Die Antariksa-Saga II - Sturm über Manchin

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»Ich habe bereits in der Bibliothek von Kin-Weig im großen Buch der manchinischen Geschichte von Konzu Heng geblättert«, antwortete Weng.

»Tatsächlich? Sehr fleißig, mein Lieber! Und?« Shargut war gespannt.

»Ich war heute Morgen sehr lange im Archiv und habe nicht nur in dem alten Schinken von Konzu Heng nach Hinweisen auf eine grauäugige Orkrasse gesucht, aber ich habe fast nichts darüber gefunden. Über die Grünhäute der Steppen steht im Allgemeinen kaum etwas in den manchinischen Chroniken. Sie sind einfach zu unwichtig, um viel über sie zu schreiben«, erläuterte der Gehilfe.

Zaydan schnaufte enttäuscht und erwiderte: »Naja, grauäugige Orks hin oder her. So wichtig ist die Geschichte dieses Drecksvolkes sowieso nicht. Außerdem verdient man mit diesen Dingen kein Geld. Dieser Grimzhag wird bald krepiert sein und dann können wir uns endlich wieder in Ruhe mit unseren Geschäften befassen.«

»Das ist wohl wahr! Wir haben eine schöne Schlinge um den Hals dieses großmäuligen Orks gelegt. König Baudrogg frisst uns aus der Hand, die Karawanen können wieder sicher nach Westen ziehen und sobald sich Grimzhag einen Schluck Steppenschnaps genehmigen will, wird das sein letzter Trank sein. Alles verläuft nach Plan! Was wollen wir mehr!«, zischelte Weng und wirkte in diesem Moment so giftig wie Grashrakks Steppenschnaps selbst.

In mühsamer Knochenarbeit hatten mehrere Hundert Goblinarbeiter die leicht schiefe Mauer hochgezogen, die nun das Trollgehege von Karokum umgab. Doch ohne diesen hastig und lieblos errichteten Wall ging es nicht, denn die dahinter lebenden Bestien waren äußerst gefährlich und konnten selbst den stärksten Ork mit ihren gewaltigen Klauen in Stücke reißen.

Zu den Trollen gelangte man durch ein mehrfach verriegeltes, massives Tor, vor dem grundsätzlich einige Orkwachen stehen mussten, um nichts dem Zufall zu überlassen und kein Risiko einzugehen. Lediglich erfahrene Trolltreiber wagten sich überhaupt, stets mit einem langen Dreizack und ein paar Netzen bewaffnet, in die Nähe der graugeschuppten Kreaturen, vor denen sich nicht nur die Grünhäute fürchteten.

Der heutige Tag war jedoch ohne Zwischenfälle zu Ende gegangen und am Tor des Geheges lehnten zwei mit Speeren bewaffnete Krieger, denen vor Müdigkeit bereits die Augen zu fielen.

»Langsam habe ich die Nase voll vom ewigen Herumzustehen«, knurrte der Kleinere der beiden Orks und gähnte aus vollem Halse. Die andere Grünhaut lugte genervt zu ihm herüber und musste dann ebenfalls gähnen.

»Wir müssen noch bis zum Morgengrauen hier bleiben, aber ich würde mich am liebsten sofort hinlegen und ruhen«, antwortete sie.

»Verfluchte Nachtwache! So etwas sollten eigentlich die Snags machen«, meinte der kleinere Wächter.

»Das erlaubt der große König nicht und das weißt du. So etwas ist Orkarbeit, Fruugh. Was soll`s!«

Irgendwo jenseits der Mauer ertönte ein tiefes Grollen, was die beiden Orks allerdings nicht weiter störte. Diese Geräusche hatten sie schon den ganzen Tag gehört.

»Sieh mal!«, wisperte die etwas zu klein geratene Grünhaut auf einmal durch die Dunkelheit und winkte den anderen Wächter grinsend zu sich herüber. Dann kramte sie einen kleinen Tonkrug aus der Tasche.

»Was ist denn?«, kam zurück.

»Ich habe was zu saufen dabei. Dann wird es heute Nacht wenigstens nicht so langweilig«, flüsterte der Ork.

»Hä?« Die schlaksige Wache kratzte sich am Kopf und sah skeptisch auf den kleineren Artgenossen herab.

»Was bei Shubbukus Brutbauch ist das für ein Zeug?«

»Troffbeerenschnaps!«, erklärte der Krieger. »Ein ganzer Krug voll. Verdammt lecker!«

»Bist du wahnsinnig? Wenn wir hier beim Saufen erwischt werden, dann gibt es richtig Ärger.«

»Wer soll uns denn erwischen? Hier ist doch kein Gnogg. Stell dich nicht so an, Kragrakk.«

Der Krieger zog den Korken aus dem tönernen Hals des kleinen Kruges und nahm einen Schluck Beerenschnaps. Dann grinste er von einem Spitzohr zum nächsten und drückte seinem Gefährten das stark berauschende Gesöff in die Klaue. »Nun trink schon …«

Die hochgewachsene Wache sah sich kurz nach allen Seiten um und nippte dann auch an der kleinen Tonflasche. Es folgte ein genüssliches Grunzen.

»Ja, das kann man gut schlucken. Wirklich gut!«, meinte sie und kippte sich noch mehr Fusel in den Hals.

»Das ist mein Schnaps! He! Sauf mir den Schnaps ja nicht weg, Snagsschnauze«, brummte der kleine, bullige Ork und riss seinem Gegenüber den Krug wieder aus der Klaue.

Nach einer Weile war die ganze Pulle leer und landete schließlich hinter der Mauer des Trollgeheges im Gras. Ohne lange nachzudenken, hatte sie die inzwischen angetrunkene Wache hinter sich in die Dunkelheit geworfen.

»Idiot!«, zischte der kleinere Ork. »Was ist, wenn morgen einer der Treiber den Krug findet? Da braucht er doch nur dran zu schnüffeln und schon weiß er, was drin gewesen ist. Grimzhag reißt uns den Kopf ab.«

»Da haste Recht, Fruugh!«, lallte Kragrakk benommen.

»Und jetzt? Der Krug kann unmöglich da hinten liegen bleiben. Morgen kommen die Trolltreiber und wenn …«, schimpfte der kleine Ork.

Der andere Wächter hob die Klauen. »Ja, ja, das war mein Fehler. Ich hole den Krug wieder zurück. Lass mich mal durch …«

Kragrakk entriegelte das Tor zum Trollgehege und sein verdutzter Artgenosse traute seinen Augen nicht.

»Hast du `nen Pfeil im Kopf? Was tust du denn? Da hinten sind Trolle!«, schnaufte er und wurde schlagartig wieder nüchtern.

Mittlerweile hatte Kragrakk das Tor bereits geöffnet. Er torkelte in das Gehege hinein.

»Die Viecher schlafen doch längst. Da kann überhaupt nichts passieren. Ich hole nur eben diesen verdammten Krug und dann is` gut«, hörte man den Ork in der Dunkelheit murmeln.

Feldzug im Winter

Mit einem lauten Knurren wachte Grimzhag auf und sah sich verstört in seinem dunklen Schlafgemach um. Aus der unteren Etage seines Herrscherhauses kam ein ohrenbetäubender Lärm, es klirrte, krachte und schepperte, während zwischendurch schreckliches Gebrüll zu hören war. Der Häuptling kroch fluchend aus dem Bett und griff sich sein Schwert, das über seinem Kopf an der Wand hing. Im gleichen Moment kam auch schon eine Orkwache ins Zimmer gestürmt und sah ihn entsetzt an.

»Mächtiger, ein Troll! Er ist unten und rennt im Thronsaal herum!«, rief der Krieger.

»Was?« Grimzhag traute seinen Ohren nicht.

»Dieses Monster hat einfach die Eingangstür eingeschlagen – und die Schädel einiger Wachen dazu!«, stammelte die verstörte Grünhaut.

»Ein Troll in meinem Haus?«, schrie der junge Brüller fassungslos.

»Wir haben ihn nicht eingeladen. Das könnt Ihr mir glauben, Herr!«

»Groooh!«, hallte es durch den Treppenaufgang und irgendwo ging ein Möbelstück zu Bruch.

»Was machen wir denn jetzt? Hä?«, stammelte Grimzhag.

»Die anderen Krieger sind schon unterwegs. In Karokum laufen übrigens noch weitere Trolle herum. Sie sind heute Nacht aus ihrem Gehege ausgebrochen und jetzt schlagen sie alles kurz und klein«, erklärte die Wache.

»Was sagst du? Noch mehr Trolle?« Die Zunge des Häuptlings fiel aus seinem Maul heraus und er begann vor Aufregung leise zu pfeifen.

Mit dem Schwert in beiden Klauen schlich er aus seinem Schlafzimmer heraus auf den dunklen Flur, während der Orkkrieger an ihm vorbeipirschte. Unten hörte man den Troll schnauben und randalieren.

»Wirklich großartig!«, knurrte Grimzhag und würgte verärgert.

»Die anderen müssten jeden Moment kommen. Dann werden wir mit dem Biest hoffentlich fertig«, meinte der Wächter und hastete die Treppe hinunter. Der König folgte ihm und sie eilten über einen langen Gang in Richtung Thronsaal, aus dem lautes Gebrüll kam. Dann sprangen sie in eine dunkle Ecke und warteten erst einmal ab. Selbst ein erfahrener Kämpfer wie Grimzhag wollte sich nicht mit einem streitsüchtigen Troll anlegen.

»Groooh!« Irgendetwas zersplitterte in tausend Stücke.

Grimzhag kroch noch ein wenig weiter vorwärts und lugte durch eine halb offen stehende Tür, die in den Thronsaal führte. Was er sah, ließ ihn entsetzt schnaufen. Der Troll hatte sich auf seinen Thron gesetzt und nagte genüsslich am Oberschenkel eines Orkkriegers. Grimzhags Thron stand hingegen kurz davor, unter dem Gewicht der monströsen Kreatur zusammenzubrechen. Jetzt kam auch die Orkwache herangeschlichen.

»Wir gehen da jetzt nicht rein, oder?«, sagte sie.

»Nein! Auf keinen Fall!«, flüsterte Grimzhag.

Als eine Gruppe weiterer Wachen durch die zerschmetterte Eingangstür des Herrscherhauses ins Innere des Gebäudes eindrang und in den Thronsaal hineinstürmte, wurde sie von dem Troll sogleich in Empfang genommen. Die Bestie schleuderte den Orks einen kleinen Schrank entgegen, dann sogar Grimzhags Thron und den halb abgenagten Schenkel des Kriegers. Schließlich stampfte sie auf die panisch schreienden Angreifer zu, schnappte sich einen Holztisch und prügelte damit auf die Grünhäute ein. Drei von ihnen wurden regelrecht in den Boden gerammt und endeten als grüner Haufen gebrochener Knochen in einer Blutlache. Die restlichen Orks gaben Fersengeld und waren so schnell aus dem Palast ihres Königs verschwunden, wie sie gekommen waren.

»Dieses Vieh hat meinen Thron zerstört!«, jammerte Grimzhag verzweifelt.

»Das ist im Moment sicherlich unsere geringste Sorge, großer König. Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf«, wisperte die Wache.

»Bei allen Göttern!«, stöhnte der Häuptling.

Der Troll schien derweil nachzudenken, während er inmitten der halb zerstörten Halle stand. Er hatte ein furchtbares Chaos angerichtet und war von zerstörten Möbelstücken und toten Orks umringt.

 

»Groooh!« Die Bestie hatte einen Einfall. Sie hielt ihre Nase in die Luft und schnüffelte. Offenbar hatte sie etwas gewittert.

»Groooh!«

Mit einem zufriedenen Knurren ging der Troll durch einen noch verriegelten Seiteneingang des Thronsaals, wobei er eine zersplitterte Tür hinterließ. Grimzhag und die Orkwache sahen dem grauhäutigen Biest entsetzt nach.

»Er will in den Keller, wo die Vorräte sind!«, brummte der Häuptling wenig begeistert.

Als wolle ihm der Troll zustimmen, brüllte er erneut »Groooh!«. Er stapfte die Kellertreppe hinunter, wobei er sich ständig ducken musste.

»Groooh!«

»Na, toll!«, stieß Grimzhag aus.

Kurz darauf ertönte ein lautes Rumpeln und Schmatzen aus dem Gewölbe unter dem Herrscherhaus. Scheinbar hatte es sich der Troll dort gemütlich gemacht und verschlang alles, was ihm vor die Nase kam.

»Bööörks!«, dröhnte es aus dem Keller. Wenig später verschaffte sich die Kreatur einen Zugang zum Getränkelager und man hörte, wie sie einige Fässer aufbrach.

»Und nun?«, fragte die Wache.

»Ruf gefälligst weitere Krieger! Ich warte hier und behalte den Troll im Auge. Irgendwann ist er hoffentlich satt und kommt da unten wieder raus«, knurrte Grimzhag.

»Zu Befehl!«, antwortete der Krieger und rannte sofort los, um Verstärkung zu holen.

Grimzhag hingegen wartete und wartete, doch der Troll kam nicht mehr aus dem Kellergewölbe heraus. Nach einer Weile erschien die Wache mit einem Haufen Krieger mit langen Speeren.

»Gibt es etwas Neues, Herr?«, fragte der Wächter.

»Nein, der Troll ist noch immer da unten und verdächtig ruhig«, erwiderte Grimzhag.

»Wahrscheinlich macht er nach seiner Fressorgie ein Nickerchen«, grunzte einer der Orks.

»Sieht ganz so aus. Wir schleichen uns jetzt da runter und bringen das Vieh um, bevor es noch mein ganzes Haus zerlegt. Vorwärts!«, befahl der Häuptling.

»Aber … vielleicht …«, brummelte der Wächter.

»Los! Folgt mir!«

Grimzhag schlich voraus und ging die Kellertreppe herunter. Behutsam spähte er über einen dunklen Gang, der nun nach den Ausdünstungen des Trolls roch. Das war selbst für eine Orknase kaum zu ertragen – ein Elb wäre vor Abscheu vermutlich zu Staub zerfallen.

»Ich höre nichts. Nicht einmal ein Schnarchen. Und normalerweise schnarchen Trolle extrem laut …«, flüsterte einer der Orks.

»Wollt Ihr jetzt wirklich da reingehen, Herr?«

»Ja! Schnauze halten jetzt!« Grimzhag schlich über den Gang und spähte um die Ecke. Im Getränkelager sah er den Troll zwischen einigen zerstörten Fässern auf dem Rücken in einem kleinen See aus Pilzbier liegen. Die Bestie gab keinen Ton mehr von sich und hatte alle Viere von sich gestreckt.

Der Häuptling hob sein Schwert, bereit dem Troll den Schädel einzuschlagen, während sich die anderen Orks hinter ihm versammelten und ihre Speere auf die riesenhafte Kreatur richteten.

Aber der Troll schien überhaupt nichts mehr wahrzunehmen. Er rührte sich auch nicht, als Grimzhag schon über ihm stand. Jetzt erkannte der junge Brüller, dass die Kreatur sich auch an dem großen Krug Steppenschnaps, den er von Grashrakk Khan als Freundschaftsgeschenk erhalten hatte, zu schaffen gemacht hatte. Der Krug lag noch in der halb geöffneten Klaue des Monsters und war völlig leergesoffen.

Die Orks stutzten. »Ich glaube, der ist tot! Oder völlig betrunken!«

»Eins von beiden. Ich tippe allerdings eher auf tot, denn das Mistvieh atmet nicht mehr!«, brummte Grimzhag und stieß mit dem Fuß gegen den hässlichen Schädel des Trolls. Weit aufgerissene, gelbliche Augen starrten ihn an. Die Bestie war ohne Zweifel dahingeschieden, wie der junge Brüller feststellte.

»Den Steppenschnaps hat er wohl nicht ganz vertragen!«, knurrte Grimzhag nachdenklich und betrachtete den großen Krug in der Klaue der Kreatur.

»Wer verträgt das Zeug schon?«, bemerkte einer der Krieger und grinste.

»Das ist wirklich seltsam!«, murmelte der Orkkönig.

Soork versuchte, seinen jungen Freund zu beruhigen, doch dieser wurde von Minute zu Minute zorniger. Er fletschte die Zähne und war kurz davor, seinen Thronsaal in bester Trollmanier in Stücke zu schlagen.

»Ein Trollmagen ist schlimmer als eine Jauchegrube, Schamane! Normalerweise vertragen diese Viecher alles. Du glaubst doch nicht, dass er nach ein paar Schluck Pilzbier krepiert ist, oder?«, brüllte Grimzhag.

»Dann ist der Troll gestorben, weil er den Steppenschnaps getrunken hat, oder was?« Soork sah den König ungläubig an.

»Natürlich! Allerdings war das sicherlich kein gewöhnlicher Steppenschnaps – das Zeug muss hochgradig vergiftet gewesen sein! Grashrakk! Dieser verfluchte Snag! Er wollte mich mit diesem Gesöff zum Wirbel der Seelen schicken!«

Zugrakk erhob die Klaue und bemerkte: »Ich denke, dass Grimzhag Recht hat.

Eine andere Erklärung gibt es nicht, Schamane.«

»Dieser verräterische Hobgoblinabschaum!«, grollte der junge Brüller dazwischen.

»Ich wollte noch sagen …«, kam von Zugrakk.

»Schnauze! Wenn ich rede, halten alle anderen das Maul! Aaaah! Ich wollte diesen Schnaps demnächst selbst trinken. Grashrakk Khan hat mir dieses Zeug als persönliches Geschenk überreicht. Bei Goffrukk, wenn ich das getrunken hätte, wäre ich sofort tot gewesen!«

»Hobgoblins sind der Bodensatz unserer Art. Das weiß jeder. Man kann ihnen nicht trauen, das weiß jeder. Sie sind widerliche Typen, das weiß …«

Grimzhag verpasste Zugrakk eine Kopfnuss und dieser sackte quiekend zu Boden.

»Ich bring ihn um! Ich bring ihn um! Ich bring ihn um!«

»Wofür war das denn jetzt?«, fiepte Zugrakk verständnislos.

»Aaaah!«, war die Antwort.

»Ich habe hier zufällig einige Kauwurzeln in der Tasche, Grimzhag …«

»Gib her, Soork!«

»Aber nicht alle auf einmal verschlingen.«

»Ja! Ja!«

Grimzhag schnappte sich zwei der Kauwurzeln, deren Säfte beruhigend wirkten, und schlang sie hinunter.

»Kauen und nicht schlucken!«, mahnte der Schamane.

»Ja! Ja!«

»Ganz ruhig!«

»Der ist tot! Der ist so gut wie tot! Der ist toooot!«

»Grimzhag, beruhige dich!«

»Dieser Steppenwurm! Verflucht!«

Glücklicherweise entfaltete der Kauwurzelsaft recht schnell seine Wirkung und der junge Brüller beruhigte sich wieder einigermaßen. Langsam klang sein Tobsuchtsanfall ab.

»Und nun, Grimzhag? Was willst du jetzt tun?«, wollte Zugrakk wissen.

Der Häuptling der Mazauk sah ihn missmutig an. Sein Unterkiefer schob sich nach vorne und zeigte eine Reihe grauweißer Reißzähne.

»Lasst mich nachdenken! Raus jetzt! Alle beide!«, knurrte Grimzhag.

Sämtliche Trolle, die die Orks in Karokum in ihren Gehegen hielten, standen nun unter noch strengerer Beobachtung. Allerdings waren es nur einige Dutzend. Die meisten dieser gefürchteten Kreaturen hatte Grimzhag in den Gehegen rund um Chaar-Ziggrath gelassen. Nachdem die Sicherheitsmaßnahmen erhöht und die Trolle keine Gefahr mehr darstellten, widmete sich Grimzhag einem viel größeren Problem – Grashrakk Khan.

Der verräterische Hobgoblinhäuptling war eindeutig als Feind der Mazauk identifiziert worden. Jetzt musste etwas geschehen. Zudem herrschte der Khan über einen Großteil der östlichen Steppen und sogar eine Reihe von Grünhautstämmen, die nur aus Orks bestanden, waren ihm tributpflichtig. Dieser Snag war zu mächtig und hatte sich als hinterlistige Schlange erwiesen, meinte Grimzhag, was bedeutete, dass er gezwungen war zu handeln.

»Willst du die Horde zusammenrufen und gegen Grashrakk Krieg führen?«, fragte Zugrakk und ging neben seinem Freund über die ersten gepflasterten Straßen von Karokum.

Inzwischen waren etwa drei Dutzend Wohnhäuser, in die einige von Grimzhags Hordenführern eingezogen waren, gebaut worden.

»Nein! Wir warten noch, Zugrakk. Grashrakk weiß nicht, wann ich seinen Steppenschnaps trinke, aber ich bin mir sicher, dass er damit rechnet, bald die Nachricht von meinem Tod zu bekommen. Allen Mazauk ist der Kontakt zu den Hobgoblins der östlichen Steppen untersagt, niemand verlässt unser Reich«, knurrte der junge Brüller.

»Abwarten? Warum das denn? Der Winter steht vor der Tür. Bald wird es unmöglich sein nach Osten zu ziehen und wir müssen verharren, bis der Schnee wieder weg ist. Wir verlieren doch nur Zeit. Lass uns diese Snags so schnell es geht angreifen«, drängte Zugrakk.

Grimzhag würgte. »Nein! Wir halten uns noch zurück. Bald wird es anfangen zu schneien und wenn der Schnee am höchsten liegt, dann greifen wir Grashrakk an!«

»Mitten im Winter?«

»Ja! Mitten im tiefsten Winter!«

Zugrakk grunzte verwirrt und antwortete: »Aber in dieser Zeit führt niemand Krieg. Das ist doch Wahnsinn.«

»Wir Mazauk schon! Genau deshalb greifen wir dann an, wenn die ganze Steppe zugeschneit ist. Damit wird Grashrakk Khan nämlich nicht rechnen«, betonte Grimzhag.

Sein Freund setzte sich auf einen Steinblock, der am Rande einer großen Baustelle lag, und ließ die Zunge heraushängen.

»Du hast immer nur verrückte Einfälle, Grimzhag. Der Winter ist die Zeit des Überlebens und nicht des Kämpfens. So hat es die göttliche Shubbuku einst entschieden, als sie die Welt ausgebrütet hat, oder etwa nicht?«

»Ach! Das ist Blödsinn! Sämtliche Götter werden stolz auf uns sein, wenn wir sogar im Winter kämpfen. Dann zählt unser Heldenmut nämlich doppelt.«

»Meinst du?«

»Aber natürlich! Nur die mutigsten Orks haben den Schneid, durch Schnee und Eis zu ziehen, um guten Krieg zu suchen. Goffrukk wird uns dafür mehr lieben als jeden anderen Stamm der Steppe«, erläuterte der Häuptling.

»So habe ich das noch nie gesehen. Aber vielleicht hast du ja Recht. Damit wären wir noch mutiger als alle anderen …«

»Genau, Zugrakk!«

»Einverstanden! Wann geht es los, Kumpel?«

Grimzhag entblößte die Fangzähne zu einem breiten Grinsen und hob die Klaue. Dann setzte er sich neben seinen Freund auf den Steinblock und bemerkte: »Wenn die ganze Steppe unter tiefem Schnee begraben liegt, dann fallen wir über Grashrakks Hobgoblins her. Die werden sich wundern.«

Zwei Monate dauerte es noch, bis es so heftig schneite, dass man kaum die Klaue vor Augen sehen konnte. Die weiten Ebenen rund um Karokum waren inzwischen mit einem eisigen, weißen Laken bedeckt und Grimzhag führte fast 40000 Krieger nach Osten. Die Grünhäute waren allesamt in dicke Warnoxfellmäntel gehüllt, froren aber trotzdem wie ein in der Eiswüste ausgesetzter Snag im Lendenschurz. Die Winter in den nördlichen Steppen waren die härtesten und kältesten in ganz Antariksa. Nur ein Wahnsinniger konnte in dieser finsteren Zeit eines Sonnenzyklus auf die Idee kommen, einen Feldzug zu beginnen. Das meinten jedenfalls viele der Krieger.

Dass sie Grimzhags Befehl dennoch nachkamen und ihm durch die verschneite Landschaft folgten, zeigte die Macht und den Einfluss, die der junge Orkkönig mittlerweile in der Steppe hatte. Zu Tausenden waren sie nach Karokum gekommen, um beim Kampf gegen den Verräter Grashrakk dabei zu sein. Mittlerweile wusste ein jeder Ork, dass der gerissene Hobgoblin versucht hatte, den großen Eroberer Grimzhag heimtückisch zu vergiften.

Der Heereszug erstreckte sich bis zum düsteren Horizont und marschierte unter einem von grauschwarzen Wolken bedeckten Himmel immer weiter in Richtung der östlichen Steppen. Doch die Krieger kamen nur langsam voran. Sie wateten unter größten Mühen durch das weiße Meer, welches endlos erschien. Oft steckten die Orks bis zu den Knien im Schnee und an manchen Stellen versanken sogar die Gnoggreiter bis zur Hälfte darin. Gelegentlich brach einer der Krieger vor Erschöpfung zusammen und erfror neben seinen vorbeiziehenden Kameraden. Vor allem die Goblins hatten furchtbare Opfer zu bringen, denn sie waren kleiner und weniger zäh als ihre orkischen Verwandten.

Müde flatterten die schwarzen und roten Banner der Horde im eisigen Wind, der über die Weiten heulte und pfiff, während es immer weiter voran ging. Grimzhag ritt mit seinen Hordenführern und Zugrakk an der Spitze seiner Armee, die selbst in der tiefen Nacht weitermarschierte und kaum rastete, voraus.

Der Zug durch die niemals enden wollenden Weiten der Steppe dauerte fast 50 Sonnen und war die wohl kühnste militärische Unternehmung, die ein Orkkönig jemals gemacht hatte. Das meinte zumindest Grimzhag. Er schärfte seinen hungrigen und fast zu Tode gepeinigten Kriegern immer wieder ein, dass sie nun von den Göttern als Helden angesehen würden. Cuglakk der Weise, welcher von Grimzhag extra nach Karokum bestellt worden war, um die Horde mit Goffrukks Segen zu erfüllen, hatte das Gleiche gepredigt. Der alte Schamane hatte die Kriegerhaufen mit den unsichtbaren Kraftstrahlen der Götter, die er aus seinen Klauen abschießen konnte, noch härter, mutiger und stärker gemacht. Daran zweifelte kein einziger Ork oder Goblin und fühlte sich zugleich dem Feind weit überlegen.

 

So kämpfte sich die Horde Tag für Tag durch wirbelnde Schneestürme und finstere, eisige Nächte, um endlich die Zeltstadt des Grashrakk zu erreichen und den Verräter zu strafen. Als sie die östlichen Steppen erreicht hatte und das Lager der Hobgoblins schon in unmittelbarer Nähe war, hatte Grimzhags Armee mehr als ein Drittel ihrer Krieger verloren. Hunger, Kälte und Entkräftung hatten Tausende Orks und Goblins zu den Wirbeln der Seelen geschickt, wo sie von den Göttern nun lauthals begrüßt und bevorzugt behandelt wurden. Das war in der Tat ein Grund zur Freude, wie der Anführer der Mazauk meinte.

Nachdem er seiner Horde so viel Gutes getan und selbst schwer gefroren und gelitten hatte, stand der ehrgeizige Kriegsherr schließlich vor dem Lager seines Feindes. Hier draußen, in einiger Entfernung zur Zeltstadt des Khans, waren keine Hobgoblins anzutreffen. Sie hockten alle in ihren Zelten und Behausungen, um sich an den prasselnden Lagerfeuern zu wärmen und vor dem grausigen Winter zu verbergen. Ahnungslos saßen sie da – genau wie Grimzhag es erwartet hatte.

Die vielen Zelte in der Ferne wurden vom matten Schein der im Inneren flackernden Lagerfeuer erleuchtet. Eine stille, frostige Nacht lag über der verschneiten Steppe. Eben waren die Späher zurückgekommen und hatten berichtet, dass die Hobgoblins die Anwesenheit ihrer Feinde scheinbar noch immer nicht bemerkt hatten. Nun musste alles schnell und vor allem lautlos gehen. Kein Geschrei und kein Lärm durften den Feind auch nur im Ansatz vor der bevorstehenden Katastrophe warnen. Das hatte Grimzhag ausdrücklich angeordnet, so dass seine Krieger nicht das leiseste Geräusch von sich gaben.

»Die scheinen alle zu pennen, diese dämlichen Snags!«, flüsterte Zugrakk und deutete auf die Zeltstadt.

»Nicht mehr lange, mein Lieber! Nicht mehr lange!«, knurrte Grimzhag kaum hörbar.

Einige Gnoggreiter mit großen Standarten und Laternen in ihren gefrorenen Klauen ritten aus der Horde heraus und postierten sich vor ihr. Grimzhag hob sein Schwert in die Luft, während die Gnoggreiter ausschwärmten, um das Hobgoblinlager einzukreisen. Dann rückte der Rest der Horde vor, schweigend und mit bemerkenswerter Disziplin. Nach einer Weile hatte sich die Orkarmee in unmittelbarer Nähe der Zeltstadt formiert und wartete auf Grimzhags Zeichen zum Angriff.

»Viel Spaß, Zugrakk!«, sagte der junge Brüller und sein Freund schielte grinsend zu ihm herüber.

»Werde ich haben!«, kam zurück.

Grimzhag hob sein Schwert erneut in die Höhe und streichelte dann seinen Gnogg. Kurz darauf flogen einige Brandpfeile gen Himmel – das Signal zum Angriff auf die schlafende Zeltstadt.

Augenblicklich stürmten die Grünhäute wie eine Masse dunkler Schatten los und kamen einem tobenden Schneegestöber gleich über das Lager ihrer Feinde.

Grimzhag und Zugrakk ritten direkt auf einige Zelte zu und begannen plötzlich, wie von Sinnen zu brüllen. Die übrigen Orks und Goblins, die nun in das schlafende Hobgoblinlager strömten, taten es ihnen gleich und kurz darauf erfüllte ein furchtbarer Lärm die gesamte Zeltstadt.

Einige schlaftrunkene Grünhäute schauten verdutzt aus ihren Zelten heraus und gingen nach draußen. Neben ihnen tauchte Grimzhags schnaubendes Gnogg und dessen knurrender Reiter auf. Dann sauste das Breitschwert des Häuptlings auch schon auf den Schädel des ersten Hobgoblins nieder und spaltete ihn mit einem leisen Knacken. Die übrigen Feinde schrieen panisch auf, während immer mehr ihrer Stammesgenossen um sie herum aus den Zelten kamen.

Zugrakk wütete derweil bereits wie ein Berserker, er ließ sein Gnogg eine Gruppe von Hobgoblins niederwalzen. Brüllend sprang er von seinem Reittier herunter und hackte die am Boden liegenden Gegner in Stücke.

Grimzhag ritt indes ein schäbiges Zelt über den Haufen und schlachtete dessen unglückliche Bewohner ab. Hinter ihm drangen seine Orks in die Behausungen der Hobgoblins ein, um alles niederzumetzeln.

»Brennt die Zelte ab!«, rief Grimzhag und seine Krieger steckten diese mit ihren Fackeln in Brand.

Der Mazaukhäuptling stieg von seinem Gnogg ab, steckte sein Schwert in die Scheide und nahm eine riesige Zweihandaxt vom Rücken, um damit auf die verschreckten Hobgoblins vor sich loszugehen. Er schwang die brutale Waffe und sah mit Genugtuung auf die blutigen Wolken, welche sie aufspritzen ließ, während sie sich durch Knochen und Fleisch fraß.

Ein keuchender Hobgoblin, dem Grimzhag den Arm abgeschlagen hatte, wand sich auf dem Boden und kroch durch den blutgetränkten Schnee. Der junge Brüller zückte sein Messer, beugte sich zu der verletzten Grünhaut herab und hielt es ihr an die Kehle.

»Ihr wolltet mich vergiften, ihr dreckigen, kleinen Snags! Hä?«, zischte er dem Verwundeten ins Ohr.

»Ich habe dir nichts getan, Ork! Was willst du von mir?«, jammerte der Hobgoblin.

»Wolltet mich vergiften! Snagbrut! Dafür sterbt ihr jetzt alle! Verräterpack!«, schnaubte Grimzhag und schnitt seinem Opfer die Kehle durch.

Zufrieden grunzend fühlte er die Wärme des aus dem aufgeschlitzten Hals sprudelnden Blutes und leckte sich die Klaue ab. Dann schnappte er sich wieder seine Axt. Der Häuptling suchte weitere Hobgoblins, die er erschlagen konnte. Das Massaker zwischen den Zelten sollte noch bis zum Morgengrauen andauern.

Die verfeindeten Grünhäute hatten keine Chance gegen die aus der eisigen Dunkelheit kommenden Angreifer gehabt und waren zu Tausenden niedergemetzelt worden. Wo man hintrat, lagen tote Hobgoblins und der Schnee rund um die Steppensiedlung hatte eine blutrote Farbe angenommen. Das Cramogglager der Zeltstadt brannte inzwischen ebenfalls und Grimzhags Krieger hatten auch dort sämtliche Snagweibchen einschließlich ihrer Jungen erschlagen.

Eines war den Mazauk und ihren Verbündeten jedoch nicht gelungen: Grashrakk Khan zu fangen. Dieser hatte sich im Laufe jener blutigen Nacht nämlich noch rechzeitig zur Flucht gewandt und war mit einigen seiner Leibwächter in der Steppe verschwunden. Grimzhag tobte, als er erfuhr, dass sein Rivale entkommen war. Grashrakks Zeltstadt und der größte Teil seiner Krieger waren jedoch der Wut der Angreifer zum Opfer gefallen. Dies war der Anfang eines langen und ermüdenden Kampfes.

Der Feldzug gegen die Hobgoblinstämme der östlichen Steppen dauerte letztendlich fast einen ganzen Sonnenzyklus. Grashrakk Khan war mit einigen Hundert seiner Krieger in die Scythberge nahe der großen Eiswüste geflohen und Grimzhags Horde folgte ihm in das wilde, kalte Land.

Nach einem langen und mühsamen Marsch durch die Einöden des Nordens und die vereisten Scythberge brach Grimzhag die Verfolgung zunächst ab und kehrte nach Süden zurück. Hier unterwarf er einige Ork- und Goblinstämme und machte sie den Mazauk tributpflichtig. Mit einigen Stämmen der Menschennomaden, die ebenfalls in den östlichen Steppen umherzogen, stellte er erste Kontakte her. Schließlich schloss er mit ihnen sogar ein Bündnis gegen die Hobgoblins.

Dann kehrte die erschöpfte Horde wieder nach Karokum zurück, um sich sich von den Strapazen der Kämpfe und Märsche durch die Weiten des Ostens zu erholen. Im Hochsommer des folgenden Jahres marschierte Grimzhag an der Spitze einer großen Streitmacht wieder zurück in die von den Hobgoblins kontrollierten Steppen und unterwarf eine Reihe weiterer Grünhautstämme. Die meisten von ihnen ließen es angesichts der schlagkräftigen Armee des Mazaukhäuptlings nicht auf einen Kampf ankommen und schlossen sich ihm mehr oder weniger freiwillig an.

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