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Die große Gauklerin

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Ettores Gesicht, das zu Anfang dieser Rede noch lächelnd, ja, ein wenig unterwürfig ausgesehen hatte, wurde jetzt finster, und seine Augen flimmerten zornig. Er sagte grob:

»Beruhige Dich, ich werde Dich nie mehr in Anspruch nehmen. Man ist ja, Gott sei Dank, auf Dein Geld nicht angewiesen!«

»Um so besser für Dich!«

»Ja wahrhaftig! Blut bleibt eben Blut, und Eleonore ist eine Priuli, nicht eine deutsche Kleinkrämerin wie Du!«

Da Ettore so verständlich andeutete, daß er ein andermal den reichen Mann der Schwester in Anspruch nehmen würde, erschrak Elisabeth, wollte aufschreien, daß um nichts auf der Welt Ettore jemals bettelnd zu Lissignolo gehen dürfe, aber sie besann sich und wandte sich nur schweigend von ihm ab.

Von diesem Tage an haßte Ettore seine Frau. –

Unaufhörlich erwog nun Elisabeth in ihrem Kopf die Frage, ob Ettore wirklich einmal den verächtlichen Mut haben würde, mit fordernder Hand vor seinen Schwager hinzutreten. Sie konnte es nicht glauben, hielt es nur für eine brutale Renommisterei, mit der er sie hatte ärgern wollen, denn sie hatte immerfort das Gefühl, als ob sie alle Lissignolo gegenüber schuldig wären, schuldiger als die alte Gräfin und Ettore freilich sie. In jener Nacht, da sie Eleonore bei der Heimkehr ertappt hatte, war es ihr wohl selbstverständlich erschienen, daß sie das Mädchen nicht verraten, nicht einen ungeheuren Skandal über die ganze Familie heraufbeschwören durfte. Freilich hatte sie damals geglaubt, daß Eleonorens wildes Blut sich in der Ehe sänftigen und daß sie zum mindesten den Versuch machen würde, Herrn Lissignolo eine gute Gattin zu sein. Sie hatte ja nichts, gar nichts von der verwegenen Psychologie dieses Mädchens erfaßt, das zugleich leidenschaftlich und berechnend, alles dem einen Gefühl unterordnete, von dem es beherrscht war, das Gut und Böse kaum mehr unterschied und nichts wollte als den Mann, dem es verfallen war. So lachte denn seit langem schon ganz Venedig über den ältlichen Bankier, der nicht merkte, wie seine Frau ihn betrog, wie sie mit dem Geld, das sie ihm abschmeichelte, zu dem Liebhaber lief, der immer verwöhnter, immer luxuriöser wurde und die Reitpeitsche hob, wenn Eleonore nicht genug brachte. Es schien Elisabeth unbegreiflich, wie dieselbe Frau den einen Mann so schamlos betrügen und dem andern so sklavisch ergeben sein konnte, und zu Anfang glaubte sie auch noch, daß Eleonore sich durch Vorstellungen von ihrem Irrtum abbringen ließe oder daß die Roheiten des Liebhabers sie ernüchtern und zur Besinnung bringen würden. Doch zum zweitenmal täuschte sie sich über diesen Frauencharakter und den Weg, der ihm vorgezeichnet war. Eleonore versprach zwar immer wieder alles, was man wollte, schwur bei allen Heiligen und beim Glauben an ihre ewige Seligkeit, daß sie sich aus den schmählichen Banden lösen würde, konnte nicht genug Schlechtes von dem Liebhaber erzählen, der sie mißhandelte und obendrein noch mit wahnsinniger Eifersucht quälte, lief aber doch wie eine Hypnotisierte zu ihm hin, sobald er schrieb: »Ich erwarte Dich!«

Da Elisabeth sah, daß alles vergebens war, zog sie sich unauffällig von Eleonore zurück, die aber trotzdem fast täglich in den Palazzo Priuli zu ihrer Mutter kam. Niemals betrat Elisabeth die Zimmer der alten Gräfin, wenn Eleonore da war, aber sie hörte bis in ihre Wohnung, daß es zwischen den beiden Damen Priuli häufig nichts weniger als friedlich herging. Sie zankten und schrien miteinander, und Elisabeth wußte, daß der Streit dann immer um Eleonorens Liebhaber ging. Die alte Gräfin hatte freilich nicht genau gewußt, aber doch geahnt und gefürchtet, daß alles so kommen würde, wie es gekommen war, und darum auch hatte sie nicht ins Haus zu der Tochter ziehen wollen. Vor der Zeit alt geworden, begriff sie nichts mehr von der seltsamen Hörigkeit, zu der eine unselige Leidenschaft verdammt, verstand nicht, daß es Eleonore nicht genügte, behaglich im Reichtum zu sitzen, und jammerte immer wieder, daß die Priuli eben kein Glück hätten. Elisabeth sagte ihr dann wohl einmal unter vier Augen:

»Du irrst Dich, die Priuli haben wohl Glück, aber sie geben keines!«

»O, sage das nicht! Sie verlieben sich nur immer in Menschen, die sie dann mißhandeln oder die nicht zu ihnen passen!«

Elisabeth hatte es längst aufgegeben, auf solche Reden zu antworten. Gerne überließ sie den Streit den beiden Damen, die nicht müde wurden, ihn zu erneuern. Mehr als einmal schon war Eleonore erhitzt, mit funkelnden Augen und schiefgerücktem Hut aus dem Zimmer ihrer Mutter gestürzt, hatte laut geschrien, daß es durchs Haus hallte: »Mai più … no, no, mai più …«, aber trotzdem war sie auch am nächsten Tag wieder gekommen, wie an allen vorhergehenden, und unter Tränen und Küssen feierten die beiden Frauen Versöhnung, die freilich kaum bis zum übernächsten Tag anhielt. Als Friedensstifter zwischen ihnen trat nicht selten Ettore auf, der an der Schwester hing wie in früheren Tagen, und mit der man ihn so häufig sah, als wären sie beide unvermählt. Mitunter schrie er die beiden Damen heftig an, daß sie nun endlich Ruhe geben sollten, mitunter brachte er sie durch sein scharmantes Wesen und ein paar Witze zu Heiterkeit, und weil er fühlte, daß er in dem Zimmer seiner Mutter etwas galt und etwas wie eine Macht vorstellte, saß er stundenlang mit der mamma und der Schwester beisammen und redete mit ihnen, was sie alle drei lebhaft interessierte, Nichtigkeiten und Klatsch. Zuweilen legten sie auch gemeinsam Patiencen, die, je nachdem sie ausgingen oder nicht ausgingen, eine Frage bejahten oder verneinten, am öftesten aber rückten sie ihre Stühle näher zusammen, sprachen leiser und sahen verstohlen nach der Tür, als ob draußen die stände, von der sie redeten und flüsterten, – Elisabeth.

Elisabeth dachte aber nicht daran, die Lauscherin zu spielen. Sie wußte, auch ohne daß ihr Ohr es hörte, was in der Wohnung ihrer Schwiegermutter vorging. Verstand, daß dort die fremde Brut saß, die zusammen gehörte und zusammenhielt, und sie hatte mitunter das Gefühl, als müsse sie ersticken vor Zorn und Ekel.

In der letzten Zeit, seit jener Nacht, da Ettore seinen Spielverlust gebeichtet, wendete sie freilich kaum mehr einen Gedanken an die Familienzusammenkünfte bei der alten Gräfin. Sie war jetzt erfüllt von einer beständigen inneren Unruhe, von einer Angst, als ob sie immerfort auf Glatteis dahinginge und jeden Augenblick tödlich stürzen könnte. Was blieb ihr zu tun, wenn Ettore nicht bloß zufällig einmal gespielt hatte, wenn das Spiel für ihn zu einer Leidenschaft wurde, der er besinnungslos alles opferte? Es war nur natürlich, daß sie, die in Offizierskreisen aufgewachsen war, sich über Spiel und Spieler keine Illusionen machte, daß sie ziemlich genau wußte, wie selten es vorkommt, daß einer nur einmal spielt und dann nie wieder. Jede Nacht legte sie sich jetzt mit der Furcht zu Bett, daß die schreckliche Szene von neulich sich wiederholen könne, und immerfort forschte sie heimlich in Ettores Gesicht, ob es heiter war oder verstimmt, horchte sie mit Herzklopfen auf, ob er in den Klub ging oder ob er ungewöhnlich spät nach Hause kam. Doch Woche auf Woche verstrich, Monat reihte sich an Monat, und nichts von dem, was sie ängstigte, war eingetroffen. Ettore war müßig, sorglos und heiter wie immer, nur wenn er zu seiner Frau sprach, hatte sein Mund einen gezerrten Ausdruck, und seine Augen flimmerten wie in verstecktem Haß. Elisabeths gespannte Nerven zitterten nun vor seiner heitern Miene mehr noch als vor seiner verstörten. Wie, wenn alles nur Schein, nur Komödie wäre, wenn er wieder und wieder gespielt hätte und durch die Schwester den Schwager in Anspruch nahm?! Sie fühlte, wie ihr heiß wurde bei der Vorstellung, daß sie vielleicht, ohne es zu wissen, Lissignolo noch mehr verschuldet sei als zuvor, daß vielleicht schon jetzt ganz Venedig bedauernd über sie die Achseln zuckte, geradeso wie über Lissignolo, der ja auch nicht wußte, was ihm geschah …

Neben diese peinlichen Vorstellungen trat eine nicht minder peinliche Wirklichkeit. Bis zu jener verhängnisvollen Nacht hatte Elisabeth die Verwaltung ihres Vermögens ganz und gar ihrem Mann überlassen, nun aber war ihr Vertrauen zu ihm geschwunden, und sie erkannte es als ihre Pflicht, selbst zur Bank zu gehen und sich den Stand ihres Besitzes klar darlegen zu lassen. Sie hatte Mühe, ihren Schreck zu verbergen, als der Beamte ihr die Ziffern des Kontos nannte, denn sie hatte nicht geglaubt, ja nicht einmal geahnt, daß die große Mitgift, die sie ins Haus gebracht hatte, binnen ein paar Jahren so rasch zusammenschmelzen konnte. Man konnte nicht daran denken, je wieder einzuholen, was Ettore in Gedankenlosigkeit oder Freude an Luxus vertan hatte, aber man mußte wenigstens trachten, den Besitz nicht weiter zu mindern und durch kleine, heimliche Einsparungen den allzu großen Haushalt allmählich einfacher zu gestalten. Elisabeth war ja nur ganz kurze Zeit ein reiches Mädchen gewesen, hatte die längste Zeit ihres Lebens die Existenz der armen Offizierstochter geführt, aber es tat ihr jetzt doch bitter weh, daß die schöne Sorglosigkeit dieser letzten Jahre schon wieder vorüber war, daß sie wieder wie einst hinter einer glänzenden Außenseite Geldsorgen und Kümmernisse verstecken sollte.

Seit der Taufe des ersten Kindes war Elisabeths Vater nur mehr vorübergehend in Venedig gewesen. Er ging dem Schwiegersohn aus dem Wege, denn wenn Elisabeth auch nie direkt über Ettore klagte, so las der Oberst doch aus ihrem müden Gesicht und zwischen den Zeilen ihrer Briefe, daß sie nicht glücklich war. Als sie ihm dann in der Erregung über Ettores Spielverlust zum erstenmal einen verzweifelten Brief sandte, antwortete er ihr: »Ich begreife Deinen Schrecken sehr wohl, wenngleich ja ein einmaliges Vorkommnis noch nicht zu der Annahme berechtigt, daß Ettore wirklich ein Spieler ist, zudem wir ja früher nie etwas von einer Leidenschaft für Jeu an ihm bemerkt haben. Aber in Deinem Brief steht noch viel mehr als bloß die Geschichte mit den 80 000 Lire, es stand auch schon in frühern mancherlei, was mich sehr stutzig gemacht hat, über das ich aber schwieg, weil ich es mehr herausgelesen habe, als Du es hineingeschrieben hast, und weil es keinen Sinn hat, über Dinge zu korrespondieren, die sich nicht fassen lassen. Jetzt aber meine ich, daß der Augenblick gekommen ist, wo man oder vielmehr wo ich den Stier bei den Hörnern packen muß. Also: ich bin überzeugt, daß Du gar nicht glücklich bist, und darum sag' ich Dir: ›Nimm Deine Kinder und den Rest des Geldes, den der Conte Priuli noch übriggelassen hat, und komm heim!‹ Venedig mit allem Drum und Dran war offenbar ein großer Irrtum von uns, – gestehen wir uns das ruhig ein, verlassen wir ihn und versuchen wir, Dir in der Heimat ein anderes Glück aufzubauen oder wenigstens Dich wieder zufrieden und ein bißchen heiter zu machen!«

 

Als Elisabeth diesen Brief gelesen hatte, war's ihr, als ob an einem venezianischen Regentage ein breites Tor im Palazzo Priuli aufspränge, ein Tor, durch das sie die Heimat sah mit Waldesrauschen und Vogelsang, mit Menschen, die sprachen und fühlten wie sie. Wenn sie wollte, konnte sie noch heute durch dies Tor hinausschreiten, der Verheißung entgegen, die da mit allen Stimmen der Sehnsucht rief und lockte und sang. Ueberwältigt von dem Glück, das der Vater vor ihr erschloß, schlug sie die Hände vors Gesicht und war so wirr von jagenden Gedanken, als ob ein beginnendes Fieber seinen unruhigen Traum um sie breiten wollte. Willig überließ sie sich der holden Konfusion ihres Gehirns, das gar keine Pläne schmiedete, keine Entschlüsse faßte, sondern nur, wie von schwerem Druck entlastet, in der Vorstellung schwelgte, daß nun alles Elend hier zu Ende sei und draußen, jenseits des Tors, im Waldesrauschen der Frieden warte. Nach ein paar Stunden aber war dieser Rausch der Empfindung vorüber, und da wußte sie, daß sie dem Ruf des Vaters nicht folgen konnte. So schrieb sie denn am übernächsten Tage an ihren Vater:

»Du glaubst ja gar nicht, wie glücklich mich Dein Brief gemacht hat und wie gern ich ihm und Dir folgen würde, aber es geht doch nicht. Es geht schon ganz einfach deshalb nicht, weil ich im Augenblick keinen triftigen Scheidungsgrund fände, denn wegen der einen Spielschuld würde mich nicht einmal ein deutscher Gerichtshof scheiden, wieviel weniger gälte sie in einem Land, das keine Ehescheidung kennt! Ich habe es hier schon ein paarmal mit angesehen, wie entsetzlich schwer es ist, eine Trennung durchzusetzen, selbst wenn die Schuld des Mannes nach unseren Begriffen klar am Tage liegt. Ich könnte natürlich, wie Du meinst, Kinder und Geld zusammenpacken und zu Dir fahren, aber Ettore würde Hindernis auf Hindernis türmen und sich keinen Augenblick besinnen, mir die Kinder mit Gewalt wegnehmen zu lassen. Er täte es erstens, weil er an ihnen hängt, und zweitens, weil er die angenehme Existenz, die ich ihm biete, nicht ohne weiteres aufgeben möchte. Stelle Dir vor, was das für Aufregungen wären und was für Eindrücke und Erinnerungen für die Kinder! Aber auch abgesehen davon käme ich mir kläglich vor, wenn ich schon jetzt alles verloren geben wollte, was mir doch einmal so viel bedeutet hat. Freilich habe ich längst jeden Glauben an eine Umwandlung Ettores verloren, aber dieser Mann war mir doch einmal so viel, daß ich mich noch immer nicht völlig von ihm losreißen kann. Du wirst das wohl Schwäche nennen, vielleicht auch recht haben, aber im Augenblick käme mir eine Flucht zu Dir doch wie Kleinlichkeit und Feigheit vor. Ich meine, man muß seinen Posten immer bis zuletzt ausfüllen, und wenn man ihn sich noch selbst herausgesucht hat, erst recht. Erst wenn mir das Gesetz und meine eigene Erkenntnis bestätigen würden, daß ich recht tue, wenn ich meinen Mann verlasse, werde ich heimkehren. Bis dahin aber halte ich aus, so schwer es auch mitunter sein mag, denn jetzt haben wenigstens die Kinder Ruhe, während sie, wie ich Dir schon sagte, den gewalttätigsten Szenen ausgesetzt wären, wenn ich fortginge, ohne dazu berechtigt zu sein.«

In all der Zeit, da Elisabeth in Venedig lebte, hatte sie unter den Damen ihres Kreises keine Freundin gefunden. Für alle war sie immer die Fremde geblieben, und sie selbst hatte zu keiner ein Herz gefaßt, hatte sich nie in die Interessen und Anschauungen der andern hineinleben können. Nun aber näherte sich ihr, just in den Tagen, da in den Salons die Legende aus den achtzigtausend Lire bereits zweimalhunderttausend gemacht hatte und jeder mit Neugier auf Elisabeths Gesicht sah, nun näherte sich ihr die Frau, von der sie es am allerwenigsten vermutet hätte, – die Fürstin Tassini.

Seitdem Elisabeth anfing, weniger glücklich und enttäuscht auszusehen, hatte die Fürstin sie mit wachsendem Interesse betrachtet. Wenn auch ihre Miene gleichgültig und ablehnend blieb, so verfolgte sie doch aufmerksam jede Spur, die sich in das Gesicht der anderen Frau eingrub, die wie sie aus fremdem Land hergekommen war, um hier vermutlich dasselbe Schicksal zu erleben wie die Engländerin. Sie sprach jetzt in Gesellschaften Elisabeth öfters an, hielt sie im Gespräch fest, ohne indes je durch einen wärmeren Tonfall oder ein vertraulicheres Wort Freundschaftlichkeit zu verraten. Als dann allmählich durchsickerte, daß die Ehe Priuli doch wohl nicht so gut ging als sie aussah, als die Damen der Gesellschaft merkten oder von ihren Männern und Brüdern erfuhren, daß Ettore wieder wie früher allerlei Abenteuern nachstieg, und als gar erst die Legende von den verspielten Hunderttausenden überall bekannt und besprochen wurde, fragte die Fürstin Elisabeth gelegentlich, ob sie nicht am nächsten Tag den Fünfuhrtee bei ihr nehmen wolle. Elisabeth sagte »ja« und war überrascht. In all den Jahren war sie der Fürstin nur bei großen Festen sowohl im Palazzo Tassini wie in ihrem eigenen Haus oder am dritten Ort begegnet, aber gar nie hatte die Fürstin sie zu einem intimen Beisammensein gebeten. Sie war neugierig, diese Frau unter vier Augen zu sprechen und zu sehen, wie die Fürstin eigentlich war, wenn das Gepränge der großen Gesellschaften und des offiziellen Tons von ihr abfiel. Sie fuhr pünktlich um fünf Uhr am Palazzo Tassini vor, wurde von dem italienischen Haushofmeister empfangen, den sie schon kannte und der sie durch eine Reihe von Gemächern führte, in denen sie schon manches Mal gespeist und getanzt hatte, die aber jetzt kalt und ein wenig düster dalagen. Er geleitete sie, bis sie vor einer hohen Mahagonitür mit getriebenen Goldbeschlägen standen, an der er sich mit einer feierlichen Verbeugung verabschiedete, als sei sein Reich hier zu Ende. Die Tür wurde dann von innen geöffnet, und ein Diener, dem man auf zehn Schritte den Engländer ansah, führte Elisabeth durch ein kleines Vorzimmer zu den intimen Wohnräumen der Fürstin.

Die Fürstin saß in einem Korbstuhl am Fenster, blätterte in »Lady's Pictorial«, stand langsam auf, als Elisabeth eintrat. Sie legte das Journal beiseite, reichte Elisabeth die Hand:

»I'm glad to see you!«

»So I am too!«

Elisabeth hatte mit der Fürstin stets Englisch gesprochen, hatte es aus Liebenswürdigkeit getan und weil sie es von allen um sich her so sah. Hier aber, in diesem Raum schien es unmöglich, überhaupt eine andere Sprache zu Wort kommen zu lassen, denn alles hier trug englische Prägung, war auf englische Anschauungen und Gewohnheiten abgestimmt, und der Haushofmeister draußen hatte wohl recht, wenn er sich so verneigte, als ob hier sein Reich zu Ende wäre. Die Einrichtung des Zimmers, in dem die beiden Damen saßen, war echt Chippendale, alles aus nachgedunkeltem Mahagoni, vermischt mit bequemen, modernen Korbmöbeln, die dem Raum ein ungemein behagliches Aussehen gaben. An den Fenstern hingen helle, sanft abgetönte Gardinen, an den Wänden süßliche Bilder im englischen Geschmack; es gab überall viele Blumen, und auf Borten und Tischen standen und lagen englische Bücher, Zeitschriften und Tageszeitungen umher. Am Fenster, zwischen zwei Korbsesseln, war der kleine Teetisch bereitet, der von kostbarem Silber funkelte, die Kammerjungfer, die bediente, sah nicht weniger englisch aus als der Diener im Vorzimmer und trug die Uniform der englischen Jungfern: das schwarze Kleid, den weißen Umlegekragen und die breiten Manschetten, das kokette, weiße Häubchen und die weiße Schürze. Die Fürstin selbst verriet heute noch deutlicher als sonst ihre Rasse. Sie schien eingeboren in das weichfallende Teekleid aus taubenblauer Seide und sah auf eine gewisse Entfernung mit ihrer schlanken Gestalt und dem rötlichen Haar wie ein junges Mädchen aus. Sie trug auch heute einmal nicht die berühmten Perlen, gerade als ob sie hier durch keine Erinnerung an das gestört sein wollte, was jenseits der Mahagonitür lag. Als die Kammerjungfer den Teekessel angezündet hatte, schickte sie das Mädchen weg, reichte selbst kleine Sandwichs und Kuchen und bemühte sich, das Gespräch mit jenen nichtssagenden Redensarten zu eröffnen, die Elisabeth schon an ihr kannte. Die Fürstin hätte nun allerdings auch bedeutende und originelle Sätze reden können und hätte doch im Augenblick an Elisabeth keine aufmerksame Partnerin gefunden, denn die junge Frau war so überrascht von der durchaus englischen Atmosphäre, die sie hier umgab, daß sie nur Eindrücke auf sich wirken ließ und der Fürstin ganz mechanisch antwortete. So stark war ihr Erstaunen, daß sie es nicht in sich verschließen konnte, vielmehr zu der Fürstin sagte:

»Wie seltsam! Wenn man hier bei Ihnen sitzt, ist man nicht mehr in Venedig, sondern in Ihrer Heimat!«

Die Fürstin nickte.

»Natürlich! Ich könnte nicht sein, wenn ich nicht ein Stück England um mich habe. Wenn es Sie interessiert, zeige ich Ihnen auch gelegentlich einmal meine kleine Church und mache Sie mit meinem Reverend bekannt, der jeden Sonntag für mich Gottesdienst hält!«

Das Gespräch wurde allmählich wärmer, intimer. Sie sprachen von der Heimat, Elisabeth von Deutschland, die Fürstin von England, Elisabeth mit Wärme, die Fürstin mit Stolz, mit einem Selbstbewußtsein, das wie eine Fanfare schmetterte. Und ganz von selbst kamen sie dann auf das Land, dem sie jetzt gehörten, auf die Stadt, in die sie jetzt das Leben zwang … Die Fürstin fragte mit einem kleinen, mokanten Lächeln, während sie ihre grauen Augen fest auf Elisabeths Gesicht richtete:

»Do you still like Venise so very much?«

Elisabeth errötete ein wenig, antwortete nicht gleich, weil sie wohl verstand, welchen Sinn die Fürstin in die Frage legte. Dann aber hob sie den Kopf, erwiderte den Blick der grauen Augen klar und offen, als gäbe sie Vertrauen um Vertrauen.

»Nein, ich liebe es nicht mehr so sehr. Die Stadt ist so zauberhaft, wenn man sie nur auf der Durchreise sieht, aber wenn man hier leben muß –«

»I'm glad you say so!«

Sie blieben eine kleine Weile stumm. Sie hatten sich verstanden und verstanden sich auch fernerhin, wenn sie von Venedig sprachen und es anklagten. Elisabeth sprach mit einer Bitterkeit, über der es aber doch wie ein Trauerschleier lag, die Fürstin dagegen hatte für die Stadt ihrer Leiden nur noch Hohn und Haß.

»Venedig, – eigentlich ist das nur ein lächerlicher Begriff. Liverpool oder Edinburg stellen heutzutage mehr vor als Venedig!«

Es klang ein so überstarkes Selbstbewußtsein in ihren Worten, daß es Elisabeth zum Widerspruch reizte.

»Nun ja, Liverpool oder Edinburg sind eben Handelsstädte, ungefähr so wie bei uns Krefeld oder Bremen, aber Venedig war doch einmal eine Großmacht!«

»War! Was hat man von dem, was war? Heute kommt es mir vor wie eine Gauklerin, die sich mit einer großen Vergangenheit drapiert und ausplündert –«

»Und wir sind das Publikum, das der Gauklerin auf ihre Mätzchen hereinfällt!« sagte Elisabeth und zwang sich zu lächeln, denn sie wollte das Gespräch nicht gar zu ernst und hart werden lassen. Die Fürstin aber fuhr unbeirrt fort:

»Eine Gauklerin ist es, ein Bettelweib, das nichts von uns will als Geld und immer wieder Geld! Haben Sie je schon etwas Geldgierigeres gesehen, als die Venezianer sind?«

Elisabeth hätte gern erwidert, daß doch auch die Engländer nicht gerade als Geldverächter galten, aber selbstverständlich sagte sie es nicht, sondern meinte nur nachdenklich:

»Ach, wenn sie nur geldgierig wären, das wäre noch nicht das Schlimmste! Aber es ist so schwer, sich in das fremde Volk hineinzudenken und hineinzufinden. Ich hab' es bis heute noch nicht gekonnt!«

»Ich hab' es nie gekonnt und will es auch nicht können.«

Sie sprachen noch lange hin und her. Keine erwähnte je ihren Gatten mit Namen, keine sagte ein Wort über ihr eigenes Leben. Aber der Name »Venedig« kehrte immer wieder, und es war zugleich rührend und komisch, wie sie an diesen Namen alles richteten, was eigentlich an den Mann gerichtet sein sollte, wie jeder Schmerz, jede Schande, jede Bitterkeit, die sie von ihm erfahren hatten, immer wieder »Venedig« hieß. So blieb es auch, als die Fürstin die Woche darauf den Tee bei Elisabeth nahm und bei allen künftigen Teestunden im Palazzo Tassini, denn der Fürstin gefiel es jetzt, mit Elisabeth zu plaudern und verschleierte Bekenntnisse auszutauschen. Niemals aber fiel in diesen Gesprächen ein Wort, das ganz persönlich lautete, niemals hieß es »ich« oder »er«, sondern immer nur »man« und »Venedig«. Sie verstanden sich auch so ganz gut, und jede von ihnen empfand es angenehm, daß die Diskretion der andern jede Vertraulichkeit verscheuchte, die vielleicht später einmal bereut werden konnte.

 

Elisabeth dachte nach dem ersten Besuch lange über die Fürstin nach. Sie hatte, seitdem sie diese Frau zum erstenmal beim Blumenkorso gesehen, niemals das Interesse für sie verloren, wenngleich die Fürstin es nicht zu erwidern schien. Sie dachte nach und sagte sich, daß etwas an dieser Frau interessant war, das nicht offen am Tage lag und mit ihrem Wesen als Frau oder als Dame der Gesellschaft keinen Zusammenhang hatte. Denn die Fürstin war weder geistreich noch besonders gebildet und ihr Ideenkreis sehr beschränkt. Trotzdem konnte man ihrer Erscheinung und dem, was sich in ihr versteckte, nachsinnen, weil man eben fühlte, daß etwas in ihr sehr stark war und nur auf den Augenblick wartete, wo es sich in seiner ganzen Stärke entladen konnte. Ihre geradlinige Engländerei, die sich überall behauptete, sich überall einen besonderen Umkreis schuf, war sicher nur ein Bruchteil davon, aber schon neben diesem Bruchteil kam sich Elisabeth klein und schwächlich vor, da sie ja fast immer versucht hatte sich anzupassen, nie aber sich aufzulehnen und sich durchzusetzen.

Als sie das zweite oder dritte Mal bei der Fürstin war, fragte sie:

»Und Ihre Söhne, Fürstin, wo sind sie? Es würde mich sehr interessieren, sie kennen zu lernen!«

Die Fürstin stand auf, holte von ihrem Arbeitstisch einen Lederrahmen, der eine Kabinettphotographie umschloß, reichte sie Elisabeth lächelnd hin:

Das Bild zeigte drei junge Leute im Alter von etwa fünfzehn bis zwanzig Jahren. Die beiden jüngeren trugen die Uniform der Eton-Zöglinge, während der älteste im Ruderanzug aufgenommen war. Man sah auch auf der Photographie, daß die Söhne auffallend der Mutter glichen, von ihr das rötliche Haar und die helle Haut geerbt hatten. Nur der älteste sah trotzdem ein klein wenig in die Familie Tassini hinein, aber auch er zeigte das lange, englische Kinn und den schmalen Mund, dem man's anmerkte, daß er ihn beim Reden kaum öffnete. Voll Stolz berichtete die Fürstin, daß dieser älteste, der natürlich Eton schon hinter sich hatte, jetzt auf den Schlössern junger Studienkameraden den Zauber englischen Countrylifes kennen lernte und den nächsten Winter vermutlich in London zu Hof gehen würde. Elisabeth fand es so absonderlich, sich diese drei angelsächsisch aussehenden Jünglinge als Träger und Vertreter des weichen Namens »Tassini« zu denken, daß sie lachend sagte:

»Weiß Gott, Fürstin, das Stück England, das Sie immer um sich haben wollen, ist Ihnen in Ihren Kindern noch besser gelungen als in Ihren Wohnräumen. Ihre Söhne haben doch nicht einen Zug vom Vater, nichts, gar nichts Italienisches an sich –«

»Nein, gar nichts!«

Es klang wie Triumph.

»Sie lassen die Söhne in England erziehen?«

»Ja. Eton-College ist die einzige Schule, wo ein junger Mann erzogen werden kann.«

»Aber werden sie dort nicht vollkommen Engländer?«

»Selbstverständlich! Was sollten sie sonst auch werden?«

Elisabeth lächelte.

»Nun, sie könnten doch zum Beispiel auch Italiener werden, Venezianer! Das läge vielleicht sogar für Ihre Söhne sehr nahe –«

»Für mich ist es selbstverständlich, daß sie Engländer werden! Oder sie brauchen es gar nicht mehr zu werden, sie sind es schon!«

Und die Fürstin erzählte bewundernd, daß ihre Söhne in allen Sports und bei allen Wettspielen die ersten seien, daß sie besser Englisch als Italienisch sprächen, und daß sie nichts so sehr bewunderten wie englische Tüchtigkeit und englische Macht.

»Und welchen Beruf werden sie wählen, wenn sie die Schule verlassen haben?«

Ehe die Fürstin antworten konnte, klopfte es leise an der Tür, und auf ihr »come in« trat die Kammerjungfer ein, näherte sich der Fürstin und flüsterte ihr in ehrerbietiger Haltung einige Worte zu. Die Fürstin lächelte ein wenig spöttisch, nickte bejahend, sagte leise drei oder vier Worte zu dem Mädchen, das alsbald wieder lautlos verschwand. Die Fürstin wandte sich zu Elisabeth:

»Il principe Tassini (es waren die einzigen italienischen Worte, die sie gebrauchte) fragt, ob er eine Tasse Tee mit uns nehmen kann. Ich hoffe, es ist Ihnen nicht unangenehm?«

Alsbald erschien auch der Fürst, sehr elegant, sehr aufgeräumt, mit rollenden Augen, sorgfältig aufgewirbeltem Schnurrbart und jedes weiße Löckchen auf seinem Kopf neckisch gerollt. Sobald er eine junge Frau bei der Fürstin zu Besuch wußte, ließ es ihm keine Ruhe mehr, bis er zwischen den Frauenkleidern saß und das fremde Parfüm der Besucherin einatmete. Niemals sonst betrat er das englische Heim seiner Frau, aber sobald er vom Haushofmeister erfuhr, daß eine Jugend bei der Fürstin sei, ließ er durch die Jungfer anfragen, ob sein Erscheinen genehm sei, und die Fürstin sagte immer mit ihrem spöttischen Lächeln: »Ja«. Allerdings kam der Fürst auf solche Weise öfter als ihr lieb war, denn im Laufe der Jahre wurde er in seinen Ansprüchen immer bescheidener, und es genügte ihm jetzt schon, wenn die Besucherin nicht wirklich alt und ausgesprochen häßlich war.

Er küßte zuerst Elisabeth, dann seiner Frau die Hand, verschlang Elisabeth mit den Blicken, zwängte seine Riesengestalt in ein kleines Stühlchen, das zwischen den Frauen stand, so daß Elisabeths Kleid sein Knie streifte. Er erkundigte sich mit vielen Worten nach ihrem, Ettores und der Bambini Befinden, sagte ihr in etwas altfränkischer Art Schmeicheleien über ihr Aussehen, überstürzte sich mit ungeschickter Galanterie sie zu bedienen, rückte unversehens immer näher zu ihr hin, um sie deutlicher zu fühlen, um bei einer zufälligen Bewegung ihre Hand zu streifen oder ihren blonden Kopf dicht an dem seinen zu haben. Die Fürstin sah's und schien es doch nicht zu merken, nur ihre Mundwinkel zuckten mit müder Geringschätzung. Sie war sehr höflich mit dem Fürsten, behandelte ihn vollkommen als Besuch und führte die Konversation genau so weiter, wie vorhin, da er eben eintrat. Aber seltsam! War es das Zucken um ihre Mundwinkel, war es ihre kalte Höflichkeit oder die Atmosphäre dieses Raumes, – nach kurzer Zeit schon schwand die Aufgeräumtheit und die galante Beflissenheit des Fürsten dahin. Wohl drängte er sich immer noch an Elisabeth an, aber es geschah fast mechanisch aus der Gewohnheit des alten Lebemanns heraus. Seine Augen bekamen einen stieren, leichtumflorten Blick, und langsam nahm sein ganzes Wesen wieder die lakaienhafte Gedrücktheit an, die ihm in Gegenwart seiner Frau eigen war. Auch mit der Unterhaltung ging es nach den ersten Phrasen etwas stockend, denn die Fürstin setzte stillschweigend voraus, daß man in ihren Räumen Englisch sprach, und der Fürst, der es nur radebrechte, noch dazu mit italienischem Akzent, war häufig so unverständlich, daß Elisabeth immer wieder fragen und sich Sätze von ihm wiederholen lassen mußte, was natürlich die Konversation nicht belebte und die Stimmung nicht hob. Um ihm schließlich etwas Angenehmes zu sagen, griff sie nach der Photographie, welche die Fürstin vorhin, als er eingetreten war, neben sich gelegt hatte: