Seewölfe Paket 15

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7.

Pierre Servan wußte bereits, daß seine Mission nicht vergeblich sein würde, als er in die Bucht von Lannion einlief und den Hafen vor sich liegen sah.

Außer einer Menge Fischerbooten lagen sieben kleinere Schiffe vor Anker oder an den Kais, darunter fünf Schaluppen, ein englischer Kutter, den wahrscheinlich irgendwelche Piraten gekapert hatten, und ein Lugger.

Besonders der Lugger hatte es Servan angetan. Als er näher heran war und sah, daß der Dreimaster mit fast einem Dutzend Kanonen bewaffnet war, leckte er sich über die Lippen.

Er drehte sich zu Bauduc im anderen Boot um und wies auf das Schiff, aber Bauduc schüttelte zu seinem Erstaunen den Kopf.

Sie pullten bis zur Kaimauer. Servan sah, daß die Bordwache des Luggers ziemlich mißtrauisch war. Die drei Männer hielten Musketen in den Händen, und die Mündungen hatten sie auf die Männer in den beiden Fischerbooten gerichtet.

Servan bedauerte in diesem Augenblick, daß Yves Grammont den Hafen nicht mit seinen beiden Schiffen angelaufen hatte. Die Kanonen der „Louise“ und der „Coquille“ wären ein wesentlich besseres Druckmittel gewesen als die Mündungen ihrer paar Pistolen.

Niemand kümmerte sich um sie, als sie die Boote verließen. Pierre Servan befahl den Männern, hier unten im Hafen zu bleiben, während er und Bauduc die Kneipen aufsuchen würden, um die Kapitäne der im Hafen liegenden Schiffe zu überreden, an der Kaperung der beiden englischen Galeonen teilzunehmen.

Grammonts Männer murrten, aber anscheinend hatte keiner von ihnen einen direkten Befehl erhalten, Servan und Bauduc nicht aus den Augen zu lassen.

Nebeneinander schlenderten Servan und Bauduc auf den „Coq d’or“ zu, der als Treffpunkt der finstersten Gestalten in Lannion galt.

„Der Lugger wäre genau das richtige für uns“, sagte Servan, aber wieder schüttelte Bauduc den Kopf.

„Vergiß es“, sagte er. „Das ist das neue Schiff von Prudeau.“

Pierre Servan fluchte unterdrückt. Das hatte er nicht gewußt.

„Ich hab es an der Flagge erkennen können, die vom Besan hing“, fuhr Bauduc fort. „Wir können nur hoffen, daß er nicht verrücktspielt, wenn er uns sieht.“

„Er wird sich hüten“, knurrte Servan. „Bisher hat Grammont ihn immer noch in Ruhe gelassen, weil er seinem Bruder mal das Leben gerettet hat, aber wenn er sich aufspielt, wird Grammont ihm den Kopf abschneiden.“

„Dennoch wird er uns nicht helfen.“

Servan nickte. „Das wird er nicht tun, aber er soll sich hüten, die anderen zu bequatschen, es ebenfalls nicht zu tun.“

Sie betraten den „Coq d’or“. Wie ein dumpfes Grollen quoll ihnen der Lärm aus den Kellergewölben entgegen, in denen Louis Silvain seine Piratenkneipe untergebracht hatte. Servan konnte sich noch an Zeiten erinnern, als der „Coq d’or“ fast täglich von Soldaten durchsucht wurde. Deshalb hatte Louis Silvain fast ein halbes Dutzend heimliche Ausgänge aus seinen Gewölben geschaffen, durch die die Piraten bei Razzien entwischen konnten.

Servan klopfte an die schwere Eichentür, und eine kleine Klappe öffnete sich nach einer Weile.

Ein feistes Gesicht zeigte sich in dem Ausschnitt, und Servan sagte: „Bonjour, Mama Fifi.“

Die großen dunklen Augen in dem vom Alkohol aufgequollenen Gesicht weiteten sich.

„Monsieur Pierre Servan!“ rief die Frau mit sonorem Baß. „Ist das eine Freude!“

Die Eichentür wurde aufgezogen, und Servan und Bauduc konnten über ein paar abgewetzte Steinstufen das Gewölbe betreten, in dem ein unbeschreiblicher Lärm herrschte. Von einer Art Galerie hinunter konnte Servan in den großen Raum blicken, an dessen rechter Seite sich riesige Weinfässer befanden. Sie waren nicht mit Wein gefüllt, sondern offen. Louis Silvain hatte einen schmalen Tisch und Bänke hineingestellt.

Die andere Seite des niedrigen Raumes wurde über die ganze Breite von einem Tresen eingenommen, hinter dem drei Männer unaufhörlich die Krüge und Becher der Zecher auffüllten.

Mädchen in bunten Röcken und mit Blusen, die mehr zeigten als verbargen, bedienten die Kerle, die sich in den Fässern und an den langen Holztischen herumflegelten.

Auf einem der langen Holztische stand ein Stuhl, und darauf saß ein bunt herausgeputzter Kerl, der das große Wort führte.

Pierre Servan und Jean Bauduc erkannten ihn sofort. Das war Prudeau, der Widersacher Yves Grammonts.

Servan wußte, daß es eines Tages mal zu einer Konfrontation zwischen ihnen kommen würde. Noch gingen sie sich aus dem Wege, doch beide hatten sich zum Ziel gesetzt, alleinige Herrscher an den Küsten der Bretagne zu werden.

Mama Fifi drängte sich an Servan vorbei. Sie strahlte ihn an und quetschte ihren fetten Busen gegen seinen Oberarm.

Er verzog gequält das Gesicht. Es war zwei Jahre her, da hatte er sich mit besoffenem Kopf mal vergessen und sich von ihr in eine Kammer schleppen lassen. Seitdem war sie hinter ihm her, sobald er sich in Lannion sehen ließ.

„Hast du diese Nacht Zeit für mich, Pierre?“ flüsterte sie ihm mit ihrem Baß ins Ohr.

„Ich habe eine wichtige Aufgabe Grammonts zu erledigen“, erwiderte Servan. „Ich kann dir nichts versprechen, Mama Fifi.“

Enttäuschung malte sich in ihren Augen.

„Magst du mich nicht mehr?“

„Aber nein“, sagte er schnell, denn er wußte, wie sehr sie ihm nutzen konnte. „Es hängst davon ab, wie schnell ich meine Aufgabe erledige.“

„Dann beeil dich!“ flüsterte sie. „Ich werde mich für dich schön machen.“

„Mein Gott“, sagte Jean Bauduc, nachdem sie abgerauscht war, „wie hältst du das nur aus?“

„So übel ist sie gar nicht“, erwiderte Servan grinsend, „sie kennt ein paar Sachen, einen Mann in Stimmung zu bringen, die andere ein Leben lang nicht erlernen.“

Jean Bauduc zuckte mit den Schultern. Die Geschmäcker waren nun mal verschieden. Er ging hinter Pierre Servan die Stufen von der Galerie hinunter ins Gewölbe. Prudeau schwang große Reden. Er berichtete mal wieder von seinen Heldentaten, und er verstand es, sie aufzubauschen, als hätte er ganz allein Kriege gewonnen.

Servan sah die Augen eines kleinen Mannes auf sich gerichtet. Er kannte den Italiener. Sein Name war Filippo, und er war so etwas wie die rechte Hand Prudeaus.

Filippo stieß seinen Meister an, und als der sich zu ihm umdrehte und seine Rede unterbrach, wies er auf Servan und Bauduc, die am Ende des Tresens standen und bei einem der Männer einen Krug Wein bestellten.

Auf einmal wurde es leise im Gewölbe. Alles starrte zum Tresen, wo Servan und Bauduc standen.

Servan setzte ein freundliches Gesicht auf.

„Hallo, Prudeau!“ sagte er laut, und seine Stimme drang als Echo bis in den letzten Winkel des Gewölbes.

Eine Tür knarrte, und in ihrem Rahmen stand Louis Silvain, der Wirt des „Coq d’or“. Seine Glatze schimmerte im Licht der Öllampen wie poliert.

Pierre Servan grinste ihn an. Er wußte, daß Silvain mit Yves Grammont befreundet war und Prudeau lange nicht so zugetan war, wie es den Anschein hatte. Von Silvain konnte er im Notfall immer Hilfe erhalten.

„Sieh mal an, Servan und Bauduc, die gefürchteten Piraten von Concarneau“, sagte Prudeau mit dröhnander Stimme. „Wo schleicht sich denn euer größenwahnsinniger Anführer herum?“

„Er kapert gerade deinen Lugger“, sagte Pierre Servan gelassen.

Das abfällige Grinsen in Prudeaus Gesicht verschwand. Es lief rot an. Er sprang mit einem Satz vom Tisch und brüllte: „Dieser hinterhältige Hund! Kann er nicht einmal bei seinen Freunden die Finger von fremdem Eigentum lassen? Los, Männer, mir nach! Wir jagen den Höllensohn dorthin, wohin er gehört!“

Servan lachte laut.

„Du weißt, daß Grammont einem Freund niemals etwas stehlen würde, Prudeau“, sagte er. „Es war nur ein kleiner Scherz. Dennoch meine ich, daß es ziemlich leichtsinnig von dir ist, dein schönes neues Schiff mit nur drei Wachen an Bord im Hafen liegen zu lassen.“

Das Gesicht des Piraten hatte sich noch mehr gerötet. Er verstand keinen Spaß. Nicht auf diese Art. Drohend näherte er sich Servan und Bauduc.

Während sich Jean Bauduc verängstigt hinter Servans breiten Rükken zurückzog, grinste dieser Prudeau frech entgegen. Er wußte, daß Grammonts Name ihn mehr beschützte als seine Waffen, die er bei sich trug.

„Du hältst dich wohl für sehr witzig, wie?“ stieß Prudeau hervor, als er dicht vor Servan stand. „Vielleicht sollte Filippo dich mal ein bißchen mit dem Messer kitzeln, damit du selbst über deine Witze lachen kannst.“

„Meinst du, daß er mit einem Loch im Kopf sein Messer ziehen kann?“ fragte Servan, der sein Grinsen beibehielt.

Prudeau warf einen kurzen Blick auf die Pistole, die in Servans Gürtel steckte.

Er schüttelte den Kopf.

„So schnell bist du nicht“, sagte er.

„Ich nicht“, erwiderte Servan, „aber Mama Fifi hat bisher noch alles getroffen, auf das sie gezielt hat.“

Die Köpfe der Männer ruckten herum, und der kleine Italiener wurde blaß, als er die Mündung der langen Pistole auf sich gerichtet sah, die Mama Fifi in der Rechten hielt.

„Nimm die Kanone runter, Mama Fifi“, sagte Louis Silvain. „Hier wird nicht geschossen.“

„Dann schneide ich dem Italiener den Kopf ab, wenn er wagt, Pierre was anzutun!“

„Schon gut“, murmelte Prudeau, „ich glaube, es gibt noch mehr Leute hier, die keinen Spaß verstehen. Also, wo ist Grammont, der alte Saufkopf?“

„Er kreuzt draußen auf See“, sagte Servan, der wieder ernst geworden war. „Er spielt mit zwei englischen Galeonen Katz und Maus, bis sich eine Gelegenheit ergibt, sie anzugreifen.“

 

„Seid ihr mit euren vier Schiffen nicht Manns genug, zwei Engländer zu kapern?“ fragte Prudeau.

„Wir haben das erste Gefecht hinter uns“, erwiderte Pierre Servan gepreßt. „Sie haben uns in der Bucht von Sillon de Talbert eine Falle gestellt. Sie sahen aus wie harmlose Kauffahrer, aber sie hatten getarnte Stückpforten. Sie warteten, bis wir zu feuern begannen, aber dann gaben sie es uns zurück, daß uns Hören und Sehen verging. Ehe wir uns richtig erholt hatten, waren meine ‚Antoine‘ und Bauducs ‚Petite Fleur‘ versenkt. Yves ‚Louise‘ wurde ziemlich angeschlagen.“

Der Bericht freute Prudeau offenbar so sehr, daß er Wein für alle bestellte. In seinen Augen spiegelte sich der Spott wider, den er nicht ausprechen wollte.

„Grammont hat Bauduc und mich vor Lannion ausgesetzt, um Verstärkung zu holen“, fuhr Servan fort. „Er hat mich beauftragt, jedem von euch zu sagen, daß es nicht sein Schaden sein wird, wenn er mit Grammont gegen die Engländer kämpft. Die Prise wird nicht schlecht sein, und einen Großteil will er für seine Helfer bereithalten, weil ihm seine Rache an den Engländern wichtiger ist als alles andere. Das Angebot gilt natürlich auch für dich, Prudeau. Die Besatzung deines Luggers liegt sicher bei vierzig Mann, oder?“

„Zweiunddreißig“, erwiderte Prudeau, „und jeder von ihnen ist mehr wert als drei der Kreaturen, die auf Grammonts Schiffen herumkriechen.“

„Um so besser“, sagte Servan, der es sich in dieser Situation nicht leisten konnte, den Beleidigten zu spielen. „Du wirst sicher Grammont deine Hilfe nicht versagen, Prudeau, oder?“

„Oder“, sagte Prudeau. „Ich denke nicht daran, für Grammont meine Haut zu Markte zu tragen. Wir haben mit meinem Schiff erst vor Tagen eine gute Prise aufgebracht und wollen uns einmal für ein paar Wochen erholen. Bestell Grammont, daß er dann noch einmal nachfragen kann.“

Filippo begann zu kichern, und die anderen Männer Prudeaus lachten aus vollem Hals.

„Yves wird das nicht gerne hören“, sagte Pierre Servan kalt. „Es könnte sein, daß du deine Worte eines Tages sehr bedauerst.“

„Ich habe in meinem Leben noch niemals etwas bedauert, das ich getan oder gesagt habe“, entgegnete Prudeau. „Und nun such dir deine Helfer woanders. Hier wirst du keine finden.“

Servan schaute sich um. Prudeau hatte recht. Wahrscheinlich hielten sich im „Coq d’or“ nur seine Leute auf. Er sah für einen Moment den traurigen Blick von Mama Fifi, die ahnte daß es nun mit ihrer Liebesnacht nichts werden würde. Sie winkte ihn zu sich, und er gab Bauduc ein Zeichen, daß er ihm folgen solle.

Mama Fifi ließ sie durch eine schwere Bohlentür und schloß sie hinter ihnen. Sofort war der Lärm, der vorn im Gewölbe nach Prudeaus Ablehnung wieder herrschte, nur noch als leises Gemurmel zu vernehmen.

„Was willst du, Mama Fifi?“ fragte er, als sie in dem von einer blakenden Fackel erhellten Gang standen.

Sie öffnete den Mund zu einer Antwort, doch in diesem Augenblick erschien Louis Silvain durch eine andere Tür.

Er eilte auf Servan zu und drückte ihm die Hand.

„Dieser verfluchte Hund!“ stieß er hervor. „Wenn Yves ihn das nächstemal sieht, soll er ihm endlich die Kehle durchschneiden, bestell ihm das von mir.“

Servan nickte.

„Das hilft uns aber nicht, Louis“, sagte er. „Weißt du, wem der Kutter gehört?“

„Auch Prudeau“, sagte Louis zerknirscht. „Mit ihm hat er den Lugger gekapert. Du mußt schon mit den Schaluppen vorlieb nehmen. Ihre Besitzer haben sich bei Leblanc einquartiert. Sie wollten Prudeau aus dem Weg gehen. Der Kerl schnappt ihnen in letzter Zeit alle fetten Brokken vor der Nase weg. Sie werden gegen gute Bezahlung sicher bereit sein, Yves zu helfen. Wenn er ihnen dazu noch verspricht, Prudeau zum Teufel zu jagen, gehen sie für ihn mitten durch die Hölle.“

„Versprechen kann man es ja erst mal“, meinte Servan. „Gibt es von hier einen Ausweg zur Straße? Ich möchte nicht gern durchs Gewölbe zurück.“

Louis Sivain nickte.

„Mama Fifi wird euch führen“, sagte er. „Du solltest sie nicht enttäuschen.“ Er näherte sich mit seinem Mund Servans Ohr. „Und wenn es nur alle zwei Jahre einmal ist, es stimmt sie so glücklich.“

Du hast gut reden, dachte Servan und nickte Silvain zu, bevor der Glatzkopf wieder hinter seiner Tür verschwand.

„Was hat der Schweinehund dir ins Ohr geflüstert?“ fragte Mama Fifi grollend.

„Er hat mir nur gesagt, daß ich mir ein bißchen Zeit für dich nehmen sollte, weil du schon solange auf mich gewartet hast“, erwiderte Servan grinsend.

„Das hat er wirklich gesagt?“ Mama Fifi konnte es nicht recht glauben. Offensichtlich hatte sie in Louis bisher immer einen Feind vermutet, der ihr nicht die kleinste Freude im Leben gönnte.

Sie strahlte und schob Servan vor sich her. Bauduc, der ihnen folgte, beachtete sie nicht weiter.

Sie gelangten durch einen verwinkelten Gang auf eine enge Gasse. Der Himmel in dem schmalen Ausschnitt über ihren Köpfen war dunkelrot von der untergehenden Sonne. Servan dachte daran, daß ihnen nicht mehr sehr viel Zeit blieb. Wenn sie vor dem Morgengrauen auslaufen wollten, mußten sie die Nacht über noch einige Vorbereitungen treffen. Sicher waren die fünf Schaluppen nicht innerhalb einer Stunde auslaufbereit.

Wenn Servan für jede der Schaluppen etwa zehn Mann Besatzung rechnete, waren es fünfzig Männer, die an dem Gefecht gegen die englischen Galeonen teilnehmen konnten. Die Schaluppen hatten fast alle vier Geschütze, wie er bei der Einfahrt in den Hafen gesehen hatte. Mit ihrer Wendigkeit konnten sie den Engländern ganz schön zusetzen.

Mama Fifi führte sie zu Leblanc, dessen Kneipe im Gegensatz zu Louis Silvains Kellergewölbe ebenerdig und für jedermann offen war.

Hier hatte Servan keinerlei Schwierigkeiten, wie Silvain ihm schon versichert hatte. Die fünf Kapitäne der Schaluppen waren von der Aussicht einer fetten Belohnung so begeistert, daß sie sofort einschlugen. Der Name Yves Grammonts hatte bei ihnen einen guten Klang. Er galt als ein Mann, der seine Vereinbarungen zu halten pflegte.

Mama Fifi strahlte über ihr ganzes fettes Gesicht, als sie sah, wie schnell sich die Männer einig geworden waren. Sie wartete ab, bis Servan alle Einzelheiten mit ihnen durchgegangen war und sich mit ihnen eine Stunde vor Einbruch der Dämmerung unten am Hafen verabredet hatte, dann zerrte sie Servan aufgeregt an der Jacke.

„Wir haben noch ein paar Stunden Zeit, Süßer“, sagte sie ungeduldig wie eine Braut vor der Hochzeitsnacht. „Schick den dicken Bauduc weg. Ich möchte mir dir allein sein.“

Servan wußte, daß er ihr diesmal den Wunsch nicht abschlagen konnte. Er beschloß, die paar Stunden zu nutzen, nahm sich von Leblanc vier Krüge Wein mit, von denen er drei Mama Fifi tragen ließ, verabschiedete sich von Bauduc, der sich um Grammonts Leute kümmern wollte, damit sie keinen Krach mit den Piraten von Prudeau anfingen, und ließ sich dann von Mama Fifi den Weg zurück zum „Coq d’or“ schieben, wo sie eine Kammer mit einem breiten Himmelbett ihr eigen nannte.

8.

Sie waren mit ihren Booten dicht unter der Küste geblieben. Weiter draußen auf dem Meer lag ein dichter Nebelteppich, und weder von der „Hornet“ und der „Fidelity“ noch von den Piratenschiffen war irgend etwas zu sehen gewesen.

Sie hatten die Bucht von Lannion in knappen drei Stunden erreicht und mußten bis zum Einbruch der Dunkelheit noch eine Stunde in einer kleinen Bucht östlich von Lannion warten.

Nur einer von den Fischern kannte sich in Lannion etwas aus. Er wußte, wie der Hafen beschaffen war, und wenn viele Schiffe dort vor Anker lagen, würde es nicht einfach sein, unbemerkt an Land zu gelangen.

Die Fischer schienen wesentlich optimistischer zu sein als Carberry und Dan O’Flynn. Sie wollten sich nicht damit zufriedengeben, die beiden Boote zurückzuerobern, nein, sie wollten den Engländern helfen, zu erfahren, wie viele Verbündete die Piraten in Lannion gefunden hatten.

„Uns wird niemand verdächtigen“, hatte der junge Guy Brurac gesagt. „Wir gehen in die Kneipen und hören zu, was so geredet wird.“

Carberry hatte ihn nicht zurückhalten können, und im Grunde wollte er das auch nicht. Eigentlich hatte der junge Bretone recht. Was sollte ihnen schon geschehen?

Als sie in den Hafen von Lannion pullten und Carberry den Kutter und den größeren Lugger sah, der mit fast einem Dutzend Kanonen bewaffnet war, wurde ihm einigermaßen mulmig zumute. Wenn es den Piraten gelang, diese Schiffe als Unterstützung zu gewinnen, sah es schlecht um die „Hornet“ und die „Fidelity“ aus. Dann blieb ihnen nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten.

Der Jubel der Fischer war unbeschreiblich, als sie ihre Boote an der Kaimauer entdeckten. Carberry mußte sie zur Ordnung rufen, sonst wären sie wahrscheinlich grölend darauf zugestürzt.

Guy Brurac hatte seine Männer schnell wieder unter Kontrolle.

„Erst sehen wir uns die Kneipen an“, sagte er bestimmt. „Je zwei von uns nehmen einen Engländer mit, den wir zur Not als Stummen ausgeben können. Sie haben einen besseren Blick dafür, wer ein Gegner sein könnte. Nach zwei Stunden treffen wir uns wieder bei unseren Booten, und dann werden wir die beiden anderen kapern.“

Sie waren Feuer und Flamme. Für sie war die harte Arbeit des Fischfangs auf dem Meer das tägliche Brot. Abenteuer wie dieses erlebten sie in Jahren nur einmal.

Nachdem Guy Brurac sie eingeteilt hatte, verschwanden sie in den dunklen Hafengassen. Die Gruppe mit Carberry versuchte es als erstes im „Coq d’or“, aber da wurden sie nicht eingelassen. Carberry hätte sich am liebsten mit Gewalt Einlaß verschafft, aber er wußte, daß sie kein Aufsehen erregen durften.

Guy Brurac und ein kleinerer blonder Bretone hatten Dan O’Flynn bei sich. Sie suchten unter anderem ein Bistro auf, dessen Besitzer Leblanc hieß, wie ein Schild über dem Eingang kundtat.

In dem Laden herrschte eine ungeheure Hektik. Eine Menge Leute schienen sich auf einen Aufbruch vorzubereiten, und aus Worten, die hin und her flogen, hörte Brurac heraus, daß die Männer im Morgengrauen ankerauf gehen wollten.

Einen der Männer, die am Tresen einen Becher Rotwein tranken, sprach Brurac an.

„Ein schönes Schiff da draußen im Hafen“, begann er. „Auf so einem Lugger zu fahren, müßte Spaß bringen.“

„Du bist ein Dummkopf, Fischer“, erwiderte der Mann neben Brurac, der ihn an seiner Kleidung sofort als Fischer erkannt hatte. „Das Schiff gehört Prudeau, dem schlimmsten Galgenvogel, der je die bretonische Küste rauf und runter gefahren ist. Wenn du zu dem an Bord gehst, mußt du deine Seele dem Teufel verschreiben.“

Brurac zuckte mit den Schultern.

„Ich fürchte den Teufel nicht“, sagte er.

„Dann kennst du Prudeau nicht“, erwiderte der Mann.

„Gehört ihr denn nicht zu dem Schiff?“ fragte Brurac und versuchte, so einfältig wie möglich zu erscheinen. Offenbar gelang ihm das gut, denn der andere äußerte nicht eine Spur von Mißtrauen.

„Gott bewahre!“ sagte der Mann. „Nichts gegen das Schiff, es würde mir schon gefallen, aber bevor ich mich mit dem Teufel einlasse, bleibe ich lieber auf meiner Schaluppe.“

„Ja, die habe ich auch gesehen“, sagte Brurac. „Fünf schöne Schaluppen. Geht ihr mit dem Lugger morgen früh ankerauf?“

Jetzt runzelte der Mann die Augenbrauen. Der Bursche stellte eine Menge Fragen. Aber die Neugier der Fischer, die hinter dem Mond wohnten, war den Männern von Lannion nur allzu bekannt.

„Der Lugger von Prudeau und auch sein Kutter haben nichts mit unseren Schaluppen zu tun“, sagte er grollend. „Es sei denn, wir bohren ihnen beim Auslaufen noch eine Kugel unter die Wasserlinie.“

Guy Brurac lachte.

„Mir scheint, ihr seid auch rechte Teufel“, sagte er.

Der Mann begann zu grinsen.

„Worauf du dich verlassen kannst, Bursche“, erwiderte er. „Schon morgen werden das ein paar englische Hundesöhne zu spüren kriegen.“

Guy Brurac gab dem Mann einen Becher Wein aus, unterhielt sich mit ihm noch über einige belanglose Dinge, dann hatte der andere keine Zeit mehr.

„Ich muß noch einiges besorgen“, sagte er. „Tut mir leid, mein junger Freund, aber ich muß dich alleinlassen.“

„Viel Glück!“ rief Brurac dem Kerl nach, dann zwinkerte er Dan O’Flynn und seinem zweiten Begleiter zu.

Nach wenigen Minuten verließen sie Leblancs Bistro, und Guy Brurac berichtete Dan, was er erfahren hatte. Der Lugger und der Kutter würden also nicht an der Jagd auf die Engländer teilnehmen. Blieben nur die fünf Schaluppen.

 

Immer noch ein schöner Brocken, dachte Dan, aber das müßte zu schaffen sein. Vor denen brauchen wir nicht Reißaus zu nehmen.

Sie schlenderten langsam zurück. Guy Brurac war mächtig stolz auf den Erfolg, den sie gehabt hatten. Unterwegs trafen sie zwei weitere Gruppen mit Matt Davies und Stenmark. In kurzen Worten informierte Dan sie von dem, was Brurac erfahren hatte.

Matt nickte. Sein Fischer hatte etwas Ähnliches erfahren. Der Kerl, dem der Lugger und der Kutter gehörten, schien in Lannion nicht sehr beliebt zu sein.

Stenmark rieb sich die Hände.

„Das ist ein Landausflug nach meinem Geschmack“, sagte er leise zu Dan.

Dan zog die Nase kraus. Er roch Stenmarks Fahne deutlich, obwohl der Schwede zwei Schritte neben ihm ging.

„Wenn ihr Schweden Wein oder Schnaps seht, seid ihr nicht eher zufrieden, bis alles ausgesoffen ist“, erwiderte er und schüttelte mißbilligend den Kopf. Sein Gesicht zeigte dabei allerdings ein Grinsen. Er nahm sich vor, ein bißchen auf Stenmark aufzupassen. Im angetrunkenen Zustand war der Schwede unberechenbar. Und schließlich hatten sie an diesem Abend noch etwas vor.

Am Hafen war zu dieser Stunde mehr los als zu der Zeit, da sie ihre Boote am Ende der Kaimauer festgezurrt hatten. Rufe schallten hin und her. Männer trugen Lasten zu den Schaluppen, bei denen es von Leuten nur so wimmelte.

Carberry warf einen kurzen Blick zu dem Lugger und dem Kutter hinüber, aber da blieb alles still. Kurz nachdem sie vergeblich versucht hatten, in den „Coq d’or“ eingelassen zu werden, hatte Carberry beobachtet, daß drei Männer die unterirdische Kneipe verlassen hatten und zu dem Lugger hinausgepullt waren. Er hatte vermutet, daß jetzt alle Piraten von irgendwoher auftauchen würden, doch es blieb still. Carberry nahm an, daß der Besitzer des Luggers nur seine Wachen für die Nacht verstärken wollte.

Er ging mit seinen beiden Franzosen noch durch ein paar dunkle Gassen und suchte zwei Kneipen auf, in denen aber nichts los war. Ziemlich enttäuscht war er bereits nach einer knappen Stunde wieder zurück am Hafen, hatte sich zu den beiden Fischerbooten zurückgezogen und beobachtete das Treiben bei den Schaluppen, das allmählich einsetzte.

Dann entdeckte er die beiden Kerle, die in der Nähe der beiden Boote, mit denen die Piraten nach Lannion gepullt waren, am Stamm einer Platane lehnten.

Carberry zuckte richtig zusammen, als ein kleiner Mann mit einem breiten Waffengurt um den Schultern auf die beiden zutrat und kurz mit ihnen sprach. Der Pirat hatte einen ziemlichen Bauch, aber das allein war es nicht, was Carberry erregte. Er war. überzeugt, daß er diesen Burschen schon einmal gesehen hatte. Und zwar bei der Keilerei auf der Lichtung, als Hasards Gruppe von den schiffbrüchigen Piraten in die Falle gelockt worden war.

Carberry preßte die Lippen aufeinander. Er konnte nur hoffen, daß der Pirat nicht ebenso einen von ihnen erkannte, wenn er ihm zufällig in den Gassen des Hafenstädtchens begegnete.

Die zwei Stunden waren noch nicht ganz vergangen, als die ersten Gruppen bei ihm eintrafen. Sie hatten nicht viel gehört. Die Piraten, denen sie begegnet waren, hatten finstere Gesichter gezogen und auf Fragen der Fischer nur unwirsch reagiert.

Nur Jack Finnegan hatte mehr Erfolg gehabt.

„Die Kerle, die mit den Fischerbooten hier aufgetaucht sind, gehören zu einem gewissen Yves Grammont“, sagte er zu Carberry. „Der Kerl soll in letzter Zeit viele englische Schiffe gekapert haben. Der Lugger und der Kutter gehören einem Prudeau, und der soll mit Grammont überkreuz sein. Sie können sich gegenseitig wohl nicht ausstehen.“

Carberry wiegte den Kopf. Viel war damit nicht anzufangen. Wenn sich die beiden Piratenkapitäne auch nicht leiden konnten, so mußte das noch nicht bedeuten, daß sie nicht gemeinsam auf englische Schiffe losgehen würden.

„Und die Schaluppen?“ fragte Carberry.

Finnegan zuckte mit den Schultern.

„Haben alle einen anderen Besitzer“, erwiderte er. „Arme Schlucker, heißt es. Prudeau soll ihnen die fettesten Bissen vor der Nase wegschnappen. Wenn jemand diesem Grammont hilft, dann werden sie es sein.“

Carberry wandte den Kopf.

Er sah Dan und den jungen Guy Brurac wie Schatten auftauchen. An den Gesichtern der beiden las er ab, daß sie offensichtlich Erfolg gehabt hatten.

„Na?“ fragte Carberry, als sie bei ihm waren.

„Alles nicht so schlimm“, sagte Dan O’Flynn. „Außer den fünf Schaluppen läuft hier niemand aus, um den anderen draußen zu helfen.“

Dan blickte den Profos an. Er hatte mehr Begeisterung erwartet. Schließlich hing von dieser Information vielleicht ihr Leben ab.

„Haben die anderen das gleiche herausgefunden?“ fragte er enttäuscht.

Carberry schüttelte den Kopf.

„Woher habt ihr es?“ fragte er.

„Von einem Piraten, der auf einer der Schaluppen fährt. Der Lugger und der Kutter gehören einem Prudeau, der ein wahrer Teufel sein soll. Aber der läuft nicht mit aus.“

Carberry nickte grimmig. Das paßte mit Jack Finnegans Bericht zusammen. Sie konnten also ziemlich sicher sein, daß sie die richtigen Informationen gesammelt hatten.

Noch bevor die zwei Stunden um waren, hatten sich alle wieder bei ihren Booten eingefunden. Stenmark, der inzwischen zu wanken begonnen hatte, sagte mit schwerer Stimme: „Warum kapern wir nicht den Lugger, schießen alle anderen Boote zusammen und hauen dann ab?“

Die Seewölfe grinsten sich gegenseitig an. Das war eigentlich kein schlechter Gedanke. Aber Carberry winkte schließlich ab.

„Wir haben einen bestimmten Befehl von Hasard“, sagte er bedauernd. „Wir müssen an die Fischer denken. Außerdem sind an Bord des Luggers mindestens ein halbes Dutzend Wachen. Die ganze Sache wäre zu riskant.“

„Ihr könnt ja auf mich warten“, lallte Stenmark, „dann werde ich den Lugger allein entern.“

„Das könnte klappen“, sagte Dan trocken. „Die Kerle fallen sofort tot um, wenn sie deine Fahne riechen.“

„Wo hat der denn soviel saufen können in der kurzen Zeit?“ fragte Carberry verwundert.

Stenmark grinste von einem Ohr zum anderen und holte eine Flasche hervor.

„Erstklassiger Rum – hupp“, sagte er.

„Mann“, sagte Matt Davies zu Carberry, „paß bloß auf, daß der nicht gleich seine dreckigen schwedischen Lieder anstimmt.“

Mit einem kurzen Blick gab er Blacky und Paddy Rogers den Auftrag, sich mit sanfter Gewalt um Stenmark zu kümmern. Blacky hatte da so seine Erfahrungen. Er wußte, daß der den Schweden in diesem Zustand wie ein rohes Ei behandeln mußte. Wenn ihn jemand krumm anredete, ging er in die Luft wie eine von Ferris Tuckers Flaschenbomben.

„Wieviel hast du denn noch in der Flasche drin?“ fragte Blacky.

Stenmark grinste. Er reichte Blakky die Flasche. „Los, nimm einen Schluck – hupp. Wenn wir sie aushaben, entere ich den Lugger.“

„Ich helfe dir“, sagte Blacky. „Aber wir müssen mit einem Boot hinüberpullen. Laß uns schon mal einsteigen. Wir können auch im Boot die Flasche aussaufen.“

„Gute Idee – hupp“, sagte Stenmark, und wenn Blacky ihn nicht festgehalten hätte, wäre er ins Hafenbecken gefallen.

Mit vereinten Kräften brachten sie Stenmark in eins der Boote hinunter, wo er genußvoll weitersoff. Blacky hatte sich inzwischen entschlossen, Stenmark eins über die Rübe zu geben, wenn er die Flasche ausgetrunken hatte und immer noch den Wunsch verspürte, ganz allein den Lugger zu kapern.

Carberry teilte die Fischer ein. Sie wollten zuerst protestieren, weil sie am liebsten mitgemischt hätten, doch Carberry konnte sie durch Finnegan überzeugen, daß sie nicht die Erfahrung der Engländer hatten, wenn es darum ging, Piraten zu überwältigen.

Sie sollten das eine Boot besteigen und langsam zu den beiden anderen hinüberpullen. Während Carberry und die Seewölfe sich um die Männer an Land kümmerten, konnten die Fischer die beiden Boote unbemerkt in ihre Gewalt bringen.

Der Profos wartete, bis die Fischer in ihrem Boot waren. In der Dunkelheit waren sie kaum zu sehen. Das Licht der Fackeln, die drüben bei den Schaluppen brannten, reichte kaum bis hierher.

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