Handbuch des Strafrechts

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b) Qualifikationen wegen besonderer Gefährlichkeit (§ 224 StGB)

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Als Qualifikationstatbestand zu § 223 StGB umfasst die gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB Begehungsweisen, die vom Gesetzgeber als besonders gefährlich eingeschätzt werden, da sie die Gefahr erheblicher Verletzungen bergen und/oder die Chance des Opfers beschränken, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen.[122] Zusätzlich zum Grunddelikt muss eines der in § 224 StGB enumerativ aufgelisteten Qualifikationsmerkmale erfüllt sein, wobei in der Praxis vor allem Nr. 2 und Nr. 4 besondere Bedeutung zukommt.

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Bei § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB besteht die Tathandlung in der Beibringung von Gift oder eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffs. Gift ist jeder organische oder anorganische Stoff, der durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung die Gesundheit schädigen kann (z.B. Salzsäure oder pflanzliche oder tierische Gifte).[123] Andere gesundheitsschädliche Stoffe sind solche, die sich von selbst auf mechanisch oder thermische Weise nachteilig auf die Gesundheit auswirken können (z.B. zerstoßenes Glas oder auch Masernviren[124]).[125] Von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB sind auch Stoffe des täglichen Bedarfs erfasst, wie beispielsweise Speisesalz in übermäßiger Menge, wenn im Einzelfall eine konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung wegen des Beibringens des Stoffes angenommen werden kann.[126]

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Eine qualifizierte Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegt vor, wenn die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen wird. Eine Waffe ist nach überwiegender Auffassung ein Gegenstand, der nach seiner Art dazu bestimmt ist, bei Menschen erhebliche Verletzungen zu verursachen.[127] Als gefährliches Werkzeug gilt jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art der Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen hervorzurufen.[128] Hierunter fallen neben recht evidenten Gegenständen, wie etwa einem Hammer oder einem Küchenmesser, auch an sich unauffällige Alltagsgegenstände, wie z.B. eine Sprühflasche mit Haushaltsreiniger[129], ein Laserpointer[130] oder aber ein Kraftfahrzeug. Bei letzteren muss indes die Werkzeugqualität gesondert geprüft werden, d.h. es ist festzustellen, ob das Fahrzeug auch tatsächlich als Werkzeug verwendet wurde.[131] Das gefährliche Werkzeug bildet bei Nr. 2 den Oberbegriff („andere gefährliche Werkzeuge“).[132] Die Differenzierung zwischen Waffe und Werkzeug ist häufig nicht von Bedeutung;[133] bei Zweifeln über die Waffeneigenschaft ist eine Wahlfeststellung zulässig.[134] „Mittels“ des Werkzeugs wird die Verletzung begangen, wenn sie durch das Werkzeug, also unter dessen zweckgerichteter Verwendung durch den*die Täter*in, verursacht wurde.[135] Nach der restriktiven Linie der Rechtsprechung erfordert dies eine unmittelbare Einwirkung des Gegenstandes auf den Körper des Opfers.[136]

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Die Körperverletzung wird mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) begangen, wenn es sich für das Opfer um einen überraschenden Angriff handelt und der*die Täter*in hierbei seine*ihre Angriffsabsicht planmäßig verbirgt, um dadurch dem*der Gegner*in die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs und die Vorbereitung auf die Verteidigung zu erschweren.[137] Das bloße Ausnutzen des Überraschungsmoments reicht nicht aus.[138] Das planvolle „Fallenstellen“ durch Hereinbitten des Opfers in die Geschäftsräume außerhalb der Geschäftszeiten und das anschließende Alleinlassen im Büro, in welchem weitere Tatbeteiligte warten, soll aber ausreichen.[139]

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Eine Qualifikation nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB liegt vor, wenn der*die Täter*in mit einem*einer anderen Beteiligten gemeinschaftlich handelt, also einverständlich am Tatort zusammenwirkt.[140] Hierfür genügt jede aktive physische oder psychische Unterstützung eines*einer Beteiligten jeder Art (Mittäter*in, Anstifter*in, Gehilfe*Gehilfin), die über die bloße Anwesenheit am Tatort hinausgeht.[141] Dieses Zusammenwirken muss auf einem mindestens konkludent gefassten gemeinschaftlichen Willensentschluss beruhen.[142] Das Qualifikationsmerkmal knüpft an die besondere Gefährlichkeit der Ausführung an, da ein Handeln mehrerer Personen am Tatort die Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers einschränkt, die Eskalationsgefahr erhöht und zu erheblichen Verletzungen des Opfers führen kann.[143] Für die abstrakte Gefährlichkeit, die § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB unter Strafe stellt, genügt bereits die gefahrerhöhende Mitwirkung am Tatort.[144] Diejenige Person, die durch einen aktiven Gehilfenbeitrag die Tat zu einer gemeinschaftlichen i.S.d. Nr. 4 macht, ist jedoch nicht automatisch als Mittäter*in zu bestrafen.[145]

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Zuletzt liegt eine qualifizierte Körperverletzung auch vor, wenn sie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen wird, § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Die Behandlung bezieht sich auf die Körperverletzungshandlung an sich und nicht auf den Körperverletzungserfolg.[146] Während die Rechtsprechung[147] eine abstrakte Gefahr für das Leben ausreichen lässt – d.h. die Handlung ist generell geeignet, das Leben zu gefährden – fordern einige Stimmen in der Literatur den Eintritt eines tatsächlichen Gefährdungserfolgs, also eine konkrete Gefahr.[148] § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB steht mit § 226 StGB in Tateinheit, da bei Gesetzeskonkurrenz das besondere Unrecht der lebensgefährdenden Handlung, das über die schwere Folge der Körperverletzung hinausgeht, nicht zum Ausdruck käme.[149]

c) (Erfolgs-)Qualifikationen wegen dauerhafter schwerer Folgen (§ 226 StGB)

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§ 226 StGB stellt als Erfolgsqualifikation bestimmte schwere Folgen der Körperverletzung besonders unter Strafe. Das setzt zunächst ein vollendetes Grunddelikt voraus; dies kann eine Körperverletzung nach §§ 223, 224, 225 oder auch 226a StGB sein.[150] Weiterhin muss die handelnde Person durch das Grunddelikt eine der genannten schwerwiegenden Folgen dauerhaft herbeigeführt haben. Diese Folgen müssen gerade bei der verletzten Person auftreten.

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§ 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst den Verlust bestimmter Funktionen des Körpers (Sehvermögen, Gehör, Sprechvermögen, Fortpflanzungsfähigkeit).[151] Die dauernde Unbrauchbarkeit eines wichtigen Körperglieds nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist bereits gegeben, wenn eine verbleibende Restfähigkeit praktisch wertlos ist.[152] Beim Verlust eines wichtigen Glieds des Körpers nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist hingegen eine Abtrennung des Körperglieds notwendig.[153] Die schwere Folge der „erheblichen Entstellung“ nach § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 1 StGB wird dann angenommen, wenn das äußere Erscheinungsbild der Person nachhaltig unästhetisch verändert ist.[154] Unter Siechtum wird ein chronischer, den Gesamtorganismus des*der Verletzten ergreifender Krankheitszustand verstanden, der mit dem Schwinden der körperlichen und/oder geistigen Kräfte verbunden ist und allgemeine Hinfälligkeit zur Folge hat.[155] Eine Lähmung i.S.v. § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 3 StGB ist die erhebliche Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Bewegungsfähigkeit eines Körperteils.[156] Eine dauernde, erhebliche Behinderung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 Var. 5 StGB ist gegeben, wenn durch schwere Hirnverletzungen die volle geistig-intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht mehr erreicht werden kann und das Tatopfer anhaltend auf Hilfe und Pflege angewiesen sein wird.[157]

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Ein Körperglied i.S.v. § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein nach außen in Erscheinung tretendes Körperteil, das eine in sich abgeschlossene Existenz mit besonderer Funktion im Gesamtorganismus erfüllt.[158] Ein Körperteil wird als wichtig eingestuft, wenn der Verlust eine wesentliche Beeinträchtigung des Körpers in seinen regelmäßigen Verrichtungen bedeutet.[159] Die frühere Rechtsprechung nahm die Wichtigkeit eines Glieds nur dann an, wenn der Verlust für jeden normalen Menschen („jedermann“) eine wesentliche Beeinträchtigung bedeutet, wobei es auf besondere Verhältnisse der verletzten Person nicht ankam.[160] Für die herrschende Lehre hingegen müssen auch die individuellen Verhältnisse bei der Bestimmung der Wichtigkeit Berücksichtigung finden.[161] § 226 StGB schütze zwar keine individuellen Interessen, allerdings handelt es sich um ein konkretes Verletzungsdelikt, sodass der Körperverletzungserfolg mit Blick auf die betroffene Person zu bestimmen sei. Bei der Bestimmung, ob ein Körperverletzungserfolg i.S.v. § 226 StGB bei der konkret betroffenen Person eingetreten ist, müssen demnach individuelle Voraussetzungen mit in die Betrachtung einbezogen werden. Auch stünde nur diese Auslegung im Einklang mit dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.[162] Dieser Ansicht folgt auch die neuere Rechtsprechung und beachtet nunmehr individuelle Körpereigenschaften inklusive Vorschädigungen.[163] Inwieweit auch soziale Faktoren – wie beispielweise der Beruf – Berücksichtigung finden sollen, ist nicht abschließend beantwortet.[164]

 

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Die vom Tatbestand geforderten Beeinträchtigungen sind dauerhaft, wenn sie auf unbegrenzte oder unabsehbare Zeit andauern. Diese Dauerhaftigkeit des Verlustes ist bei der Wahrscheinlichkeit einer natürlichen Heilung zu verneinen.[165] Allerdings setzt der Tatbestand nicht Unheilbarkeit voraus, sodass eine mögliche medizinische Korrektur den Tatbestand nicht zwingend ausschließt. Nach lange Zeit überwiegender Auffassung musste die medizinische Korrektur dem Opfer zumutbar sein, um die Dauerhaftigkeit verneinen zu können.[166] Nach neuerer Rechtsprechung soll es bei Beurteilung der Dauerhaftigkeit der Gebrauchsfähigkeit eines Körperglieds hingegen nicht darauf ankommen, ob das Opfer eine ihm mögliche medizinische Behandlung, welche die Gebrauchsunfähigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewendet hätte, nicht wahrgenommen hat. Dem ohnehin schon außerordentlich schwer getroffenen Opfer dürfe keine Obliegenheit auferlegt werden, sich beschwerlichen Heilmaßnahmen zu unterziehen.[167] Stimmen in der Literatur hingegen wollen bei Weigerung des Opfers, sich einer – nach objektivem Maßstab – zumutbaren Behandlung zu unterziehen, die Strafbarkeit nach § 226 Abs. 1 StGB entfallen lassen.[168] Surrogate wie Brillen, Hörgeräte o.Ä. können die schweren Folgen nicht aufheben.[169]

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Die Norm setzt einen spezifischen Gefahrverwirklichungszusammenhang zwischen Grunddelikt und der schweren Folge voraus. Wie genau dieser Zusammenhang zwischen Grunddelikt und Erfolg ausgestaltet sein muss, ist umstritten. Die heutige wohl überwiegende Meinung lässt es auf den grunddeliktischen Gefahrzusammenhang ankommen. Es muss sich in der besonderen Folge gerade die in der Grunddeliktsbegehung liegende tatbestandsspezifische Gefahr verwirklichen.[170] Die schwere Folge muss durch die in der Körperverletzung liegende Fahrlässigkeit verursacht worden sein. Es sollen nur solche Körperverletzungen erfasst werden, denen die spezifische Gefahr der schweren Folge anhaftet.[171] Dieser auch vom BGH geforderte enge Zusammenhang lässt sich auf die hohe Strafandrohung zurückführen.

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Subjektiv muss hinsichtlich der schweren Folge wenigstens Fahrlässigkeit (§ 18 StGB) vorliegen. Handelt der*die Täter*in mit Absicht oder wissentlich (d.h. dolus directus 1. bzw. 2. Grades, kein Eventualvorsatz), so ist § 226 Abs. 2 StGB mit einem erheblich erhöhten Mindestmaß von drei Jahren Freiheitsstrafe erfüllt.

d) Erfolgsqualifikation wegen eingetretener Todesfolge (§ 227 StGB)

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Als weitere Erfolgsqualifikation stellt die Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB solche Körperverletzungen besonders unter Strafe, die den Tod des Opfers zur Folge haben. Das gestorbene Opfer muss dabei mit dem vorsätzlich verletzten Opfer identisch sein.[172] Wie auch bei § 226 StGB (vgl. Rn. 50) reicht der bloße Kausalzusammenhang neben der Erfüllung des Grunddelikts und dem Eintritt der schweren Folge für die Strafbarkeit nicht aus. Vielmehr bedarf es einer engen Verknüpfung zwischen der Körperverletzung und der schweren Folge, welche als spezifischer Gefahrverwirklichungszusammenhang[173] bezeichnet wird. Nur bei Verwirklichung der dem Grunddelikt spezifisch anhaftenden Gefahr kann die hohe Strafandrohung des § 227 Abs. 1 StGB (Freiheitsstrafe von drei bis 15 Jahren) gerechtfertigt sein, die deutlich über das Strafmaß der in § 227 StGB enthaltenen Tatbestände der §§ 223, 222 StGB (Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) hinausgeht.[174] An einem solchen Zusammenhang fehlt es beispielsweise dann, wenn der Tod der verletzten Person erst durch das Eingreifen eines*einer Dritten herbeigeführt wird, auch dann, wenn dieses Eingreifen ohne die vorangegangene Körperverletzung nicht möglich gewesen wäre.[175]

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Im Rahmen von § 227 StGB ist umstritten, ob die schwere Folge aus dem Verletzungserfolg resultieren muss oder aber auch aus der Verletzungshandlung folgen kann.[176] Die Rechtsprechung bejaht den Zusammenhang bereits dann, wenn der Tod allein auf die Gefährlichkeit der Handlung zurückzuführen ist, z.B. wenn sich beim Zuschlagen mit der Waffe versehentlich ein tödlicher Schuss löst.[177] Dies wird zum einen mit dem Wortlaut der Norm begründet, da die in Abs. 1 genannte „Körperverletzung“ begrifflich den Körperverletzungserfolg sowie die Körperverletzungshandlung einschließe. Zum anderen wird auf den Klammerzusatz (§§ 223–226a StGB) in der Norm verwiesen, der die Versuchsregeln einschließt,[178] bei denen der Erfolgseintritt gerade nicht vorausgesetzt wird. Diese Auffassung hat zur Folge, dass auch eine Strafbarkeit des erfolgsqualifizierten Versuchs gemäß §§ 223 Abs. 1, 2, 22, 23 Abs. 1, 227 StGB denkbar ist (versuchtes Grunddelikt, Eintritt der schweren Folge).[179] Ein Großteil der Literatur[180] folgt hingegen der Ansicht der früheren Rechtsprechung[181] und sieht den gefahrspezifischen Zusammenhang nur dann als gegeben an, wenn der Tod auf dem verursachten Körperverletzungserfolg beruht (sog. Letalitätstheorie). Diese Auffassung verweist auf die hohe Strafdrohung, die eine restriktive Auslegung gebiete, sowie darauf, dass der Schutz vor lebensbedrohenden Verletzungshandlungen bereits von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewährleistet sei. Auch sei der Wortlaut der Norm nicht eindeutig hinsichtlich der Anknüpfungsmöglichkeit auch an die Körperverletzungshandlung.[182]

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Subjektiv setzt § 227 StGB hinsichtlich der Herbeiführung der schweren Folge (wenigstens) Fahrlässigkeit voraus, § 18 StGB.[183] Im Rahmen der Fahrlässigkeit spielt in der Regel lediglich die Vorhersehbarkeit des Eintritts der schweren Folge eine Rolle, da die Sorgfaltspflichtverletzung bereits in der Begehung des Grunddelikts zu sehen ist.[184] Die Körperverletzung mit Todesfolge kann auch durch ein Unterlassen in Garantenstellung verwirklicht werden.[185] Voraussetzung hierfür ist grundsätzlich, dass erst durch das Unterlassen der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen oder erheblich erhöht wird.[186] Unterbleibt beispielsweise eine ärztlich gebotene Behandlung nach einer durch den*die Täter*in fahrlässig herbeigeführten Überdosis an Drogen beim Opfer und verschlechtert sich dessen Zustand weiterhin, so ist das Grunddelikt durch Unterlassen gemäß §§ 223 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB verwirklicht. Mündet der sich verschlechternde Zustand im Tod des Opfers, so genügt dies nach neuerer Rechtsprechung zur Bejahung des gefahrspezifischen Zusammenhangs im Rahmen von § 227 StGB. Es reicht also, wenn der*die Garant*in in einer ihm*ihr vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, der dann zum Tod der zu schützenden Person führt.[187]

e) Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB)

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§ 231 StGB stellt die Beteiligung an einer Schlägerei und an einem Angriff mehrerer gesondert unter Strafe. Damit soll zum einen Beweisschwierigkeiten begegnet werden, die sich bei der Rekonstruktion einzelner Verletzungshandlungen innerhalb derart dynamischer Geschehensabläufe ergeben können. Zum anderen wird der Gefährlichkeit und der besonderen Eskalationsgefahr von Schlägereien bzw. Angriffen von mehreren Rechnung getragen.[188] Der Tatbestand setzt das Vorliegen einer Schlägerei, also einer Auseinandersetzung mit gegenseitigen Körperverletzungen zwischen mindestens drei Personen,[189] oder eines von mehreren verübten Angriffs voraus, worunter die in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines*einer Dritten zielende Einwirkung von mindestens zwei Personen verstanden wird.[190] Beteiligung i.S.v. § 231 StGB ist nicht technisch als Täterschaft und Teilnahme (§ 28 Abs. 2 StGB) zu verstehen, sondern bedeutet vielmehr die örtliche Mitwirkung. Daher genügt jede physische oder psychische Teilnahme am Tatort.[191] Im subjektiven Tatbestand ist mindestens Eventualvorsatz notwendig.

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Zusätzlich fordert § 231 StGB den Eintritt einer objektiven Strafbarkeitsbedingung (§ 231 Abs. 1 a.E. StGB), auf die sich also der Vorsatz nicht beziehen muss.[192] Danach ist das tatbestandsmäßige Handeln nur dann strafbar, wenn bei der Schlägerei oder dem Angriff entweder ein Mensch zu Tode gekommen oder eine schwere Körperverletzung i.S.d. § 226 StGB eingetreten ist. Zwischen Schlägerei oder Angriff und der schweren Folge muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen, allerdings nicht zwischen der individuellen Beteiligung des*der jeweiligen Beteiligten und der schweren Folge.[193] Die Strafbarkeitsbedingung muss nicht durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden sein; es genügt, wenn sie durch eine wegen Notwehr gerechtfertigte Handlung eingetreten ist.[194] Die objektive Strafbarkeitsbedingung schränkt den ansonsten im Hinblick auf die pönalisierte Tathandlung erheblich ausgeweiteten Anwendungsbereich des Tatbestandes deutlich ein.

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Umstritten ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Beteiligung an der Schlägerei stattfinden muss. Nach überwiegender Auffassung ist § 231 StGB auch dann verwirklicht, wenn sich die beteiligte Person noch vor Eintritt der schweren Folge vom Tatort entfernt, da es ausschließlich auf die Kausalität der Schlägerei als „Gesamtgeschehen“ ankomme.[195] Demnach genügt es für die Strafbarkeit, dass die Beteiligung einen Beitrag zur Gefährlichkeit bzw. zur Eskalationsgefahr geleistet hat.[196] Nach Ansicht der Rechtsprechung soll eine tatbestandsmäßige Beteiligung aber auch dann noch stattfinden können, wenn die schwere Folge bereits eingetreten ist.[197] Dies ist indes kaum mit dem Schuldgrundsatz zu vereinbaren.[198] Schließlich kann die Beteiligung nicht mehr zur Verursachung der schweren Folge beitragen, wenn diese bereits vorliegt.[199]

 

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Nach § 231 Abs. 2 StGB entfällt eine Strafbarkeit nach Abs. 1, wenn eine Person an der Schlägerei oder dem Angriff beteiligt war, ohne dass es ihr vorzuwerfen ist. Die dogmatische Einordnung der nichtvorwerfbaren Beteiligung ist umstritten. Einige Stimmen in der Literatur sehen in Abs. 2 lediglich einen klarstellenden Hinweis des Gesetzgebers auf das mögliche Eingreifen von Rechtfertigungs- (siehe unten Rn. 87 ff.) und Entschuldigungsgründen.[200] Die überwiegende Ansicht sieht hierin allerdings einen atypischen Strafbarkeitsausschluss, der bei Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen bereits den Tatbestand entfallen lässt.[201]

f) Weitere Tatbestände (§§ 225, 226a, 229 StGB)

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Eine fahrlässige Körperverletzung nach § 229 StGB liegt vor, wenn der Körperverletzungserfolg durch fahrlässiges Handeln herbeigeführt worden ist. Es muss also eine Sorgfaltspflichtverletzung ursächlich dafür geworden sein, dass ein anderer Mensch in seiner Gesundheit beschädigt oder körperlich misshandelt worden ist.[202] Für die Bestimmung der im Einzelfall gebotenen Sorgfalt werden die in der zivilrechtlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze herangezogen.[203] So kann etwa das unbeaufsichtigte Herumlaufenlassen eines Hundes eine Sorgfaltspflichtverletzung i.S.v. § 229 StGB darstellen.[204] Der Tatbestand des § 229 StGB ist insbesondere wegen des Straßenverkehrs (vgl. dazu noch Rn. 74) von erheblicher praktischer Relevanz. Zudem kommt ihm dort Bedeutung zu, wo vorsätzliches Handeln nicht mit der hinreichenden Sicherheit nachgewiesen werden kann. Gemäß § 230 Abs. 1 S. 1 StGB wird die fahrlässige Körperverletzung ebenso wie die einfache Körperverletzung nur bei Vorliegen eines Strafantrags verfolgt, es sei denn, es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung.

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Eine Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 Abs. 1 StGB wird angenommen, wenn der*die Täter*in, der*die eine Sorgepflicht für eine besonders schützenswerte Person innehat, diese Person quält, roh misshandelt oder böswillig vernachlässigt. Unter Quälen ist das Zufügen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen körperlicher oder seelischer Art zu verstehen.[205] Roh misshandelt, wer aus gefühlloser Gesinnung handelt; entscheidend ist dabei die Schwere des körperlichen Eingriffs, in dem sich die gefühllose Gesinnung widerspiegelt.[206] Die Vernachlässigungsvariante des § 225 Abs. 1 StGB wird als echtes Unterlassungsdelikt eingeordnet; böswillig vernachlässigt, wer den Pflichten aus einem verwerflichen Beweggrund nicht nachkommt, z.B. aus Hass, Eigennutz oder Sadismus.[207] Insbesondere aufgrund von Beweisproblemen im subjektiven Tatbestand führt § 225 StGB in der Praxis eher ein Schattendasein, was unter Rückgriff auf §§ 223, 224 StGB kompensiert wird.[208] Eine Misshandlung i.S.v. § 225 Abs. 1 StGB kann gleichzeitig eine gefährliche Körperverletzung (häufig als eine das Leben gefährdende Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) darstellen, insofern besteht Tateinheit. Die gefährliche Begehungsweise nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tritt im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurück, wenn eine qualifizierte Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB vorliegt.[209]

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Eine Strafbarkeit nach § 226a StGB wegen Verstümmelung weiblicher Genitalien setzt als Handlungsobjekt eine weibliche Person voraus.[210] Unter der Tathandlung der Verstümmelung ist jede mechanische Einwirkung auf den Körper zu verstehen, die zur Einbuße an Körpersubstanz führt.[211] Der Tatbestand umfasst nur die äußeren Genitalien, die inneren Bereiche wie beispielsweise die Gebärmutter oder Eierstöcke sind demnach kein Tatobjekt.[212] Im subjektiven Tatbestand ist vorsätzliches Handeln erforderlich, es genügt dolus eventualis.[213] § 226a StGB wird als Qualifikation zu § 223 StGB eingeordnet und schützt somit in erster Linie das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit.[214] Das gegenüber dem Grunddelikt erhöhte Unrecht liegt darin, dass bei Erfüllung des Tatbestandes nicht nur die Substanz verletzt worden ist, sondern auch die den betroffenen Körperteilen zukommende Funktion im Gesamtorganismus nicht mehr erfüllt werden kann, da der Geschlechtsverkehr und/oder die sexuelle Empfindsamkeit sowie das Ausscheiden von Körperflüssigkeiten dauerhaft gestört und mit Schmerzen verbunden sind.[215] Weitergehend wird auch die sexuelle Selbstbestimmung als Schutzgut erklärt, da die Verstümmelung weiblicher Genitalien regelmäßig auf die Kontrolle der weiblichen Sexualität gerichtet ist.[216] Die Vorschrift wurde vielfach als aus politischem Aktionismus entstandenes symbolisches Strafrecht kritisiert.[217] Das betroffene Rechtsgut war auch vor Einführung des § 226a StGB bereits durch § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB geschützt, gleichwohl haben derartige Fälle in der Praxis praktisch keine Rolle gespielt.[218]