Staatshaftungsrecht

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f) Schaden

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Die Frage, welche Schadenspositionen vom Schutzzweck der Amtspflicht umfasst sind, ist bereits im Rahmen der Drittbezogenheit der Amtspflicht in sachlicher Hinsicht überprüft worden (siehe oben Rn 153 ff). In diesem Rahmen sind grundsätzlich alle adäquat verursachten Schadenspositionen, einschließlich des Vermögensschadens, ersatzfähig.

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Beispiel:

Hat ein Bauherr einem Bauunternehmer ein Kündigungsrecht, verbunden mit einem pauschalen Schadensersatz, für den Fall eingeräumt, dass der Werkvertrag nicht wie vereinbart zur Ausführung kommt, so ist auch diese Verbindlichkeit vom Schutzzweck der Amtspflicht erfasst und dem Bauherrn als Schadensposten zu ersetzen, wenn zB eine Baugenehmigung amtspflichtwidrig aufgehoben wurde[141].

Beispiel:

Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungs- und Überwachungsbehörde ist gegenüber dem vom Anlagenbetreiber personenverschiedenen Grundstückseigentümer zum Ersatz der aufgrund von Bodenkontaminationen eingetretenen Wertminderung des Grundstücks und der mit der Bodensanierung verbundenen Aufwendungen verpflichtet, wenn er die ihm gegenüber bestehenden Amtspflichten bei der Genehmigungserteilung und/oder Überwachung verletzt hat. Dabei ist es unerheblich, ob der geschädigte Grundeigentümer die zur Sanierung notwendigen Aufwendungen aus eigenem Antrieb oder (nur) deshalb getätigt hat, weil er als Zustandsstörer in Anspruch genommen wurde[142].

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Zu den Schadenspositionen zählt insbesondere auch der Verzögerungsschaden, einschließlich entgangenen Gewinns. Dies ist eine häufige Position, wenn die begehrte Anlagen- oder Baugenehmigung gar nicht erteilt wurde und erst gerichtlich erstritten werden musste oder aber verzögert erteilt worden ist. Ebenso kann Schmerzensgeld verlangt werden, wenn der Schutz von Leben und Gesundheit vom Schutzzweck der Amtspflicht umfasst ist.

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Beispiel:

Wird bei der Impfung mit Lebendviren in amtspflichtwidriger Weise die Aufklärungspflicht über Risiken für Kontaktpersonen unterlassen und erkrankt eine Kontaktperson an Kinderlähmung, so kann hierfür Schmerzensgeld geltend gemacht werden[143].

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Zum Vermögensschaden gehören insbesondere auch die Aufwendungen für einen Rechtsanwalt im Rahmen des Verwaltungsverfahrens bzw des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Adäquat verursacht sind die Kosten eines Rechtsanwaltes auch dann, wenn seine Hinzuziehung im Vorverfahren nicht durch die Behörde oder das Gericht für erforderlich erklärt worden ist, es sei denn, die Hinzuziehung erschien vollkommen abwegig. Hier ist der allgemeine deliktsrechtliche Maßstab für die Adäquanz des Schadens zugrunde zu legen und nicht die verwaltungsverfahrensrechtlichen Spezialregelungen. Erstattungsfähig sind nicht nur die gesetzlichen Gebühren des Rechtsanwaltes, sondern gegebenenfalls auch ein darüber hinausgehendes Honorar, wenn und soweit es in Anbetracht des Falls als angemessene Vergütung angesehen werden kann[144].

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Bei hinreichend schweren Eingriffen und fehlenden anderweitigen Genugtuungsmöglichkeiten kann es bei Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung geben[145].

g) Anderweitige Ersatzmöglichkeiten

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Gemäß § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB soll der Amtshaftungsanspruch nur subsidiär greifen, wenn dem Amtswalter nur Fahrlässigkeit vorgeworfen werden und der Geschädigte gleichzeitig für denselben Schaden auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit zurückgreifen kann. Diese Konstruktion ist nur vor dem historischen Hintergrund zu verstehen. Da die Amtshaftung auf der Grundlage von § 839 BGB ursprünglich als reine Beamtenhaftung ohne Überleitung auf den Staat ausgeprägt war, sollte es Haftungserleichterungen für den persönlich haftenden Beamten geben. Dieser Regelungszweck ist seit der Überleitung der Haftung auf den Staat entfallen. Es ist daher seit langem eine rechtspolitische Forderung, dieses nun dem Staat zukommende Haftungsprivileg abzuschaffen. Dies ist bisher nicht erfolgt und der BGH hat sich auch nicht insgesamt dafür ausgesprochen, die Verweisungsnorm des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB unangewendet zu lassen. Sie wird vor diesem Hintergrund jedoch in der Anwendung teleologisch stark modifiziert.

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Die Verweisung greift nicht, wenn der Geschädigte dadurch auf einen anderen, ebenfalls gegen einen Träger öffentlicher Gewalt gerichteten Entschädigungsanspruch verwiesen würde. Das unter anderem von der Rechtsprechung zur Rechtfertigung der Fortgeltung des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB verwandte Argument, durch die Verweisung solle der Staat vor umfassenden Entschädigungsansprüchen geschützt werden, greift in diesem Fall nicht durch. Ebenso entfällt das Verweisungsprivileg bei der dienstlichen Teilnahme eines Amtsträgers am allgemeinen Straßenverkehr: Für den allgemeinen Straßenverkehr hat sich ein eigenständiges Haftungssystem entwickelt, in dem der Grundsatz haftungsrechtlicher Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer gilt. In diesem Ordnungssystem gibt es keine Rechtfertigung für die haftungsrechtliche Benachteiligung etwaiger Mitschädiger, die bei Geltung des Verweisungsprivileges den auf den Beamten/Staat entfallenden Haftungsanteil mittragen müssten[146]. Eine Unterausnahme gilt, wenn Sonderrechte etwa nach § 35 StVO in Anspruch genommen werden. Wenn in einem solchen Fall, also bei Eingreifen des Verweisungsprivilegs und der dadurch entfallenden Haftung des Beamten/Staates, ein Ausgleich zwischen mehreren Schädigern vorzunehmen ist, so wird der Privilegierung des Beamten/Staates im Wege des so genannten gestörten Gesamtschuldverhältnisses Rechnung getragen: Soweit die Haftungsprivilegierung reicht, entsteht zwischen dem Staat und dem Mitschädiger kein Gesamtschuldverhältnis gegenüber dem Geschädigten.

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Ebenso entfällt das Verweisungsprivileg bei der Verletzung von als hoheitliche Aufgabe übertragenen Verkehrssicherungspflichten, wie etwa den Straßenverkehrssicherungspflichten. Dies ergibt sich zum einen aus der Nähe dieser Regelungen zum allgemeinen Straßenverkehr. Darüber hinaus stimmen die als öffentlich-rechtliche Verkehrssicherungspflichten ausgestalteten Amtspflichten mit den allgemeinen Verkehrssicherungspflichten überein. Diese gelten jedoch für jedermann, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt und deshalb gehalten ist, alle ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, die zur Abwendung der Dritten drohenden Gefahren geboten sind[147]. Aufgrund dieser inhaltlich gleichen Ausgestaltung der Pflichtenstellung kann eine Haftungsprivilegierung der öffentlichen Hand nicht gerechtfertigt werden.

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Beispiel:

Die Gemeinde G hat die Winterdienstpflicht für die Gehwege im Rahmen einer Satzung auf die Anwohner übertragen. Dadurch bleibt sie jedoch – wie auch sonst bei der Übertragung einer Verkehrssicherungspflicht – verantwortlich für die Überwachung der Einhaltung dieser Verpflichtung. Wenn ein Fußgänger auf einem ungeräumten Gehweg stürzt, so kann die Gemeinde ihn nicht auf einen Schadensersatzanspruch gegen den nicht räumenden Anwohner verweisen, wenn ihr zugleich die Verletzung ihrer Organisationspflicht hinsichtlich dieser Straßenverkehrssicherungspflicht vorgeworfen werden kann[148].

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Weiter greift das Verweisungsprivileg dann nicht, wenn sich die anderweitigen Ersatzmöglichkeiten als Versicherungsleistungen (zB: Kfz-Versicherung, private und gesetzliche Krankenversicherung, Sozialversicherung, Sach- und Feuerversicherung) oder Lohnfortzahlungsansprüche gegenüber dem Arbeitgeber darstellen. Diese Leistungen haben nicht den Zweck, staatliches Unrecht zu kompensieren und dem Staat das Haftungsrisiko abzunehmen.

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Die Verweisung auf anderweitige Ersatzmöglichkeiten ist nur dann möglich, wenn diese durchsetzbar sind und der Verweis auf sie zumutbar ist. Das heißt, sie müssen faktisch realisierbar sein. Auch Hintergrund dieser Einschränkung ist es, dass die ursprüngliche Schutzbestimmung für den persönlich haftenden Beamten hier nicht mehr greift. Daher kann auf einen Anspruch gegen einen Dritten nicht verwiesen werden, wenn bereits jetzt die spätere Vollstreckung als aussichtslos erscheint, zum Beispiel weil der Dritte vermögenslos ist, oder jedenfalls die Vollstreckung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, etwa wenn der Schuldner im Ausland ist. Ebenso wenig darf der Dritte darauf verwiesen werden, einen Rechtsstreit zu führen, dessen Ausgang unsicher ist. Die Durchsetzbarkeit der anderweitigen Ersatzmöglichkeit darf jedoch nicht aufgrund eines vorwerfbaren Verhaltens des Geschädigten fehlen, etwa weil zwischenzeitlich Verjährung eingetreten ist. Als Unterausnahme hierzu gilt: Hat der Geschädigte nur deshalb nicht rechtzeitig von schuldrechtlichen Ersatzmöglichkeiten Gebrauch gemacht, weil er zunächst versucht hat, verwaltungsgerichtlichen (Primär-)Rechtsschutz zu erlangen, und erschien dieser Weg nicht gänzlich aussichtslos, so ist dem Geschädigten die zwischenzeitlich eingetretene Verjährung nicht vorwerfbar; ihm kann das Verweisungsprivileg nicht entgegengehalten werden.

 

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Die anderweitige Ersatzmöglichkeit kann nicht nur in einem gleichgerichteten Schadensersatzanspruch liegen, sondern auch in der Ausübung von Gestaltungsrechten, wie zum Beispiel der Wandlung (Rücktritt) eines Kaufvertrages über das altlastenbelastete Grundstück gegenüber dem Bauträger. Eine solche Verweisung ist jedoch dann nicht möglich, wenn auch der Bauträger selbst auf die Ausweisung vertrauen durfte und bei einer entsprechenden Verweisung des Bauherrn dann der Bauträger selbst derjenige wäre, der Amtshaftungsansprüche wegen der Ausweisung gegenüber der Gemeinde geltend machen könnte[149].

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Das Fehlen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit gehört zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Amtshaftungsanspruches und ist daher im Prozess vom Berechtigten darzulegen und zu beweisen. Solange eine anderweitige Ersatzmöglichkeit ernsthaft in Betracht kommt, ist die Amtshaftungsklage unschlüssig[150].

4. Haftungsausschlüsse und -begrenzungen

a) „Spruchrichterprivileg“

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Mit dem so genannten Spruchrichterprivileg gemäß § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB wird nicht etwa der Richter aus dem Kreis derjenigen Amtswalter ausgenommen, für deren amtspflichtwidriges Verhalten der Staat zur Haftung verpflichtet ist. Vielmehr werden nur die richterlichen Entscheidungen haftungsrechtlich privilegiert; daher wird häufig auch der Begriff des „Richterspruchprivilegs“ verwendet. Die Privilegierung findet Anwendung auf alle ein Prozessrechtsverhältnis für die Instanz ganz oder teilweise unter Selbstbindung des Gerichts beendenden Entscheidungen, einschließlich ihrer Nebenentscheidungen. Aus der Formulierung „bei dem Urteil“ wird abgeleitet, dass von der Privilegierung auch alle Verfahrenshandlungen umfasst sind, die zur Sachentscheidung führen. Dazu gehören auch prozessleitende Maßnahmen, die objektiv zu einer Verzögerung führen können. Hierzu hat der BGH zwischenzeitlich festgestellt, dass entsprechende Handlungen nicht § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB unterfallen, also nicht von der grundsätzlichen Privilegierung ausgeschlossen sind. Denn auch insoweit müsse aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit gelten, dass entsprechende Handlungen nur auf ihre Vertretbarkeit hin überprüft werden können. Die Führung des Verfahrens ist in das Ermessen des Gerichts gestellt. Dabei darf der Zeitfaktor, zumal bei zunehmender Verfahrensdauer, selbstverständlich nicht ausgeblendet werden. Er ist aber nicht der allein entscheidende Maßstab[151].

Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift sind darüber hinaus nicht nur Urteile im formalen Sinne umfasst, sondern auch alle „urteilsvertretenden Erkenntnisse“. Denn Hintergrund und Zweck dieser Regelung ist es, dass diese Entscheidungen in materielle Rechtskraft erwachsen und lediglich mit den durch das Prozessrecht hierfür vorgesehenen Mitteln angegriffen werden sollen.

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Das so genannte Spruchrichterprivileg gilt daher zum Beispiel nicht für richterliche Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren, Anordnungen im Strafverfahren oder Beschlüsse in Kosten- oder Streitwertfestsetzungsverfahren, denn sie sind nicht der materiellen Rechtskraft fähig.

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In Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung[152] hat der BGH zwischenzeitlich aber klargestellt, dass auch Entscheidungen über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO, ebenso wie der Arrest und die Einstweilige Verfügung im Zivilprozess, auch soweit sie durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung ergehen, dem Spruchrichterprivileg unterfallende urteilsvertretende Erkenntnisse sind. Denn es handele sich um selbstständige Verfahren im Verhältnis zu einem in der Hauptsache möglichen oder bereits anhängigen Urteilsverfahren, auf die grundsätzlich alle Vorschriften und allgemeinen Rechtsgrundsätze Anwendung finden, die für selbstständige Verfahren gelten. Die Entscheidungen sind auch – allerdings durch den Vorbehalt erleichterter Abänderbarkeit durch das Gericht beschränkt – rechtskraftfähig. Die Verfahren erfüllen schließlich nicht nur eine Sicherungsfunktion (Offenhaltung der Hauptsacheentscheidung), sondern auch eine „interimistische Befriedungsfunktion“[153].

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Auch soweit die Haftungsprivilegierung nach diesen Kriterien greift, besteht sie nicht grenzenlos. Der Staat haftet, wenn sich die Entscheidung des Richters als Straftat darstellt, also insbesondere den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) oder der Richterbestechlichkeit (§ 332 Abs. 2 StGB) erfüllt.

b) Unterlassener Rechtsmittelgebrauch

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Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht dann nicht ein, wenn der Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Auch diese Regelung war vom Grundsatz her zur Privilegierung des persönlich haftenden Beamten geschaffen worden. Sie unterstreicht nun die Vorrangigkeit des primären Rechtsschutzes gegenüber dem diesen nur ergänzenden sekundären Schadensersatzrecht. Auch im Bereich der Amtshaftung ist ein „dulde und liquidiere“ nicht möglich.

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Der Begriff des Rechtsmittels ist weit zu verstehen. Hierzu zählen nicht nur alle förmlichen und gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe wie Widerspruch und Klage, Normenkontrollantrag beim Bebauungsplan, Anträge im vorläufigen Rechtsschutzverfahren, gegebenenfalls Untätigkeitsklagen und Rechtsmittelanträge.

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Beispiele:

Der nicht beförderte Beamte muss sich nicht nur im Hauptsacheverfahren gegen die Behördenentscheidung gewandt haben. Er muss darüber hinaus einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO stellen, da hierdurch die endgültige Besetzung der Stelle und damit der Eintritt des Schadens verhindert werden kann[154]. Bei einem Gebührenbescheid ist der Widerspruch aufgrund der Regelung in § 80 Abs. 2 Nr 1 VwGO noch nicht ausreichend, den mit der Zahlung verbundenen Schadenseintritt zu verhindern. Dann kann auch der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung Rechtsmittel im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB sein[155].

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Nach der Auffassung der Rechtsprechung gehören zu den zu gebrauchenden „Rechtsmitteln“ auch formlose Rechtsbehelfe, wie Dienstaufsichtsbeschwerden, Gegenvorstellungen, Erinnerungen oder sonstige Beschwerden.

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Von § 839 Abs. 3 BGB nicht erfasst sind hingegen der Folgenbeseitigungsanspruch und sein Pendant im Sozialrecht, der Herstellungsanspruch: Die gerichtliche Geltendmachung dieser Ansprüche hemmt zwar die Verjährung eines Amtshaftungsanspruchs; ihre vorherige Geltendmachung ist jedoch nicht für die Durchsetzung eines Amtshaftungsanspruchs erforderlich. Denn diese Ansprüche sind, anders als Maßnahmen des Primärrechtschutzes, nicht auf die Abwehr der zugrunde liegenden Verwaltungsmaßnahme, sondern auf die Beseitigung von deren Folgen gerichtet[156].

205

Eine Grenze sieht der BGH ferner dort, wo der Geschädigte den Eintritt des Schadens nicht durch sein Einwirken auf die amtspflichtwidrig handelnde Körperschaft, sondern durch sein eigenes Verhalten verhindern könnte.

206

Beispiel:

Die Baustelle des E wird durch bauordnungsrechtliche Verfügung stillgelegt. Hiergegen legt er Widerspruch ein. E ist nicht gehalten, während der Entscheidung der Behörde über seinen Widerspruch die Bauarbeiten fortzusetzen. Dies wäre ihm aufgrund der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches im Prinzip (rechtlich) zwar möglich[157]. Das hier erforderliche Rechtsmittel im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB war jedoch der Widerspruch. Die Frage, ob der Schaden bei einer entsprechenden Fortsetzung der Bauarbeiten gemindert worden wäre, soll nach der Rechtsprechung im Rahmen des § 254 BGB unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens sachgerechter geprüft werden. Denn die Anwendung von § 839 Abs. 3 BGB führte zum Totalausschluss des Anspruches.

207

Die Verfassungsbeschwerde gehört nach allgemeiner Auffassung nicht zu den Rechtsmitteln im Sinne von § 839 Abs. 3 BGB. Eine Ausnahme mag dann bestehen, wenn das amtspflichtwidrige Verhalten ausnahmsweise in einer gesetzgeberischen Tätigkeit zu erachten ist und daher die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 3 BVerfGG als „primärer Rechtsschutz“ gewertet werden müsste.

208

Der in Anspruch genommene Staat muss bei einer Berufung auf § 839 Abs. 3 BGB darlegen und beweisen, dass das Versäumnis der Rechtsmitteleinlegung kausal für den Schaden gewesen und vom Geschädigten zu vertreten ist. Das Kausalitätserfordernis macht deutlich, dass nicht wirklich jeder Rechtsbehelf unter den Anwendungsbereich des § 839 Abs. 3 BGB fällt. Denn Kausalität kann nur für solche Rechtsbehelfe angenommen werden, die im Ergebnis geeignet sind, durch eine Korrektur des für den Schaden ursächlichen Verwaltungshandelns den Eintritt des Schadens zu verhindern oder zumindest zu mindern. Daran fehlt es etwa bei Rechtsbehelfen, die erkennbar ohne Erfolgsaussichten sind; diese sind dem Geschädigten nicht zuzumuten.[158] Bei der Überprüfung, ob etwa ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 80 Abs. 5 VwGO den Schadenseintritt hätte verhindern können, ist nicht nur zu überprüfen, wie die wirkliche Rechtslage ist. Darüber hinaus ist auch die Rechtspraxis in der in Rede stehenden Frage zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, in dem der Rechtsbehelf hätte angebracht werden müssen, wenn er den Eintritt des Schadens hätte verhindern sollen. Wenn sich zum damaligen Zeitpunkt die Rechtspraxis noch nicht dahin entwickelt hatte, die aufschiebende Wirkung in diesen Fällen anzuordnen, kann das Versäumnis, nicht von diesem Rechtsbehelf Gebrauch gemacht zu haben, nicht ursächlich für die Vermeidung des Schadenseintritts gewesen sein[159].

209

Hinsichtlich des Verschuldens für das Rechtsmittelversäumnis ist auf den Verkehrskreis des Geschädigten abzustellen. Es muss für ihn erkennbar gewesen sein, dass durch das versäumte Rechtsmittel der Schadenseintritt verhindert oder jedenfalls vermindert werden konnte.

210

Beispiel:

Es ist nicht im Sinn des erforderlichen Verschuldens vorwerfbar, wenn der Schweinemäster, der sich gegen den die heranrückende Wohnbebauung zulassenden Bebauungsplan mit der Normenkontrolle wehrt, nicht auch noch gegen jedes einzelne Bauvorhaben eine Abwehrklage zum Verwaltungsgericht erhebt[160].

211

Beispiel:

Im Obdachlosenfall ist es dem Eigentümer nicht vorwerfbar, wenn er zur Durchsetzung seines Räumungsanspruches nach Ablauf der Einweisungsfrist keinen Antrag nach § 123 VwGO stellt, um die einweisende Behörde zur Durchsetzung der Räumung zu veranlassen, wenn er noch über einen unverbrauchten privatrechtlichen Räumungstitel gegen den Eingewiesenen verfügt. Denn zu dem Zeitpunkt, in dem der Eigentümer die Räumung durch den privatrechtlichen Titel veranlasst, war es weder für ihn noch für einen gegebenenfalls einzuschaltenden Rechtskundigen voraussehbar, ob der Freimachungsanspruch auf dem Verwaltungsrechtsweg schneller durchzusetzen oder gegebenenfalls auch zu vollstrecken gewesen wäre[161].

 

212

Da sich der Geschädigte ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters zurechnen lassen muss, ist nach der Einschaltung eines Rechtsanwaltes auf einen anderen Sorgfaltsmaßstab abzuheben. Das Versäumen eines (formellen) Rechtsbehelfes ist einem Rechtsanwalt grundsätzlich vorwerfbar.