Seewölfe Paket 8

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Alvaro Monforte geriet ins Wanken. Sein verwirrter Geist hatte sich den erschütternden Tatsachen verschlossen, aber jetzt traf ihn die Wahrheit mit unnachgiebiger Härte.

Alle waren sie tot – bis auf fünf Mann. Mehr als zwei Dutzend Mann stark war die Besatzung der „Sao Sirio“ gewesen. Über zwanzig Männer hatten ihr Leben in den Fluten gelassen.

Über zwanzig!

Monfortes Hände ballten sich zu Fäusten. Er stand vor den kalten, nassen Felsen und schlug plötzlich auf sie ein. Er hielt inne, preßte die flachen Hände gegen das Gestein und traf Anstalten, in seiner ohnmächtigen Verzweiflung und Hilflosigkeit die Stirn dagegenzurammen.

Reto erkannte das Vorhaben seines Kapitäns. Er stellte sich hinter ihn und hielt ihn an den Schultern fest.

„Capitán“, sagte er eindringlich. „Was nutzt es, wenn Sie sich selbst umbringen? Wem bringt das etwas ein?“

„Niemandem“, sagte der Decksälteste, dessen etwas komplizierter Name Tarquinho lautete. „Seien Sie vernünftig, Capitán. Wir vier wissen, daß Sie keinerlei Schuld tragen an dem, was geschehen ist. Sie haben Ihr Bestes getan, um uns vor dem bitteren Ende zu bewahren.“

Monforte stand eine Weile wie gelähmt da, dann ließ er endlich von dem Felsen ab. Sein Blick war fest, als er die letzten Männer seiner Besatzung der Reihe nach ansah.

„Sie haben Recht“, erwiderte er langsam. „Und ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie trotz allem noch zu mir halten. Ich sehe das durchaus nicht als selbstverständlich an. Meuterer hätten aus Ihnen werden können, Deserteuere der spanisch-portugiesisichen Marine – und doch bleiben Sie der Krone treu. Ich danke Ihnen.“ Er drehte sich um und blickte auf die See hinaus. Regen und Sturmwind fuhren heftig in sein hartes Gesicht, aber er kümmerte sich nicht darum.

„Eines schwöre ich“, sagte Monforte. „Wenn wir je wieder mit dem Kommandanten Lucio do Velho zusammentreffen, ziehe ich ihn für sein unverantwortlidhes Verhalten zur Rechenschaft. Wahrscheinlich werde ich mich der Insubordination schuldig machen, aber das nehme ich in Kauf. Hundertmal. Im Gedenken an die toten Männer der ‚Sao Sirio‘.“

„Und wir schwören, daß wir Ihnen dabei beistehen, Capitán“, entgegnete Reto, der Erste Offizier. „Koste es, was es wolle.“

„Koste es, was es wolle“, murmelten die anderen drei im Chor.

„Laßt uns die Toten bestatten“, sagte Monforte.

Tarquinho antwortete: „Wir haben es bereits versucht, aber es gibt an diesem Ufer nicht genug Steine, um die Leichen ausreichend zu beschweren. Wir finden hier nur große Brokken und den Kies, aus dem die Leichname aber wieder freigeschwemmt werden, wenn wir sie darin eingraben. In der See können wir unsere toten Kameraden auch nicht beisetzen, nicht bei diesem Wetter, nicht ohne ein Boot.“

„Wir würden selbst dabei draufgehen“, fügte Reto hinzu. „Capitán, es gibt hier vorläufig nichts mehr für uns zu tun.“

Monforte, der um Jahre gealtert wirkte, nickte langsam. „Das sehe ich ein. Verlassen wir jetzt diesen Ort und sehen wir zu, daß wir irgendwo einen trokkenen Platz zum Verweilen finden. Morgen, so hoffe ich, läßt der Sturm nach. Dann werden wir unsere Toten mit allen seemännischen Ehren bestatten. Anschließend werden wir versuchen, in die nächste größere Ortschaft zu gelangen und von dort aus eine Depesche nach Lissabon weiterzuleiten, in der wir der Admiralität von unserem Unglück berichten.“

„Vielleicht finden wir auch ein Schiff oder wenigstens eine Schaluppe, mit der wir heimwärts segeln können“, meinte Tarquinho.

„Möglich auch, daß der Comandante im Abklingen des Sturmes umzukehren versucht und nach uns fahndet“, sagte der Soldat.

Monforte musterte ihn. „Ich glaube nicht daran, aber ich würde dem Senor do Velho einen gebührenden Empfang bereiten, das versichere ich dir, Soldado.“

Er schritt an den Männern vorbei und übernahm die Führung der Gruppe. Vorsichtig klomm er in der mit Geröll gefüllten Felsspalte nach oben. Reto, Tarquinho, der Soldat und der Decksmann folgten ihm schweigend. Ihr Respekt vor dem Kapitän war größer denn je. Sie wußten, daß er es mit seinen Ankündigungen ernst meinte. Sich jedoch offen gegen einen do Velho aufzulehnen, bedeutete nicht nur ein jähes Ende der Karriere von Alvaro Monforte, es war auch mit Meuterei gleichzusetzen. Und darauf stand das Todesurteil. Lucio do Velho würde nicht zögern, für den Kapitän die Höchststrafe zu fordern, die die militärischen Gesetze vorsahen.

Monforte war also bereit, sich für seine Männer zu opfern. Er fühlte sich mit ihnen verbunden und hatte sie nie als die „Chusma“, das gemeine, primitive Schiffsvolk, betrachtet, sondern die gesamte Besatzung menschlich behandelt – ohne dabei jedoch an Autorität zu verlieren. Sogar zwischen Soldaten und Seeleuten hatte es unter Monforte eine größere Verständigung gegeben als auf anderen spanischen oder portugiesischen Seglern. Monforte, der alles andere als ein sturer Vorgesetzter war, war in diesem Punkt seiner Zeit voraus.

Seine vier Begleiter empfanden Hochachtung für ihn. Ohne große Absprache waren sie sich einig, daß sie für ihren Kapitän durchs Feuer gehen würden, falls das nötig war.

Der Aufstieg endete hinter einem Durchlaß, der so schmal war, daß sich der breit gebaute Tarquinho nur mit Mühe hindurchzwängen konnte. Dann aber standen die fünf Männer auf der Höhe der Klippfelsen und schauten sich um.

„Wir wandern landeinwärts“, entschied Monforte. „Nach Osten scheint das Felsland etwas abzufallen, und wahrscheinlich gibt es dort auch Vegetation. Wenn wir schon kein Dorf und keine Hütte finden, in der wir bis morgen früh unterkriechen können, können wir uns doch wenigstens im Wald ein einfaches Lager herrichten.“

Die bis auf die Haut durchnäßten Männer strebten weiter voran. Sie erreichten schon nach wenigen Minuten die ersten geduckten Pinien, die am Fuß des Hanges wuchsen, den sie nun hinter sich gebracht hatten. Von diesen knorrigen Nadelbäumen aus sah Reto als erster das Licht, das nordöstlich versetzt in der Dunkelheit schimmerte.

„Capitán“ sagte er. „Sehen Sie doch. Sollten wir nicht doch lieber unsere Marschrichtung ändern?“

„Einverstanden“, erwiderte Monforte kurz entschlossen.

4.

Die komplette Crew der „Isabella“ war auf den Beinen, als das Boot durch das bewegte Wasser der Bucht auf die Galeone zusteuerte. Alles äugte zu dem „Besuch“ hinüber, den Dan und Matt da herantransportierten, und man bedauerte insgeheim Batuti, Gary Andrews, Sam Roskill und Bob Grey, die weiterhin an Land Wache schoben und daher bei diesem Ereignis nicht mit dabeisein konnten.

„Mann“, sagte Blacky. „Also, das haut doch nun wirklich dem Faß den Boden aus.“

„Zwei Weiber“, raunte Jeff Bowie. „Wo in aller Welt haben diese Himmelhunde die Frauenzimmer bei dem Sturm bloß aufgetrieben? Herrgott noch mal, da denkst du, du bist in einer Gegend gelandet, in der der Hund erfroren ist – und dann so was.“

„Vielleicht haben die Mädchen hier irgendwo ein Nest“, sagte Luke Morgan.

„Witzbold“, knurrte Old O’Flynn, der sich zwischen die Gestalten geschoben hatte, die das Steuerbordschanzkleid der Kuhl belagerten. „Erzähl noch so einen dämlichen Witz. Du denkst, da oben hinter den Felsen steht ein richtiges Bordell, was?“

Lukes Miene verfinsterte sich. „Und wenn es so wär? Was würdest du dann sagen, Old Hinkebein?“

„Wie war das?“ giftete der Alte. „Wiederhole, wie du mich genannt hast, du alter Stinkstiefel.“

„Ich sagte Old Hi …“

„Hört doch auf“, mischte sich jetzt Will Thorne ein. „Seht euch lieber an, was für schöne lange schwarze Haare das eine Mädchen hat.“

„Sie hat nicht nur die schönen Haare“, sagte Jeff.

„Aber die andere ist ja noch ein Kind“, stieß Blacky plötzlich verblüfft aus. „Ho, wer wird sich daran denn vergreifen?“

Luke Morgan kratzte sich am Kinn. „Tja, das ist eine berechtigte Frage. Männer, und wenn ich mir die Schwarzhaarige jetzt aus der Nähe betrachte, dann habe ich den leisen Verdacht, daß sie auch nicht sehr viel älter ist.“

„Da stimmt was nicht“, murmelte Old O’Flynn. „Da geht was nicht mit rechten Dingen zu, sage ich.“

„Fehlt bloß noch, daß du behauptest, Dan und Matt hätten zwei Wasserhexen oder Sumpfsirenen ins Boot geladen“, sagte Blacky grinsend. „Na, habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen?“

„Ja, du“, erwiderte Dans Vater. „Lach du nur. Eines Tages werdet ihr alle sehen, was ihr von eurem Spott habt. Mit gewissen Dingen scherzt man nicht. Euch holt alle noch der Sensenmann.“

„Donegal“, erklang in diesem Augenblick Big Old Shanes drohende Stimme. Der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack-Castle war hinter die Sprecher getreten. „Donegal“, wiederholte er. „Es wäre nicht das erstemal, daß du mit deiner verdammten Unkerei ein Unheil heraufbeschwörst. Hör auf mit dem Gefasel.“

„Du glaubst doch selbst an Spuk und Gespenster“, begehrte der Alte auf.

„Nein. Aber ich glaube daran, daß du heute nacht noch ein Bad im Teich nimmst – mit deinem elenden Holzbein.“

„Ihr könnt mich alle mal“, sagte Old Donegal. Damit war für ihn die Unterredung beendet. Finster blickte er zu seinem Sohn und zu Matt Davies hinunter, die soeben mit dem Beiboot an der Bordwand der „Isabella“, angelegt hatten.

Den Mädchen brauchten Dan und Matt nicht erst zu helfen. Die klommen schon behende an der Jakobsleiter empor. Gewandt wie die Katzen überbrückten sie die Distanz bis zur Kuhl, kletterten übers Schanzkleid und blieben auf der Kuhl stehen, als ob dies alles eine Selbstverständlichkeit wäre.

Die Seewölfe musterten ihre unerwarteten Gäste in einer Mischung aus Überraschung und Belustigung.

 

Bill, der Moses, der um diese Stunde nicht im Großmars weilte, betrachtete die portugiesischen Mädchen, als handle es sich um ein Weltwunder. Philip und Hasard, die Zwillinge – sie durften jetzt, in der geschützten Bucht, an Oberdeck sein –, staunten ebenfalls nicht schlecht.

Der Seewolf trat langsam auf die Mädchen zu. Sein Blick wanderte an ihren Gestalten auf und ab. Hosen trugen diese beiden ländlichen Schönheiten, Blusen aus grobem Kattun und Jacken, in die jede von ihnen zweimal hineingepaßt hätte. Pitschnaß waren sie, und Franca nieste jetzt, als der große schwarzhaarige Mann mit den eisblauen Augen vor ihnen stehenblieb, zweimal kräftig.

Dan O’Flynn und Matt Davies waren nun ebenfalls aufgeentert. Dan gab seinem Kapitän hinter dem Rükken der Mädchen ein Zeichen. Hasard verstand es. Als Ire sollte er sich ausgeben, keinesfalls als das, was er wirklich war.

„Also“, sagte der Seewolf auf spanisch zu den Mädchen, mein Name ist Philip Drummond, ich bin der Kapitän dieses Schiffes, das mit Fracht für Dublin vor drei Tagen Lissabon verlassen hat. Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“

„Sie heißen Segura und Franca“, erklärte Dan, bevor die Siebzehn- und die Dreizehnjährige den Mund auftun konnten. „Ich habe sie oben auf den Klippen aufgelesen, und sie behaupten, sie wollten uns nicht belauern. Sir, ich habe es für meine Pflicht gehalten, sie dir vorzuführen. Außerdem haben sie selbst den Wunsch geäußert, mit dir zu reden“.

„Ach“, entgegnete Hasard. Er zog die Augenbrauen hoch. Er begegnete Seguras Blick, einem glühenden Blick aus phantastischen dunklen Augen, und wußte, daß dieses Mädchen es faustdick hinter den Ohren haben mußte.

„Gehen wir in meine Kammer“, sagte er. „Dort könnt ihr eure Kleidung ein wenig trocknen, Mädchen. Wenn wir noch lange im Regen stehen, holt ihr euch garantiert eine Erkältung.“

„Sir“, sagte Dan O’Flynn. „Ich weise dich darauf hin, daß die beiden Ladys dein Anerbieten falsch auslegen könnten. Sie glauben einfach nicht daran, daß wir anständige Kerle sind, die Kinder beschützen, statt sich an ihnen zu vergehen.“

Wieder fühlte Segura sich in ihrer Ehre gekränkt. Kinder? Wer sagte diesem frechen jungen Kerl denn, daß sie immer noch so naiv war, wie er es sich vielleicht einbildete? Sie würde ihm schon noch beweisen, daß sie nicht so unbedarft war, wie er annahm.

Hasard hob den Kopf und schaute zu seinen Männern. „Freunde, dies ist eine heikle Situation. Ben, Ferris, Shane, Smoky und Donegal, ihr begleitet uns. Dan und Matt, ihr kommt natürlich auch mit, zum Berichterstatten. Alle anderen begeben sich wieder auf ihre Posten.“ Er sah Segura und Franca an, deutete eine Verbeugung an. „Senoritas, ich versichere euch, daß euch kein Härchen gekrümmt wird.“

„Gut“, antwortete Segura. „Dem Ehrenwort eines irischen Kapitäns vertrauen wir.“

„Ich bin gerührt.“

„Ihr scheint wirklich keine Piraten zu sein – und auch keine gottverdammten Engländer, die in letzter Zeit verstärkt unsere Küsten verunsichern“, sagte die Siebzehnjährige. „Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Capitán Drummond.“

Der Seewolf räusperte sich. „Das hört sich aufrichtig an. Gehen wir jetzt.“ Er dirigierte die beiden auf das Achterdecksschott zu. Seine Männer folgten ihnen, und wenig später saßen sie in der leicht schwankenden Kapitänskammer beieinander.

Es war nicht das erstemal, daß Hasard sich als Captain Drummond ausgab und behauptete, Schiff und Mannschaft seien irischer Herkunft. Er hatte sich ausgezeichnet in der Gewalt, und seine Crew spielte hervorragend mit, aber dennoch berührte es sie unangenehm, daß diese Mädchen eine so schlechte Meinung von den Engländern hatten. Das Volksempfinden ging mit den Entscheidungen von Regierungen nicht immer konform, aber in diesem Fall schien man auch in den entlegensten Gegenden Portugals davon überzeugt zu sein, daß England es verdiente, früher oder später von der Armada mit Kanonenfeuer vom Erdball getilgt zu werden.

Im Moment konnte Hasard daran nichts ändern. Aber er nahm sich im stillen doch vor, wenigstens einen Versuch zu unternehmen, um die Mädchen und ihre Angehörigen davon zu überzeugen, daß nicht alle Engländer Teufel waren.

Nachdem Dan O’Flynn geschildert hatte, was sich oben auf den Klippfelsen zugetragen hatte, fragte der Seewolf die Mädchen: „Warum habt ihr solche Angst vor Piraten?“

„Weil wir schon oft überfallen worden sind“, antwortete Franca.

„Die ganze Familie fürchtet sich vor Seeräubern“, erklärte nun auch Segura. „Und es kommt tatsächlich immer wieder vor, daß die Schufte diese Bucht ansteuern, um einem Sturm auszuweichen. Schon zweimal hätten sie uns um ein Haar erwischt. Wenn wir nicht Hals über Kopf unser Haus verlassen hätten und ins Landesinnere geflüchtet wären, hätten sie uns die Hälse umgedreht. Die Bucht scheint Freibeuter geradezu magisch anzuziehen.“

„Und es gibt keine portugiesischen Verbände, die mit diesem Gesindel aufräumen?“ erkundigte sich Hasard.

„Das schon, aber es passiert immer wieder, daß die Piraten den Verfolgern entschlüpfen und sich verstekken“, stieß Franca aufgeregt hervor. „Capitán, du glaubst ja nicht, wie viele Halunken sich gerade in dieser Küstengegend noch herumtreiben.“

„Deshalb halten wir in vielen Nächten Wache“, sagte Segura. „Gerade bei Sturm.

„Euer Vater schickt euch bei diesem Wetter hinaus“, fragte Hasard erstaunt.

„Wir tun das freiwillig“, erwiderte Segura. „Wir sind eine große Familie, und jeder leistet seinen Beitrag, um seine Eltern und seine Geschwister zu schützen.“

„Wie heißt euer Vater?“

„Pinho Brancate.“

„Und wie groß ist eure Familie?“

„Außer uns beiden und Vater wären da Emilia, unsere Mutter“, gab Segura bereitwillig bekannt. „Und Josea, unsere Schwester. Sie ist drei Jahre älter als ich. Zwei Brüder haben wir auch, das hättest du nicht gedacht, nicht wahr, Capitán? Sie heißen Charutao und Iporá. Die älteste bei uns zu Hause ist die Abuela, die Großmutter, Vaters Mutter.“

„Ein stolzer achtköpfiger Clan“, meinte der Seewolf. Er sandte einen bedeutungsvollen Blick zu seinen Männern hinüber, dann wandte er sich wieder an die Mädchen. „Und wovon lebt ihr, wenn man fragen darf?“

„Von ein bißchen Landwirtschaft und Viehzucht“, entgegnete Segura. „Außerdem haben wir ein großes Steinhaus. Vater hat daraus eine Herberge gemacht, in der wir Reiter und Wanderer beköstigen.“

„Keine Seeleute?“

„Selten, weil wir vor allen, die vom Meer kommen. Angst haben.“

„Richtig, richtig“, erwiderte Hasard. „Das sagtest du ja schon. Nun, Segura, ich freue mich, daß ihr Schwestern so mutig seid und eure Familie verteidigt. Wißt ihr, was wir jetzt tun? Ein paar von uns begleiten euch nach Hause. Ihr müßt euch dringend an einem Feuer wärmen und trocknen. Da wir an Bord unseres Schiffes nur noch knapp Trinkwasser haben, ergreifen wir die Gelegenheit beim Schopf und nehmen ein paar kleine Fässer mit, die wir bei euch in der Herberge füllen.“

Franca lachte und klatschte begeistert in die Hände. „Fein, unser Padre wird euch sicher gern helfen, Capitán Drummond. Er ist ein guter Mann.“

Segura pflichtete ihr durch ein Nicken bei. „Und es ist auch genug Wasser da. Bei uns auf dem Hof gibt es einen großen Brunnen, der nie versiegt.“

„Ausgezeichnet“, sagte Hasard. „Dieser Brunnen kommt uns wie gerufen. Ferris, geh schon voraus und sag dem Kutscher Bescheid, er soll die Fässer bereitstellen.“

„Aye, Sir.“

„Dan und Matt, ihr kehrt auf eure Posten an Land zurück. Bis zu eurer Ablösung sind es noch vier Glasen. Wir setzen allerdings mit euch über und marschieren querfeldein, sobald wir die Felsen hinaufgeklettert sind“, sagte der Seewolf. „Segura und Franca werden uns führen.“

„Aye, aye, Sir“, antwortete Dan. „Aber wen meinst du mit ‚wir‘?“

„Ich suche noch die Männer aus, die mich zum Haus der Brancates begleiten“, sagte Hasard. „Kehren wir jetzt an Oberdeck zurück. Ich will keine Zeit verlieren, da ich annehme, daß Padre Brancate sich um seine Töchter sorgt, wenn sie sich in Kürze nicht bei ihm zurückmelden.“

Segura lächelte. „Ja, das stimmt. Wir sollen uns jede Stunde bei ihm melden, damit er weiß, daß wir noch wohlauf sind. Andernfalls läßt er nach uns suchen.“

„Ein großartiger Vater“, entgegnete Hasard. „Ich muß ihn unbedingt kennenlernen.“

Sie hatten fast ausschließlich spanisch gesprochen, aber als sie jetzt nacheinander die Kammer des Seewolfs verließen, wandte sich Ben Brighton auf englisch an seinen Kapitän.

„Du glaubst doch wohl nicht, mir sei die Ironie entgangen, mit der du gesprochen hast, wie?“

„Nein, das glaube ich nicht.“

Ben hielt Hasard im dunklen Achterdecksgang am Arm zurück und raunte: „Bist du ganz sicher, daß die Mädchen kein Englisch verstehen?“

„Dan behauptet es.“

„Darauf können wir uns wohl verlassen“, erwiderte Ben. „Dan läßt sich so leicht nicht ins Bockshorn jagen. Darf ich ganz ehrlich reden?“

„Frei von der Leber weg, Ben.“

„An dem, was die Mädchen uns da erzählt haben, ist doch was faul.“

„Oberfaul, Ben.“

„Die wollen uns einen Bären aufbinden …“

„Und gerade deshalb will ich mir die Herberge ihres Erzeugers mal aus der Nähe ansehen“, sagte der Seewolf. „Ferris, Dan und die anderen haben natürlich auch gemerkt, daß ich mißtrauisch bin. Nur Segura und Franca ist nichts aufgefallen, und das ist so gut. Sie denken, wir gehen ihrem netten Märchen über die Angst vor Piraten und anderen Haderlumpen gründlich auf den Leim.“

„Diese Segura hat sich sehr aufmerksam in deiner Kammer umgesehen, Hasard.“

„Meinst du, das sei mir entgangen? Die Kostbarkeiten, die ich in den Schränken aufbewahre, haben es ihr angetan. Durch die verglasten Türen hat sie garantiert den goldenen Tukan, das goldene Malteserkreuz, die Smaragdkrone der Chibchas und andere Kleinigkeiten erkennen können“, erwiderte Hasard. „Ich kann verstehen, daß ein Mädchen da fasziniert ist, aber die Art, wie sich Seguras Gesichtsausdruck verändert hat, will mir nicht gefallen, Ben.“

„Dann sind wir uns ja einig.“

„Völlig.“

Sie traten durchs Schott auf die Kuhl hinaus. Es regnete noch immer, aber der Sturmwind hatte etwas nachgelassen und auch die Schiffsbewegungen wurden allmählich ruhiger. Hasard trat vor die Querwand des Achterkastells. Er stand frei und glich durch geschickte Beinarbeit das Schlingern der Galeone aus.

„Profos“, sagte er. „Du begleitest mich. Ben, Ferris und Shane, ihr seid ebenfalls mit von der Partie. Schnappt euch die Fässer, wir entern in das Boot ab. Donegal!“

„Sir?“

„Du übernimmst während unserer Abwesenheit das Kommando über die ‚Isabella‘.“

„Danke, Sir. Soll ich gefechtsklar gehen?“

Der Alte hatte es auf englisch gesagt, und Hasard vergewisserte sich durch einen Blick zu Segura und Franca, daß sie es nicht verstanden hatten. Aus den Mienen der Mädchen ließ sich jedenfalls nichts Derartiges ablesen, kein Aufleuchten der Erkenntnis war in ihren Augen.

„Ja“, entgegnete der Seewolf. „Und wenn wir in zwei Stunden nicht wieder hier sind, schickst du einen Stoßtrupp los. Das Haus befindet sich keine Meile entfernt in nördlicher Richtung, soweit ich verstanden habe. Dort müßt ihr nach uns suchen, wenn wir nicht wieder erscheinen.“

„Aye, Sir.“

Die Männer blickten sich verstohlen untereinander an. Es war jetzt allen klar, daß Hasard Unrat witterte. Der Seewolf, Ben Brighton, Ferris Tucker, Big Old Shane und Edwin Carberry – das war schon eine „Elitetruppe“ für sich, und aus der Tatsache, daß sich Hasard persönlich an Land begab, sprach der Verdacht, der ihn bewegen mußte.

Er ließ sich nicht aufs Kreuz legen und ging den Dingen auf den Grund. Wenn sich hinter dem scheinbar harmlosen Benehmen der Mädchen eine Falle verbarg, dann wartete Hasard nicht ab, bis sie tatsächlich zuschnappte. Er forcierte die Entwicklung der Dinge – eine Taktik, die er schon oft mit Erfolg angewandt hatte.

Hasard lächelte Segura und Franca zu, die jetzt etwas unschlüssig am Schanzkleid stehengeblieben waren.

„Entschuldigt“, sagte er auf spanisch. „Aber ich habe meinen Männern noch ein paar Anweisungen geben müssen, ehe wir uns zum Ufer pullen lassen können. Ich will nicht, daß die Ladung unseres Schiffes in irgendeiner Weise gefährdet wird.“

Segura blickte ihm tief in die Augen. „Was habt ihr denn für Fracht, Capitán Drummond?“

„Getreide“, erwiderte Hasard, ohne eine Miene zu verziehen. „Weizen und Gerste aus Portugal für die leeren irischen Speicher. In unserem Heimatland hungern die Menschen, Segura.“

 

„Schrecklich“, sagte sie.

„Weißt du wirklich, wie das ist, wenn man nichts zu beißen hat?“

„Ja. Ich habe es erfahren. Am eigenen Leib.“