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Die Bräutigame der Babette Bomberling

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Hoffnung hat verschiedene Gesichter . . .

Zwischen den Büchern und Heften ein Bild ihres Romeo betrat Babette bald darauf mit fröhlichem Morgengruß Fräulein Grisheims Schulzimmer. Sie tauschte mit Hilde Wegner, ihrer Vertrauten. einen Blick des Einverständnisses. Heute also.

Dann begann der Unterricht.

Auch Mädchen müssen für den Kampf des Lebens gerüstet werden. Fräulein Grisheim führte die jungen Damen in die Sprache und Kunstgeschichte Italiens ein, damit sie auf der Hochzeitsreise Vergnügen hatten. Die Mädchen kicherten viel. Bei den einfachsten Sätzen lachten sie.

»Kellner, ist dieses Zimmer verschließbar?« sollte übersetzt werden, aber nichts war zu hören als das Gequietsch unterdrückten Lachens.

Fräulein Grisheim sah wütend in die blauen Augen und glatten Gesichter und suchte eilig die nächste Reihe des Vokabelbuchs. Mit ihrer harten Altmädchenstimme, die nie hatte Liebesworte sagen dürfen, schrie sie nun:

»Sie brauchen uns morgen früh nicht zu wecken.«

Auch das schien nicht das Richtige zu sein. Das Gequietsche verstärkte sich.

Aber auch die längste Stunde hat nur sechzig Minuten. Von einer nahen Fabrik pfiff es Mittag. Die Bücher klappten zu.

Das war die einzige Minute am Tage, wo Fräulein Grisheim lächelte . . .

Arm in Arm gingen Babette und Hilde Wegner durch die Straßen.

Sie waren Freundinnen, seit sie sich bei Fräulein Grisheim kennen gelernt hatten. Die tiefsten Gründe aller Freundschaft verbanden sie. Sie taten sich gegenseitig leid und sie beneideten einander.

Babette bewunderte an Hilden, daß ihr Vater ein höherer Beamter und ihr Bruder Offizier war, und sie bedauerte sie, weil sie schon zweiundzwanzig Jahr alt und gar nicht hübsch war. Hilden tat Babette leid, weil ihr Vater diese gräßliche, unheimliche Fabrik hatte und weil sie überhaupt nicht aus feiner Familie war. Aber sie beneidete sie um ihr blondes Haar, nach dem sich jeder auf der Straße umsah, und beinahe noch mehr um ihr behagliches, helles Mädchenzimmer.

Seit Hildes Bruder das Leutnantspatent hatte und nie mehr mit seinem Monatswechsel auskam, war die Wohnung ihrer Eltern sehr zusammengeschrumpft.

Nur die Repräsentationsräume waren geblieben.

Hilde schlief auf einem Ausziehsofa im Speisezimmer, und ihr kleines, buntes Hab und Gut aus Schleifen, Schleiern, Spitzenkragen und Ansichtskarten mußte sie in einem Tischkasten der Badestube aufbewahren, die zugleich ihr Ankleidezimmer vorstellte. Sie hatte keinen Fleck, der ihr gehörte.

Darum sehnte sie sich im geheimen, zu heiraten.

Babette und Hilde sprachen eifrig von dem großen Schauspieler, auf dessen Wohnung sie jetzt zuschritten. Bei jeder Anschlagsäule machten sie halt, um seinen Namen auf dem Theaterzettel zu lesen. Babette empfand, daß sein Ruhm auch sie anging. In wenigen Augenblicken würde sie vor ihm stehen.

Hilde sollte vor der Haustür warten. Sie bot sich an, mit hinaufzukommen, aber Babette nahm diesen Freundschaftsdienst nicht an. Mit dem zierlichen Kopfnicken, das sie immer anwandte, wenn sie jemanden nicht mehr brauchte, verschwand sie im Haus.

Ein Dienstmädchen, das einen dicken, kleinen Jungen auf dem Arm hatte, öffnete ihr die Wohnungstür und führte sie in ein buntes, mit Büchern und Bildern beladenes Zimmer.

Hier wartete Babette in großer Erregung.

Wie mochte seine Stimme klingen, wenn er guten Tag sagte? Konnte er überhaupt etwas anderes als Verse sprechen?

Aber auch Götter sind von Haus aus Menschen.

Im Nebenzimmer klapperten Teller und jemand sagte unwirsch:

»Kannst du denn dem Rindvieh von Köchin nicht beibringen, daß sie die Zwiebeln ordentlich braun brät?«

Babette zuckte zusammen. Das war seine Stimme. Deutlich hatte sie ihren Klang im Ohr, wie sie jubelte: »O Königin, das Leben ist doch schön.«

Jetzt wurde drinnen ein Stuhl beiseite geschoben. Schritte näherten sich der Tür.

Ohne zu überlegen lief Babette aus dem Zimmer. Flinker als eine Eidechse war sie aus der fremden Wohnung verschwunden.

Als Hilde sie mit vielen Fragen empfing, sagte sie, daß man über ein solches Erlebnis nicht sprechen könne.

Hilde blickte die blonde Freundin bewundernd an. In tiefem Schweigen schieden sie.

Aber als Babette nach Hause kam, nahm sie sämtliche Photographien dieses Mannes von der Wand und warf sie in einen schwarzen Kasten. Sie war wütend, daß ihr dabei die Tränen über die Backen kugelten.

Was ging sie ein Mensch an, der Zwiebeln aß.

Indessen hatte auch Babettes Mutter die Zeit genützt. Nachdem die Quittenmarmelade eingefüllt und die Gläser dreimal überzählt worden waren, war Frau Anna für eine Stunde in ihr Schlafzimmer verschwunden.

Die Zeit verändert.

Als sie wieder herauskam, war sie eine bedeutend schlankere, elegante Dame geworden, mit einer Fülle von Locken unter Hut und Schleier. Wie bei dem Frühling selbst wehte ein starker Blütenduft vor und hinter ihr her. Ehrerbietig legte das Mädchen die breite Pelzgarnitur um die vollen Schultern der gnädigen Frau, reichte ihr den großen Muff mit dem künstlichen Veilchenstrauß und öffnete die Tür zum Fahrstuhl.

Langsam glitt Frau Bomberling zur Erde nieder.

Sie wollte ihre Freundin, die Frau Geheimrätin, besuchen, eine feine und liebenswürdige Dame. Ihr verstorbener Mann war ein großer Gelehrter gewesen. Man hatte eine ganze Käferfamilie nach ihm benannt. Außerdem, wie so manches zusammentrifft, war die Rätin die Tante jenes Geheimen Regierungsrats.

Frau Geheimrat hatte es trotz der ehrenvollen Beziehung zu der neu entdeckten Käferfamilie recht knapp. Sie lebte ohne Dienstmädchen und ließ sich nur die gröbste Arbeit ihres Haushaltes von der Portierfrau besorgen. Das übrige tat sie selbst in Glacéhandschuhen und einem Häubchen auf dem Haar.

Aber auch mit Glacéhandschuhen angefaßt, bleibt der Alltag grob.

Die Portierfrau zeigte nicht genügend Respekt und grinste höhnisch, wenn sie den geringen Küchenabfall forttragen sollte. So hatte Frau Geheimrat ihre Freundin Bomberling gebeten, ihr doch einige Sektpfropfen mitzubringen, die sie dann und wann in den Abfalleimer der Küche werfen konnte.

Frau Anna hatte bereitwilligst zugesagt. Obgleich auch Bomberlings, wenn sie unter sich waren, ohne jeden übertriebenen Aufwand speisten.

Aber wir müssen uns der hohen Meinung unserer Freunde nicht unwert zeigen.

Frau Bomberling ging in ein Weingeschäft, bestellte einige Flaschen roten Tischwein und bat den Verkäufer um einige alte Champagnerpfropfen.

»Aber natürlich französische,« fügte sie hinzu.

Sie wurde von Frau Geheimrat mit großer Freude empfangen, denn diese hatte sich soeben fürchterlich geärgert und war überaus froh, jemandem ihr Herz ausschütten zu können. Die Portierfrau hatte eine kleine Gipsbüste zerschlagen, die Schiller dargestellt hatte. Statt ein Wort der Entschuldigung zu sagen hatte sie behauptet, daß Schiller doch nicht mehr modern sei.

»Was sagen Sie dazu?« fragte die Frau Rätin, vor Erregung zitternd.

Frau Bomberling errötete. Sie hatte keine Erfahrung auf diesem Gebiet. Aber es schien ihr, daß das Theaterstück Don Carlos, das sie erst kürzlich mit Babette gesehen hatte, von diesem zerbrochenen Schiller gemacht worden war.

»Das sind so Ansichtssachen,« sagte sie zögernd.

»Gewiß, gewiß,« beeilte sich die Freundin zu sagen. – »Aber daß sich eine solche Person mir gegenüber ein literarisches Urteil herausnimmt. Ein kleiner Standesunterschied muß doch schließlich noch da sein.«

Frau Bomberling überreichte das Päckchen mit den Pfropfen und machte die Beschenkte darauf aufmerksam, daß es echte französische wären. Frau Rätin könne jederzeit neue bekommen. Diese dankte herzlich und versicherte, daß sie lange damit auskommen werde. Jeden Sonntag einen Pfropfen in den Kasten wäre reichlich genug. Man muß nicht verschwenden.

Nun war die Reihe zu erzählen an Frau Anna. Sie berichtete, wie fleißig ihre Kinder um ihre Bildung bemüht waren. Babette im italienischen Unterricht und Hermann im Kolleg. Und dann erkundigte sie sich höflich, ob Frau Rats Neffe inzwischen angekommen sei. Denn der Herr Regierungsrat sollte erst in diesen Tagen in die Großstadt versetzt werden.

Die Rätin nickte vor Freude. Gestern hatte der gute Junge sie besucht. Sie hatte ihm sofort von ihrer lieben Freundin und deren Angehörigen erzählt.

Frau Bomberling erkundigte sich behutsam nach dem Alter des guten Jungen.

Die Tante runzelte die schmale Stirn und sagte nach einiger Überlegung, daß sie das nicht so genau in ihrem armen alten Kopf habe. Er wäre wohl so gerade in die Vierzig hineinmarschiert. Vielleicht war er auch schon fünfundvierzig. Am Ende sogar achtundvierzig. Möglich ist alles. Aber wie dem auch sei. Im Vergleich zu der Höhe seines Titels sei die Zahl seiner Jahre immer noch niedrig.

So redeten sie noch allerhand, was so zwischen Mutter und Tante zu sprechen war. Als Frau Bomberling aufbrach, lud sie ihre liebe Freundin zum Abendessen ein an Babettchens siebzehntem Geburtstag. Wenn der Herr Regierungsrat sie begleiten wollte, würde er sehr willkommen sein.

Frau Rat versprach die Einladung zu übermitteln. Sie glaubte beinah, schon heute für ihn zusagen zu können.

Sie schieden mit dem Lächeln fester Freundschaft. –

Als Frau Bomberling auf die Straße trat, spiegelte sich die rötliche Herbstsonne schon in den billigen Dachwohnungen. Sie war also im Untergehen. Es fehlte nicht viel an der Stunde, wo bei Bomberlings gegessen wurde. Aber es war von jeher Frau Annas Vorrecht gewesen, einige Minuten zu spät zu kommen. Sie beschloß zu Fuß zu gehen, einige Bewegung würde ihr gut tun.

An der nächsten Straßenecke stand ein Wagen, überhäuft mit weißen Blumenkohlköpfen, die zu verblüffend billigen Preisen verkauft wurden.

Frau Anna hielt inne und trat an den Wagen, vor dem sich Frauen und Mädchen drängten und pufften. Sie vergaß immer wieder auf Augenblicke, daß es bei Bomberlings nicht auf fünf Pfennige mehr oder weniger ankam. Es gelang ihr, vier große, feste Köpfe zu erstehen und beim Schluß noch fünf Pfennige von dem billigen Preis herunterzuhandeln. Herzlich froh ging sie weiter.

 

Aber Besitztum ist Bürde. Bei jedem Schritt wurde das Paket schwerer. Das alte Zeitungspapier öffnete sich, und die prallen Köpfe begannen mit jedem Vorübergehenden zu kokettieren. Alle schienen diesem frechen Gemüse, das sich gegen das kostbare Pelzwerk drängte, zuzulächeln. Frau Anna mußte von Schritt zu Schritt mehr befürchten, daß ihr der Kohl davonrollte. Sie glühte vor Angst und Verlegenheit, und schließlich war ihr Widerstand gebrochen. Sie winkte einem Auto.

Einige Minuten später war sie zu Haus. Bomberling war schon da. Im Eßzimmer, wo die Fenstervorhänge zugezogen waren und das Licht behaglich den gedeckten Tisch beschien, wanderte er auf und ab.

»Mäuschen, mein Magen knurrt,« rief er fröhlich, als er Frau Anna kommen hörte.

Bald saßen alle um den Tisch.

Bomberling hielt sich nicht lange mit reden auf, sondern griff hastig zu.

Frau Anna hatte der Blumenkohl den Appetit verdorben.

Hermann, dessen Frühschoppen bis jetzt gedauert hatte, war von seinen Angehörigen durch einen dichten Nebel getrennt. Schleier wogten vor seinen Augen.

»Ich habe die Frau Geheimrat eingeladen,« sagte Frau Anna. »Zu einem Abendessen an Babettchens Geburtstag. Wahrscheinlich wird sie ihr Neffe, der Geheime Regierungsrat Koberstein, begleiten. Er soll ein scharmanter Mann sein.«

Babette verzog den Mund. Sie freute sich nicht mehr auf ihren Geburtstag.

Sobald das Essen beendet war, setzte sie sich wieder an den Flügel und spielte, im tiefen Dunkel, einen Trauermarsch nach dem anderen.

Aus Frühstück, Mittag und Abendbrot formten sich weiter die Tage, die auf Babettes Geburtstag zuschritten.

Aber Babette war wieder heiterer geworden. Die Zwiebeln des Romeo waren ein wenig vergessen. Denn Hildes Bruder, der Leutnant, war zu Besuch gekommen und holte die beiden Freundinnen jeden Mittag aus dem Unterricht ab.

Babette fand, daß eine Uniform das Straßenbild wohltuend belebte . . .

Frau Bomberling steckte in diesen Tagen über und über in Arbeit.

Von früh bis abend machte sie Einkäufe und Bestellungen. Sie scheute keine Mühe. Das Essen sollte gut und reichlich werden. Bomberlings Gäste sollten sich satt essen können.

Eines Mittags fand man beim Nachhausekommen auch eine Karte vor: Gustav Koberstein, Geheimer Regierungsrat.

Erfolg spornt an. Frau Anna schlief mit dem Kochbuch auf dem Nachttisch . . .

Und endlich war der Abend da.

Das ganze Kulturgebiet war hell erleuchtet. Von den Decken, aus den Wänden, auf den Tischen glühten die elektrischen Lampen. Der Kupferstich mit dem lächelnd verliebten Paar glich einem Spiegel, glitzernd warf er die vielen Lichter zurück. Die Zaren und Großfürsten im Tassenschrank glänzten in vollem Ordensschmuck.

Im Eßzimmer stand die gedeckte Tafel.

Babette hatte sie geschickt mit duftenden Veilchen bestreut. Seit heute morgen war diese kleine Blume ihr Liebling. Auch am Gürtel ihres weißen Kleides trug sie einen Strauß davon. Frau Bomberling fragte, von wem sie die vielen Veilchen eigentlich hätte. Babette konnte sich nicht recht entsinnen. Möglich, daß sie von Hildes Bruder, dem Leutnant, wären, antwortete sie.

Um den Hals trug Babette die haarfeine Goldkette, die ihr der Vater heute geschenkt.

Bomberling hatte sie selbst gekauft.

Er hatte das Auto vor einem eleganten Juwelierladen halten lassen und von dem vornehmen Herrn, der im Gesellschaftsanzug hinter dem Ladentisch stand, einen Schmuck für den sehr hübschen Hals einer jungen Dame verlangt. Man hatte ihm höflich zu dieser sehr feinen Goldschnur geraten, an der eine einzelne Perle wie ein aufgefangener Tautropfen hing. –

In seinem Büro hatte Bomberling sie noch einmal ausgepackt. An seinem Schreibtisch, wo sich schwarze und braune Holzleisten türmten und Zeichnungen von Särgen und Grabstätten wenig Raum ließen, saß er und ließ die feine Kette durch seine runden Finger gleiten. Als er sie sorgsam zurückgebettet hatte in das feine Lederkästchen, lag ein Lächeln, nachdenklich und zufrieden, auf seinem Gesicht.

Wo gehobelt wird, fallen Späne ab.

Babette war froh mit der Perle.

Als der Vater nach Haus kam, umarmte sie ihn und sagte:

»Ich muß immer daran denken, daß sie tief unten im Meer, verborgen in einer Muschel, lag.«

Und dann lief sie an den Flügel und spielte einen wilden Tanz.

Bomberling stand mit Staunen und Stolz vor der blitzenden Tafel. Er bewunderte Anna. Woher nur verstand sie das alles?

Er wußte nicht, daß in jeder Frau ein Stück Prinzessin steckt. Diese Tafel hatte Anna schon mit sechzehn Jahren gesehen. Als die Funken aus den Hufeisen stoben.

Aber wo war Anna? Bomberling hatte sie im ganzen Kulturgebiet vergeblich gesucht. Endlich fand er sie in der Plättstube, wo die Kreidezeichnungen beider Elternpaare auf Reihen von Weinflaschen und garnierten Schüsseln niederstarrten.

Hier stand Frau Bomberling mit Herrn Schütte. Herr Schütte war der Lohndiener. Frau Rätin hatte ihn ihrer Freundin empfohlen. Er war ein Diamant. Wo er half, blieb nichts zu wünschen übrig. Er tat restlos seine Pflicht.

Eben war er gekommen. Er bat nun um die speziellen Wünsche der Gnädigen. Frau Anna sprach erregt in sein Gesicht, das glatt und unbeweglich wie eine Wachsmaske blieb und nur schmerzlich zusammenzuckte, wenn die gnädige Frau den französischen Namen eines Gerichts aussprach.

Frau Anna war recht erleichtert, als Herr Schütte sie bald unterbrach und ihr mit einer dankbar ablehnenden Handbewegung zu verstehen gab, daß er schon genügend orientiert sei.

Er verbeugte sich und ging, um seine weißen Handschuhe zu holen, zu seinem Überzieher, den er bescheiden hier an der Vorratskammer an einen Nagel gehangen hatte. Er mußte eine Weile suchen und sah sich nervös nach Frau Anna um, die immer noch, ganz ohne Grund, hier anwesend war. Denn die Taschen dieses Mantels waren tief. Nicht jeder ist seines Namens wert. Das Futter dieses Rockes verdiente seinen Namen in des Wortes weitester Bedeutung. Nur an der Peripherie des Mantels angenäht, hatte es manches Rebhuhn, manche Pastete und manche Flasche Wein umschlossen, ganz abgesehen von dem Überfluß an Obst, Zigarren und Konfekt, an den es beständig gewohnt war. Denn Herr Schütte hatte eine Familie zu Haus. Jeder Mann muß für die Seinen sorgen.

Als Frau Anna ihren Gatten in der Tür erblickte, erschrak sie. Sie hatte ihm noch am Nachmittag telephonieren wollen, daß der Herr Regierungsrat vielleicht 48 Jahr sei. Entfernung mildert. August dies einfach ins Gesicht zu sagen, hatte sie von Tag zu Tag verschoben.

Aber jetzt war keine Zeit mehr zu Privatunterhaltungen. Es konnte jeden Augenblick klingeln. Bomberling mußte sich rasch einen schwarzen Anzug anziehen. Frau Anna war schon lange stattlich und pompös.

Herr Schütte, der jetzt die Handschuhe angezogen hatte, sagte mit dem vornehmen Flüsterton, der ihm eigen war:

»Verzeihung, gnädige Frau, man läßt es nicht zum Klingeln kommen. Ich begebe mich jetzt auf die Diele. Höre ich Schritte auf der Treppe, öffne ich. Ich muß die Herrschaften bitten, sich in den Salon zu begeben.«

Frau Anna bat höflich, ob sie noch einen raschen Blick in die Küche werfen dürfe. Herr Schütte erlaubte es mit einem bedauernden Achselzucken.

Als Frau Anna den Korridor zurückgeeilt kam, sagte Herr Schütte, ob die gnädige Frau nichts dagegen habe, wenn er beim Einschenken die Marke der Weine in die Ohren der Gäste flüstre. Er sei das so gewohnt.

»Muß das sein?« fragte Frau Anna und starrte erschreckt in die rasierte Unbeweglichkeit vor ihr.

Herr Schütte nickte wortlos.

Frau Anna schwieg einen Augenblick. Dann sagte sie unsicher, sie glaube, nur der Sekt habe einen festen Namen.

Herr Schütte beruhigte sie. Das schadete gar nichts. Er murmele überhaupt nur ganz erstklassige Marken.

Damit verbeugte er sich und öffnete die Tür des Salons.

Ein tüchtiger Diener erspart manches.

Beruhigt rauschte Frau Anna hinein.

Bomberlings warteten.

Erst schien es, wie wenn alle die Einladung vergessen hätten. Aber dann kamen sie rasch hintereinander.

Zuerst Hilde Wegner und ihr Bruder Fritz in Uniform. Dann Paul mit schönen Blumen. Hinter ihm Bomberlings Lagerchef, ganz frisch vom Frisör. Am Arm führte er seine junge Frau, die in Trauer war. Sie sagte entschuldigend, daß sie ihre Großmutter verloren habe und eigentlich noch keine Festlichkeiten mitmachen dürfe. Aber diese kleine Abendgesellschaft sei ja kein großes Vergnügen.

Inzwischen war ein Studienfreund Hermanns gekommen, der vor jedem eine tadellose Verbeugung mit Hackenklappen gemacht hatte. Und endlich die Frau Geheimrätin mit ihrem Neffen, dem Geheimen Regierungsrat Gustav Koberstein.

Wenn es nicht nötig gewesen wäre, noch auf Onkel Albert und Tante Helene zu warten, hätte man sofort zu Tisch gehen können.

Babette saß auf einer Stuhllehne und beobachtete den neuen Bekannten, der sich neben den Vater gesetzt hatte und sich mit diesem unterhielt.

Er war groß und hager. Seine Nägel waren blank wie seine Lackschuhe. Seine Stirn reichte bis ins Genick.

Babette schnupperte ein wenig in die Luft. Dann rutschte sie rasch vom Stuhl. Sie wollte Hilde Wegner erzählen, daß sich der Herr Regierungsrat parfümiere.

Hermann und sein Freund verständigten sich mit einem Blick der Bewunderung über das Monokel des Herrn Rats, das fest, wie angeleimt, unter den Augenbrauen saß. Der Kerl war ein Kavalier. Ohne Frage. Inzwischen erzählte der Herr Regierungsrat, lässig in seinen Stuhl zurückgelehnt, diesem Sargfabrikanten vor allen Dingen erst einmal, daß er ein Kerl sei, der unglaublich schnell Karriere gemacht habe. Mit fabelhafter Fixigkeit, die ihm sobald keiner nachmachen werde.

Das war nicht zu Unrecht behauptet. Der Zufall läßt sich schwer wiederholen, und er war es gewesen, der den Herrn Koberstein so rasch hatte avancieren lassen. An einem Vormittag nämlich, als sich Herr Koberstein wieder einmal bodenlos langweilte, hatte er auf die leere Hälfte eines Aktenstückes, das er bearbeiten sollte, ein großes schönes Fragezeichen gezogen. Mit einem dicken Buckel, wie ein Gläubiger, und einer schlanken Taille, wie ein hübsches Mädchen. Und darunter einen Punkt, voll und rund wie die Erde. Gerade als er fertig damit war, wurde die Tür aufgerissen, und sein Vorgesetzter kam herein. Vergebens versuchte Herr Koberstein die Frucht seiner unverlangten Zeichenkunst zu verstecken.

»Sie haben etwas Fragwürdiges gefunden? Geben Sie her.«

Was einmal über uns verhängt ist, geschieht auch. Die Akten wurden geprüft. Herr Koberstein hatte eine große Unterschleifung aufgedeckt und seiner Behörde einen großen Dienst geleistet.

Es gehört zu den meisten Dingen viel weniger Verstand, als wir glauben.

Aber das war schließlich eine persönliche Angelegenheit des Herrn Regierungsrats. Es ist begreiflich, daß er nicht auf diese Einzelheiten zurückkam.

Außerdem wurde er durch das Erscheinen der letzten Gäste unterbrochen. Onkel Albert und Tante Helene waren gekommen.

Frau Bomberling hätte sie von Herzen gern nicht eingeladen. Sie paßten nicht in diese Gesellschaft. Aber Albert war Augusts Bruder, und wenn man Helene gebeten hätte, ihren Geburtstagsbesuch auf einen anderen Tag zu verschieben, wäre sie gerade gekommen. Denn Tante Helene war eine von denen, die nicht einsehen, warum man es allen Menschen recht machen sollte.

Von ihrem Mund schrägten sich zwei kleine Falten ab, die ein dauerndes Lächeln auf ihr Gesicht zeichneten. Das war eine Täuschung. Sie lächelte nie.

Als sie jetzt in den Salon trat, sagte sie, daß sie nicht zu spät gekommen wäre, wenn sie sich wie gewisse andere Leute ein Auto hätte leisten können. Dann begrüßte sie mit scharfen Augen die übrigen Gäste. Einen Schritt hinter ihr machte Albert in kurzen Stößen seine Verbeugungen. Sein langer schwarzer Rock hing auf seinen eckigen Schultern wie auf einem harten Kleiderbügel. Ein langer Bart, grau und wohlgepflegt, gab ihm ein würdiges Ansehen. Er war Beamter einer Lebensversicherung, und so waren auch die Berufe der Brüder gewissermaßen verwandt.

Herr Schütte schob die Türen auseinander. Man ging zu Tisch.

Als Frau Bomberling sah, daß die Pastete auf der Schüssel tadellos lag, atmete sie erleichtert auf.

Neben ihr sprach der Herr Regierungsrat von den entzückenden Variationen, die man heute bei den Autohupen fände. Sein Freund hatte jetzt eine Hupe, die wie ein alter Hund hustete. Ein ganz bezauberndes Dings.

 

»Hochinteressant,« flüsterte Frau Bomberling und flehte zu Gott, daß er die Forellen nicht zerfallen lasse.

Schließlich waren alle im lebhaften Gespräch. Es war wie sonst im Lärm des Lebens, man verstand die anderen besser als sich selbst.

Man hörte Frau Bomberling sagen, daß nur ein Mann, der seinen eigenen Hausstand habe, seine volle Manneswürde besitze.

Und Tante Helene die Schoten tadeln, weil sie so leicht vom Messer rollten.

Und Paul dem Leutnant zurufen, daß ein junges Mädchen noch nicht sein Herz verstände.

Dazwischen klirrten die Gläser und klapperten die Teller. Herr Schütte bediente den Herrn Regierungsrat mit besonderer Aufmerksamkeit. Er hatte Erfahrung. Immer der Älteste sollte der Bräutigam werden. Die jungen Pflänzchen waren nur zum Ausputz da. Plötzlich sagte Tante Helene laut und schrill:

»Nun wird's mir aber zu bunt. Sobald der Kerl mir Wein eingießt, flüstert er mir eine Unanständigkeit ins Ohr.«

Herr Schütte ging ruhig weiter, flüsterte dem Nächsten »Pißporter« ins Ohr und goß Wein ein.

Die jungen Leute lachten. Frau Rätin sah stumm auf ihren Teller, nur ihre langen grauen Augenwimpern fächelten auf und nieder. Der Herr Regierungsrat klemmte sein Monokel ein und sah sich Tante Helene an, bis man sie von allen Seiten über ihren Irrtum aufgeklärt hatte.

»Alle Tage kommt etwas Neues auf,« sagte sie unwirsch, während ihr Gesicht nur lächeln konnte.

Frau Anna hatte zwei rote Nelken auf den Backen, sie ließ Tante Helene und Onkel Albert noch einmal die Speisen anbieten.

Kauen ist dem Gespräch hinderlich.

Dafür belebt der Wein die Zunge, und Herr Schütte schüttete Tante Helenes Glas aufs neue voll bis zum Rand, sobald sie nur daran genippt hatte. Man rächt sich mit den Mitteln, die einem zu Gebote stehen.

So kam Tante Helene ins Schwatzen. Sie erzählte dem Herrn Regierungsrat und jedem, der es hören wollte, daß auch sie sich nicht ihrer Herkunft zu schämen brauche. In der kleinen Stadt, aus der sie stammte, war ihre Mutter die erste Frau gewesen, die ein echtes falsches Gebiß hatte. Der ganze Ort sprach noch heute davon. Sie setzte es nie im Hause ein, sondern, wenn sie fortging, rief sie vor der Tür der Magd zu, daß sie ihr geschwind ihr Mundwerk bringen solle, und vor aller Augen hakte sie es ein. Denn die Menschen waren damals schon so wie heut. Was sie nicht sehen, das glauben sie nicht . . .

Frau Anna hob die Tafel auf. Das Obst konnte in den anderen Zimmern gereicht werden.

Jemand setzte sich an den Flügel und spielte. Die Musik wirkte angenehm nach dem guten Essen. Die Herren rauchten. Unter dem Kupferstich stand der Herr Regierungsrat und sagte Babette Schmeicheleien. Sie hörte lächelnd zu, und ihre Augen trafen sich mit den Blicken des Leutnants, der aus dem anderen Zimmer herübersah.

Frau Rätin flüsterte der Freundin zu, daß alles vortrefflich gelungen sei.

Paul kam zu Babette und fragte sie, ob sie ihn überhaupt noch kenne.

Sie faßte ihn unter dem Arm, zog ihn beiseite und fragte, ob er Hildes Bruder nicht kolossal schneidig fände. Er sagte, daß um des Leutnants Mund ein frivoler Zug läge. Babette lachte und sagte, daß sie da nur einen blonden Schnurrbart sähe und Paul gar keine Menschenkenntnis habe.

Schütte reichte Kaffee und Likör.

Tante Helene wischte sich den Mund und mahnte zum Aufbruch. Sie wollten nicht die letzte elektrische Bahn versäumen. Frau Anna nahm es ihr nicht übel, ihre Kräfte waren zu Ende.

Küsse streiften Babettes Hände.

Die Stimmen verhallten.

Herr Schütte bat, sich verabschieden zu dürfen, und verließ über die Hintertreppe das Haus.

Bomberlings blieben in den leeren Räumen zurück, die groß und öde erschienen, wie wenn die lauten Gäste sie ausgeweitet hätten.

Die Lichter verlöschten. Man sagte sich gute Nacht.

Im Schlafzimmer sagte Bomberling:

»Du hast deine Sache großartig gemacht, mein Mäuschen. Nur der Bräutigam war etwas altbacken.«

Er lachte, denn er war froh, diese Sorge los zu sein. Diesen Kerl nahm sich sein Kind nicht, so sicher sie Babette Bomberling hieß.

Anna hatte nichts geantwortet.

Die müde Mutter war eingeschlafen.

Man kann auch des Guten zu viel bekommen.

Bomberlings Behaglichkeit war dahin.

Sobald sich Frau Anna, ledig aller formellen Beengtheit, wohlig im Lehnstuhl streckte, das Lorgnon auf dem Toilettentisch ruhte und eine bequeme Brille die Betrachtung einer bunten Zeitschrift erleichterte, klingelte es, und der Herr Regierungsrat kam.

Sobald sich Bomberling einmal recht zu Haus fühlte, rauchend, oder, die Hände in den Taschen, auf und ab ging in dem großen Eßzimmer, sich über Anna freute, über das appetitliche Bild an der Wand, über den hüpfenden Napoleon, dem er höflich die Zuckerstückchen aufhob, die er aus dem Bauer warf – klingelte es, und der Herr Regierungsrat kam.

Dem Herrn Rat waren diese Besuche eine liebe Gewohnheit geworden. Es behagte ihm, in den hellen, hohen Räumen zu sitzen, eine gute Zigarette nach der anderen zu rauchen und sich an Babettes siebzehn Jahren zu erfreuen. Daß ihm das schöne Mädchen, wie seine Tante beteuerte, keinen Korb geben würde, versetzte ihn in eine Erregung, die nicht unangenehm war.

Je früher gefreit, desto besser.

Er überlegte ernstlich, ob er nicht seinem bevorstehenden fünfzigsten Geburtstag durch eine Hochzeit die rechte Weihe geben sollte.

Indessen stand Frau Anna voll Ergebenheit vor dem Spiegel ihres Schlafzimmers und schraubte sich noch einmal in das enge Schneiderkleid.

In der Küche richtete man kleine Leckerbissen an. Alle Lichter im Kulturgebiet wurden aufgedreht. Napoleon bekam ein Tuch über das Bauer geworfen.

Babette freute sich sichtbar über die Besuche des Regierungsrats. Sie waren eine Unterbrechung des dumpfen Familienfriedens, der ihr jetzt schwerer zu ertragen war als je. Ihr war zumut wie im Frühling, wo man es in den stillen Zimmern nicht aushalten kann, aber auch draußen im Lärm der Straße nicht froh wird, weil man nur Steine sieht statt Gras und Blumen.

Sie saß am Flügel und spielte. Wenn sie ihr Spiel unterbrach, lächelte sie den Herrn Regierungsrat an und fragte, mit wieviel Jahren ein Leutnant Hauptmann werden könne. Oder ob man, um General und Exzellenz zu werden, noch etwas anderes tun müsse, außer alt zu werden?

Man freut sich, wenn man um etwas gefragt wird, was man weiß. Der Herr Regierungsrat gab gern und ausführlich Auskunft. Endlich einmal ein Mädchen, das Wissenstrieb hatte und nicht von Bällen und Theaterstücken sprach.

Mit einem glücklichen Lächeln auf das plaudernde Paar betrat Frau Anna, etwas außer Atem, das freundliche Musikzimmer.

Sie entschuldigte ihr spätes Erscheinen mit großer Umständlichkeit. Der Herr Regierungsrat versuchte sie so bald als möglich zu unterbrechen; er blies hoch über ihrer runden Hand, die das Lorgnon hielt, einen Kuß in die Luft und sagte, daß sie sich durch sein Erscheinen in nichts hätte stören lassen sollen. – Auch Höflichkeit ist manchmal ehrlich. –

Bomberling hatte stets das Pech, erst ins Zimmer zu kommen, wenn sich der liebe Besuch verabschiedete, um in den Klub zu fahren. –

So war der Winter gekommen, der richtige Winter mit Schneeflocken und Glatteis. Dergleichen hatte vielleicht noch in den Bergen, als Sport, eine gewisse Berechtigung, hier in der Großstadt war dieses Wetter nichts als ein abscheuliches Verkehrshindernis.

Darüber waren sich Frau Bomberling und Herr Regierungsrat einig, wenn sie sich jetzt allein gegenübersaßen; denn Babette lief Schlittschuh mit Hilde Wegner.

Es war warm und hell in den stillen Räumen. Die Teemaschine summte, draußen pfiff der Wind gegen die Scheiben.

»Man friert, wenn man es hört,« sagte der Herr Regierungsrat. »Ist es nicht leichtsinnig, daß Ihr Fräulein Tochter – – –«

Da klingelte es laut, wie wenn die ganze Jugend Alarm läutete. Man hörte Schlittschuhe klirren, und gleich darauf steckte Babette ihren Kopf mit der verschneiten Pelzmütze hinein.

»Welch himmlisches Wetter heute,« sagte sie und schlug die Tür wieder zu.