Kartell Compliance

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3. Anteilserwerb

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Gem. § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB stellt auch der Erwerb von Anteilen an einem anderen Unternehmen einen Zusammenschluss dar, wenn die Anteile allein oder zusammen mit sonstigen dem Unternehmen bereits gehörenden Anteilen 25 % oder 50 % des Kapitals oder der Stimmrechte des anderen Unternehmens erreichen. Das Erreichen jeder Anteilsschwelle verwirklicht einen eigenen Zusammenschluss, so dass durch eine Kapitalaufstockung an ein und demselben Unternehmen der Zusammenschlusstatbestand mehrfacht erfüllt werden kann.[89] Nach Erreichen einer Schwelle fällt die weitere (sukzessive) Aufstockung bis zur nächsten Schwelle dagegen nicht unter § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB, z.B. von 25 % oder mehr auf 49 % oder von 50 % oder mehr auf 100 %.

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Ist das erwerbende Unternehmen ein verbundenes Unternehmen i.S.d. § 36 Abs. 2 GWB, so sind alle Konzernunternehmen bei der Berechnung der Beteiligungsquoten als einheitliches Unternehmen anzusehen.[90] Anteile, die Dritten für Rechnung des erwerbenden Unternehmens gehören, sind den Anteilen dieses Unternehmens zuzurechnen (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GWB). Auch der Erwerb von Anteilen im Rahmen der Gründung einer neuen Gesellschaft durch mehrere Gesellschafter stellt grundsätzlich einen Zusammenschluss im o.g. Sinne dar, soweit die jeweiligen Beteiligungsschwellen erreicht werden.[91] Dagegen reicht es nicht aus, wenn nur eine Option auf einen (späteren) Anteilserwerb erworben wird.[92] Darüber hinaus richtet sich die Frage nach dem Vorliegen eines Zusammenschlusstatbestandes nicht nach der Rechtsform des Zielunternehmens. Selbst wenn Anteile an einem Unternehmen erworben werden, das kein Gesellschaftskapital hat, kann die Aufnahme in die Gesellschaft einen Zusammenschlusstatbestand darstellen. Kapital- und Stimmrechtsbeteiligungen stehen gleichberechtigt nebeneinander, so dass auch der Erwerb einer Kapitalbeteiligung ohne jegliche Stimmrechte oder der Erwerb von Stimmrechten ohne die entsprechende Beteiligungsquote anmeldepflichtig sein kann.

Erwerben der Käufer und ein anderes Unternehmen gleichzeitig oder nacheinander Anteile in dem vorbezeichneten Umfang an einem anderen Unternehmen, gilt dies auch als Zusammenschluss der sich beteiligenden Unternehmen untereinander im Hinblick auf die Märkte, auf denen das Zielunternehmen tätig ist (Gemeinschaftsunternehmen, § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 GWB). Diese Fiktion eines Teilzusammenschlusses zwischen den Muttergesellschaftern kann insbesondere die Einbeziehung eines „Altgesellschafters“ in den Kreis der an der Transaktion „beteiligten Unternehmen“ (und die Berücksichtigung dessen Umsatzerlöse bei der Ermittlung der Umsatzschwellen) erforderlich machen.

4. Wettbewerblich erheblicher Einfluss

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Nach § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB liegt ein Zusammenschluss auch bei jeder sonstigen Verbindung von Unternehmen vor, aufgrund deren ein oder mehrere Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen wettbewerblich erheblichen Einfluss auf ein anderes Unternehmen ausüben können. Die Regelung hat die Funktion eines Auffangtatbestandes, mit dem wettbewerblich problematische Unternehmensverbindungen erfasst werden sollen, bei denen die Beteiligungsschwellen von 25 bzw. 50 % nicht erreicht werden und auch keine alleinige oder gemeinsame Kontrolle begründet wird. Der Gesetzgeber wollte damit insbesondere Minderheitsbeteiligungen zwischen Wettbewerbern (sog. „24,99 %-Fälle“) der Fusionskontrolle unterwerfen.

Der wettbewerblich erhebliche Einfluss muss in jedem Fall gesellschaftsrechtlich vermittelt sein, d.h. auf einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung beruhen,[93] so dass rein faktische Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit eines anderen Unternehmens, z.B. aufgrund externer Austauschbeziehungen wie etwa durch Liefer-, Lizenz- oder Darlehensverträgen, für sich nicht ausreichend sind. Erforderlich ist, dass aufgrund des zwischen den Unternehmen bestehenden Beziehungsgeflechts zu erwarten ist, dass der Wettbewerb zwischen ihnen so wesentlich beschränkt wird, dass sie nicht mehr unabhängig am Markt auftreten können. Die Einflussmöglichkeiten können sich dabei insbesondere aus Informations-, Mitsprache- und Kontrollmöglichkeiten sowie aus Vorkaufsrechten ergeben (sog. „Plusfaktoren“), wenn diese die Unternehmensverbindung trotz der geringen Anteilshöhe als eine Beteiligung erscheinen lassen, die mit einem Anteilserwerb von 25 % und mehr als gleichwertig anzusehen ist.[94] Im Einzelfall können daher auch Beteiligungen von unter 10 % einen „wettbewerblich erheblichen Einfluss“ vermitteln.[95] Auch das Vorhandensein eines Mehrheitsgesellschafters schließt einen solchen Einfluss nicht aus, wenn aufgrund der Art der Vertragsgestaltung und der wirtschaftlichen Verhältnisse davon auszugehen, dass dieser auf die Vorstellungen des Minderheitsgesellschafters Rücksicht nimmt oder diesem freien Raum lässt.[96]

5. Einschränkungen des Zusammenschlussbegriffs

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In § 37 Abs. 2 GWB wird klargestellt, dass auch bereits zusammengeschlossene Unternehmen erneut einen anmeldepflichtigen Zusammenschlusstatbestand verwirklichen können, es sei denn, der Zusammenschluss führt nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der bestehenden Unternehmensverbindung. Ein praktisch bedeutsamer Anwendungsfall hierfür sind konzerninterne Umstrukturierungen. So erfüllen konzerninterne Neugründungen (z.B. einer 100 %igen Vertriebstochter) oder konzerninterne Restrukturierungen (z.B. Fusion zweier 100 %iger Tochtergesellschaften) grundsätzlich keinen Zusammenschlusstatbestand, da es hierbei i.d.R. nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der Unternehmensverbindung kommt. Das gleiche Ergebnis lässt sich auch aus der Vorschrift des § 36 Abs. 2 S. 1 GWB ableiten, die konzernmäßig verbundene Unternehmen grundsätzlich als einheitliches Unternehmen betrachtet. Das darin zum Ausdruck kommende „Konzernprivileg“ basiert auf der Überlegung, dass eine – jedenfalls potenziell vorhandene – einheitliche Leitungsmacht die Zusammenfassung verschiedener juristischer Personen zu „einem“ Unternehmen i.S.d. Fusionskontrollregeln rechtfertigt. Eine wesentliche Verstärkung und damit ein neuer Zusammenschluss ist grundsätzlich aber dann anzunehmen, wenn zunächst eine Beteiligung von 25 % erworben wird, die dann später auf 50 % aufgestockt wird oder ein Anteilserwerb durch den Abschluss zusätzlicher Unternehmensverträge ergänzt und abgesichert wird.[97] Die Beweislast für die fehlende Verstärkung liegt bei den Unternehmen.

Für den Anteilserwerb durch Kreditinstitute, Finanzinstitute und Versicherungen sieht das Gesetz eine Ausnahme vor (sog. Bankenklausel), um das Emissions- und Wertpapierhandelsgeschäft zu erleichtern. Nach § 37 Abs. 3 GWB liegt kein anmeldepflichtiger Zusammenschluss vor, wenn diese Unternehmen Anteile an einem Unternehmen erwerben, um diese später wieder auf dem Markt zu verkaufen. Allerdings dürfen die Institute die Stimmrechte aus diesen Anteilen nicht ausüben und müssen die Anteile innerhalb eines Jahres wider veräußern, wobei das Bundeskartellamt diese Frist verlängern kann.

II. Umsatzschwellen

1. Schwellenwerte

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Verwirklicht eine M&A-Transaktion einen Zusammenschlusstatbestand, so fällt sie nur dann in den Geltungsbereich der deutschen Fusionskontrolle, wenn die beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen erreichen oder überschreiten. § 35 Abs. 1 GWB bestimmt insoweit drei kumulative Umsatzschwellen bestimmt. Die Fusionskontrollvorschriften sind danach anwendbar, wenn im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss


(1) die beteiligten Unternehmen zusammen einen weltweiten Gesamtumsatz von zusammen mehr als 500 Mio. EUR erzielt haben und
(2) mindestens ein beteiligtes Unternehmen einen Gesamtumsatz in Deutschland von mehr als 25 Mio. EUR erzielt hat und
(3) mindestens ein anderes beteiligtes Unternehmen einen Gesamtumsatz in Deutschland von mehr als 5 Mio. EUR erzielt hat.

Trotz Erreichens dieser Umsatzschwellen ist ein Vorhaben von der Fusionskontrolle nach § 37 Abs. 2 GWB ausgenommen, wenn sich ein Unternehmen, das nicht abhängig i.S.d. § 36 Abs. 2 GWB ist und im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als 10 Mio. EUR erzielt hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt. Nach der Praxis des Bundeskartellamtes bleibt auch der Erwerb eines – abhängigen – Unternehmens aus einem Kleinkonzern fusionskontrollfrei, wenn der veräußernde Kleinkonzern insgesamt Umsatzerlöse von weniger als 10 Mio. EUR hat.[98] Mit dieser sog. „Anschlussklausel“ soll den Inhabern mittelständischer Unternehmen die Möglichkeit der Vermögensverwertung erhalten bleiben, indem sie ihr Unternehmen ohne Fusionskontrolle an ein größeres Unternehmen veräußern können. Allerdings findet diese Ausnahmevorschrift auch Anwendung, wenn nur der Erwerber die 10 Mio.-Schwelle nicht erreicht.

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Nach der durch die 9. GWB Novelle 2017 neu eingefügten Umsatzschwelle des § 35 Abs. 1a GWB unterliegt ein Unternehmenszusammenschluss der deutschen Fusionskontrolle auch dann, wenn die Voraussetzungen der europäischen Fusionskontrolle nicht vorliegen und im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr

 

1. alle am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen gemeinsam weltweite Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. EUR,
2. ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse in Deutschland von mehr als 25 Mio. EUR,
3. kein anderes am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse in Deutschland von mehr als 5 Mio. EUR erzielt hat,
4. aber der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 400 Mio. EUR beträgt und
5. das Zielunternehmen in erheblichem Umfang in Deutschland tätig ist.

Die nach der vorstehend erwähnten Anschlussklausel bestehende Ausnahme von der Fusionskontrollpflicht gilt im Rahmen dieser neuen transaktionswertbezogenen Aufgreifschwelle nicht.

Der Wert der Gegenleistung umfasst alle Vermögensgegenstände und sonstigen geldwerten Leistungen (Kaufpreis) zuzüglich des Wertes etwaiger vom Erwerber übernommener Verbindlichkeiten. Dabei ist der Begriff der Vermögensgegenstände weit zu verstehen und schließt auch solche Gegenleistungen ein, die an den Eintritt bestimmter Bedingungen geknüpft sind. Hierzu zählen nach der Gesetzesbegründung zum Beispiel Gegenleistungen auf Grund von „Earn-out“-Klauseln, zusätzliche Zahlungen für das Erreichen von Umsatz- oder Gewinnzielen sowie Zahlungen für ein Wettbewerbsverbot.[99] Der Gesetzgeber will mit diesen zusätzlichen transaktionswertbezogenen Umsatzschwellen die Lücke schließen, die mit Blick auf die Übernahme meist junger Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen und perspektivisch außerordentlich hohem Wettbewerbspotential besteht. Sofern diese Unternehmen noch keine oder nur sehr geringe Umsätze aufweisen, waren entsprechende Übernahmen nach bisherigem Recht nicht kontrollpflichtig.

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Die frühere Ausnahmeregel für Zusammenschlüsse auf Märkten, auf denen seit mindesten fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf denen im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Mio. EUR umgesetzt wurden, wurde durch die 8. GWB Novelle aus der formellen in die materielle Fusionskontrolle verschoben. Zusammenschlüsse, die einen solchen Bagatellmarkt betreffen, unterliegen nunmehr zwar der vorherigen Anmeldepflicht, können vom Bundeskartellamt jedoch nicht untersagt werden (§ 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB).

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Eine weitere Ausnahme gilt nach § 35 Abs. 2 S. 3 und 4 GWB für bestimmte Zusammenschlüsse innerhalb einer kreditwirtschaftlichen Verbundgruppe (Sparkassen-Finanzgruppe; Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken). Solche Zusammenschlüsse sind von der Fusionskontrolle ausgenommen, wenn die beteiligten Unternehmen im Wesentlichen Dienstleistungen für die Unternehmen ihrer Verbundgruppe erbringen und sie dabei keine eigenen vertraglichen Beziehungen zu Endkunden unterhalten.

2. Beteiligte Unternehmen

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Für die Umsatzberechnung kommt es entscheidend darauf an, welche Unternehmen als beteiligte Unternehmen i.S.d. § 35 Abs. 1 GWB anzusehen sind. Das Gesetz enthält keine Definition dieses Begriffs, so dass nach dem jeweils verwirklichten Zusammenschlusstatbestand zu differenzieren ist. Beim Vermögenserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB) sind sowohl der Erwerber als auch der Veräußerer Beteiligte. Bei der Berechnung der Umsatzerlöse ist auf Seiten des Veräußerers jedoch nur der zu veräußernde Vermögensgegenstand maßgebend. Der Gesamtumsatz des Veräußerers ist allerdings dann mit zu berücksichtigen, wenn er (zusammen mit dem Erwerber) die gemeinsame Kontrolle über das Zielunternehmen behält oder bei ihm mindestens 25 % der Anteile verbleiben (§ 38 Abs. 5 S. 2 GWB). Beim Kontrollerwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB) sind Beteiligte alle Unternehmen, die zukünftig die Kontrolle ausüben werden, als auch dass dieser Kontrolle unterworfene Unternehmen. Beim Anteilserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB) sind sowohl der Erwerber als auch das Unternehmen, dessen Anteile erworben werden, beteiligt. Wie beim Anteilserwerb sind auch hier der Veräußerer und dessen Umsätze nur dann zu berücksichtigen, wenn er das Zielunternehmen mit kontrolliert oder hieran mit mindestens 25 % beteiligt bleibt. Bei sonstigen Unternehmensverbindungen (§ 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB) sind der Erwerber und das beeinflusste Unternehmen beteiligt.

3. Umsatzberechnung

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Für die Berechnung der Umsatzerlöse gilt grundsätzlich § 277 Abs. 1 HGB. Maßgeblich sind somit die Netto-Umsätze, d.h. die Einnahmen aus der Tätigkeit des Unternehmens ohne Umsatzsteuer, Verbrauchssteuern und Erlösminderungen. Nach § 36 Abs. 2 S. 1 GWB sind abhängige und herrschende Unternehmen i.S.v. § 17 AktG sowie Konzernunternehmen i.S.v. § 18 AktG im Rahmen der Fusionskontrolle als einheitliches Unternehmen anzusehen (sog. Verbundklausel). Bei der Umsatzberechnung werden dementsprechend die Umsätze der ganzen Gruppe berücksichtigt, und zwar auch dann, wenn die Konzernmutter selbst gar nicht am Zusammenschluss beteiligt ist. Die Innenumsätze aus Lieferungen und Leistungen zwischen verbundenen Unternehmen sind allerdings nicht mitzurechnen (§ 38 Abs. 1 S. 2 GWB). Soweit der Geschäftsbetrieb eines Unternehmens im Handel mit Waren besteht, sind nur drei Viertel der dabei erzielten Umsatzerlöse anzusetzen (§ 38 Abs. 2 GWB). Darüber hinaus enthält das Gesetz noch weitere branchenspezifischen Sonderregelungen in Bezug auf die Umsatzberechnung, etwa für Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute und Bausparkassen (§ 38 Abs. 5 GWB). Beim Verlag, der Herstellung und dem Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften sowie dem Vertrieb und der Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und dem Absatz von Rundfunkwerbezeiten sind die erzielten Umsatzerlöse mit dem Faktor 8 zu multiplizieren.

4. Exterritoriale Anwendung des GWB

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Die deutsche Fusionskontrolle ist nur dann auf einen Zusammenschluss anwendbar, wenn die beabsichtigte Transaktion auch geeignet ist im Inland wettbewerbliche Auswirkungen zu zeitigen (§ 130 Abs. 2 GWB). In der Regel ist dies bereits dann der Fall, wenn entweder das Zielunternehmen seinen Sitz in Deutschland hat oder selbst bzw. über verbundene Gesellschaften Umsätze in Deutschland erzielt. Mit der Einführung der 2. Inlandsumsatzschwelle von 5 Mio. EUR haben sich die meisten Zweifelfragen, die sich früher bei der Beurteilung von Auslandszusammenschlüssen, bei denen sowohl der Erwerber als auch das Zielunternehmen ihren Sitz im Ausland hatten, in der Praxis erledigt. Denn nunmehr müssen sowohl der Erwerber als auch das Zielunternehmen gewisse Umsätze in Deutschland erzielen, so dass die Inlandsauswirkung allenfalls dann fraglich sein kann, wenn die beteiligten Unternehmen auf völlig verschiedenen Produktmärkten tätig sind.

III. Wettbewerbliche Beurteilung von Zusammenschlüssen

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Eine M&A-Transaktion, die einen Zusammenschlusstatbestand des § 37 GWB verwirklicht und bei der die Schwellenwerte des § 35 GWB erreicht werden, unterliegt den fusionskontrollrechtlichen Bestimmungen des GWB. Das bedeutet, dass der Zusammenschluss beim Bundeskartellamt zur Prüfung anzumelden ist und nicht vollzogen werden darf, bevor das Bundeskartellamt diesen freigegeben bzw. erklärt hat, dass die gesetzlichen Untersagungsvoraussetzungen nicht vorliegen.

Das materielle Beurteilungskriterium ist in § 36 Abs. 1 S. 1 GWB enthalten. Das Bundeskartellamt muss danach einen Zusammenschluss untersagen, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt. Dies gilt allerdings nach § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 GWB nicht, wenn die beteiligten Unternehmen nachweisen, dass durch den Zusammenschluss auch Verbesserungen der Wettbewerbsbedingungen eintreten und diese Verbesserungen die Behinderung des Wettbewerbs überwiegen. Die Untersagungsmöglichkeit des Bundeskartellamtes entfällt auch dann, wenn die Voraussetzungen für eine Untersagung auf einem Markt vorliegen, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Mio. EUR umgesetzt wurden (§ 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB).

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Das Untersagungskriterium der erheblichen Wettbewerbsbehinderung wurde erst mit der 8. GWB-Novelle 2013 in die deutsche Fusionskontrolle übernommen. Bis dahin konnte das Bundeskartellamt einen Zusammenschluss nur dann untersagen, wenn dieser „eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt“ hätte. Mit der Neuregelung soll eine weitere Angleichung an die europäische Fusionskontrolle erfolgen, die ein nahezu wortgleiches Kriterium (den sog. SIEC-Test) in Art. 2 Abs. 2 FKVO enthält und eine stärkere ökonomische Ausrichtung der Fusionskontrolle erreicht werden. Die Einführung des SIEC-Tests erlaubt nach dem Willen des Gesetzgebers eine Untersagung nunmehr auch in den wenigen wettbewerblich schädlichen Konstellationen, in denen die Voraussetzungen der Marktbeherrschung bislang nicht erfüllt sind. Das gilt etwa für komplexe Oligopolsachverhalte oder für die Erfassung nicht koordinierten bzw. einseitigen Verhaltens einzelner Unternehmen, wie z.B. Preissetzungsmöglichkeiten eines Unternehmens nach einem Zusammenschluss, ohne dass dieses zugleich eine marktbeherrschende Stellung innehat.[100] Darüber hinaus soll hierdurch auch die Beurteilung vertikaler Integration und konglomerater Zusammenschlüsse erleichtert werden, bei denen eine Verschlechterung der Marktstruktur nicht unmittelbar mit dem Zusammenschluss eintritt, sondern erst infolge geänderter Möglichkeiten und Anreize zu einem wettbewerbsschädlichen Verhalten der Unternehmen. Dennoch soll es durch das neue Untersagungskriterium nicht zu Einbußen an Rechtssicherheit kommen, da die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung als Regelbeispiel der erheblichen Wettbewerbsbehinderung erhalten bleibt und diesem Kriterium in der Praxis nach wie vor eine zentrale Bedeutung zukommen wird.[101] Es bleibt daher abzuwarten, ob der SIEC-Test in der Praxis tatsächlich zu einer Erweiterung der Untersagungsmöglichkeiten des Bundeskartellamtes führen wird. Die folgende Darstellung konzentriert sich aufgrund der bislang fehlenden deutschen Entscheidungspraxis zu diesem Kriterium auf das Regelbeispiel der Marktbeherrschung.[102] Wegen weiterer Einzelheiten zum SIEC-Test kann auf die Ausführungen zur europäischen Fusionskontrolle verwiesen werden.