.

Ben, Smoky, Dan, Ed und Batuti hatten noch genug mit den übrigen Gegnern auf dem Hauptdeck zu tun, sie konnten ihren Kapitän nicht unterstützen.

Big Old Shane und Ferris Tucker hatten sich mittlerweile bis zum Vordeck vorgearbeitet und bauten sich nun zu beiden Seiten des Schotts auf – so, wie der Seewolf es noch an Bord der „Isabella“ mit ihnen durchgesprochen hatte.

Vorsorglich hatten die beiden Männer sich auch mit ein paar Belegnägeln versorgt, die sie sich in die Gurte geschoben hatten. Aber als Hauptwaffen hielten sie solide Handspaken in den Fäusten – Hölzer aus guter englischer Eiche.

Dank des Überraschungsmomentes, das der Seewolf auf seiner Seite hatte und gründlich hatte ausnutzen können, war alles sehr, sehr schnell gegangen. Selten war ein derart großes Schiff von so wenigen Männern in so kurzer Zeit geentert worden. Von der richtigen Strategie und Taktik hing es jedoch ab, ob die Seewölfe auch im folgenden einen Erfolg für sich verbuchen konnten.

Alles hing davon ab, ob sie verhindern konnten, daß die gesamte Mannschaft an Oberdeck erschien. Hasards Crew zählte zweiundzwanzig Köpfe – aber die Besatzung der „Candia“ war gut vier Dutzend Mann stark.

Das Schott war nach dem Erscheinen des Profos’ auf der Kuhl wieder zugeklappt. Jetzt öffnete es sich erneut, und der erste Mann des portugiesischen Nachschubs tauchte fluchend auf.

Ferris nickte Shane zu. Der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle tickte den Portugiesen mit der Handspake an, es gab einen dumpfen, beinah hohlen Laut, und der Mensch fiel nach zwei stolpernden Schritten der Länge nach auf die Planken und stand nicht wieder auf.

Shane grinste, Ferris hieb nun ebenfalls mit der Spake zu, der nächste Gegner sank aufs Deck. Danach war wieder Shane an der Reihe. Der dritte Gegner riß die Arme hoch, nachdem er seinen Hieb eingesteckt hatte, torkelte noch ein Stück voran und strauchelte über die zwei bereits liegenden Gestalten.

Die Dons hörten nicht auf, aus dem Vordecksschott hervorzustürmen. Big Old Shane und der Schiffszimmermann hatten redlich zu tun, sie schlugen in fast rhythmischen Abständen zu.

Mehr als zehn Feinde setzten sie auf diese Weise außer Gefecht, aber dann schienen die übrigen Männer unten im Vordeck begriffen zu haben – sie zögerten.

Nur noch einer schob sich vorsichtig auf die Schottöffnung zu. Er hatte eine Blunderbüchse im Anschlag, mit der man im Nahkampf ganz Verheerendes anrichten konnte.

Shane stand mit dem Rücken gegen die Vordeckswand gelehnt. Wieder nickte er Ferris zu. Im richtigen Augenblick packte Ferris den Riegel des Schotts und versetzte es so heftig in Schwung, daß es zuknallte und den Gegner frontal erwischte.

Der gurgelte, und man konnte hören, wie seine Waffe auf die Stufen des Niedergangs polterte. Der Widerstand, der den gespannten Hahn festhielt, war nicht groß genug für so einen Aufprall – die Blunderbüchse ging los.

Das donnerte mächtig im Vordeck, und gleichzeitig brüllten die Portugiesen los.

Shane und Ferris grinsten nicht mehr. Sie blickten kurz zur Kuhl und sahen Ben und Smoky, die sich inzwischen den Weg freigekämpft hatten, als Verstärkung anrücken. Ferris riß das Schott einfach wieder auf. Noch war es Zeit, in das Vorschiff der „Candia“ einzudringen. Die Blunderbüchse war lediglich auf eine freie Innenwand losgegangen und hatte mit ihrer Ladung, gehacktem Blei, ein hübsch anzusehendes Siebmuster hineingestanzt. Das Entsetzen hatte die Portugiesen schreien lassen, doch ehe sie jetzt dazu kamen, gegen die beiden Handspaken-Schwinger vorzugehen und auf sie zu feuern, kippte ihnen die Gestalt des Blunderbüchsen-Mannes von den Stufen des Niederganges entgegen. Ein, zwei Kameraden raffte der Besinnungslose von den Stufen, dann stolperten auch noch ein paar andere, die vom Fuß des Niederganges aus nachrücken wollten.

Ben Brighton und der Decksälteste der „Isabella“ stürmten ohne zu zögern in das offene Schott. Wie es da unten im Vordeck aussah, wußten sie nicht, sie konnten es nicht einmal ahnen, sie riskierten Kopf und Kragen, denn ein geistesgegenwärtiger Don konnte sie in diesem Augenblick niederschießen.

Tollkühn hechtete Ben Brighton von den oberen Stufen des Niederganges in die wabernde Masse von Leibern, die sich unter ihm im Dunkeln ineinander verkeilt hatte. Smoky folgte ihm, und dann erschienen auch Shane und Ferris. Die Portugiesen waren noch viel zu verblüfft und verwirrt, um den Angriff mit Säbeln und Messern abwehren oder auch nur eine Pistole oder eine Muskete auf die vier abfeuern zu können. Überdies bestand die große Gefahr, daß die Männer der „Candia“ sich untereinander verletzten. Dieser Umstand behinderte sie erheblich.

Hasard focht immer noch mit dem portugiesischen Profos. Dan, Ed und Batuti hatten mit zwei Dons zu schaffen, die unversehens vom Achterdeck aufgetaucht waren.

Es waren ein Soldat und ein Decksmann – wohl der Rudergänger. Der Soldat hob seine Muskete und legte über die Querbalustrade hinweg auf Dan O’Flynn an.

Batuti hatte seine Schnapphahnschloß-Pistole gezückt. Er glitt ein paar Stufen des Backbordniederganges zum Achterdeck hinauf, blieb stehen, legte auf den Soldaten an und drückte ab.

Die Kugel schlug dem Mann in die rechte Schulter. Mit einem Aufschrei sank er hintenüber. Abdrücken konnte er noch, aber die Ladung der Muskete stob krachend in den Nachthimmel. Der Soldat ließ die Waffe los, wälzte sich fluchend auf dem nassen Deck und blieb schließlich reglos liegen.

Carberry hatte unterdessen den Steuerbordniedergang des Achterdecks erklommen. Der Rudergänger der „Candia“ erblickte ihn und fuhr mit der Pistole in der Hand zu ihm herum.

 

„Wirf das Schießeisen weg“, befahl der Profos in seinem schauderhaften spanischen Kauderwelsch. „Du hast keine Chance mehr.“

Das wollte der Rudergänger nicht einsehen. Er stieß einen Fluch aus, duckte sich, stieß die Pistole vor und krümmte den Finger um den Abzug.

Carberry ließ sich fallen. Leider hatte er noch den schweren Schiffshauer in der Faust, mit dem er sich auf der Kuhl Platz verschafft hatte. Ehe er diesen auf den Portugiesen schleudern oder seine Pistole zücken konnte, hatte der Mann bereits durchgezogen.

Sehr unsanft landete der Profos auf den Planken. Er rutschte ein Stück, preßte ein saftiges „Himmel, Arsch und Zwirn“ hervor und drehte sich vom Bauch auf den Rücken. Er wunderte sich darüber, daß der Schuß nicht losgegangen war.

Auch der Portugiese staunte. Im Regen war das Zündkraut seiner Miqueletschloß-Pistole naß geworden, ohne daß er es gemerkt hatte. Probleme gab es bei Niederschlag zwar vor allem mit Luntenschloß-Waffen, aber auch mit einer neuzeitlichen Pistole oder Muskete konnte so etwas passieren.

Ehe der Rudergänger der „Candia“ sich von seiner Überraschung erholt hatte, war Batuti bei ihm. Ein Fausthieb gegen die Schläfe des Feindes, und er sank zusammen und blieb zu Batutis Füßen liegen, nicht sehr weit von dem besinnungslosen, schulterverletzten Soldaten entfernt.

Dan O’Flynn, der jetzt von keiner Seite mehr bedroht wurde, hatte sich inzwischen dem portugiesischen Zuchtmeister zuwenden wollen, aber in dem Zweikampf zwischen diesem und dem Seewolf war eine Wende eingetreten.

Der Profos hatte sich gut gehalten, geriet aber jetzt, als Hasard einen neuen Ausfall gegen ihn unternahm, auf den schlüpfrigen Planken außer Kontrolle. Er glitt beinah aus, mußte sich durch Armbewegungen fangen und konnte sich nicht mehr voll auf das Duell konzentrieren. Hasard setzte nach, zog den Cutlass tief von unten herauf und knallte ihn unter den Säbel des Gegners. Es lag so viel Wucht in diesem Schlag, daß der Profos das Heft der Waffe nicht länger halten konnte. Er verlor den Säbel, und dieser wirbelte ein Stück durch die Luft, landete auf den Planken, rutschte und blieb schließlich unter dem Niedergang der Steuerbordseite liegen.

Do Velho hätte gut daran getan, das Oberdeck seines Schiffes wie vor einem Gefecht mit Sand bestreuen zu lassen. Dann hätten seine Männer einen sicheren Stand gehabt.

Aber auch die Seewölfe hätten sich besser halten können, und darum handelte es sich um keine echte Unterlassungssünde. Die nassen Planken hätten dem Feind genauso zum Verhängnis werden können – nur leider hatte sich das Blatt zuungunsten der Portugiesen gewendet.

Der Zuchtmeister wollte noch einen Schrei von sich geben, aber es wurde nur ein erstickter Laut daraus, weil Hasard ihm die linke Faust gegen die Schläfe setzte. Schwer fiel der Profos – und der Weg zum Achterkastell war wirklich frei.

Dan, Ed und Batuti waren bei ihrem Kapitän. Sie ließen ihm den Vortritt in das „Allerheiligste“ des Kommandanten.

Vom Vordeck der „Isabella“ sprangen inzwischen noch sieben Seewölfe zur „Candia“ hinüber: Blacky, Pete Ballie, Gary Andrews, Matt Davies, Al Conroy, Sam Roskill und Luke Morgan. Old O’Flynn hatte ihnen den Befehl gegeben, Ben, Ferris, Shane und Smoky bei dem Kampf, der im Vordeck entbrannt war, zu unterstützen.

Seit den Alarmrufen der Deckswache der „Candia“ waren höchstens zwei, drei Minuten verstrichen.

Lucio do Velho war aus finsteren Träumen aufgeschreckt worden. Schweißgebadet hatte er sich von seiner Koje aufgerichtet. Scheußliche Trugbilder hatte ihm die Einbildung vorgegaukelt, er hatte sich wieder im Land der Buschmänner befunden. Blutrünstige Gestalten hatten ihn umtantzt, Ignazio war fort gewesen, und ein brüllender Schamane mit gezücktem Dolch hatte sich auf ihn zubewegt. Dieser Kerl hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Philip Hasard Killigrew aufgewiesen.

Einige Sekunden hatte do Velho benötigt, um die Situation zu erfassen.

Früher hatte er sehr wache Sinne gehabt und war immer und zu jeder Stünde kampfbereit gewesen. Aber er hatte seit den Erlebnissen in Afrika nachgelassen. Ein Weiteres hatten diese gräßlichen vierundzwanzig Stunden bewirkt, die hinter ihm lagen.

Do Velho streifte sich das Nötigste über: die Hose, das Wams, die Stulpstiefel. Er griff zu seinem Degen und steckte sich auch seine wertvolle, reich verzierte Radschloßpistole zu, während oben an Deck drei Schüsse kurz hintereinander fielen. Der eine klang dumpf und schien in einem geschlossenen Raum abgegeben worden zu sein, die anderen beiden tönten hell – offenbar vom Achterdeck.

Sie sind über mir, dachte do Velho.

Und er hatte seinen Profos den Namen „El Lobo del Mar“ brüllen hören.

Es war zu ungeheuerlich, do Velho konnte es auch jetzt kaum fassen. Der Seewolf auf der „Candia“ – wie war das möglich?

Mit allem hatte der Kommandant gerechnet, nur damit nicht. In der sicheren Annahme, der verdammte Engländer würde die ganze Nacht über auf südwestlichem Kurs weitersegeln, hatte er sich zur Ruhe begeben.

Hatte Killigrew das vorhergesehen? Hatte er es ahnen können? Welcher Teufel ritt diesen Kerl, daß er in dieser finsteren Nacht bei Regen auf Gegenkurs ging und dann geradewegs auf die „Candia“ zusteuerte? Wie hatte er sie überhaupt finden können?

Do Velhos Selbstbewußtsein war erheblich erschüttert. Er verließ seine Kammer und taumelte den Mittelgang des Achterkastells entlang.

„Ignazio“, rief er immer wieder. „Ignazio, wo, zum Teufel, steckst du? Hund von einem Bootsmann, so antworte doch!“

Eine Tür knarrte, do Velho fuhr herum. Aus einer der Kammern trat eine bullige Gestalt auf ihn zu, und do Velho verspürte in seiner Wut nicht übel Lust, die Faust in dieses vierschrötige, so unendlich einfältige Gesicht zu schlagen.

„Ignazio, warum hast du dich nicht gemeldet?“

„Ich – Senor, es kommt alles so überraschend …“

„Was geht hier vor?“

„Ich weiß es nicht, Senor Comandante.“

„Der Seewolf ist da!“

„Was? Patrón, das geht nicht mit rechten Dingen zu.“

„Schweig“, zischte do Velho und schlich mit gezücktem Degen weiter. „Wir greifen in den Kampf ein. Ich habe keinen Zweifel daran, daß die Übermacht unserer Leute diesen englischen Bastarden das Fürchten beibringt. Killigrew wird es noch bereuen, dieses Schiff betreten zu haben.“

„Si, Senor.“ Der Mann aus Porto raffte seinen Hosenbund zusammen, packte nun ebenfalls seinen Säbel und eilte seinem Kapitän nach.

Sie hatten das Achterkastell halb durchquert, da vernahmen sie Laute aus dem Schiffsinneren. Do Velho blieb augenblicklich stehen.

„Still“, raunte er. „Hörst du das nicht, Ignazio?“

„Doch, Senor. Der Feind – er kommt auch von dort.“

„Du meinst, er hat schon das untere Batteriedeck besetzt?“

„Senor, ich sehe sofort nach.“

„Warte, ich komme mit“, sagte der Kommandant.

Gemeinsam schlüpften sie in den Quergang zu ihrer Rechten, folgten seinem Verlauf und benutzten dann den Niedergang, der ein Deck tiefer führte. Stockdunkel war es in dem Batteriedeck, man konnte nicht einmal die Umrisse der festgezurrten 17-Pfünder erkennen. Wohl aber vernahm Lucio do Velho das Rumoren, das Scharren von Schritten und Tuscheln von Stimmen, das nicht weit von ihm entfernt war.

Er zückte seine Pistole. „Halt!“ sagte er. „Wer da?“

„Senor“, antwortete eine Stimme, die ihm bekannt erschien. „Nicht schießen. Wir sind es – die Decksleute aus dem Vorschiff. Ich bin Bixio, der Fockmastgast.“

„Und ich Raoul, der Kombüsengehilfe“, sagte ein anderer Mann.

Noch drei Männer meldeten sich mit ihren Namen.

„Was habt ihr hier herumzuspuken?“ fuhr do Velho sie an. „Wieso kämpft ihr nicht gegen die Ingléses, die uns überfallen haben? Fast hätte ich auf euch geschossen, weil ihr Hunde wie die Galgenstricke durch das Schiff schleicht.“