Kurzwortbildung im Deutschen und Schwedischen

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2.2.1.3 Silbeninitialwörter

Als letzte Untergruppe der Akronyme sind schließlich die Silbeninitialwörter zu nennen, die anders als die anderen Akronymtypen primär in der gesprochenen Sprache entstehen. Dabei wird das Kurzwort aus mehreren initialen Silben (z.B. dt. Kripo < Kriminalpolizei) oder Silbenteilen (dt. Schiri < Schiedsrichter) von verschiedenen Konstituenten der Vollform gebildet. In manchen Fällen werden auch Teile übernommen, die etwas mehr als eine Silbe umfassen (z.B. dt. Europol < Europäisches Polizeiamt, schwed. komvux < kommunal vuxen­utbildning ‚kommunale Erwachsenenbildung‘).1 Im Deutschen ist dieser Typ auf verschiedenen sprachlichen Ebenen sehr produktiv und erzeugt neben vielen Augenblicksbildungen wie Wama < Waschmaschine auch eine Vielzahl von Eigennamen wie Kikuwe < Kinder-Kultur-Werkstatt und Beki < Landesinitiative Bewusste Kinderernährung. Ein Blick auf die schwedischen Daten ergibt jedoch ein anderes Bild. Hier finden sich nur sehr wenige Belege nach diesem Bildungsmuster. Dennoch sind Silbeninitialwörter kein „ausschließlich deutsches Phänomen“, wie Nübling (2001:173) meint. Die Frequenz der Silbeninitialwörter ist im Schwedischen zwar sehr niedrig; das Vorkommen der Belege zeigt jedoch, dass die Bildung dieses Kurzworttyps nicht per se unmöglich ist, sondern lediglich andere Bildungen präferiert werden. Etwas vorsichtiger formuliert Wahl (2002:49) und spricht von einer „Randerscheinung“ im Schwedischen. Die geringe Verbreitung dieses Typs im Schwedischen dürfte der Grund dafür sein, dass es keinen speziellen Terminus für diesen Kurzworttyp gibt, sondern Belege dieser Art von Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“2 aufgeführt werden. Damit fasst Laurén Silbeninitialwörter nicht als als eigenständigen Kurzworttyp mit eigener Bildungsweise auf, sondern als Ausnahme, bei der mehrere der regulären Kürzungsverfahren kombiniert werden.

Bei der Bildung von Silbeninitialwörtern scheint es in noch höherem Maße als bei den Buchstabier- und Lautinitialwörtern von der phonologischen Struktur abzuhängen, welche Teile der Vollform letztlich Eingang in das Kurzwort finden.


deutsche Silbeninitialwörterschwedische Silbeninitialwörter
Kita < Kindertagesstätteflextid < flexibel arbetstid ‚flexible Arbeitszeit‘
Juso < Jungsozialistgenrep < generalrepetition ‚Generalprobe‘
Mofa < Motorfahrradkombo < kompisboende ‚Mitbewohner‘
Trafo < Transformatorsäpo < säkerhetspolisen ‚schwed. Nachrichtendienst‘

Tabelle 5: deutsche und schwedische Silbeninitialwörter

2.2.2 Kurzwörter im engeren Sinne

Zu den Kurzwörtern im engeren Sinne zählen bei Nübling (2001:172) Kopfwörter, Endwörter und diskontinuierliche Kurzwörter. Bei Kopf- und Endwörtern handelt es sich um unisegmentale Kurzwörter, die aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform bestehen. Der Typ der diskontinuierlichen Kurzwörter ähnelt diesen Typen im Output sehr, weshalb er vermutlich schon bei Ronneberger-Sibold (1992:8) zur selben Obergruppe gezählt wird. In der Bildungsweise unterscheidet er sich dadurch, dass das Kurzwort nicht nur aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform, sondern aus mehreren diskontinuierlichen Teilen besteht. Im Bezug auf die Bildungsweise ist die Gruppe der Kurzwörter im engeren Sinne also heterogen. Die Gestalt der einzelnen Typen weist jedoch große Ähnlichkeiten auf, weshalb sie im Sinne einer Typologie, die auch den Output berücksichtigt, zu einer Kurzwortgruppe zusammengefasst werden.

Eine hohe Übereinstimmung besteht auch zwischen der phonologischen Struktur von Kopfwörtern und Silbeninitialwörtern. In Kapitel 4 zeigt sich, dass unterschiedliche Verfahren der Kurzwortbildung ähnliche Outputs erzeugen. Welches Kürzungsverfahren im Einzelfall zur Anwendung kommt, scheint also von Material und Struktur der Vollform abzuhängen, lässt sich aber nicht immer abschließend klären.

Aufgrund ihrer einfacheren Bildungsweise sind Kurzwörter i.e.S. nicht zwangsläufig auf eine schriftliche Vorlage angewiesen, sondern können auch im mündlichen Sprachgebrauch entstehen. Häufig sind sie stark nähesprachlich im Sinne von Koch/Oesterreicher (1985).

2.2.2.1 Kopfwörter

Der weitaus häufigste Typ der Kurzwörter im engeren Sinne sind Kopfwörter. Sie entstehen durch eine Art Apokope, d.h. das hintere Segment der Vollform fällt ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen weg. Das Kurzwort besteht also aus dem kontinuierlichen verbleibenden Anfangsteil. In beiden Untersuchungssprachen können sowohl Eigennamen wie dt. Katha < Katharina oder schwed. Carro < Carolina – oft Rufnamen in hypokoristischer Funktion oder Toponyme – als auch Appellativa auf diese Weise gekürzt werden (siehe Tabelle 6).


deutsche Kopfwörterschwedische Kopfwörter
Kö < KönigsalleeÅtvid < Åtvidabergs Fotbollförening
Abo < Abonnementcigg < cigarett
Mathe < Mathematiktemp < temperatur
Navi < Navigationsgerätvicka < vikariera ‚vertreten‘

Tabelle 6: deutsche und schwedische Kopfwörter

Formale Ähnlichkeiten bestehen besonders zwischen deutschen Kopfwörtern und manchen Silbeninitialwörtern und Pseudoableitungen (vgl. Nübling 2001:174f.), was wiederum bestätigt, dass ein Großteil der gesamten Kurzwortbildung ähnliche Strukturen erzeugt.1 Eventuell haben im Deutschen auf -i endende Kopfwörter wie Zivi < Zivildienstleistender die Entstehung von Pseudoableitungen auf -i wie Pulli < Pullover durch Analogiebildung begünstigt.

Für das Schwedische spricht Laurén (1976:311) im Hinblick auf Kopfwörter von „kortord“2, die durch „final reduktion“3 entstanden sind. Er kommt zwar darauf zu sprechen, dass Kürzungen mit oder ohne Rücksicht auf Morphemgrenzen erfolgen können, leitet daraus aber keine unterschiedlichen Kurzworttypen ab. Andere schwedische Bezeichnungen für Kopfwörter sind „avbrytning“4 (z.B. bei Svenblad 2003:XI) oder „ellips“ (z.B. bei Malmgren 1994:72).

Ein interessanter Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Schwedischen betrifft die Wortarten, die Kopfwörter bilden können. Deutsche Kopfwörter sind fast ausschließlich Substantive. Daneben gibt es nur sehr wenige Adjektive depri < deprimiert, die jedoch eine eingeschränkte Flexion und Syntax aufweisen, d.h. sie sind nicht flektierbar und können nur prädikativ vorkommen. Im Schwedischen machen Substantive zwar ebenfalls den größten Teil der Kopfwörter aus, doch auch verbale Kopfwörter wie bomba < bombardera ‚bombardieren‘ und galva < galvanisera ‚galvanisieren‘ sind nicht selten. Generell ist die Kurzwortbildung im Schwedischen nicht so stark auf Substantive beschränkt wie im Deutschen. Diese Offenheit gegenüber verschiedenen Wortarten deckt sich insofern mit dem Bild, das sich im Lauf dieser Arbeit von der schwedischen Kurzwortbildung ergeben wird, als sie sich in verschiedener Hinsicht deutlich flexibler zeigt als die deutsche.

2.2.2.2 Endwörter

Das Gegenstück zu Kopfwörtern bilden Endwörter, von manchen Autoren auch als Schwanzwörter bezeichnet: Sie entstehen durch eine Art Aphärese, d.h. der vordere Teil der Vollform wird ohne Berücksichtigung von Morphemgrenzen getilgt. Derartige Bildungen sind in beiden Untersuchungssprachen nur marginal vertreten. Besonders für das Deutsche ist fraglich, ob es sich hierbei überhaupt um einen produktiven Kurzworttyp handelt, da es keine Belege für genuin deutsche Endwörter gibt.1 Sämtliche mir bekannten deutschen appellativischen Endwörter können auch als Lehnkurzwörter interpretiert werden, die bereits gekürzt oder zusätzlich zu ihrer Vollform entlehnt wurden. Dies gilt beispielsweise für die häufig angeführten Belege Bus < Omnibus oder Cello < Violoncello oder auch Fax < Telefax. Eine gewisse Produktivität bei Endwörtern lässt sich im Deutschen am ehesten für Personennamen annehmen, da manche Rufnamen wie Lotte < Charlotte oder Tina < Bettina zu Endwörtern gekürzt werden.

Im Schwedischen werden Endwörter oft nicht von Kopfwörtern abgegrenzt und ebenfalls als „avbrytning“2 oder „ellips“ bezeichnet. Für Laurén (1976:304) sind diese Kurzwörter „kortord“3 durch „initial reduktion“4. Endwörter sind im Schwedischen etwas häufiger als im Deutschen und können nicht immer als Lehnkurzwörter interpretiert werden, was dafür spricht, dass durch diesen Kürzungstyp tatsächlich produktiv Kurzwörter entstehen können, wenngleich dieser Prozess marginal bleibt. Bei sämtlichen schwedischen Belegen bleiben die endbetonten Segmente der Vollform erhalten. In Tabelle 7 sind deutsche und schwedische appellativische Endwörter zusammengestellt, wobei für die deutschen Belege wie gesagt die Einschränkung gilt, dass dieser Typ vermutlich nicht produktiv ist und die Belege auch als Lehnkurzwörter interpretiert werden könnten.


deutsche Endwörterschwedische Endwörter
Bus < Omnibusbil < automobil ‚Auto‘
Cello < Violoncellogoja < papegoja ‚Papagei‘
Fax < Telefaxsessa < prinsessa ‚Prinzessin‘

Tabelle 7: deutsche und schwedische Endwörter

 

Ein noch seltenerer Typ von kontinuierlichen Kurzwörtern ist das sogenannte Rumpfwort (vgl. Kobler-Trill 1994:64f.), bei dem lediglich ein mittlerer Teil der Vollform erhalten bleibt. Beispiele hierfür beschränken sich im Deutschen auf Kürzungen von Rufnamen wie Basti < Sebastian und Lisa < Elisabeth. Im Schwedischen ist die Situation ähnlich; es lassen sich nur sehr wenige Belege unter den Appellativa finden, nämlich komp < ackompanjemang ‚Begleitung‘ und kollo < barnkoloni ‚Ferienlager‘, die bei Laurén (1976:321) unter „kombinationer av olika reduktioner“5 fallen. In allen Fällen bleibt der Teil erhalten, der den Hauptakzent trägt. Von den angeführten Beispielen ist allerdings lediglich komp ein eindeutiges Rumpfwort; bei kollo ist auch eine andere Bildungsweise denkbar. Es könnte auch durch eine elliptische Kürzung6 von barnkoloni zu koloni und eine anschließende Reduzierung auf ein Kopfwort entstanden sein. Da der Typ der Rumpfwörter so marginal ist und nicht produktiv zu sein scheint, soll er im Weiteren außen vor bleiben und wurde auch nicht als eigener Kurzworttyp in die Typologie aufgenommen.

2.2.2.3 Diskontinuierliche Kurzwörter

Anders als Kopf- und Endwörter bestehen diskontinuierliche Kurzwörter nicht aus einem zusammenhängenden Teil der Vollform. Meist wird ein Anfangsteil der Vollform, der mehr oder weniger als die erste Silbe umfassen kann, mit einem weiteren der Vollform entnommenen Segment kombiniert. Die Bildungsweise ist also nicht einheitlich; auf Morphem- oder Silbengrenzen scheint keine Rücksicht genommen zu werden. Vermutlich ist die Schaffung eines phonologisch wohlgeformten Outputs das Hauptkriterium dafür, welche Segmente der Vollform übernommen werden. Auch dieser Typ, für den in Tabelle 8 propriale und appellativische Beispiele zusammengestellt sind, ist im Deutschen und Schwedischen relativ selten, was bedeutet, dass die Kopfwörter die prototypischen Vertreter der Kurzwörter im engeren Sinne sind.


deutsche diskontinuierliche Kurzwörterschwedische diskontinuierliche Kurzwörter
taz < die TageszeitungSkop < Skandinavisk Opinion Aktiebolag
Epo < Erythropoetinkoll < kontroll
Flak < Flugabwehrkanonemilo < militärområde ‚Militärgebiet‘
Krad < Kraftradsynka < synkronisera ‚synchronisieren‘

Tabelle 8: deutsche und schwedische diskontinuierliche Kurzwörter

Der schwedische Begriff „teleskopord“1 deckt den Teil der diskontinuierlichen Kurzwörter ab, bei denen Segmente von Anfang und Ende der Vollform kombiniert werden, z.B. moped < motorvelociped. Einen weiter gefassten Begriff, der den Kurzworttyp der diskontinuierlichen Kurzwörter wie in dieser Typologie definiert bezeichnet, gibt es im Schwedischen nicht. Entsprechende Belege werden allgemein als „ellips“ oder „kortord“2 betitelt. Für Laurén (1976) sind derartige Beispiele „kortord“ durch „medial reduktion“ (306)3 oder „kombinationer av olika reduktioner“4 (321).

Zuweilen werden manche der eigentlich den diskontinuierlichen Kurzwörtern zuzurechnenden Belege wie stins < stationsinspektör ‚Bahnhofsvorsteher‘ und pryo < praktisk yrkesorientering ‚berufsorientierende Praktika‘ fälschlicherweise zu den Lautinitialwörtern gezählt. Im Fall von stins werden aus der Vollform jedoch deutlich mehr als die Initialen entnommen. Vom ersten Morphem {stations} werden die ersten beiden Grapheme übernommen, vom zweiten Teil der Vollform jedoch ein noch größerer Teil. Die Graphemfolge <ins> steht zwar am Anfang des Morphems {inspektör}, macht aber letztlich sogar mehr als eine ganze Silbe aus und kann somit eigentlich nicht mehr als Initiale bezeichnet werden. Wenn es sich nicht um ein Lautinitialwort handelt, muss dieser Beleg demnach als diskontinuierliches Kurzwort analysiert werden. Ein ähnlicher Fall liegt bei dem Beleg pryo vor. Auch hier umfasst das anlautende <pr> mehr als eine Initiale, weshalb auch dieser Beleg meiner Meinung nach zu den diskontinuierlichen Kurzwörtern gerechnet werden sollte, wenn auch dieser Fall weniger eindeutig ist als stins.

Bei den schwedischen Belegen fällt wieder auf, dass neben Substantiven weitere Wortarten diskontinuierliche Kurzwörter bilden. Adjektive wie deppad < deprimerad ‚deprimiert‘ sind dabei eher selten, doch Verben wie gratta < gratulera ‚gratulieren‘ und impa < imponera ‚imponieren‘ sind unter den diskontinuierlichen Kurzwörtern relativ häufig.

2.2.3 Sonderfälle

Neben den Gruppen der Akronyme und der Kurzwörter im engeren Sinne führt Nübling (2001) die Gruppe der Sonderfälle an. Hier sind diejenigen Kurzworttypen zusammengefasst, bei deren Bildung neben der Kürzung auch andere Prozesse eine Rolle spielen oder die distributionelle Besonderheiten aufweisen. Diese Gruppe ist sehr heterogen, da die Gemeinsamkeit der darin enthaltenen Typen in erster Linie darin besteht, dass sie sich von den Gruppen der Akronyme und der Kurzwörter i.e.S. deutlich unterscheiden.

Die Sonderfälle umfassen Pseudoableitungen, bei denen Suffigierung und Kürzung gleichzeitig eintreten, Kürzungskomposita und gebundene Kürzungen, deren Distribution eingeschränkt ist, sowie elliptische Kürzungen, bei denen semantische Gesichtspunkte einen stärkeren Einfluss auf den Output haben als phonologische.

2.2.3.1 Pseudoableitungen

Pseudoableitungen sind ein in beiden untersuchten Sprachen äußerst verbreitetes und produktives Phänomen. Bei einer Pseudoableitung „wird von der Vollform i.d.R. unisegmental eine einsilbige, konsonantisch auslautende Kopfform gebildet und diese im Deutschen mit -i, im Schwedischen mit -is suffigiert“ (Nübling 2001:176). Mögliche Suffixe sind nicht nur -i bzw. -is, sondern im Deutschen auch -o (Realpolitiker < Realo), -e (Lesbe < Lesbierin), -er (Elfer < Elfmeter) und seltener -a (Reala < Realpolitikerin) sowie im Schwedischen -o (fyllo < fyllerist ‚Säufer‘), -e (sosse < socialdemokrat) und -a (bibbla < bibliotek). Im Vergleich zu der großen Menge an Pseudoableitungen auf -i bzw. -is bleiben Bildungen mit anderen Suffixen jedoch marginal; daher soll in erster Linie auf Erstere eingegangen werden.1 Als zugrunde liegende Formen können Lexeme unterschiedlicher Wortarten dienen; die Resultate sind in beiden Sprachen jedoch überwiegend Substantive, wenn auch Adjektive möglich sind, die aber nicht flektierbar sind und nur prädikativ verwendet werden (dt. supi < super, logo < logisch und schwed. avis < avundsjuk ‚eifersüchtig‘, pretto < pretentiös ‚arrogant‘). Des Weiteren existieren im Schwedischen auch Interjektionen als Pseudoableitungen; diese beschränken sich meines Wissens aber auf die beiden viel zitierten Beispiele grattis < gratulerar ‚Glückwunsch‘ und tjänis/tjenis < tjänare ‚Servus‘ und sind eher als Randerscheinungen einzustufen.

Wie auch die meisten Kurzwörter i.e.S. entstammen Pseudoableitungen dem mündlichen Sprachgebrauch; zudem sind sie besonders nähesprachlich. Kotsinas (2003b:9) ordnet zumindest neue Pseudoableitungen sogar dem Slang zu, wenngleich sie darauf hinweist, dass die Lexeme bei häufigem Gebrauch solche diastratischen Merkmale mit der Zeit verlieren können. Sehr häufig bezeichnen Pseudoableitungen Personen (dt. Ami < Amerikaner, schwed. kändis < känd person ‚Prominente(r)‘), häufig werden sie auch zu Personennamen (dt. Andi < Andreas, schwed. Sigge < Sigvard) gebildet. Dabei enthalten sie oft eine hypokoristische (dt. Schweini < Bastian Schweinsteiger oder schwed. Bäckis < Nicklas Bäckström) oder auch pejorative Note (dt. Transe < Transvestit, schwed. transa < transvestit). Weitere Beispiele für propriale und appellativische Pseudoableitungen im Deutschen und Schwedischen sind in Tabelle 9 zusammengestellt.


deutsche Pseudoableitungenschwedische Pseudoableitungen
Poldi < Lukas PodolskiSvennis < Sven-Göran Eriksson
Fundi < Fundamentalistkondis < konditori ‚Konditorei‘
Hunni < Hunderteuroscheinmultis < multinationellt företag ‚multinationales Unternehmen‘
Ossi < Ostdeutscherstammis < stammkund ‚Stammkunde‘

Tabelle 9: deutsche und schwedische Pseudoableitungen

Laurén (1976:316) ordnet Pseudoableitungen unter „final reduktion“2 ein, d.h. in derselben Kategorie wie Kopfwörter, weist jedoch darauf hin, dass genauere Untersuchungen dieses Phänomens erforderlich sind. Nübling (2001:176) spricht von „förkortning och suffixavledning“3, womit die beiden bei Pseudoableitung gleichzeitig stattfindenden Prozesse benannt werden. Ansonsten ist in der schwedischen Literatur von „is-ord“4 die Rede (z.B. bei Inghult 1968), wobei dieser Terminus die anderen möglichen Suffixe ausklammert.

Sowohl im Deutschen als auch im Schwedischen gibt es i- bzw. -is-Bildungen, die nicht auf einer Kürzung beruhen, sondern bei denen das Suffix direkt an ein ungekürztes Lexem tritt, z.B. dt. Schlaffi < schlaff, Hirni < Hirn und schwed. tjockis ‚dicker Mensch‘ < tjock ‚dick‘, mjukis ‚Kuscheltier‘ < mjuk ‚weich‘. Diese Bildungen werden in dieser Arbeit jedoch nicht berücksichtigt, da es sich dabei um reine Suffigierungen ohne Kürzungsvorgang handelt und man folglich auch nicht von Kurzwörtern sprechen kann. Dadurch, dass i- und is-Bildungen mit und ohne Kürzung vorkommen können, handelt es sich hier um einen Grenzbereich der Kurzwortbildung, d.h. Pseudoableitungen stellen keine prototypischen Kurzwörter dar.

Wie bei der Diskussion der Kopfwörter bereits angeklungen ist, weisen deutsche Pseudoableitungen formale Ähnlichkeit mit manchen auf -i auslautenden Kopfwörtern wie Abi < Abitur und Zivi < Zivildienstleistender auf. Anhand formaler Kriterien lässt sich in solchen Fällen nicht eindeutig klären, ob es sich um Kopfwörter oder suffigierte Kürzungen handelt. Da eine Suffigierung in solchen Fällen nicht nachweisbar ist, sollen nach Nübling (2001:176) derartige Belege als Kopfwörter eingestuft werden. Es wäre in weiteren Arbeiten zu prüfen, inwieweit hier Analogiebildung eine Rolle spielt, da eventuell hochfrequente Kopfwörter auf -i zu der Produktivität der Pseudoableitungen beigetragen haben könnten. Für das Schwedische, das keine auf -is endenden Kopfwörter kennt, kommt dieser Erklärungsansatz für die hohe Produktivität der Pseudoableitungen nicht in Frage.

2.2.3.2 Kürzungskomposita

Kürzungskomposita sind ebenfalls in beiden Untersuchungssprachen verbreitet. In den meisten Fällen ist die Vollform dieser Kurzwörter ein Kompositum; sie kann allerdings auch eine Wortgruppe sein. Charakteristisch für Kürzungskomposita ist nun, dass der erste Teil des Kompositums oder der Wortgruppe akronymisch auf einen oder mehreren Buchstaben gekürzt wird und der zweite Teil ungekürzt bleibt (siehe Tabelle 10). In beiden Untersuchungssprachen besteht der gekürzte Teil in den allermeisten Fällen aus ein oder zwei Buchstaben; es finden sich lediglich im Deutschen wenige Belege mit einem auf drei Buchstaben gekürzten Erstglied wie ABC-Waffen < atomare, biologische und chemische Waffen.

Der gekürzte Teil eines Kürzungskompositums wird mit den Buchstabennamen ausgesprochen und kann nicht isoliert vorkommen. Als Kürzungskompositum wird daher das gesamte Kompositum und nicht nur der gekürzte Teil betrachtet. Die Bildungsweise von Kürzungskomposita ist nicht rein phonologisch bedingt, sondern berücksichtigt Morphemgrenzen, da eine oder mehrere Initialen von Morphemen der Vollform den ersten Teil des Kürzungskompositums bilden und das Zweitglied ein ganzes Morphem der Vollform ist. Die beiden Teile eines Kürzungskompositums werden meist durch einen Bindestrich verbunden. Im Deutschen werden die gekürzten Teile groß geschrieben; im Schwedischen kann die Orthographie zum Teil schwanken. Dort ist es bei einigen stark in den Normalwortschatz1 integrierten Kürzungskomposita möglich, auf den Bindestrich zu verzichten und sie bezüglich der Schreibung dem Normalwortschatz anzugleichen, z.B. ubåt < undervattensbåt ‚Unterseeboot‘.

 

deutsche Kürzungskompositaschwedische Kürzungskomposita
D-Radio < Deutschlandradioa-kassa < arbetslöshetskassa ‚Arbeitslosenkasse‘
AT-Motor < Austauschmotorf-skatt < företagsskatt ‚Unternehmenssteuer‘
O-Saft < Orangensafti-land < industriland ‚Industriestaat‘
P-Konto < Pfändungsschutzkontoso-ämne < samhällsorienterade ämne ‚gemeinschaftskundliches Schulfach‘

Tabelle 10: deutsche und schwedische Kürzungskomposita

Da der gekürzte Teil meist bis auf eine oder zwei Initialen gekürzt wird, entstehen sehr viele Homonyme zwischen den gekürzten Teilen (z.B. dt. U-Boot < Unterseeboot, U-Haft < Untersuchungshaft; schwed. p-piller < preventivpiller ‚Antibabypille‘, p-plats < parkeringsplats ‚Parkplatz‘). Die Existenz eines Zweitglieds verhindert jedoch, dass es dabei zu ernsthaften Verständnisschwierigkeiten kommt.

In der Regel ist der gekürzte Teil fest mit einem bestimmten Zweitglied verbunden, doch es gibt auch Fälle, in denen sich der akronymische Teil einer Kürzung auch mit weiteren Morphemen zu einem Kompositum verbinden kann, z.B. dt. SB-Bäcker, SB-Tankstelle; schwed. e-faktura ‚elektronische Rechnung‘, e-deklaration ‚elektronische Steuererklärung‘.

In der schwedischen Literatur werden Kürzungskomposita sehr unterschiedlich behandelt. Laurén (1972:13f.) weist ihnen einen Status zwischen Initialwörtern und Kurzwörtern zu und bezeichnet sie als „falska initialord“2. Bei Laurén (1976:309f.) ist dann jedoch die Rede von durch „medial reduktion“3 entstandenen „blandformer“ oder „blandord“4. Bei anderen Autoren fallen Kürzungskomposita unter die Initialwörter (z.B. Josefsson 2001, Teleman/Hellberg/Andersson 1999) oder werden gar nicht erwähnt (z.B. Hultman 2003). Svenblad (2003:XIII) spricht dagegen von „sammansättningar“5, da er ein Kürzungskompositum nicht als Einheit, sondern als Kompositum aus einer Kürzung und einem weiteren Lexem betrachtet.