Ingeborg

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Das alles sah ich ganz genau, während sich mein Herz zusammenzog.

Ingeborg bewegte einen Fuß, ich erschrak. Sie bewegte wieder einen Fuß, ich erschrak. Ja, nun stand sie auf. Wir gingen. Im Walde war es dunkeler geworden, immer dämmeriger wurde es. Der Himmel leuchtete rot wie Wein durch die düsteren Wipfel. Lang war unser Weg, wir sprachen nichts.

Ein Vogel zwitscherte. Ich lächelte. Ingeborg sah mich an.

„Ich muß an einen Traum denken, Fräulein Giselher,“ sagte ich. Ich sprach sehr schnell, ich wußte, daß ich nun sprechen konnte und die Freude durchrann mich. Ich fuhr fort. „Ich muß an einen Traum denken. Ich denke oft, was es doch für eine sonderbare Sache mit der Seele des Menschen ist. Heute denke ich nicht daran zu stehlen, aber morgen habe ich den Wunsch es zu tun und übermorgen tue ich es. Aber vor drei Tagen, da dachte ich noch nicht daran. Nun sitze ich im Gefängnis und denke über mich nach. Plötzlich fällt mir ein, daß ich schon zuweilen vom Stehlen geträumt habe. Ja, was sage ich da. Es paßt nicht hierher, ich wollte es auch nicht sagen, ich wollte sagen, unsere Seele hat ihre besonderen Wünsche, aber wir kennen sie nicht. Was wollte ich sagen? Ich wollte Ihnen von einem Traume erzählen, den ich hatte. Ich träume die sonderbarsten Dinge der Welt zusammen. Nun hören Sie, vor einigen Wochen träumte ich von einer Stimme. Welch eine Stimme war es doch! Berückend schön war sie. Ich liege im Bette und träume, daß ich im Bette liege und eine Stimme spricht zu mir. Sie sollen hören, wie sonderbar wir uns unterhielten, diese Stimme und ich. Diese Stimme sagte, daß sie nur mich wolle und keineswegs den Leuchter aus Bernstein und die Schuhe aus Perlmutter. Nein, nein, nur dich, sagte sie. Und ich lag und lächelte und verlor fast die Besinnung, so herrlich und berückend klang die Stimme. Dann sagte sie, daß wir eine Hütte am Strande haben würden, eine kleine Hütte. Du bist ja ein Fischer, sagte sie. Ein Feuer wird auf unserm Herde brennen und du wirst mir die Schuhe mit Fischschuppen bekleben. — Darauf antwortete ich ihr: ja! Ich werde am blauen Grunde des Meeres herumwandern und nach schönen Dingen für dich suchen. Vielleicht finde ich auch ein hübsches Messerchen für dich, sagte ich.“

Ich lächelte und fuhr ebenso hastig fort: „Die Stimme sagte darauf, ich solle mich vor den Sägefischen in acht nehmen, da drunten im Meere. — Haha! — Ich aber fuhr fort: einmal wird auch eine Kiste an den Strand geworfen und wenn wir sie aufbrechen, so fallen lauter alte Kronen heraus, goldene Reifen mit grünen und roten Steinen, Zepter und Spangen. Auch ein Haarpfeil ist für dich dabei. Darauf jubelte die Stimme und begann zu singen: ich erwachte und im Garten sang eine Nachtigall.“

Ich blickte auf Ingeborg und wartete darauf, daß sie etwas sagte. Aber Ingeborg bewegte keine Miene, schmal, gleichsam erfroren sah ihr Gesicht aus. Sie schüttelte den Kopf.

„Es sang eben ein Vogel im Walde, da mußte ich an die Stimme und den Traum denken,“ sagte ich.

„Ja, aber — ich verstehe den Zusammenhang nicht,“ entgegnete Ingeborg.

Die Falte zwischen ihren Brauen war tiefer geworden.

Zusammenhang? War kein Zusammenhang da?

„Ich mußte doch mein Lächeln begründen, Sie blickten mich an, dann glaubte ich Ihnen sagen zu müssen, weshalb ich lächelte. Es war vielleicht ungeschickt von mir.“ — —

Wir kamen an Graf Flüggens Schloß. Die Pfeiler des Gitters trugen Löwen aus Stein, die zwei Wappen vorhielten. Mit Moos bedeckt waren die Löwen, als habe man Kübel von Schlamm über sie gestülpt.

Ingeborg bot mir die Hand. Ich blickte sie an. Sie verstand meinen Blick recht gut. Sie senkte die Augen, dann sagte sie: „Ich habe Harry Usedom mein Wort gegeben.“

Ich verneigte mich. Ich verneigte mich tief, mein Unglück drückte mich nieder. Ich war voller Demut.

„Ich wünsche Ihnen Glück!“ sagte ich mit ruhiger, tiefer Stimme und nahm den Hut ab.

Ich ging . . . . .

Ich ging hinein in den Wald, stolperte hin und her, wußte nicht, ob ich nach rechts gehen sollte oder nach links. Es war auch einerlei.

Ich lachte leicht auf, wie einer der friert. Hahaha, lachte ich, hahaha!

Aber gleichzeitig hatte ich den Drang in mir, mich auf den Boden zu werfen und liegen zu bleiben.

Dann besann ich mich auf den Weg und steuerte meinem Hause zu.

Es war spät, die Sterne tauchten am Himmel auf.

Etwas Weißes saß auf der Treppe meines Hauses. Es war Ingeborg.

Sie erhob sich und eilte auf mich zu.

„Nein! Nein!“ rief sie.

Sie kam zu mir her, faßte leicht meinen Arm und blickte mir von unten herauf in die Augen. Wie war der Blick? Voller Suchen, voller Staunen, voller Glanz. Sie lächelte und schmiegte sich an mich.

Ich legte meinen Arm um sie und küßte sie auf den Mund.

8

Wie oft küßte ich Ingeborg? Ich habe es nicht gezählt. Auch Ingeborg hat es nicht gezählt.

„Siehst du nun?“ sagte ich und küßte sie.

Sie lächelte verzückt und bot mir den Mund und die Stirne zum Kusse. „Du sagtest, du könntest nicht mehr lieben!“

„Ja, siehst du nun?“ sagte ich und küßte sie.

Ach, nach Hause, nach Hause, nein, nein. Jetzt nach Hause? Nein, nein! Wer denkt auch daran? Du? Nein, nein, keiner denkt daran.

Wie war dieser Abend? Er war wie der Wind, der über Blumen gegangen ist. Er war wie der Traum von zwei Vöglein, die in einer Rosenhecke schlummern. Gott sandte uns ein Lächeln und Grüße, viele Grüße.

Die Sterne kamen herauf, haha! Blau und voll geheimnisvoller Liebe war der Himmel. Wir saßen unter einem blühenden Apfelbaum, er schäumte von Blüten. Die weißen Blüten und der blaue Nachthimmel, es war Tausendundeinenacht, es war Himmel.

Ich sah Ingeborg an und sagte: „Schön, schön, schön bist du! Du verschenkst Himmel!“

Und ich schüttelte den Apfelbaum, da fielen die Blüten über Ingeborgs schönen Scheitel.

Ingeborg sagte: „Nein, du bist schön! Du weißt es nicht. Du bist so schön, als wärst du kein Mensch! Deine Augen sind so warm und rein, du hast Kinderaugen, weißt du es?“

Nein. Mein Herz pochte.

„Ich glaube, du könntest sterben unter Mörderhänden und deine Augen würden sich nicht verändern. Solche Augen hat Jesus Christus gehabt, ich weiß es!“

Mein Herz pochte.

In meinem Kopfe sprühte es. Ich hatte einen weißen Stern in meinem Kopfe.

„Höre, süße Ingeborg,“ sagte ich, „was denkst du! Eben fällt mir eine Legende ein. Gerade in diesem Momente. Es ist die Legende von der Mutter Gottes und dem erfrorenen Weinstock.

Du mußt sie hören, denn sie paßt so gut. Denke dir, alle Weinstöcke treiben und grünen, nur einer nicht. Er ist erfroren. In einer Nacht packte ihn der Frost. Ich erzähle schlecht, ach, entschuldige.

Ja. Aber da kam die Mutter Gottes des Weges daher, und nun höre: wie an den Fenstern hundert Augen erscheinen, zieht die Königin vorüber, so schlugen plötzlich Blüten aus allen Reben, und wie Kinder die Ärmchen ausstrecken, kommt die Mutter gegangen, so streckten sich überall Ranken und Blätter nach der Mutter Gottes aus. Verstehst du?“

„Schön! — Wo hast du sie gehört, die Legende?“

„Gehört? Nein, sagte ich nicht, daß sie mir eben einfiel, diese Legende, in diesem Augenblick?“ — —

Es ist spät. Gute Nacht, gute Nacht, gute Nacht! Hat jemand eine Ahnung, wie leise man gute Nacht sagen kann? Immer leiser und leiser und doch hört man es noch. Und wie man es sagen kann? daß es soviel bedeutet! — — — „Gute Nacht, du mein Himmelreich!“ — — — —

Ich war allein. Plötzlich stand Pazzo vor mir und blickte mich an. Niemand hatte ihn mehr gesehen. Ich ging nach Hause, durch den stillen weiten Wald ging ich nach Hause. Mitten im weiten feierlichen Walde begegnete mir Gott.

Bist du es, Axel? sprach Gott zu mir.

Ich kniete nieder. Ja.

Gott hauchte mir seinen Atem ins Gesicht.

Ich ging. Auf einer Lichtung begegnete mir der Frühling. Nackt und keck. Er kicherte. Verstehst du mich? sagte er. Er hatte hellgrüne Augen. Ja, sagte ich und lächelte, zuerst den kleinen Apfelbaum an der Parkmauer, dann Liselotte — — —

Ich habe meine Dinge vor mit dir! sagte der Frühling und kitzelte mich unter dem Kinn, daß ich lachen mußte.

Ich ging hin und her im stillen weiten Walde.

Jemand begegnete mir.

Bist du es wieder?

Ja, ich gehe rings im Kreise, sprach er.

Ich kniete nieder. Er berührte meine Lider mit dem Finger, da sah ich meine frohen Tage vor mir liegen. Meine Augen wurden feucht.

Ich bin glücklich, kann es ruhig sagen. Ich liege im Grase vor meinem Hause, es duftet, ich rieche Harz und Waldmeister. Die Maikäfer segeln über den Himmel, sie schwirren über meinem Kopfe. Die ganze Nacht hindurch liege ich da und sehe mir die Sterne an. Wenn ein Stern blinzelt, so muß ich ebenfalls blinzeln, silberne dünne Finger fahren nach meinen Augen. Wenn ein Stern zittert, so spüre ich das leise Zittern in der Mitte meines Herzens.

Ich sehe in die Sterne und mein Herz klopft. Es durchrieselt mich, die Sterne liebkosen mich.

Ich höre den Frieden da droben. Er lispelt.

9

Der Tag graut. Nebel ziehen. Ein Mann sitzt auf der Höhe. An seiner Lodenjoppe hängen feine Tauperlen, er hat den Hut aus der heißen Stirne gerückt. Der Nebel zieht in Schnüren an ihm vorüber.

Es blitzt in der Nebelwolke, blitzende Schwerter fahren hin und her. Der Nebel zerreißt, Tannenwipfel tauchen empor, sie glühen rot. Durch einen Riß blickt ein Streifen blauen Himmels, ein Eck fahlgrüner Wiese, kleine Bauernhäuser mit blinzelnden Fenstern. Langsam weicht der Nebel zurück in die Wälder, die letzten Fetzen schlüpfen ins Geäst der Buchen.

 

Der Mann blickt über das Tal. Es ist wie eine große Muschel, in der alle Farben zusammenfließen. Eine Reihe von Schnittern schwingt tief unten in gleichmäßigem Takte die Sense. Die Fenster der Bauernhäuser sehen mit leuchtendem Staunen in die aufsteigende Sonne. Der Wald trieft und atmet tief auf in der Wonne des Erwachens. Es klingelt im Walde von hellen Vögelstimmen.

Des Mannes Augen sind geblendet vom Lichte. Die Sonne ist noch nicht rund, da kommt ein Mädchen aus dem Walde. Sie ist naß vom Tau wie Blumen und Gräser. Sie läuft, daß die Röcke fliegen.

„Ich wollte auf dich warten!“ ruft sie, daß es klingt, „ich wollte zuerst da sein!“

Sie lacht, sie weint, sie stürzt sich an des Mannes Brust.

Des Mannes Hände zittern.

Die Sonne geht auf und scheucht die Nebel in die Wälder, wir gehen durch den Wald, die Sonne sinkt hinter goldenen Höhen, wir gehen zusammen, wir zwei. Wir blicken in die Höhe, die Wipfel der Buchen sind durchsichtig, hellgrün wie Wasser, wir gehen wie in einem hellgrünen Meere, dessen Grund die Sonne erleuchtet.

„Es ist Mittag,“ sagen wir.

Tag um Tag. Mein Herz klopft.

Wir treffen uns auf der Bank auf der Höhe. Ingeborg erzählt mir, wie sie zur Bank eilt.

Ja, zuerst geht sie schnell, sehr schnell, dann läuft sie und zuletzt fliegt sie durch Dick und Dünn und es geht immer noch zu langsam.

Ich lächle.

„Ich habe die ganze Nacht gesessen und an dich gedacht!“ sage ich.

Ingeborg nimmt das Kettchen mit dem goldenen Medaillon vom Halse und drückt es mir in die Hand.

Hastig, als könne es jemand sehen.

„Nimm,“ sagt sie, „nimm! Ich habe nichts, das mir mehr wert wäre.“

„Erlaube, daß ich die Spitze deines Schuhes küsse!“ sage ich.

Ingeborg kommt am Abend in den Birkenhain vor ihrem Hause, sie trägt ein kleines Heft in der Hand.

„Nimm,“ sagt sie, „nimm! Es ist ein Schulheft, ein kleines Heft, vielleicht macht es dir Freude?“

Ich muß mich abwenden. Ich danke Ingeborg im tiefsten Herzen. Ich nehme den Hut ab und gehe neben ihr her.

„Warum trägst du den Hut in der Hand?“ fragt Ingeborg.

„Es ist schwül im Walde,“ erwidere ich.

Ingeborg zieht eine Photographie aus der Tasche. Sie lacht.

Da steht er, die Geige in der Hand und sieht uns an mit seinen großen Frauenaugen.

Ingeborg lacht. „Er ist dumm und hochmütig,“ sagt sie und zerreißt das Bild kreuz und quer.

Die Stücke wirft sie ins Gebüsch.

Ich lache. „Ja, er ist dumm und hochmütig,“ sage ich.

„Ich möchte dir alles schenken, was ich habe!“ sagt Ingeborg.

Ich weiß nicht, was ich darauf erwidern soll.

Ich drücke ihr die Hand.

„O!“ sagt sie und schließt halb die Augen. „Ich träume.“

Meine Augen sahen in die schöne Welt und ich hatte das tiefe Gefühl, daß ich zu ihr gehörte und mich nicht zu schämen brauchte.

Mein Herz war schwer und reich und es füllte mir die Brust mit süßer Bürde. Dankbarkeit und Staunen und Liebe war mein Herz in dieser Zeit.

Ich sah Ingeborgs schwebende Gestalt neben mir hergehen und staunte und war dankbar, jenem Geiste dankbar, der sie mir schickte in diesem Frühling, ihr dankbar, daß ich neben ihr einhergehen durfte. Ich wünschte mir nichts anderes, als neben ihr einhergehen zu dürfen. Das war Glück!

Ich konnte einschlafen, während ich neben Ingeborg einherging, die Besinnung verlieren, ich hatte keinen Gedanken mehr im Kopfe, keine Klarheit. Klarheit? Ach — hahaha — — nein, ich war betäubt, kein Gedanke, keine Klarheit.

Ingeborg fühlte meinen Blick, sie kam heran, gab mir die beiden Hände und blickte mir in die Augen und lächelte. So standen wir lange, Gott weiß wie lange, wir wußten ja nichts mehr.

Ich kannte ihre Augen ganz genau. Oft dachte ich, immer dachte ich an ihre Augen. Sie sind wie Türkise, glänzende Türkise, aber was will das sagen? Es ist ein eigentümlicher, suchender, strahlender Blick in ihnen, etwas Blitzendes, ich besinne mich, in meinem Kopfe ist es wie ein Wetterleuchten. Ich habe den Ausdruck ihrer Augen vergessen. Ich sehe sie wieder an, diese Augen ja, es ist etwas Blinkendes, Schimmerndes in ihren Augen, niemand kann es im Gedächtnis behalten. Ihr Gesicht ist schmal, spitzig dem Kinn zu, es lugt aus den goldenen Quasten hervor, die über die Wangen herabhängen und nahezu die Brust berühren, wenn sie den Kopf senkt.

Ihre Wangen sind schmal und leicht gerötet, sie bekommen Grübchen, sobald sie lächelt.

Ein verzücktes Lächeln hat sie und alles lächelt an ihr, sobald sie lächelt, nimmermehr kann ich dies Lächeln vergessen, es umschwebt mich Tag und Nacht. Ich kenne es gut, aber jeden Tag erscheint es mir neu. Jeden Tag entdecke ich es, dieses Lächeln, und es rinnt durch mein Blut, daß es heiter und fröhlich wird.

Heute denke ich, ein goldener Ton ist über ihr Gesicht gebreitet wie über die Bildnisse alter Meister. Und morgen denke ich: ja, etwas von dem Golde reifer Ähren ist über ihr Gesicht gestreut. Und übermorgen denke ich, daß sie die Farben der Wiesen und Felder im Gesicht hat, das Gold der Ähren, das Blau der Vergißmeinnichte, das Rot der Erdbeeren. Ingeborg, Ingeborg . . . .

In dieser Zeit schrieb ich einen Brief an meinen Freund, den Dichter Karl Bluthaupt. Ich bin glücklich, schrieb ich, komme sofort! Ich bin sehr glücklich, große Dinge geschehen, ich wohne auf der Sonne, in einem Garten auf der Sonne, in der Nachbarschaft der schönsten Engel, ich bin glücklich, komme sofort.

Noch viel mehr schrieb ich. Nun, Freund Bluthaupt war ein Dichter, der wird wohl verstehen, wenn er liest: ich bin glücklich, ich bin sehr glücklich. Ein Meer von Glück ist über mich gestürzt, ich bin glücklich . . . .

Zwei Stunden hatte ich zu gehen, um diese Botschaft meines Glückes zur Post zu bringen. Ich ging in der Nacht, lachte und schwang den Brief hin und her.

Ich bin glücklich, wohne auf der Sonne, in einem Garten auf der Sonne. Ein Bach von Glück bewässert diesen Garten, die Blumen lachen. Näheres mündlich — — — — — — — — — — — — — — —

Wir gingen durch den Wald, einen hohen Tannenwald. Pazzo spitzte die Ohren und blieb stehen.

Er schlug an.

„Ruhe, Pazzo,“ rief ich.

Pazzo gehorchte, schlich zu mir heran und blickte ins Dickicht.

„Es ist jemand im Walde,“ sagte ich. „Es ist ein Mensch im Dickicht, kein Tier, ich kenne Pazzo.“

Ingeborg sah mich an und erblaßte. Wir gingen weiter.

„Laß uns ins Freie gehen,“ sagte Ingeborg. Sie zitterte.

Vielleicht sei es Usedom gewesen?

Sie legte die Hand auf meinen Arm und sah mich prüfend an.

„Was denkst du?“

Ich lächelte. „Schön bist du, Ingeborg! das dachte ich. Gütig bist du, Ingeborg!“

„Laß es dir erzählen, Axel. Höre mir zu. Er schleicht herum, ich weiß es. Seit ich ihn kenne, schleicht er mir nach. Schon als Knabe war er so. Er ist so aufdringlich und so hochmütig. Ich fürchtete mich früher vor ihm, besonders vor seinen Händen fürchtete ich mich. Ich habe nichts mit ihm gehabt, ich haßte ihn. Ja, es ist wahr, zuweilen liebte ich ihn auch. Damals war ich ein dummes Mädchen, ich war stolz auf ihn. Er bekam immerzu Blumen von den Frauen geschickt, er warf sie weg. Er hatte eine Busennadel von einer Königin, er schenkte sie einem Bauernknaben. Ich will mir auch nichts von einer Königin schenken lassen, sagte er. Das gefiel mir, ich war ja so töricht damals. Ich hatte es gerne, wenn er vor mir stand, dann sahen seine Augen aus wie die eines Hundes. Es ist alles Verstellung, er ist so hochmütig und dumm. Immer spricht er von sich, von seinen Konzerten und daß die Leute an den Bahnhöfen stünden, um ihn zu erwarten. Er weinte immer vor mir. Ich weine vor dir, sagte er, tausend und abertausend Frauen gäben ihr Leben für mich und du blickst mich nicht an.“ — —

Einige Tage darauf gingen wir wieder durch den Wald, und wieder schlug Pazzo an. Es war in einem Walde hoher dicker Buchen. Pazzo bellte und sprang in den Wald hinein. Harry Usedom kam hinter einer Buche vor.

„Rufen Sie Ihren Hund zurück!“ rief er und zog die Hände an sich.

Er stand am Wege und sah Ingeborg an.

Sein Gesicht war fahl, grau, tiefe Ringe zogen um seine Augen, die matt glänzten.

Sein schmales Gesicht sah aus wie das einer Frau, die dem Tode nahe ist. Seine Lippen zuckten, er hatte die Linke auf das Herz gelegt, und die Finger begannen nervös zu trommeln.

„Ich suchte Sie seit vielen Tagen zu sprechen,“ sagte er, „ich wollte Ihnen nur dies sagen: Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Fräulein Ingeborg!“

Er griff an den Hut, wandte sich um und ging mit schnellen Schritten in den Wald hinein.

„Komm,“ sagte ich zu Ingeborg, indem ich meine Hand sachte auf ihre Schulter legte.

Ingeborg war bleich, sie sprach lange nichts. Dann sagte sie:

„Ich liebe ihn doch.“

Ein Stich fuhr mir ins Herz, ich nahm sachte die Hand von ihrer Schulter.

„Nein, nein! Laß doch deine Hand da. Ich liebe ihn noch ein wenig, er tut mir leid, aber ich liebe dich ja tausendmal mehr, tausendmal mehr. Küsse mich Axel, sei gut!“

„Ich liebe dich,“ sagte ich und küßte sie. O, o, nun sei alles gut.

„Ich erschrak, Axel. Nun sollst du alles hören. Ich habe ihm mein Wort gegeben — es war einige Tage nachdem ich dir auf der Höhe gesagt hatte, daß ich dich liebte. Er kam zu mir in den Garten. Man sieht Sie ja jetzt so selten, sagte er. Ich gehe viel spazieren. Ja, fuhr er fort, die Krone eines Fürsten ist mehr wert, als der Ruhm eines Geigers. So dumm und plump war es. Aber ich war in diesen Tagen unglücklich und hilflos, deshalb zürnte ich ihm nicht. Ich lachte. Was sagen Sie da! rief ich und lachte. Ach, Usedom, wie töricht können Sie doch zuweilen sein. An diesem Abend gab ich mein Wort, aus Trotz geschah es. Er legte seine Hand auf meine Schulter, und ich dachte an dich. Das sollte er sehen, dachte ich, das sollte er nur sehen! Ich ging mit Usedom im Walde herum, nur um dir zu begegnen und dich zu verletzen. Du wirst das nicht verstehen, nein, du nicht. Ich war unglücklich und gedemütigt, ich war verwirrt im Kopfe. O, wie gerne wäre ich damals mit dir gegangen, gleich zu dir hingegangen, und ich sah dich kaum an und sprach mit Pazzo — — —“

Wir sitzen in der Sonne auf einer Wiese. Ingeborg singt leise und bindet einen Strauß aus Feldblumen. Ich liege im Grase und lausche und sehe zu, wie Ingeborg den Strauß bindet. Nie in meinem Leben hörte ich solch eine Stimme, nie in meinem Leben habe ich so etwas Schönes gesehen wie Ingeborg. Ihre Wimpern sind golden und lang. Es ist, als ob sie eine kleine Sonne unter den Lidern habe, die hervorstrahle. Ihre Brauen sind golden, regelmäßig und hochgeschwungen, goldene Bogen, man sieht jedes einzelne Härchen. Wie mit einem Pinsel scheinen sie gezeichnet und eines Japaners Hand schien den Pinsel geführt zu haben. Ihre Stirne ist hoch und rein und dahinter stecken all die vielen Gedanken, die sie selbst noch nicht kennt. Ingeborg dreht den Strauß hin und her und drückt ihn mit mütterlicher Liebe gegen die Brust. Es singt ein Vogel im nahen Walde, Ingeborg hält inne und lauscht.

Sie fühlt meinen Blick, hebt die Lider und lächelt mir zu. Sie beschäftigt sich wieder mit ihrem Strauße, vergißt mich ganz, macht ein rundes Kindermäulchen und lächelt die Blumen an und singt leise.

Sie ist fertig. „Ist er schön?“ fragt sie.

„Ja!“

„Nun, so nimm ihn! Aber hüte ihn gut.“

Ingeborg ist die Mutter der Blumen und Vögel und sie streichelt die Bäume. Sie kennt alle Kräuter, die Namen aller Vögel, aller Büsche. Sie blickt in die Wipfel der Bäume, als sehe sie Gesichter, und ich habe sie dabei ertappt, daß sie mit Blumen plauderte wie mit Kindern.

Ingeborg ist im Walde geboren.

Ich sehe sie heute, ich sehe sie morgen, jeden Tag sehe ich sie. Jeden Tag glaube ich sie zum erstenmal zu sehen. Und mein Herz bebt nicht minder, kommt sie daher, als am ersten Morgen.

In dieser Zeit lag ich oft lange über Mitternacht vor meinem Hause im Grase. Silbern schimmerte das Tal und die Wölkchen am Himmel. Dunkele Vögel strichen lautlos über den Wald, Leuchtkäferchen segelten vorüber, zuweilen setzten sie sich in meine Nähe und ich ließ sie nicht aus den Augen. So klein wie sie waren, so stumm und prächtig. Sie liebten sich und sie waren so glücklich wie ich großer Käfer. Ich sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit der Gebüsche verschwanden. Viele Käferchen, Nachtfalter und Motten mit silberigen Flügeln waren unterwegs.

 

Ich lag und dachte an Ingeborg, dachte an mich und mein unfaßbares Glück. Der Friede des schimmernden Tales zog in mein Herz.

Es war ein solch tiefer Friede, wie ich ihn nie gekannt hatte. Mein Herz strömte über. Und ich stand auf und erhob die Hand und segnete die Welt. Ich dachte: Frieden in alle Menschenherzen, süßen Frieden. Glückliche Stunden allem was da lebt, dem ärmsten Manne im fernsten Lande, dem kleinsten Wurm in der dunkelsten Erde. Feuer dem Frierenden, Brot dem Hungernden, einen sanften Tod dem Mörder, gute Fahrt dem Seemanne auf dem Meere!

Ich lag bis spät nach Mitternacht im Grase und ich hatte das Gefühl dahinzuschweben.

Friedlich schwebt die Erde ihre Bahn, dachte ich. Und ich öffnete die Lippen und flüsterte: „Friedlich schwebt die Erde ihre Bahn.“ —

In dieser Zeit, ja, was war doch alles in dieser Zeit!

Ich legte mich schlafen und zählte die Minuten, bis ich sie wiedersehen sollte. Ich ging noch einmal durch den roten Tag und sammelte. Ich fühlte den Druck ihrer Lippen auf meinem Munde, meine Hände behielten den Druck ihrer Hände in der Erinnerung. Die Wärme ihres Atems war in meinem Gedächtnis, die Weichheit ihrer Haare, der Glanz ihrer Augen, das Lächeln ihrer Wangen.

Dann schlief ich ein und im Traume begegnete mir Ingeborg wieder. Von Stunde zu Stunde erwachte ich, ich blickte in die Sterne empor, sie funkelten, sie leuchteten, sie flackerten, sie erblaßten — endlich!

Und Ingeborg sprach: „Am Tage gehe ich umher, als ob ich träumte. In der Nacht gehe ich im Traume umher, als ob ich wachte.“ Ingeborg sprach: „Alle Dinge sehe ich in hohem Glanze. Nie war der Himmel blauer, nie war der Wald grüner. Ich sehe alle Dinge wie mit Regenbogenrändern. O, Axel, dir danke ich alles!“

Ingeborg, Ingeborg, du Liebling Gottes, du Schmuck der Welt!

Die Tage zogen vorüber, wie Rosenblätter einen Bach hinabtreiben, so still, so schön und kaum gesehen, so waren diese Tage.

Das Tal schaukelte wie eine goldene Wiege, der Wald rauschte wie eine Orgel, die Vögel sangen als hätten sie diamantene Schnäbel.

Und Ingeborg jubelte: „Immer blauer wird der Himmel, immer süßer wird dein Mund!“

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