Free

Die Bräutigame der Babette Bomberling

Text
iOSAndroidWindows Phone
Where should the link to the app be sent?
Do not close this window until you have entered the code on your mobile device
RetryLink sent

At the request of the copyright holder, this book is not available to be downloaded as a file.

However, you can read it in our mobile apps (even offline) and online on the LitRes website

Mark as finished
Font:Smaller АаLarger Aa

Man kann denselben Dingen verschiedne Deutungen geben. Den Ehrenhandel, durch den der Herr Leutnant verhindert war, konnte man auch Mucki nennen.

Er hatte sie mitgenommen.

Er hatte sich verpflichtet gefühlt, etwas für ihre Versorgung zu tun, ehe er Abschied nahm. Aus diesem Grunde hatte er Mucki die Sonntagsnummer der Konfektionszeitung gekauft.

Gemeinsam hatten sie die vielen Anzeigen durchstudiert. Es gab viele freie Posten, die für Mucki geeignet schienen. Und darum war Mucki, der Einfachheit halber, gleich mitgekommen . . .

Ein Held, dachte Babette, als sie den Brief gelesen hatte. Den ersten Brief von Fritz, der ihr gefiel. Und solchem Manne hatte sie Schmerz zufügen wollen?

Sie verglich ihn mit dem Freund von der Eisbahn. Jahr und Tag würden noch vergehen, ehe jener die Welt verbessern würde. Was war selbst der gute Paul, der im Warmen saß und Särge für andere zeichnete, gegen einen Mann, der im Kampf auf Tod und Leben gestanden hatte? Der nun einsam und verwundet auf seinem Schmerzenslager ruhte. –

Diese traurigen Gedanken machten Babette froh und glücklich. Draußen schneite es. Sie beschloß, ihrem Helden sanfte, wundervolle Rosen zu kaufen, die irgendwo erblüht waren, wo es immer Sommer ist. In der Dämmerung wollte sie zu seiner Wohnung eilen und sie an seiner Tür für ihn abgeben. –

»Ich gehe nur ein paar Blumen kaufen,« sagte sie zu der Mutter. Sie versuchte, die verweinten Augen nach Möglichkeit zu verbergen.

Das wurde ihr nicht schwer gemacht, denn Frau Bomberling streifte ihre Babette nur mit einem flüchtigen Blick und sagte nichts weiter als:

»Sei pünktlich zu Tisch zurück, mein Kind.«

Dann eilte sie wieder in ihr Zimmer.

Sie war vollauf mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, in denen viele Wünsche wogten. Bald mußte die Baronin da sein. Vielleicht hatte sie einen unverheirateten Sohn, oder wenigstens einen Neffen. Irgendeinen jungen Menschen, der heiratsfähig war, gab es doch schließlich in jeder bessern Familie.

Es klingelte.

Das Mädchen kam mit einer Visitenkarte auf dem silbernen Tablett und sagte, daß eine Dame mit sehr viel Pelz da sei, sie habe sie daher in den Salon geführt.

Frau Bomberling nahm die Karte und sagte verbessernd:

»Das ist keine Dame, das ist eine Frau Baronin.«

Das Mädchen sollte merken, bei wem sie diente.

Dann eilte sie hinaus. –

Man wechselte einige Worte über das Wetter. Es war kalt. Es schneite. Wenn es wärmer würde, müßte der Schnee sicherlich schmelzen.

Bei solchen Wahrheiten taute man selbst auf. Die Frau Baronin öffnete den Pelz.

Sie sagte, der Mensch solle nicht von sich selbst reden, aber es würde Frau Bomberling vielleicht doch interessieren zu erfahren, daß sie nicht nur Baronin wäre. Sie hätte auch einen Beruf. Einen schönen, dankbaren Beruf, den in der guten alten Zeit die Götter selbst ausgeübt hätten.

Frau Bomberling verstand sie nicht gleich.

Sie sagte entschuldigend, daß in der Schule, die sie besucht habe, gerade die alten Götter einen sehr schlechten pädagogischen Vertreter gehabt hätten. Sie habe nur wenig davon behalten.

So mußte die Frau Baronin deutlicher werden.

Die Augen auf ihre große Nerzmuffe gesenkt, verriet sie, daß sie in den besten Kreisen der Gesellschaft den Amor spiele. Ehen würden im Himmel geschlossen. Aber sie vermittle sie.

»Was es alles gibt,« sagte Frau Bomberling in breiter Bewunderung.

»Ja,« sagte die Baronin nun schnell und sicher sprechend, »ich habe ein ganz ausgewähltes Assortiment. Schuldlos Geschiedene, Witwer, ledige Beamte, Ärzte, Privatiers, feine Kaufleute mit hohem und höchstem Einkommen im Alter von 26-42 Jahren stehen jederzeit bei mir zur Verfügung.«

Sie holte Atem, um noch hinzufügen zu können, daß sie schon im Jahre 1896 gegründet sei.

Frau Bomberling lächelte in höflicher Bewunderung, obgleich es ihr nicht ganz klar war, wie man sich gründete. Es entstand eine kleine, nachdenkliche Pause.

Und doch war die Gründung der Baronin einfacher gewesen wie mancher andre Anfang.

Die eigenen Taten sollen den Menschen adeln. Nach diesem Grundsatz hatte sie gehandelt. Eine Bestellung auf tausend gedruckte Visitenkarten hatte sie zur Baronin erhoben. Sie waren ihr Betriebskapital geworden. Heute waren die Karten lithographiert. Man war vorwärts gekommen.

Und doch. Wie die Frau Baronin von Pryczsbitzky-Ratzoska da vor Frau Bomberling saß, mit dem vielen Puder in dem welken Gesicht und dem pompösen Firmenschild aus Nerz über dem abgetragenen Samtkleid, einen Hauch von billigem Parfüm um sich, sah es nicht so aus, wie wenn es glücklich machte, den ganzen Tag in Bewegung sein zu müssen, um das göttliche Amt, andere zu beglücken, auszuüben. Sie hätte vielleicht auf die Rangerhöhung und auf alle anderen Ehen verzichtet, wenn ihr eine einzige besser gelungen wäre, die eigene. Wenn ihr Pryczsbitzky nicht eines Tages spurlos nach Amerika verschwunden gewesen wäre, ihr nichts hinterlassend, als seinen verschnupften Namen. Es war anerkennenswert genug, was sie daraus zu machen verstanden hatte. Sie dachte wohl selbst etwas Ähnliches in diesem stummen Augenblick, in dem beide Frauen ein Kaviarschnittchen kauten.

Das gummierte Lachen war von ihrem Gesicht geglitten, das hilflos, müde und alt aussah, als sie sagte:

»Jeder will leben, ehe er stirbt.«

Aber sich besinnend, lächelte sie wieder rasch und sagte, daß ein adliger Herr ihrer Kundschaft wie geschaffen dazu wäre, ein geliebtes Mitglied der Familie Bomberling zu werden.

»Adlig?« Frau Bomberling hätte das Wort fast hinausgeschrien.

Die Baronin sagte, daß sie von Frau Rat gehört habe, daß die Herrschaften heute ihre Abonnementplätze im Theater hätten. Falls es sicher sei, daß die gnädige Frau mit ihrem Gatten die Vorstellung besuchen würde, sollte sich auch der betreffende Herr ein Billett besorgen, um Frau Bomberling zu sehen.

»Mich?« fragte Frau Bomberling errötend.

»Ja,« sagte die Frau Baronin, »die jungen Leute sind so verschieden. Der eine will die Tochter sehen, der andre die Mutter. Der heute in Frage kommende junge Mann behauptet, daß er nur die Mutter zu sehen brauche. Anders hieße es die Katze im Sack kaufen.«

Frau Bomberling versuchte, sich in dem Glas des Tassenschranks zu spiegeln. Sie war sehr verlegen. Wenn es sich nicht um einen adligen jungen Mann gehandelt hätte, würde sie entschieden nein gesagt haben.

So aber konnte sie nach einigem Hin und Her diesem Vorschlag nicht widerstehen.

Die Frau Baronin bat sich höflich die Reihen und die Nummern der Theaterplätze aus, die sie rasch in ein kleines Notizbuch kritzelte. Sie wollte sie sofort dem jungen Mann telegraphieren.

Die Gebühren dafür würde sie der gnädigen Frau einstweilen debitieren. Ebenso das Auto, womit sie hergekommen war. Denn es hatte, wie gesagt, leider geschneit.

Sie stand auf und begann ihren Pelz zu schließen.

»Was wird denn gespielt?« fragte sie. »Ein Trauerstück von einem der berühmten Klassiker?«

Frau Bomberling sagte, daß ein neues Lustspiel gegeben werde.

»Das trifft sich sehr gut,« rief die Baronin eifrig. »Da sind die Herren viel leichter hineinzubekommen. Es wirkt auch besser aufs Gemüt.«

Nach dem Theater wollte sie den Herrn sprechen und schon morgen vormittag Bescheid bringen. Sie hatte es nun sehr eilig. Die Geschäfte warteten.

»Vor Weihnachten,« sagte sie lächelnd, »sind meine Minuten kostbar. Am 24. abends möchte am liebsten alles verlobt sein. Ja, ja. Die Menschen sind ein sonderbares Völkchen.«

Die engen Glacéhandschuhe saßen nun so ziemlich auf ihren breiten Händen. Die Tür schloß sich laut hinter der Frau Baronin von Pryczsbitzky-Ratzoska.

Nur der gemischte Hauch eines Drogenladens wehte noch über den Möbeln des alten englischen Schlosses, die tadellos auf ihrem Platz standen.

Vor den Fenstern arbeitete die Dämmerung. Sie glich die harten Gegensätze gütig aus, sie verschleierte schwerfällige Umrisse, beschattete scharfe Linien.

Aber im Schlafzimmer, wo sich Frau Bomberling für den Theaterbesuch vorbereitete, strahlte rücksichtslose Helle. Frau Anna stand vor dem klaren Spiegel. Er war geschliffen und doch so aufrichtig, wie es wohlerzogene Menschen nicht sein würden.

Frau Anna seufzte. Sie dachte, daß sie in diesem Jahre vielleicht doch mehr für ihr Aussehen hätte tun müssen, als es geschehen war.

Mit besorgtem Gesichtsausdruck holte sie ihre Schmucksachen hervor und begann sie blank zu putzen. Sie wenigstens sollten neu und glänzend scheinen.

Seit ihrem Hochzeitstage hatte sie sich nicht mit solcher Sorgfalt geschmückt.

Ob sie wagen sollte, ein wenig Schminke aufzulegen? Vielleicht war der Betreffende kurzsichtig?

Es klopfte an die Tür, und der Schreck färbte Frau Annas Wangen auf natürliche Weise.

Es war nur Babette, die sich jetzt mit ihren Rosen auf den Weg machen wollte. Sie murmelte etwas von einer Notenbesorgung und gab der Mutter einen zärtlichen Kuß. Frau Anna erwiderte ihn, streichelte sanft über Babettes Haar und beschloß dabei, sich noch ein wenig enger zu schnüren. Das Glück ihrer einzigen Tochter war dieses kleine Opfer wohl wert. Mutig wendete sie sich wieder dem Spiegel zu . . .

Babette aber durchquerte ein großes Stück der abendlichen Stadt. Jetzt stieg sie eine Holztreppe hinauf, die bei jedem Schritte knarrte. Alle Wohnungstüren, an denen Babette vorüberkam, waren mit Visitenkarten besetzt. Ganz oben fand sie endlich Fritz Wegners Namen.

Unschlüssig war Babette stehen geblieben. Neben ihr hing eine altmodische Klingel. Aber sie fand nicht gleich den Mut, sie zu ziehen.

Da fuhr sie erschreckt zusammen. Hinter der Tür schrie jemand.

Sie lauschte angstvoll. Starb ihr Fritz? Nein, es war Gesang.

Gesang, der lauter und deutlicher wurde. Bald konnte sie auch die Worte verstehen. Die Stimme eines Mannes schrie:

 

»Auf dem Balkon von Colombinchen, da aßen zwei ein Philippinchen. Pinchen, Pinchen.«

Bei Pinchen, Pinchen fielen verschiedene andere Stimmen ein.

Babette war empört. Wie konnte in einer Wohnung, wo ein kranker, ein verwundeter Soldat lag, ein solcher Lärm verübt werden?

Heftig zog sie die Klingel. Niemand öffnete.

»Pinchen, Pinchen,« brüllte es in steter Wiederkehr.

Babette mußte noch mehrere Male klingeln, ehe endlich langsame Schritte näherschlürften.

Die Tür öffnete sich ein wenig. Eine runde Frau hatte sie mit dem Ellbogen aufgeklinkt. Ihre Hände waren von einer großen Tasse voll Kaffee und einem nicht kleinen Stück Kuchen vollständig in Anspruch genommen. Babette fragte verwirrt, ob Herr Leutnant Wegner hier wohne. Die Frau grinste, horchte auf den Lärm da drinnen und sagte:

»Das will ich wohl meinen.«

»Wie geht es ihm denn?« flüsterte Babette. »Liegt er? Schlummert er?«

Die Frau grinste noch breiter bei diesem Spaß und sagte, wenn es so weiter ginge mit diesem Gesuff, würde er wohl bald soweit sein.

Aber nun solle das Fräulein endlich hereinkommen, man heizte doch nicht fürs Treppenhaus. Sie war doch wohl auch eine Kusine vom Herrn Leutnant? Zwei wären schon da. Aber man feiert auch nur einmal im Jahr Geburtstag.

»Pinchen, Pinchen,« brüllte es hinter der Tür.

Babette begriff nicht gleich, daß es Fritz sein sollte, der heute Geburtstag feierte. Sie wußte genau, daß er im Mai geboren war. Denn sie hatte gerade dies so herrlich an ihm gefunden.

Da wurde die Tür aufgerissen. Ein Chor heiserer Stimmen tobte:

»Schampus, Schampus, rasch, alte Dame, eine neue Flasche.«

Die runde Frau drehte sich langsam mit Kuchen und Kaffee herum.

»Immer langsam und gemütlich,« sagte sie.

Aber als sie sich wieder zurückdrehte, war das fremde Fräulein fort. Sie schlug mit dem Fuß die Tür zu, die noch offenstand. Gedanken machte sie sich nicht.

Voll Angst und Ekel war Babette entflohen. Als sie nach Haus kam, waren die Eltern im Theater.

Auch Hermann war nicht da. Ganz allein war sie.

Sie verschloß ihr Zimmer und nahm die roten Rosen aus dem verknüllten Papier. Ein paar Blätter waren schwarz geworden von der unbarmherzigen Kälte. Babette entfernte sie behutsam, beschnitt die Stiele und setzte sie in laues Salzwasser. Und laues Salzwasser tropfte auch in die Kelche der Blumen.

Es wurde ganz still im Zimmer. Nur die Uhr tickte weiter.

Wenn es das Schicksal am besten mit uns meint, dann sind wir ihm am bösesten.

Aber schließlich war Babette doch eingeschlafen. So friedlich, wie man mit siebzehn Jahren schläft, nachdem man sich tüchtig ausgeweint hat.

Es war nicht mehr früh, als sie erwachte, weil man an ihre Tür klopfte.

Hermann stand davor und fragte auf französisch, ob ihm Babette zwanzig Mark geben könne. Er bediente sich dieser Sprache stets, wenn er seiner Schwester etwas mitteilen wollte, was die Eltern oder die Dienstboten nicht hören sollten.

Babette war erschreckt aufgefahren. Diese Sprachlaute hatten sie sofort an alles erinnert.

». . . Je ne vous aime pas, je ne . . .«

»Hörst du, Babette, oder schläfst du?« rief Hermann mit erhöhter Stimme.

»Ich wäre dir sehr verbunden, si tu pouvais me donner vingt mark. «

Babette sagte:

»Oui, ich werde sie dir an den Frühstückstisch bringen.«

»Tu es une ange, ma chère,, rief Hermann zurück und schlug als Bekräftigung einen derben Fausthieb gegen die verschlossene Tür. –

Das runde Goldstück verhinderte, daß Hermann beim Frühstück bemerkte, wie verweint seine chère soeur war. Man sieht jemandem, von dem man Geld bekommt, nicht unnütz lange ins Gesicht.

Er schob das Geldstück in die Tasche, steckte sich eine Zigarette an und sagte:

»Sobald ich das Perpetuum mobile erfunden habe, bekommst du's mit Zinseszinsen zurück. Servus.«

Dann ging er. Liane Violetta sollte Blumen und Schokolade bekommen. Sie liebte nicht die trüben Wintersorgen.

Babette blieb am Kaffeetisch. Es war nicht hell und nicht dunkel im Zimmer. Napoleon hockte mit halb geschlossenen Augen auf der Stange und rührte sich nicht. Ein Duft von Kaffee, Leberwurst und Tannenzweigen webte durch den Raum.

Babette wünschte beinahe, daß die Mutter hereinkommen würde, um sie auszuforschen, warum sie traurig sei und geweint habe. Daß sie sie umarmen möchte und nicht eher loslassen würde, bis Babette ihr alles gesagt hätte, ihr weinend verraten hätte, daß alle Männer schlecht wären und sie immer, immer bei ihrer geliebten Mutter bleiben wollte.

Sie sehnte sich sehr nach jemandem, an den sie alle ihre Zärtlichkeit verschwenden konnte.

Vielleicht hätte dieser Augenblick Mutter und Tochter fürs Leben zu Freundinnen machen können.

Wenn Frau Anna nur nicht so ganz beschäftigt mit Babettes Wohl gewesen wäre, daß sie keinen Blick für sie übrig haben konnte.

Sie zählte die Minuten, bis die Frau Baronin wieder da sein würde. Und mit ihr die Antwort. Die Antwort eines Adligen.

Sie war erregt, wie wenn sie selbst Braut werden sollte.

Den gestrigen Abend würde sie nicht vergessen, solange sie lebte. Das wußte sie bestimmt.

Das ganze Theater schien mit Bräutigamen besetzt zu sein. Jeder Herr hatte sie angesehen. Scharf, lächelnd, prüfend, abwägend. Aus schmalen Augen und aus runden, aus Brillen, Kneifern und Monokeln hatte man sie mit Blicken durchbohrt.

Sie hatte sich nicht zu rühren gewagt. Nicht zu räuspern, nicht zu husten. Kaum zu atmen. Aber immer gelächelt. Immer.

Und wie eng war sie geschnürt gewesen.

Sie hatte ein Recht auf eine freudige Antwort. Ihre Unruhe war begreiflich. Erregt lief sie aus einem Zimmer ins andere. Suchte den Schlüsselkorb, konnte das Lorgnon nicht finden, ärgerte sich über ein Staubkorn. –

Babette hatte nichts anderes anzufangen gewußt, als die Schlittschuhe zu nehmen und auch einmal des Vormittags auf die Eisbahn zu gehen.

Zu ihrem Erstaunen traf sie ihren Bruder dort.

Auch Hermann suchte Trost in der Natur.

Liane hatte Blumen und Schokolade empfangen. Aber nicht ihn. Jeder Stand hat seine Moral. Sie hatte ihm sagen lassen, wenn man jemand für den Nachmittag bestellt hat, so empfängt man ihn nicht am Morgen. Ordnung muß sein.

Hermann mußte ihr recht geben. Ordnung muß sein. Warum studierte er sonst Jura?

Aber wenn er nur wenigstens die blanken Gummischuhe, die neben dem Garderobenhalter gestanden hatten, noch einen Augenblick länger hätte sehen können. Sie schienen ihm so unheimlich groß? Wie wenn sie an Herrenfüße gehörten?

Schweigend liefen die Geschwister nebeneinander her.

Nach einer Weile kam ihnen der Ökonom auf der glatten Fläche entgegen. Mit einer kunstvollen Arabeske schloß er sich ihnen an.

Er begann bald von der M. V. zu reden. Und von der F. L. Von den moralischen Verpflichtungen und der freien Liebe. Nur ganz im allgemeinen sprach er. So wie man eben über die Probleme des Lebens spricht, wenn man die Welt zu verbessern hat.

Aber Hermann verbat sich das. Er sagte, das wären keine Gespräche für Schwestern. Diese Weisheiten könne er vor seinen Freundinnen auskramen. Aber nicht vor Babette.

Der Nationalökonom sagte, daß er Babette zu seinen Freundinnen zähle.

Da hieb ihm Hermann eine Ohrfeige herunter.

Sein Freund war auch Mitglied des Kauklubs. Also satisfaktionsfähig. Er hieb zurück.

Eis ist noch glatter als der gewöhnliche Boden des Lebens. Bald wälzten sich beide, eng verschlungen, auf dem gefrorenen Wasser.

Als sie wieder aufstanden, hatte ihre Freundschaft einen Knacks bekommen. Ohne sich zu grüßen gingen sie voneinander.

Babette half den Schnee von Hermanns Mantel abklopfen. Dann verließen sie die Eisbahn.

»Nun weißt du, daß du einen Bruder hast,« sagte Hermann zufrieden.

Vor der Tür der nächsten Konditorei blieb er stehen.

»Du könntest mir einen Grog spendieren,« sagte er.

Babette war nicht abgeneigt, auf all ihren bittern Kummer ein Stück Apfelkuchen mit Schlagsahne zu essen. Sie gingen hinein.

»Eigentlich könntest du einmal bezahlen,« sagte sie. »Ich habe noch keinerlei Weihnachtsgeschenke besorgt.«

»Unmöglich,« sagte Hermann.

Was er von dem Goldstück noch übrig hatte, wollte er für Liane verwenden.

Denn er hatte es vorhin bewiesen. Er hielt genau auseinander, was einer Freundin zukam und was einer Schwester gebührte.

Während sich auf dem Eise so heiße Vorgänge abspielten, hatte in Bomberlings durchwärmtem Salon ein recht frostiges Zusammensein stattgefunden.

Mit einiger Verspätung war die Frau Baronin endlich gekommen.

Nachdem sie höflich gefragt hatte, ob sich die gnädige Frau gestern gut unterhalten habe und ob das Stück und die Schauspieler nett gewesen wären, sagte sie endlich, daß auch der adlige Herr dagewesen wäre.

»Wo hat er denn gesessen?« fragte Frau Bomberling hastig – – –. »Es waren so viele da, die ihm ähnlich sahen.« –

»Die ihm hätten ähnlich sein können,« verbesserte sie sich rasch, als sie den erstaunten Blick der Frau Baronin bemerkte.

»Ja – er war da – und –«

»Und?« fragte Frau Anna laut und dringend.

»Liebe, gnädige Frau – so leid es mir tut – die Wahrheit heraus – Sie sind dem Herrn zu stark.«

Es war gesagt. Eine schwere Stille entstand.

Mit dem, was man schweigend von einander denkt, kränkt man sich nicht.

Erst nach einer langen Weile stieß Frau Bomberling mit einem Atemzug des auf- und abwogenden Busens hervor:

»Und dieser Mensch will adlig sein?«

Die Frau Baronin lächelte höflich.

»Nehmen Sie sichs nicht zu Herzen, gnädige Frau,« sagte sie. »Der Geschmack ist verschieden. Sie glauben nicht, wie anspruchsvoll die jungen Leute heutzutage sind.«

Und sie erzählte, daß die einen nur Damen ohne Blinddarm, andere nur Damen ohne Eltern und Geschwister wollten und viele sogar genau bestimmten, wie klein die Nase sein müsse.

»Nur die Mitgift solle immer groß sein,« sagte sie beleidigt. »Ich habs auch nicht leicht, Verehrteste. Glauben Sie's mir.«

Frau Bomberling schien nichts von alledem zu hören. Die gekränkte Eitelkeit pfiff um ihre Ohren.

Sie wurde erst wieder etwas anteilnehmender, als die Frau Baronin sagte:

»Ich wollte mir einen andern Vorschlag erlauben. Ich habe da einen fünfstöckigen Hausbesitzer mit sehr viel unbebautem Terrain.«

»Ach, das ist gewiß ein alter Mann,« unterbrach sie Frau Bomberling abweisend. – »Gestern im Theater bekam die Tochter, die gar nicht mehr besonders jung war, einen so reizenden Flieger. Reich und jung. Bildhübsch sah er in seinem Kostüm aus.«

Die Frau Baronin wendete ein, daß Flieger meistens Leute aus niedrigen Kreisen seien, die nichts anderes im Sinn hätten, als möglichst rasch in die Höhe zu kommen.

»Allerdings, auf dem Theater,« fügte sie schmerzlich hinzu. »Das sieht alles schön aus. Aber im Leben ist es anders. Da sind die Herren, die wirklich ehrliche Absichten haben, alle ein wenig vom Leben mitgenommen. Warum sollten sie auch sonst heiraten?«

Sie zuckte die Achseln und seufzte.

Vielleicht dachte sie an ihren Pryczsbitzky. Vielleicht war sie auch nur ärgerlich, daß sie ihre kostbare Zeit vor Weihnachten hier zu vergeuden schien.

»Ihr Fräulein Tochter ist schön,« fing sie wieder an. – »Wenn Sie mehr Hausverkehr hätten – aber natürlich – dieser und jener wird sich an den Särgen stoßen, in unserer nervösen Zeit. – Vielleicht warten Sie bis zum Frühjahr – eine kleine internationale Reise –«

Sie stand auf und begann ihren Mantel zuzuknöpfen.

»Wie gesagt, der Hausbesitzer – ansehen kostet nichts. Ich werde mir erlauben, ihn Ihnen am Neujahrstage zuzuschicken. Er macht einen kleinen Besuch – bringt einen Gruß von der Rätin.«

Frau Bomberling sagte nicht ja. Aber sie sagte auch nicht nein.

Die Frau Baronin öffnete ihre blanke Handtasche und entnahm ihr einen blauen Briefumschlag, der mit einer großen roten Krone geschmückt war.

»Wie dem auch sei,« sagte sie. »Jedes Jahr hat seine eigenen Zahlen. Darf ich Sie bitten, mir einstweilen die kleinen Spesen von diesem zu vergüten.«

Frau Bomberling griff zum Lorgnon, öffnete den Brief und las.

Trotzdem sie die liebenswürdige Baronin erst kurze Zeit kannte, war die Rechnung lang.

Die Plauderstündchen von gestern und heute waren Konsultationen genannt und in diesem Sinne berechnet. Die Autofahrten kamen hinzu. Auch das Theaterbillett des Herrn von Adel, der sie zu stark gefunden hatte, mußte Frau Bomberling begleichen. Er hatte auf einem sehr feinen Platz gesessen.

Die Frau Baronin räusperte sich deutlich. Frau Bomberling wurde verlegen, sie unterbrach die Lektüre, griff zum Portemonnaie und bezahlte die Schlußsumme.

 

»Es war mir ein Vergnügen, auf Wiedersehen,« sagte die Baronin und ging mit schnellen und wiegenden Schritten hinaus.

Als Frau Bomberling jetzt vor dem Schreibtisch saß, um diese Ausgabe zu buchen, wußte sie nicht recht, wie sie sie benennen sollte.

Nach einigem Zögern schrieb sie die nicht unansehnliche Summe hinter die Rubrik: Brennmaterialien.

Sie dachte dabei, wie kostenlos sich August und sie gefunden hatten. Nachdenklich schüttelte sie den Kopf, als sie das Löschblatt sorgsam zwischen die Seiten legte.

Sie vergaß, daß damals wahrscheinlich noch die alten Götter am Werk waren. Sie konnten billig sein. Auch bei den größten Entfernungen. Sie hatten Flügel.

Auf Bomberlings Haus saß ein Dachdecker und schaufelte den hohen Schnee in den Hof hinunter.

Da er nach Zeit bezahlt wurde, machte er, trotz der Luftigkeit seines Aufenthaltes, dann und wann eine Pause. Er blies in seine starren Hände, beugte sich ein wenig vor und spähte in die warmen Zimmer der reichen Leute. Der trübe Wintertag hatte manchen die Gardine beiseite schieben lassen.

Am meisten gab es bei Bomberlings zu sehen. Sie hatten schon Licht angezündet.

Deutlich sah er, daß am Fenster ein kleiner Kanarienvogel saß, der sich in den Federn krabbelte. Weiter ins Zimmer, an der Wand, hing ein schönes buntes Bild. Was es vorstellte, konnte er nicht erkennen, aber der dicke Goldrahmen sagte ihm, daß es ein feines Bild sei.

Das hübscheste war der Tisch unter dem Kronleuchter. Da saß eine Familie und aß. Ein dicker Herr, mit der Serviette um den Hals, eine dicke Dame, mit hoher, blonder Frisur, noch ein dicker, aber junger Herr und ein Fräulein, ganz schlank und blond.

Das war wie im Kinematographen. Sie bewegten sich, ihre Münder klappten auf und zu, aber man hörte nichts.

Grinsend griff er wieder zur Schaufel. In schweren Klumpen klatschte der Schnee zu Boden.

Als er sich wieder vorbeugte, ging in dem hellen Zimmer ein hübsches Dienstmädchen mit einer großen Schüssel von einem zum andern. Jeder häufte sich seinen Teller voll.

Sie hatten es gut und waren zufrieden. –

Aber auch vom Dach kann man nicht in das Herz der Menschen sehen.

Hermann aß nur, um dem Vater nicht unangenehm aufzufallen. Er war noch ärgerlich über den Ökonomen, und sonst dachte er nur an die großen Gummischuhe in Lianes Vorzimmer.

Frau Anna fragte sich, ob nicht jeder Bissen, den sie aß, ihr Gewicht verstärken würde. Traurig sah sie zu Babette hinüber, die vor ihrem Teller saß, ohne zu ahnen, daß die eigene Mutter ein Hindernis an ihrem Glück war.

Babette merkte nichts davon, obwohl sie von den Speisen nur kostete. Sie sah nicht auf. Dann und wann strich sie mit den schmalen Fingern über die Stirn, wie wenn sie die Gedanken dahinter glätten wollte. Sie mußte noch heute mit Paul reden. Er war der einzige, der sie verstand. Sie wollte von nun an arbeiten. Wie ein Mann. Im Morgengrauen hinaus. Das Frühstück in der Tasche.

Bomberling kaute laut und kräftig. Er dachte an die Jahresinventur, die bevorstand. Er rechnete. Scharfe Striche kreuzten die breite Heiterkeit seines runden Gesichtes.

So zog jeder seine eigenen Bilanzen, während sie schweigend das Essen teilten und dann und wann ein paar Worte wechselten, die nicht in ihre Gedanken gehörten.

Ein Klingeln an der Wohnungstür versprach eine Unterbrechung. Es war aber nur Tante Helene. Sie war etwas beleidigt, daß ihre Verwandten noch bei Tisch saßen, trotzdem sie das nicht anders hätte erwarten können. Sie wollte nicht stören. Nein. Sie wollte sofort wieder gehen. Aber dann saß sie doch zwischen Bomberling und Babette.

Der Mann auf dem Dache hatte alles mit Neugierde beobachtet.

»Die versüßt kein Essen,« dachte er und, zufriedener im Gemüt, tastete er sich auf die andere Seite des Daches.

»Danke, ich habe schon gegessen,« sagte Tante Helene.

Aber als das Mädchen mit der Bratenschüssel weitergehen wollte, rief sie es ärgerlich zurück. Während sie ihren Teller reichlich mit allem versah, sagte sie:

»Rostbeaf. Ihr solltet nicht so viel Rindfleisch essen. Ihr könnt euch doch Geflügel leisten.«

»Glaubst du, daß Geflügel weniger stark macht?« fragte Frau Bomberling anteilsvoll.

»Davon verstehe ich nichts,« sagte Helene, schon kauend. »Ich werde von nichts dick.«

Als sie eine Zeitlang gegessen hatte, wendete sie sich zu Bomberling und sagte, daß sie eine kleine Bitte an ihn hätte.

»Nur heraus damit,« antwortete Bomberling, der sich den Schnurrbart an der Serviette trocknete.

»Ich wollte dich um einen Gutschein für einen Sarg bitten. Er kann einfach sein, muß aber doch ein bißchen nett aussehen.«

Eine peinliche Stille entstand. Man sprach bei Bomberlings sonst nicht von Särgen.

»Was willst du denn damit?« fragte Bomberling.

»Der Vater meines Dienstmädchens ist schon lange krank. Ich will ihr daher außer einigen anderen kleinen Nützlichkeiten diesen Gutschein zu Weihnachten schenken.«

»Bargeld kann ich ihr nicht geben,« fügte sie scharf hinzu. »Dazu bin ich nicht in der Lage.«

»Ein schönes Surrogat für bares Geld,« sagte Hermann und lachte vergnügt.

»Das ist doch aber ein schreckliches Geschenk,« sagte Frau Bomberling, die heute noch mehr zur Rührung neigte als sonst. – »Der alte Mann kann doch wieder gesund werden.«

»Dann hebt er sich den Schein eben auf. Wir sind alle nur sterbliche Menschen. Eines schönen Tages wird er ihn schon brauchen können.«

Ihr Mund konnte nur lächeln, aber ihre Stimme war jetzt recht scharf geworden.

Bomberling, der vor allem Ruhe und Frieden liebte, hatte rasch sein Taschenbuch hervorgeholt, um den gewünschten Gutschein auszuschreiben.

Tante Helene dankte und schob das Papier hastig in ihren schwarzen Seidengürtel.

»Man stirbt noch nicht davon, weil man einen Sarg geschenkt bekommt,« sagte sie. »Aber wenn man Pech hat, kann man sich den Finger in der Nase abbrechen – – –«

Bomberling war aufgestanden und sagte, daß er trotz des lieben Besuchs in die Fabrik müsse.

»Laß dich nicht stören,« sagte Tante Helene. »Ich bleibe gern mit Anna allein.«

Frau Anna sah müde aus. Der Vormittag hatte sie angegriffen, und ein Mittagsschläfchen war ihre Gewohnheit.

Sie sagte, daß sie bald fort müsse, um Weihnachtseinkäufe zu machen.

»Da begleite ich dich,« antwortete Tante Helene und hatte sich schon wieder gesetzt.

Hermann sagte:

»Falls ich abends nicht da sein sollte, lieber Papa – wundere dich nicht – das Studium –«

Babette bat, den Vater begleiten zu dürfen, sie wollte die neue Schreibmaschine probieren.

»Taut es denn?« fragte Bomberling erstaunt.

Aber Babette war schon hinaus, um sich Hut und Mantel zu nehmen.

Türen öffneten sich eigenen Wegen und schlossen sich wieder mit hartem Klapp.

»Du mußt wissen,« sagte Tante Helene, sobald es still geworden war, »daß ich Babettes wegen gekommen bin. Du hast dir gewiß schon manchmal gesagt, daß sie nun heiratsfähig ist?«

Frau Bomberling war über alle Maßen erstaunt. Auch im Traum hatte sie noch nicht daran gedacht.

Tante Helene sagte, wie gut es sei, daß der Mensch nicht allein sei, sondern Familie habe. Mütter sind leider allzu oft blind gegenüber ihren Kindern.

Sie hatte einen jungen Mann kennen gelernt. Vermögend, jung und heiter. Zum erstenmal hatte sie bedauert, keine Kinder, keine Tochter zu haben.

Frau Bomberling schwieg. Aus dem Kreis der Familie erwartet man keine Wunder.

Tante Helene sprach weiter.

»Ein hochgebildeter Mann. Versteht jedes Fremdwort, und alles treibt er mit Dampf.

Frau Anna gähnte, fragte aber doch, was er mit Dampf treibe.

»Seine Wurstfabrik natürlich,« sagte Tante Helene triumphierend. »Vom Vater gegründet. Goldgrube.«

»Niemals,« sagte Frau Bomberling und stand auf.

Es war Zeit für die Weihnachtsbesorgungen.

Schweigend machten sie sich fertig. Sie fuhren Straßenbahn.

»Eine Wurstfabrik ist keine Schande,« sagte Tante Helene, als sie in dem sehr besetzten Wagen Platz gefunden hatten.

Frau Bomberling dachte an den Adligen und nahm sich vor, sich in dem Warenhaus wiegen zu lassen.

»Man soll nicht haben wollen, was man nicht bekommen kann,« sagte Tante Helene wieder. »Du möchtest natürlich einen Titel für sie. Frau Geheimrat. Wie deine vornehme Freundin.«

Sie lachte laut auf.

Die Bahn hatte sich nun in Bewegung gesetzt, und ihr Gerassel auf dem gefrorenen Pflaster machte diese verwandtschaftlichen Betrachtungen vollkommen unverständlich.