Zwangsvollstreckungsrecht

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§ 1 Überblick

Inhaltsverzeichnis

I. Zwangsvollstreckungsverfahren

II. Zwangsvollstreckungsrecht als Prüfungsgegenstand

§ 1 Überblick › I. Zwangsvollstreckungsverfahren

I. Zwangsvollstreckungsverfahren

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Es ist unbedingt sinnvoll, sich vor der Erarbeitung der prüfungsrelevanten Einzelprobleme des Zwangsvollstreckungsrechts einen groben Überblick über das Verfahren und die Interessenlagen zu verschaffen. Nur so wird die Einordnung der jeweiligen Probleme später gleich gelingen.

§ 1 Überblick › I. Zwangsvollstreckungsverfahren › 1. Begriff der Zwangsvollstreckung

1. Begriff der Zwangsvollstreckung

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Das Zwangsvollstreckungsrecht regelt das Verfahren der staatlichen Durchsetzung von gerichtlich oder anderweitig in ausreichender Weise festgestellten Gläubigerrechten. Man kann bei der Rechtsdurchsetzung letztlich drei Phasen unterscheiden. Während das Zivilrecht bestimmt, ob ein bestimmtes Recht einem Rechtssubjekt zusteht, ist es die erste wesentliche Aufgabe des Zivilprozessrechts, das Recht gerichtlich oder durch einen förmlich dokumentierten Titel festzustellen (Erkenntnisverfahren). Als zweite Aufgabe des Zivilprozessrechts kommt dem Zwangsvollstreckungsrecht die Funktion zu, den festgestellten Anspruch mithilfe staatlichen Zwangs durchzusetzen. Ein Zwangsvollstreckungsverfahren ist notwendig, weil die Rechtsordnung – mit nur engen Ausnahmen, wie § 859 II BGB – keine Selbstjustiz erlaubt, der Bürger also aufgrund des staatlichen Zwangsmonopols sein Recht nicht selbst durchsetzen kann und zwar auch dann nicht, wenn ein Gericht es bereits rechtskräftig festgestellt hat[1].

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Der Gläubiger ist daher zur Verwirklichung seines Anspruchs auf die Hilfe des Staats angewiesen. Er hat bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen sogar einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch gegen den Staat auf Vollstreckung gegen den Schuldner, der Teil des Justizgewährungsanspruchs aus Art. 101 I 2, 103 I GG ist[2].

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Um die Hilfe des Staats bei der Vollstreckung erhalten zu können, muss der Gläubiger anspruchsberechtigt sein. Dabei reicht nicht die vermeintliche materielle Berechtigung aus, sondern erst der Vollstreckungstitel gibt dem Gläubiger die nötige Legitimation. Einen Vollstreckungstitel kann der Gläubiger auf vielfältige Weise erlangen. Der typische Weg ist das zivilprozessuale Erkenntnisverfahren. Wenn der materielle Anspruch streitig ist, muss der Gläubiger seinen Anspruch im Wege des Erkenntnisverfahrens gerichtlich titulieren lassen, um dessen Vollstreckung zu ermöglichen. Daneben aber kann der Gläubiger einen materiellen Anspruch auch einvernehmlich mit dem Schuldner und ohne Inanspruchnahme eines Erkenntnisverfahrens titulieren lassen. Dies ist etwa bei einer notariellen Unterwerfungserklärung in die Zwangsvollstreckung nach § 794 I Nr. 5 ZPO der Fall. Der zu vollstreckende Anspruch braucht übrigens materiell-rechtlich nicht zu bestehen. Vielmehr genügt es, dass sich der Anspruch aus dem Titel ergibt. Die Geltendmachung materiell-rechtlicher Einwendungen gegen den dem Titel zugrunde liegenden Anspruch kann nur in bestimmten Fällen mithilfe der zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe (insbesondere § 767 ZPO) erfolgen und die Zwangsvollstreckung infolgedessen eingestellt werden.

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Ein wesentlicher rechtlicher Konflikt besteht darin, dass der Staat bei der Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs in die verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen des Vollstreckungsschuldners eingreift (z.B. Art. 2 II, Art. 13, Art. 14 GG). Der Grundrechtsschutz des Schuldners ist aber stark geschmälert, weil der Eingriff letztlich auf einem gesicherten Recht des Gläubigers basiert. Man spricht von einem Dreiecksverhältnis (Rn. 41).

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Aufgrund des öffentlich-rechtlichen Charakters des Vollstreckungsauftrags handeln die jeweiligen Vollstreckungsorgane bei der Vollstreckung in Ausübung von hoheitlicher Gewalt. Bei einer Pflichtverletzung der Vollstreckungsorgane kommen daher Amtshaftungsansprüche der Beteiligten gegen den Staat in Betracht (dazu unten Rn. 342, 670).

§ 1 Überblick › I. Zwangsvollstreckungsverfahren › 2. Gläubiger und Schuldner

2. Gläubiger und Schuldner

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Während die Parteien im Erkenntnisverfahren als Kläger und Beklagter bezeichnet werden, spricht man im Vollstreckungsverfahren von „Vollstreckungsgläubiger“ und „Vollstreckungsschuldner“. Der Vollstreckungsgläubiger wird im Normalfall der Kläger sein, der den Prozess insgesamt oder teilweise gewonnen hat. Es kann aber auch der Beklagte sein, der im Fall der Klageabweisung seine Prozesskosten vom Kläger zurückverlangen kann. Im Folgenden wird vereinfachend nur von „Gläubiger“ und „Schuldner“ die Rede sein.

§ 1 Überblick › I. Zwangsvollstreckungsverfahren › 3. Voraussetzungen und Ablauf der Zwangsvollstreckung

3. Voraussetzungen und Ablauf der Zwangsvollstreckung

a) Anspruch auf eine Geldzahlung?

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Meist will der Gläubiger gegen den Schuldner einen Anspruch auf eine Geldzahlung vollstrecken. Dies kann die erfolgreich eingeklagte Forderung sein oder auch ein bloßer Anspruch auf Ersatz der Prozesskosten. Die Vollstreckung wegen solcher „Geldforderungen“ macht daher den Löwenanteil der vollstreckungsrechtlichen Vorschriften aus. Davon völlig getrennt finden sich die Regelungen über die Vollstreckung sonstiger Ansprüche.

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Wie sich der folgenden Grafik entnehmen lässt, kann die Vollstreckung wegen einer Geldforderung auf unterschiedliche Art erfolgen: Durch Pfändung von beweglichen Sachen des Schuldners, die dann verwertet werden (z.B. wertvolle technische Geräte), durch Pfändung von Forderungen des Schuldners, die der Gläubiger dann einziehen darf (z.B. Lohnzahlungsansprüche) oder durch den Zugriff auf Immobilien des Schuldners.

Übersicht 1:

Arten der Zwangsvollstreckung


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b) Voraussetzungen des Vollstreckungsverfahrens

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Regelmäßig wird das vermeintlich Wichtigste zum Zwangsvollstreckungsrecht mit den Stichworten „Titel, Klausel, Zustellung“ zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um die wesentlichen allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung. Sie zu kennen, bringt für die Prüfungsvorbereitung aber äußerst wenig. Hilfreicher ist es, sich den Ablauf des Verfahrens bildlich zu machen. Der Gläubiger muss in der Tat zu allererst einen Titel gegen den Schuldner haben. Ohne einen Titel braucht er an die Zwangsvollstreckung noch gar nicht zu denken. Wenn der Gläubiger einen solchen Titel – im gesetzlichen Regelfall ist das ein Urteil – gegen den Schuldner hat, kann er immer noch nicht unmittelbar den Gerichtsvollzieher beauftragen. Er braucht vielmehr nun noch eine Klausel. Diese Klausel ist letztlich nicht viel mehr als ein Stempel, aber sie wird normalerweise nur auf einer einzigen Ausfertigung des Titels erteilt und kann so verhindern, dass der Gläubiger mit dem Titel Missbrauch treibt, in dem er beispielsweise an mehreren Orten gleichzeitig in das Vermögen des Schuldners vollstreckt, obwohl seine Forderung leicht durch eine einzige Pfändung befriedigt werden kann. Titel und Klausel müssen schließlich zwar auch zugestellt werden – aber darin liegt kein studienrelevantes Problem. Überdies darf der Gerichtsvollzieher die Dokumente dem Schuldner auch noch bei Beginn der Vollstreckung überreichen (§ 750 ZPO).

c) Ablauf des Vollstreckungsverfahrens

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Mit Erteilung der Klausel beginnt das eigentliche Vollstreckungsverfahren. Nun kann der Gläubiger ein Organ der Rechtspflege beauftragen, eine bestimmte Pfändungsmaßnahme für ihn durchzuführen. Für die vollständige Durchführung der Vollstreckung muss er in der Regel wenigstens noch einmal einige Monate einplanen. Besonders die Gerichtsvollzieher sind meist überlastet und haben viele Wochen Vorlauf.

 

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Für die Durchführung und den Fortgang des Verfahrens kommt es darauf an, worauf der Titel gerichtet ist (Geldzahlung oder etwas anderes) und welche Art der Vollstreckung der Gläubiger durchführen möchte.

Angenommen, der Gläubiger hat einen Titel auf Zahlung von Geld (das Gesetz spricht in der Überschrift zu §§ 802a ff ZPO von der „Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen“) erwirkt, und er hat bereits mit Erfolg eine Klausel beantragt. Wenn jetzt noch Informationen (etwa über Wohnort oder Vermögen des Schuldners) fehlen, kann er den Gerichtsvollzieher beauftragen, diese nach §§ 802a ff ZPO einzuholen. Sodann kann er wählen, ob er in das bewegliche oder das unbewegliche Vermögen des Schuldners vollstrecken will. Wählt er das bewegliche Vermögen, so hat der Gläubiger noch zu entscheiden, ob er in bewegliche Sachen (§§ 808 ff ZPO), in Forderungen (§§ 828 ff ZPO) oder in andere Vermögensrechte (§ 857 ZPO) vollstreckt.

Titel sind jedoch nicht immer auf eine Geldzahlung gerichtet. Der Schuldner kann z.B. auch zu einer Herausgabe, zu einer Handlung oder zu einer Unterlassung verurteilt worden sein. Dann gilt ein anderer Abschnitt der ZPO, nämlich die §§ 883 ff ZPO (dazu Rn. 16).

Die folgenden kurzen Abschnitte sollen die Unterschiede illustrieren:

aa) Vollstreckung wegen einer Geldforderung in bewegliche Sachen (§§ 808 ff ZPO)

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Wählt der Schuldner, der wegen einer Geldforderung vollstrecken will, die Vollstreckung in bewegliche Sachen, so wird er den Gerichtsvollzieher mit der Pfändung beauftragen. Dieser begibt sich zum Schuldner und darf dort Gegenstände pfänden, die sich im Gewahrsam des Schuldners befinden. Ob der Schuldner Eigentümer ist, prüft der Gerichtsvollzieher nicht. Die Pfändung besteht aus zwei Akten: Das Aufkleben der Pfandmarke („Kuckuck“) bewirkt die Verstrickung. Durch diese entsteht kraft Gesetzes das Pfändungspfandrecht. Dieses Pfändungspfandrecht berechtigt den Gläubiger (nach herrschender Ansicht, näher Rn. 326 ff), den Erlös aus der Verwertung des gepfändeten Gegenstands zu behalten. Einige Zeit nach der Verstrickung kommt der Gerichtsvollzieher erneut, dann gegebenenfalls mit einem Transportunternehmer, um die gepfändeten Gegenstände abzutransportieren. Er bringt sie in ein Lager, wo sie auf die Verwertung warten. Diese kann der Gerichtsvollzieher durch eine öffentliche Versteigerung der Güter betreiben. Bei der Versteigerung muss der Erwerber sofort in bar bezahlen. Von dem eingenommenen Erlös zieht der Gerichtsvollzieher seine Kosten und seine Gebühren ab (soweit er sie nicht bereits als Vorschuss vom Gläubiger erhalten hat[3]) und übergibt den Rest dem Gläubiger. Mit der Auskehr des Erlöses an den Gläubiger ist die Zwangsvollstreckung in den Gegenstand beendet.

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Das Vollstreckungsverfahren endet aber nicht selten schon früher: Der Gläubiger kann die Vollstreckung abbrechen, zum Beispiel, weil sie ihm aussichtslos erscheint. § 775 ZPO enthält zudem eine ganze Anzahl von Gründen für die Einstellung der Vollstreckung. Diese erfolgt beispielsweise, wenn das Urteil, auf dem die Vollstreckung beruht, aufgehoben wird oder wenn der Schuldner den Gläubiger doch noch freiwillig befriedigt hat. § 776 ZPO bestimmt, wann bereits erfolgte Maßnahmen der Vollstreckung aufzuheben sind. Schließlich kann die Zwangsvollstreckung auch enden, weil der Schuldner sich mit einem Rechtsbehelf erfolgreich gegen diese gewehrt hat.

bb) Vollstreckung wegen einer Geldforderung in eine Forderung (§§ 828 ff ZPO)

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Für den Gläubiger, der von dem Schuldner Geld verlangen kann, ist es allerdings viel günstiger, wenn er eine Forderung des Schuldners – wie z.B. dessen Anspruch auf Lohn oder ein Kontoguthaben – pfänden kann. Bei der Pfändung einer solchen Forderung wird nicht der Gerichtsvollzieher beauftragt, sondern der Gläubiger stellt einen Antrag beim Vollstreckungsgericht. Das Vollstreckungsgericht erlässt dann zwei Beschlüsse: Den Pfändungsbeschluss und den Überweisungsbeschluss. Beide werden meist in einem Akt erlassen, dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss (häufig findet man die Abkürzung PfÜB). Dieser muss dem Drittschuldner zugestellt werden, um wirksam zu werden. Der Drittschuldner ist die Person, gegen die der Schuldner eine Forderung hat. Also ein Schuldner des (Vollstreckungs-) Schuldners, etwa sein Arbeitgeber oder seine Bank. Dem Drittschuldner wird durch diesen Beschluss verboten, an den Schuldner zu leisten und der Schuldner darf über die Forderung nicht mehr verfügen (sie z.B. abtreten). Die eigentliche „Überweisung“ der Forderung an den Gläubiger gibt diesem das Recht, die Forderung einzuziehen. Letztlich muss also der Drittschuldner an den Gläubiger bezahlen: Der Arbeitgeber bezahlt beispielsweise den Lohn nicht mehr an seinen Arbeitnehmer (den Schuldner), sondern an den Gläubiger. Man kann sich leicht vorstellen, dass hierbei viele regulierende Vorschriften nötig sind, die den Schuldner schützen, insbesondere wenn es um die Pfändung von Arbeitslohn geht. Aber auch der Drittschuldner gerät durch die Pfändung und Überweisung in eine belastende Situation. Sie gleicht zum einen der Lage jedes Schuldners bei einer Abtretung, so dass die §§ 404 ff BGB angewendet werden müssen. Sie umfasst aber auch Auskunftspflichten und schließlich ist es der Drittschuldner, der berechnen muss, in welcher genauen Höhe die Forderung (etwa der Lohnanspruch) überhaupt pfändbar ist (§§ 850 ff ZPO).

Für die Beendigung der Zwangsvollstreckung in die Forderung kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem der Drittschuldner an den Gläubiger geleistet hat. Damit ist freilich die Zwangsvollstreckung nicht unbedingt auch als Ganze schon vorbei. Denn der Gläubiger wird solange weitere Vollstreckungsmaßnahmen beantragen, bis er in voller Höhe befriedigt ist.

Übersicht 2:

Chronologie der Zwangsvollstreckung wegen einer Geldforderung in bewegliche Sachen


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cc) Vollstreckung aus Titeln, die nicht auf eine Geldforderung gerichtet sind (§§ 883 ff ZPO)

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Titel, die nicht auf eine Geldzahlung, sondern auf etwas anderes (Herausgabe, Handlung, Unterlassung) gerichtet sind, sind viel seltener und hier seien nur einige erste Anmerkungen dazu gemacht, wie man aus ihnen vollstreckt. Wichtig ist, dass dabei nicht die §§ 802a ff ZPO gelten, da der Titel ja nun nicht auf eine Geldforderung gerichtet ist. Vielmehr gibt es eigenständige Regeln in §§ 883 ff ZPO[4].

Bei den Urteilen auf Herausgabe einer Sache kommt es besonders häufig vor, dass der Schuldner eine unbewegliche Sache, nämlich eine Wohnung „herausgeben“ muss (Räumungsklage). Aber ganz gleich, ob es eine bewegliche oder eine unbewegliche Sache ist, auf deren Herausgabe der Titel lautet: Wenn der Schuldner nicht freiwillig leistet, muss der Gläubiger auch hier den Gerichtsvollzieher beauftragen, damit er dem Schuldner die Sache wegnimmt (§ 883 ZPO, bei beweglichen Sachen), oder ihn aus dem Besitz setzt (§ 885 ZPO, bei unbeweglichen Sachen). Von den sonstigen nicht auf eine Geldleistung gerichteten Titeln seien im Rahmen dieser einführenden Übersicht nur die Unterlassungstitel etwas näher betrachtet.

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Wenn man sich selbst überlegt, wie die Vollstreckung einer Unterlassungspflicht erfolgen kann, kommt man schnell darauf, dass der Schuldner unter Druck gesetzt werden muss, damit er die unerwünschte Handlung (z.B. eine verleumdende Aussage in der Öffentlichkeit) nicht mehr vornimmt. So regelt es auch die ZPO. Wiederum gelten nicht die §§ 802a ff ZPO, da es ja nicht um die Vollstreckung einer Geldforderung geht, sondern es gibt eine eigenständige Regelung in § 890 ZPO. Die Unterlassungspflicht wird danach in der Regel durch Verhängung von Ordnungsgeld erzwungen. Dafür ist das Prozessgericht zuständig (näher Rn. 687 ff).

In jedem Fall muss die eigentliche Verhängung des Ordnungsgelds angedroht werden. Die Androhung darf allerdings bereits im Urteilstenor selbst erfolgen. Soweit der Schuldner nun nach der Androhung des Zwangsgelds weiterhin schuldhaft dem Titel zuwiderhandelt, wird durch Beschluss das Ordnungsgeld verhängt. Das Ordnungsgeld wird von Amts wegen beigetrieben. Damit ist die Vollstreckungsmaßnahme beendet. Handelt aber der Schuldner in Zukunft wieder dem Titel zuwider, kann erneut ein Ordnungsmittel angedroht und verhängt werden.

§ 1 Überblick › I. Zwangsvollstreckungsverfahren › 4. Die Rechtsbehelfe und ihre Abgrenzung voneinander

4. Die Rechtsbehelfe und ihre Abgrenzung voneinander

a) Welcher Rechtsbehelf ist statthaft?

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Im Vollstreckungsverfahren können beide Parteien – und manchmal auch Dritte – Grund dazu haben, Rechtsschutz zu suchen. Dazu stehen ihnen die zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe und Rechtsmittel zur Verfügung. Diese machen den Kern des vollstreckungsrechtlichen Prüfungsstoffs aus[5]. Im Folgenden wird ein kurzer und vereinfachter Überblick über alle wichtigen Rechtsbehelfe und ihre Zielrichtung gegeben, damit die schwierigen und detaillierten Fragen der Statthaftigkeit (das ist die Frage, welcher Rechtsbehelf der richtige ist) und die Abgrenzung der Rechtsbehelfe später sofort richtig eingeordnet werden können.

b) Die Rechtsbehelfe des Gläubigers

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Nur wenige Schwierigkeiten entstehen auf Seiten des Gläubigers. Der Gläubiger braucht Rechtsbehelfe, wenn die Organe der Zwangsvollstreckung seine Anträge nicht oder nicht in der beantragten Weise befolgen. In der Klausur von Bedeutung sind dabei regelmäßig nur drei Fälle:

aa) Wenn während der Vollstreckung ein Organ der Rechtspflege entweder etwas gar nicht tut, das der Gläubiger beantragt (also z.B. der Gerichtsvollzieher sich weigert, beim Schuldner zu pfänden), oder wenn es einen Antrag auf eine Art und Weise ausführt, die dem Gläubiger nicht zusagt (also z.B. das Vollstreckungsgericht eine andere Forderung pfändet, als der Gläubiger beantragt hat), kann der Gläubiger Vollstreckungserinnerung nach § 766 I oder II ZPO einlegen (Rn. 484 ff).

bb) Wird dem Gläubiger keine Klausel erteilt, gibt es zwei unterschiedliche Rechtsbehelfe, die passen können. Die Klauselklage nach § 731 ZPO (Rn. 139 ff) ist sehr eng im Anwendungsbereich. Der Gläubiger kann sie erheben, wenn er für die Klauselerteilung bestimmte zusätzliche Tatsachen beweisen muss und diesen Beweis nicht durch öffentliche Urkunden erbringen kann.

 

Wenn der Urkundsbeamte oder der Rechtspfleger sich aus sonstigen Gründen weigern, die Klausel zu erteilen, kann der Gläubiger die gewöhnliche Erinnerung nach § 573 ZPO (bei Untätigkeit des Urkundsbeamten, Rn. 136) oder sofortige Beschwerde nach § 567 ZPO (bei Untätigkeit des Rechtspflegers, Rn. 137) einlegen.

cc) Schließlich ist es noch denkbar, dass der Gläubiger gegen eine so genannte „Entscheidung“ eines Vollstreckungsorgans vorgehen will. Dafür ist die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO der richtige Rechtsbehelf (Rn. 516 ff). Wann eine „Entscheidung“ nach § 793 ZPO und nicht eine bloße Vollstreckungsmaßnahme nach § 766 ZPO vorliegt, ist sehr streitig. Meist wird angenommen, dass es darauf ankommt, ob das Vorbringen beider Parteien berücksichtigt wurde (dazu Rn. 517 f).

c) Die Rechtsbehelfe des Schuldners

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Der Schuldner ist derjenige, in dessen Rechte durch die Vollstreckung massiv eingegriffen wird. Zwar geschieht dies letztlich meist zu Recht, weil der Gläubiger sich nur dasjenige holt, was der Titel ihm zuspricht. Dennoch wird der Schuldner sich häufig und aus den verschiedensten Gründen gegen Vollstreckungsakte des Gläubigers wehren wollen.

aa) Der wichtigste und prüfungsrelevanteste Rechtsbehelf des Schuldners ist die Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO (Rn. 187 ff). Sie passt allerdings nur für einen ganz bestimmten Fall. Der Schuldner kann sie dann erheben, wenn er gegen den titulierten Anspruch Einwendungen hat. Ein Verkäufer, der ein Gemälde übereignen soll, will also zum Beispiel sagen, dass der Anspruch auf Leistung untergegangen ist, weil das Bild inzwischen verbrannt ist und Unmöglichkeit eingetreten ist. Beachten muss man hier Rechtskraftwirkung und Präklusionswirkung des Titels. Nur „neue Einwendungen“ iSd. § 767 II ZPO können die Einstellung der Zwangsvollstreckung begründen. Der Schuldner kann sich im Beispiel also nicht mit Erfolg darauf stützen, dass das Bild schon während des Erkenntnisverfahrens verbrannt sei.

bb) Die Vollstreckungserinnerung nach § 766 I ZPO (Rn. 484 ff) ist statthaft, wenn Schuldner (oder der Gläubiger, Rn. 19) rügen wollen, dass das Vollstreckungsorgan (meist der Gerichtsvollzieher) bei der Vollstreckung Vorschriften verletzt hat, wenn also die „Art und Weise“ der Zwangsvollstreckung nicht in Ordnung war. Die Rechtsprobleme bei der Prüfung des § 766 ZPO liegen oft darin, zu erkennen, ob der Fehler, der bei der Zwangsvollstreckung unterlaufen ist, überhaupt in den Pflichtenkreis des Gerichtsvollziehers gehörte: Der Gerichtsvollzieher hat – im Sinne der Formalisierung und Effizienz des Verfahrens – immer nur relativ einfache Tatbestände und Rechtsfragen zu prüfen bzw. zu beachten.

cc) Die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO (Rn. 167 ff) ist ein Rechtsbehelf aus dem Klauselverfahren. Sie ist in erster Linie dazu da, formale Fehler, die der Rechtspfleger/der Urkundsbeamte bei der Erteilung der Klausel gemacht hat, zu rügen. Der BGH steht auf dem Standpunkt, dass § 732 ZPO nicht statthaft ist, wenn der Schuldner vorträgt, dass der Titel rechtlich fehlerhaft sei und deshalb auf seiner Basis keine Klausel habe erteilt werden dürfen (Rn. 171 ff). Denn in der genauen Prüfung des Titels liege keine Pflicht des Rechtspflegers/Urkundsbeamten, so dass sich darauf auch keine Erinnerung stützen könne.

dd) Einen ganz engen Anwendungsbereich hat die Klauselgegenklage nach § 768 ZPO (Rn. 154 ff). Diese Norm ist leicht zu prüfen, weil der Tatbestand klar formuliert ist. § 768 ZPO greift ein, wenn der Gläubiger sich eine qualifizierte Klausel hat erteilen lassen und der Schuldner meint, die Bedingung iSd. § 726 ZPO oder die Rechtsnachfolge iSd. § 727 ZPO sei nicht wirklich eingetreten.

ee) Seit vielen Jahren ist schließlich die Titelgegenklage analog § 767 ZPO anerkannt (Rn. 258 ff). Sie wird gebraucht, wenn der Titel, auf den sich die Zwangsvollstreckung stützt, nichtig ist. Das könnte man zwar mit § 732 ZPO rügen, aber nur wenn die Nichtigkeit offen erkennbar war (Rn. 176 ff). § 732 ZPO allein bietet also keinen ausreichenden Rechtsschutz. Die Nichtigkeit des Titels kann daher, egal ob sie offen erkennbar ist oder nur aufgrund einer ausführlichen Rechtsprüfung festgestellt werden kann, mit einer Titelgegenklage gerügt werden, die der BGH auf eine analoge Anwendung des § 767 ZPO stützt.

ff) Wenn gar kein Rechtsbehelf passt, aber der Schuldner trotzdem erheblich in seinen Rechten beeinträchtigt ist, gibt es den Auffangschutz durch § 765a ZPO (Rn. 50 ff).