Staatshaftungsrecht

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cc) Drittschutz in sachlicher Hinsicht

153

Aus dem Schutzzweck der Amtspflicht ergibt sich weiter, welche Schäden durch die Befolgung der Amtspflicht verhindert werden sollen und daher bei Verletzung der Amtspflicht ersatzfähig sind. Dies ist die sachliche Reichweite des Drittschutzes.

154

Beispiel:

Die Katastrophenschutzbehörde hatte die Bevölkerung nicht rechtzeitig vor einem drohenden Deichbruch gewarnt. Inhalt einer ordnungsgemäßen Warnung wäre gewesen, die Kellerräume wegen Gefahr für Leib und Leben nicht mehr zu betreten. Daher sind vom Schutzzweck dieser Norm solche Schäden nicht umfasst, die dadurch entstehen, dass Geschädigte aufgrund der verspäteten Warnung im Keller befindliche Gegenstände nicht mehr in höher gelegene Stockwerke verbringen konnten. Gegenstand der rechtzeitigen Warnung ist die Sicherung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und nicht der Schutz von Gegenständen, die gerade nur bei Missachtung des Inhalts der Warnung vor Schäden hätten bewahrt werden können[116].

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Beispiel:

Von der Amtspflicht, bei der Bauleitplanung gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu schaffen, sind nur solche Schäden umfasst, die in einer unmittelbaren Beziehung zur Gesundheitsgefährdung stehen. Diese Schäden werden gerade dadurch verursacht, dass die vom Boden ausgehenden Gesundheitsgefahren zum völligen Ausschluss der Nutzungsmöglichkeiten der errichteten oder der noch zu errichtenden Wohnungen führen. Nicht umfasst ist hingegen der Schaden, der sich dadurch realisiert, dass das Grundstück selbst zwar ohne Gesundheitsgefährdung bewohnbar ist; aufgrund der Altlastenproblematik und möglicher Gesundheitsgefährdungen in der Nachbarschaft stellt sich das Grundstück jedoch als weniger werthaltig oder schwerer vermietbar dar[117].

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Schäden in Folge von Schwierigkeiten bei der Baugründung aufgrund von im Boden befindlichen Müllresten oder wegen erhöhter Kosten durch die Beseitigung der gefundenen Müllreste sind nicht vom Schutzzweck der Amtspflicht, gesunde Wohnverhältnisse zu schaffen, umfasst. Denn auch diese Schäden stehen nicht in ausreichend engem Zusammenhang mit der den Schutzzweck bestimmenden Verhinderung von Gesundheitsgefahren. Hingegen besteht dieser unmittelbare Zusammenhang hinsichtlich der Schäden, die sich aus Mehraufwendungen für die Bebauung ergeben, um die Bebaubarkeit trotz der Altlasten überhaupt herzustellen. Dies können zum Beispiel die Kosten für die Reinigung des kontaminierten Bodens sein[118]. Der hinreichende Zusammenhang mit dem Schutzzweck ergibt sich daraus, dass ohne diese Maßnahmen die Bewohnbarkeit aus Gesundheitsgründen ausgeschlossen wäre. Derselbe ausreichende Zusammenhang ist auch dann gegeben, wenn sich bei der Überplanung eines Bergwerkgeländes der Baugrund als unsicher erweist. Das plötzliche Absacken des Geländes und Entstehen von Trichtern aufgrund der unter dem Gelände befindlichen Bergwerksgänge führt unmittelbar zu Gefahren für die dort lebenden und arbeitenden Menschen. Diese Baugrundrisiken sind allein der planenden Gemeinde zuzurechnen und in ihnen verwirklicht sich unmittelbar die Gesundheitsgefahr, dessen Abwehr Zweck der Amtspflicht war[119].

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Hiervon zu unterscheiden sind Schäden, die sich für den Bauherrn aus (sonstigen) Mängeln des Baugrunds und der mangelnden Standsicherheit des Gebäudes ergeben. Die Standfestigkeit eines Gebäudes ist nicht vom Schutzzweck der Amtspflicht zur rechtmäßigen Baugenehmigungserteilung umfasst. Der Nachweis der Standfestigkeit des Bauvorhabens ist Sache des Bauherrn. Wenn die Baugenehmigungsbehörde die statischen Berechnungen mit den übrigen Bauunterlagen prüft, so geschieht dies mit Blick auf das öffentliche Interesse der Gefahrenabwehr. Der Einsturz des Gebäudes und dadurch gegebenenfalls verursachte Personen-, Sach- und Vermögensschäden sollen verhindert werden. Zweck der Amtspflicht ist es hingegen nicht, dem Bauherrn die Verantwortung abzunehmen und ihn vor nutzlosen finanziellen Aufwendungen zu bewahren[120], als die sich zB die im Zusammenhang mit dem Vorhaben getätigten Aufwendungen beim Einsturz, bei fehlender Realisierbarkeit des Vorhabens oder bei zusätzlichen Sicherungsanforderungen darstellen könnten.

d) Kausalität

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Entsprechend dem allgemeinen Deliktsrecht ist auch im Amtshaftungsrecht Anspruchsvoraussetzung, dass der geltend gemachte Schaden adäquat kausal durch das amtspflichtwidrige Verhalten verursacht worden ist. Es ist also zu überprüfen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Handeln des Amtswalters genommen hätten und wie sich die Vermögenslage des Betroffenen in diesem Falle darstellen würde. Die Frage des Kausalzusammenhangs gehört zu den vom Kläger darzulegenden Anspruchsvoraussetzungen[121]. Hiervon zu unterscheiden ist der vom Anspruchsgegner zu erhebende Einwand des so genannten rechtmäßigen Alternativverhaltens des Hoheitsträgers[122].

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Räumen die die Amtspflicht bestimmenden Vorschriften einen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum ein, so prüfen die Zivilgerichte im Rahmen des Amtshaftungsanspruches, wie die Entscheidung bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung oder Inanspruchnahme des Beurteilungsspielraumes ausgefallen wäre. In diesem Fall ist das amtspflichtwidrige Verhalten nur dann adäquat kausal für den verursachten Schaden, wenn diese Überprüfung die Zivilrichter zu dem Ergebnis führt, dass eine andere, für den Geschädigten günstigere Entscheidung hätte getroffen werden müssen, wie zum Beispiel bei einer Ermessensreduzierung auf Null.

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Für den Zurechnungszusammenhang ist es nicht erforderlich, dass die Gefahrverwirklichung im Einzelnen oder in diesem Umfang voraussehbar war. Er entfällt nur bei Hinzutreten völlig ungewöhnlicher Umstände oder unsachgemäßer Verhaltensweisen des Geschädigten oder Dritter. Er wird auch nicht dadurch unterbrochen, dass sich der Schaden nicht nur aufgrund der ursprünglichen Amtspflichtverletzung realisiert, sondern weitere Amtspflichtverletzungen hinzutreten.

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Der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, also die Berufung des insofern darlegungs- und beweispflichtigen Schädigers[123] darauf, der Schaden wäre auch bei einem ebenfalls möglichen rechtmäßigen Handeln eingetreten, kann gegebenenfalls dann berücksichtigt werden, wenn der Behörde zwar Verfahrensfehler unterlaufen sind, sie bei einem ordnungsgemäßen Verfahren jedoch zu der gleichen Entscheidung hätte kommen können oder wenn sie selbst die bisher für die Entscheidung fehlende Rechtsgrundlage hätte schaffen können[124]. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn ein auf einer anderen Rechtsgrundlage beruhender Verwaltungsakt lediglich tatsächlich zum selben Ergebnis führte. Denn durch die Berücksichtigung einer solchen hypothetischen Variante kann die Kausalität des ursprünglichen, materiell rechtswidrigen Verwaltungsaktes für den eingetretenen Schaden nicht durchbrochen werden:

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Beispiel:

Eine wasserrechtliche Erlaubnis gemäß § 7 WHG aus dem Jahre 1965 legalisiert die Gewässerbenutzung auch dann noch, wenn sie einer späteren Wasserschutzverordnung widerspricht. Daher ist die Untersagung auf der Grundlage allgemeinen Polizeirechts rechtswidrig. Die Kausalität für den durch dieses amtspflichtwidrige Verhalten entstandenen Schaden entfällt nicht deswegen, weil auch ein Widerruf der Erlaubnis möglich gewesen wäre und zum selben tatsächlichen Ergebnis hätte führen können[125].

e) Verschulden

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Der für die Haftungsbegründung des Amtshaftungsanspruches erforderliche Tatbestand des § 839 BGB erfordert als deliktsrechtliche Vorschrift, dass der Amtswalter die Amtspflicht auch schuldhaft verletzt hat.

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Trotz dieser subjektiv-individuellen Zurechnung ist jedoch hinsichtlich des Verschuldensmaßstabes jedenfalls für die Fahrlässigkeitshaftung nicht auf den individuellen Beamten und seine Fähigkeiten und Kenntnisse abzustellen. Vielmehr ist ein objektiv-abstrakter Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen. Daher ist abstrakt auf die Kenntnisse und Einsichten eines Beamten abzustellen, der die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlichen Kenntnisse und Einsichten hat und sich pflichtgetreu verhält. Dies umfasst auch die für das jeweilige Amt erforderlichen Rechts- und Verwaltungskenntnisse.

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Beispiel:

An den Beamten einer Obersten Landesbehörde, der für die Erteilung atomrechtlicher Genehmigungen zuständig ist, sind höhere Anforderungen zu stellen, als an einen durchschnittlichen Beamten der Unteren Verwaltungsbehörden[126].

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Für Gemeinderatsmitglieder oder andere ehrenamtlich tätige Amtswalter gilt nicht deshalb ein geringerer Maßstab, weil sie Laien sind. Auch von ihnen ist der ihrer Amtsausübung und damit ihrer Funktion entsprechende Sorgfaltsmaßstab abzuverlangen. Im sozialen Rechtsstaat kann der Bürger auch von Gemeinde- und Stadträten erwarten, dass sie bei ihrer Amtstätigkeit den nach § 276 BGB zu verlangenden Standard zur verkehrserforderlichen Sorgfalt einhalten. Andernfalls würde das Schadensrisiko in unzumutbarer Weise auf die Bürger verlagert werden. Daher gilt, dass auch die Mitglieder von Ratsgremien sich sorgfältig auf ihre Entschließung vorbereiten müssen. Soweit ihnen die eigene Sachkunde fehlt, müssen sie den Rat ihrer Verwaltung oder die Empfehlungen von sonstigen Fachbehörden einholen bzw notfalls sogar außerhalb der Verwaltung stehende Sachverständige zuziehen[127].

 

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Grundsätzlich liegt die Beweislast für das Verschulden des Amtsträgers beim Geschädigten. Hat dieser einen Sachverhalt bewiesen, der nach dem regelmäßigen Ablauf der Dinge die Folgerung begründet, dass ein Beamter seine Amtspflicht schuldhaft verletzt hat, besteht zugunsten des Geschädigten in Bezug auf das Verschulden des Amtsträgers ein Beweis des ersten Anscheins, den der Beklagte zu erschüttern hat[128]. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH kann dem Geschädigten auch die Beweislastregel des § 832 BGB für Aufsichtspersonen zugute kommen, so dass bei vorliegen von deren Voraussetzungen die Haftung für das gesetzlich vermutete Verschulden eintritt[129].

168

Beispiel:

Die Kinder einer Kindertagesstätte werfen aus dem zur Kindertagesstätte gehörenden Außenbereich Steine auf ein vor dem Gelände abgestelltes Kraftfahrzeug. Der Eigentümer des Fahrezugs verlangt von der Gemeinde, die Trägerin der Kindertagesstätte ist, den Ersatz des durch die Beschädigung des Fahrzeugs entstandenen Schadens. Ob die zuständige Kindergärtnerin in hinreichend kurzen Abständen nach den Kindern gesehen und damit ihrer Aufsichtspflicht genügt hat, lässt sich nicht aufklären. Hier ist die Wertung des § 832 BGB heranzuziehen, wonach eine aufsichtspflichtige Person beweispflichtig dafür ist, dass sie ihrer Aufsichtspflicht genügt hat. Zwar stellt § 832 BGB eigentlich einen eigenen Haftunsgtatbestand dar, für dessen unmittelbare Anwendung im Fall von Amtspflichtverletzungen grundsätzlich kein Raum ist, weil § 839 BGB insofern einen Sondertatbestand darstellt. Dies bedeutet indes nicht, dass die besonderen Beweislastregeln der §§ 832, 833 Satz 2 und § 836 BGB im Rahmen der Amtshaftung keine Anwendung finden können. Verdrängt werden durch den Sondertatbestand des § 839 BGB lediglich die Haftungstatbestände der §§ 823 ff BGB als solche, nicht hingegen besondere Beweislastregeln[130]. Die fehlende Aufklärbarkeit, ob die Erzieherin ihrer Aufsichtspflicht genügt hat, geht also zu Lasten der Gemeinde.

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Der Beamte (im haftungsrechtlichen Sinne) ist zur eigenen sorgfältigen Prüfung der in Frage stehenden Sach- und Rechtsfragen verpflichtet. Er kann sich daher nicht „blind“ auf die Stellungnahmen von anderen Fachbehörden verlassen. Er muss überprüfen, ob die Auskunft die von ihm aufgeworfenen Fragen abdeckt.

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Beispiel:

Ein Gemeinderat kann sich bei der Überplanung eines ehemaligen Zechengeländes hinsichtlich der Überprüfung, ob der Standort vom Boden her für eine anschließende Wohnnutzung überhaupt geeignet ist, nicht ohne entsprechende Hinweise oder Nachfragen darauf verlassen, dass das Gelände aus der Bergaufsicht entlassen worden war und die beteiligten Fachbehörden gegen die beabsichtigte Planung keine Bedenken erhoben haben[131].

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Hat sich der Amtswalter in nachvollziehbarer Weise auf den generell überlegenen Sachverstand der Fachbehörde verlassen, war deren Auskunft jedoch falsch, so kann der Schuldvorwurf gegenüber dem konkret handelnden Amtswalter entfallen[132]. Ob in diesem Fall dennoch die Behörde des handelnden Amtswalters oder aber die die falsche Auskunft erteilende Fachbehörde zur Haftung heranzuziehen ist, ist parallel zu den allgemeinen Zurechnungskriterien zu beurteilen, die oben in Rn 123 dargelegt wurden. Wenn das überlegene Fachwissen einer anderen Abteilung desselben Rechtsträgers in Anspruch genommen wird, so kann eine insoweit falsche Auskunft gegenüber dem geschädigten Dritten die Amtspflichtverletzung darstellen:

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Beispiel:

Der in der freien Wirtschaft tätige Kläger K erhielt einen Ruf an eine Fachhochschule in den neuen Bundesländern. Er erkundigte sich vor Annahme des Rufs beim zuständigen Wissenschaftsministerium des beklagten Landes, ob er in die Besoldungsgruppe C 3 (Ost) oder C 3 (West) falle; die Bezüge C 3 (Besoldung West) waren höher. Die zuständige Mitarbeiterin des Wissenschaftsministeriums erkundigte sich hierzu beim zuständigen Referenten des Finanzministeriums, der eine falsche Auskunft erteilte, nämlich dass die höheren Bezüge nach C 3 (West) gezahlt würden. Diese Auskunft war für den Kläger entscheidend, den Ruf anzunehmen. Tatsächlich erhielt er nur die Bezüge nach C 3 (Ost). Den Differenzbetrag macht er mit der Amtshaftungsklage geltend[133].

Das beklagte Land kann sich dem Anspruch nicht durch den Hinweis entziehen, die zuständige Mitarbeiterin des Wissenschaftsministeriums habe eine eigene sorgfältige Prüfung durchgeführt, da sie sich hinsichtlich der konkreten Besoldungsfrage an den mit überlegenem Fachwissen ausgestatteten Referenten des Finanzministeriums gewandt hatte. Die Amtspflicht zur richtigen Auskunft trifft hier auch den Mitarbeiter des Finanzministeriums. Seine Mitwirkung am Zustandekommen der Auskunft gewinnt gegenüber dem Adressaten eine über die innerbehördliche Beteiligung hinausgehende Qualität, so dass die Amtspflicht des Mitarbeiters des Finanzministeriums zur zutreffenden und vollständigen Unterrichtung über die Rechtslage auch gegenüber dem Kläger besteht.

173

Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat jeder Inhaber eines öffentlichen Amtes die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine eigene Rechtsmeinung zu bilden. Daraus ergibt sich gleichzeitig, dass nicht jeder objektive Rechtsirrtum einen Schuldvorwurf begründet: Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann, dann kann aus der Missbilligung dieser Rechtsauffassung durch die Gerichte kein Schuldvorwurf hergeleitet werden. Wenn sich also die letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsmeinung nicht nur als vertretbar darstellt, sondern darüber hinaus auch aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen worden ist, entfällt der Schuldvorwurf[134]. Die beiden Voraussetzungen, dass die Rechtsmeinung im Ergebnis vertretbar ist (1.) und auf einer sorgfältigen rechtlichen und tatsächlichen Prüfung beruht (2.), müssen kumulativ vorliegen. Bei Ermessensentscheidungen und Beurteilungsspielräumen kann das sich als rechtswidrig darstellende Ergebnis nur dann den Verschuldensvorwurf begründen, wenn die Entscheidung willkürlich getroffen worden und nicht nachvollziehbar ist.

174

Beispiel:

Verweigert etwa die Gemeinde ihr Einvernehmen zu einer Stallanlage im Außenbereich mit der Begründung, das Gebäude würde dem Landschaftsbild widersprechen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr 5 BauGB), und führt sie in ihrer Entscheidung hierzu nachvollziehbare Gründe an, so kann ihr kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. Das gilt selbst dann, wenn die zuständigen Fachbehörden ebenso wie das im Rahmen der Verpflichtungsklage angerufene Verwaltungsgericht zu einem anderen Ergebnis gelangen.

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Der Schuldvorwurf kann bei einer vertretbaren und auf einer sorgfältigen rechtlichen und tatsächlichen Prüfung beruhenden Entscheidung insbesondere dann schwerlich erhoben werden, wenn die objektiv unrichtige Rechtsanwendung eine Vorschrift betrifft, deren Inhalt bezogen auf den zur Entscheidung stehenden Einzelfall zweifelhaft und noch nicht durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung klargestellt ist[135].

Hinsichtlich des Verschuldensmaßstabes bei richterlichen Amtspflichtverletzungen außerhalb des Anwendungsbereiches des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (hierzu unten Rn 196 ff) ist der Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) zu beachten, was auf die Bewertung der „Vertretbarkeit“ der Rechtsauffassung von Einfluss sein kann (größerer Beurteilungsspielraum des Richters)[136].

176

Der Haftungsmaßstab kann nicht durch gemeindliche Satzung modifiziert und herabgesetzt werden. Aufgrund des Gesetzesvorbehaltes können Gemeinden nicht ohne besondere gesetzliche Grundlage die sie nach Art. 34 GG treffende Haftung ausschließen. Eine solche besondere Grundlage ergibt sich jedenfalls nicht aus dem allgemeinen Satzungsrecht der Gemeinden.

177

Beispiel:

Eine Gemeinde gestaltet die Benutzung ihres als öffentliche Einrichtung betriebenen Schlachthofes durch Satzung aus. Die Satzung trifft eine Regelung, dass für leicht fahrlässig verursachte Schäden nicht gehaftet wird. Erleidet ein Dritter durch die Verletzung einer aufgrund der Ausgestaltung der Anlage als öffentlich-rechtliche Einrichtung dem Betreiber ebenfalls öffentlich-rechtlich obliegenden Verkehrssicherungspflicht einen Schaden, so haftet die Gemeinde auch dann, wenn der Schaden nur leicht fahrlässig verursacht worden ist[137].

178

Das haftungsbegründende Verschulden des Amtsträgers soll dann entfallen, wenn sich von mehreren die Entscheidung selbstständig tragenden Begründungen auch nur eine als unverschuldet erweist. Dies ergibt sich nach der Rechtsprechung des BGH daraus, dass nach verwaltungsrechtlichen und verwaltungsgerichtlichen Maßstäben eine Entscheidung im Ergebnis richtig ist, wenn von mehreren selbstständig nebeneinander stehenden Gründen auch nur einer zutrifft und damit die Entscheidung trägt. Diese Erwägungen überträgt der BGH auf die Verschuldensebene bei der Überprüfung im Rahmen des § 839 BGB[138].

179

Ein Verschulden des Amtsträgers soll auch dann nicht angenommen werden können, wenn das amtspflichtwidrige Verhalten durch ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht als rechtmäßig bestätigt worden ist. Hintergrund dieser Richtlinie ist die Wertung, dass ein einzelner Beamter nicht „schlauer“ sein muss als mehrere Rechtskundige gemeinsam. Da hier also von der Rechtsprechung gerade darauf abgestellt wird, dass die amtspflichtwidrige Handlung durch „mehrere“ Rechtskundige bestätigt worden ist, liegen bisher auch noch keine Entscheidungen darüber vor, ob dieser Grundsatz auch bei einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter Anwendung finden kann.

Dieser Grundsatz gilt sowohl für eine Bestätigung der Handlung als amtspflichtgemäß in einem dem Amtshaftungsprozess vorausgehenden Verwaltungsprozess als auch in einer Instanz im Amtspflichtprozess selbst.

180

Es handelt sich jedoch nur um eine allgemeine Richtlinie, von der es daher Ausnahmen gibt. Dies gilt etwa dann, wenn das Gericht für die Beurteilung des Falles wesentliche Gesichtspunkte unberücksichtigt gelassen hat[139]. Dies kann sich sowohl auf die Sachverhaltsaufklärung als auch auf die rechtliche Würdigung beziehen. Daher ist der Grundsatz auch nicht anwendbar, wenn die Bestätigung in einem vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach den §§ 80 Abs. 5, 123 VwGO lediglich in Folge einer summarischen Prüfung erfolgt ist[140].

181

Die Unterscheidung zwischen einer fahrlässigen und einer vorsätzlichen Amtspflichtverletzung spielt insoweit eine Rolle, als der Geschädigte bei einer vorsätzlichen Amtspflichtverletzung nicht auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme anderweitiger Ersatzmöglichkeiten (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB, siehe hierzu unten Rn 188 ff) verwiesen werden kann. Bei einer vorsätzlichen Amtspflichtverletzung muss dem Amtswalter die Rechts- oder Pflichtwidrigkeit seines Verwaltens bewusst sein. Er muss mit der Möglichkeit eines solchen Verstoßes rechnen oder diesen jedenfalls billigend in Kauf nehmen.