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B wie BISCHOF

Oder: „Wonach es einen vorher gelüstet, davor darf es einem danach auch nicht grausen!“ (Gertrude Zsifkovics)

Bischöfe sind im Idealfall wie ein „Leatherman“ oder ein Schweizer Messer: multifunktionale Tools ihrer Kirche, die in einem Rund-umdie-Uhr-Job als Oberhirten, Seelsorger, Prediger, Lehrer, Gesetzgeber und Richter, Ombudsmänner und Mediatoren die ihnen überantworteten Diözesen leiten und damit das Gesicht der Kirche vor Ort darstellen. Am Vorbild des pannonischen Heiligen und Bischofs Martin von Tours erläutert Ägidius Zsifkovics die Rolle des Bischofs zwischen geistlichem Anspruch, kirchlicher Karriere und nüchternem Alltag – mit erstaunlichen Einblicken in die traditionelle Grundausstattung und Garderobe eines Oberhirten.

Der heilige Martin ist eine Gestalt, die viel über das Bischofsamt verrät. Das beginnt bereits bei seiner Bestellung zum Bischof. Der Legende nach haben ihn schnatternde Gänse verraten, als er sich in einem Stall versteckte, um der drohenden Ernennung zum Bischof von Tours zu entgehen. Eingedenk dieser Episode landen die Federtiere alljährlich zum Martinsfest gut gebraten auf den Festtafeln. Die Legende verweist auf zwei christliche Eigenschaften, die gerade einem Bischof nicht schlecht zu Gesicht stehen: Bescheidenheit und Demut. Wer weiß, vielleicht hätten andere in dieser Situation die Gänse getreten oder zumindest an den Schwanzfedern gezogen, damit sie ja ordentlich Lärm machen und das Volk Gottes auch ganz verlässlich zum „Besten aller Kandidaten“ führen. So wenig der kirchliche Leitungsdienst ohne Gestaltungswillen und ohne gesunden Ehrgeiz zu bewerkstelligen ist: Karrierismus ist im kirchlichen Bereich eine besonders problematische Erscheinungsform, die von Papst Franziskus zu Recht stark kritisiert wird. Der heilige Martin steht für eine andere Haltung!

Wie das bei mir war? Wenn ich mich als Kind überessen habe, hat meine Mutter immer gesagt: „Wonach’s dich zuerst gelüstet hat, davor braucht’s dir jetzt auch nicht zu grausen!“ Den Ruf in das Bischofsamt anzunehmen, entsprang ehrlich gesagt keiner „Lust“, aber er ging einher mit einem tief empfundenen Gefühl der Freude und der Dankbarkeit, dem eine schlaflose Nacht mit allen nur erdenklichen gedanklichen Anfechtungen vorausgegangen war. Ich hatte als bischöflicher Sekretär, als Ordinariatskanzler und als Generalsekretär der österreichischen Bischofskonferenz zu lange mit Bischöfen und ihren Amts- und Lebenswegen zu tun gehabt, um nicht zu wissen, dass sich unter der Mitra auch eine unsichtbare Dornenkrone befinden kann. Dass man als Bischof – noch mehr als der Priester – für den Rest seines Lebens einer Gemeinschaft gehört, mit der man in Gott verbunden ist und in der man für jeden Einzelnen sowie für alle zusammen persönliche Verantwortung trägt. Ein nach menschlichen Maßstäben unmöglich zu erfüllendes Unterfangen! Und doch habe ich diesen Dienst, den ich nie angestrebt habe, am Tag der Weihe mit großer innerer Zuversicht angenommen und mein Schicksal in Gottes Hände gelegt. Er hatte mich stets geführt und würde es wohl auch weiterhin tun, so mein Gebet und meine Hoffnung am Tag meiner Bischofsweihe, an dem mir auch meine Mutter ihren Segen gab. Bis jetzt habe ich mich nicht überessen.

Ein Bischof braucht Vorbilder – und das sollten keine Eintagsfliegen sein. Martinus, der pannonische Heilige und Bischof von Tours, der Mann der Aktion und der Kontemplation, ist ein Vorbild, das einen ein Leben lang begleiten kann. Ich mache mich selbst, aber auch meine Mitchristen immer wieder auf die Insignien des Heiligen aufmerksam: den Hirtenstab, den geteilten Mantel in der Hand und die Mitra auf dem Haupt – Attribute, Zeichen, die uns alle an diesen großen Europäer, Mann des Glaubens und der konkreten Tat erinnern. Und noch mehr daran, dass wir als Christen die Verbindung mit Jesus suchen und pflegen sowie das Evangelium im Alltag in die Tat umsetzen.

Der Hirtenstab ist ein Zeichen, dass jeder Bischof durch seine Weihe mit dem apostolischen Ursprung, mit Jesus Christus verbunden ist. Der Hirtenstab ist kein Spazierstock für den Alpintouristen, sondern ein Instrument, das dem Volk Gottes anzeigt, in welche Richtung es in der Nachfolge Jesu zu gehen hat. Der Hirtenstab ist ein Zeichen, die zerstreute Herde zu sammeln und zu verteidigen, Mutlose und Hilflose zu stärken, Suchenden, Irrenden den Weg zu weisen. Martinus mit dem Hirtenstab in der Hand tat dies damals in stürmischen Zeiten der Völkerwanderung, am Übergang von der Antike zum Mittelalter. Er erinnert uns daran, es ihm in den Herausforderungen unserer Tage nachzumachen und uns auf die richtige Richtung unseres Lebens zu besinnen.

Als ich mich nach meiner Ernennung zum Bischof mit den entsprechenden Insignien ausstatten musste, suchte ich in Rom einen traditionellen Anbieter für den geistlichen Berufsstand auf. Keine Sonderanfertigungen, sondern solide Konfektionsware, liturgisches „Pret à porter“. Der Seniorchef des Ausstattungshauses, ein gestandener Römer mit jahrzehntelanger Erfahrung und Menschenkenntnis, die er sich im Umgang mit Priestern und Bischöfen von Wladiwostok bis Tahiti, von Hammerfest bis Kapstadt erworben hatte, stand persönlich im Geschäft und beriet mich. Als wir in die Abteilung für Bischofsstäbe kamen, steuerte er auf ein bestimmtes, etwas massiv wirkendes Modell zu, zog es heraus und stellte es vor mir mit einem dumpfen Geräusch fest auf den Boden. „Eccellenza“, sagte er, „prenda un modello come questo – la curvatura piú grossa fa piú effetto nei casi difficili!“ – „Nehmen Sie ein Modell mit etwas breiterer Krumme – die zeigt bei den schweren Fällen mehr Wirkung!“ Und er schwang, mitten im Laden, den Bischofsstab mit einer Vierteldrehung nach unten, so als ob er jemandem damit eines über den Kopf geben wollte. Ein paar junge Priesterkandidaten hinter dem nächsten Regal, die sich gerade ihre ersten Kollarhemden kauften und die Szene beobachtet hatten, machten große Augen. Nachdem ich aus dem ersten Staunen herausgekommen war, wurde mir klar, dass der Mann eine schlichte Wahrheit – wenn auch etwas brachial – auf den Punkt gebracht hatte: Dass der Bischof jemand ist, der sich wie ein Hirte schützend vor die Herde stellen muss, wenn sie angegriffen wird. Unter allen Umständen. Egal gegen wen. Egal mit welchen Konsequenzen für den Hirten, seine Gesundheit und sein gesellschaftliches Ansehen. Aber der Bischof ist auch jemand, der den gekrümmten Hirtenstab benötigt, um die verlorengegangenen Schafe sanft einzufangen und in die Gemeinschaft zurückzuholen. Wenn das nicht auch die Bedeutung eines Bischofsstabes ist, dann verkommt er zum bloßen Fetisch kirchlich-religiöser Macht – ähnlich den prächtigen Stöcken und Wedeln von Schamanen ausgestorbener Kulte, die man im ethnologischen Museum besichtigen kann.

Zum heiligen Martin gehört aber auch der Mantel, den er mit dem frierenden Bettler teilte. Martinus wurden – im Traum, wie es heißt – die Augen dafür geöffnet, dass er nicht nur mit einem hilflosen Menschen, sondern mit Christus selbst seinen wärmenden Mantel geteilt hat, gemäß dessen Wort: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Der Mantel des Martinus ist daher zum Symbol der Gegenwart Christi in seiner Kirche geworden, nämlich durch den Dienst an den Mühseligen und Beladenen. Christen sind aufgerufen, ja verpflichtet, sich aus dem Glauben heraus liebevoll den Mitmenschen – den Armen, Kleinen und Schwachen – zuzuwenden, sich herabzubeugen, ihnen zu dienen und zu helfen. Denn Christus selbst wird gegenwärtig im Liebesdienst! Der heilige Martin mit dem halbierten Mantel ist ein Tatzeuge des Evangeliums – jede Zeit und jede Gesellschaft muss Platz haben für Arme, Alte und Kranke. Martinus mit dem geteilten Mantel erinnert die Bischöfe und alle Christen daran, das Evangelium in die Tat umzusetzen.

Der heilige Martin trägt darüber hinaus als Bischof die Mitra. Die Bischofsmütze ist nicht nur eine Zierde, sondern ein Signal. Ein Bischof hat gerade in Zeiten der Verfolgung, des Widerspruchs und der Feindschaft gegenüber dem christlichen Glauben nicht den Kopf einzuziehen, ganz im Gegenteil: Er hat seinen Kopf hinzuhalten, um für die Wahrheit Zeugnis zu geben, komme es ihm gelegen oder ungelegen. Das ist heute ein wichtiger, aber auch schwieriger Dienst. Gerade in unserem modernen Europa möchte man Christus ausbürgern, die Kirche in die Sakristei verbannen, den christlichen Glauben privatisieren und die christlichen Werte als nicht zeitgemäß und nicht mehr lebbar erklären. Hat es das alles nicht schon einmal in den Zeiten des Nationalsozialismus und des Kommunismus gegeben? Martinus als Bischof mit der Mitra auf dem Haupt erinnert uns Bischöfe, aber auch jeden anderen Christen daran, Zeugnis für Jesus und seine Kirche zu geben, sich nicht zu ducken, sondern im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf für Jesus Christus hinzuhalten.

C wie CASH

Oder: Schon mal mit vollen Händen gebetet, geküsst, gesungen, gestreichelt oder getröstet?

Wenn Ägidius Zsifkovics als langjähriger Pfarrer von Wulkaprodersdorf für die Sanierung des Kirchendaches oder für andere pfarrliche Projekte die Leute um Spenden bat, pflegte er zu sagen: „Keine Angst! Geld für das Projekt ist ausreichend vorhanden. Es befindet sich derzeit allerdings noch in euren Taschen.“ Geburtsheilkunde und Palliativmedizin berichten, dass der Mensch ganz am Anfang und ganz am Ende seines Lebens die Arme in einer gebenden Geste weit ausstreckt – als ob er nichts für sich wolle. Dazwischen hat er eine Existenz zu bewältigen, in der es ohne Besitz und „Cash“ nicht zu gehen scheint. Der Bischof von Eisenstadt erinnert daran, dass der Reichtumsbegriff des Evangeliums nicht am Haben orientiert ist.

 

In unserer globalisierten Welt kommt es täglich vor, dass Unternehmen expandieren und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in andere Städte und Länder schicken, um dort neue Märkte zu erschließen. Stellen Sie sich vor, Sie würden dort hingeschickt; was würde sich Ihr Chef von Ihnen erwarten? Wohl alles das, was der kaufmännischen Logik von Konzernen entspricht: sicheres Auftreten, Verhandlungsgeschick, Führungsqualitäten, Menschenkenntnis, Durchsetzungsvermögen, exzellente Verkaufsstrategien, ein Netzwerk einflussreicher Leute, erfolgsorientierte Öffentlichkeitsarbeit usw. Auf diese Fähigkeiten wird gesetzt, wenn man Erfolg haben will. Sie entsprechen der Logik und Taktik einer Welt, die auf das Haben, auf Geld und Gewinn ausgerichtet ist.

Doch es gibt und gab zu allen Zeiten Menschen, die auf ein anderes Pferd setzten. Der Philosoph Ludwig Wittgenstein schrieb den einleuchtenden Satz, dass Reichtum eine Frage der inneren Einstellung sei. Und die Cree-Indianer hinterließen uns die Prophezeiung: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Eine alte Weissagung, die auf unserer vom globalen Raubbau so existentiell bedrohten Erde heute zum möglichen Szenario für die Gattung Mensch geworden ist.

Auch das Evangelium zeigt uns eine ganz andere Taktik als die des vollen Geldbeutels – es zeigt uns die Taktik Jesu. Jesus rief die Zwölf zu sich und gab ihnen die Kraft und die Vollmacht, „Dämonen auszutreiben und Kranke gesund zu machen“. Jesus sendet seine Jünger zu zweit voraus in die Dörfer und Städte der Umgebung. Sie sollen die Menschen mit seiner Botschaft in Berührung bringen, das Reich Gottes verkünden und Kranke heilen. „Sagt allen Menschen deutlich, dass Gott sie ohne Vorbedingung liebt!“, ist die Grundaussage des Auftrags. „Aber sagt es nur, wenn ihr gleichzeitig durch euer konkretes Handeln und Helfen zeigt, dass es wahr ist!“ Jesu Auftrag ist also herausfordernd und ganz konkret zugleich:

Wenn Menschen sich freuen, dann freue dich mit!

Wenn Menschen Sorgen haben, dann stehe ihnen bei!

Wenn Menschen es schwer haben, dann teile mit ihnen die Last!

Wenn Menschen in Not sind und Hilfe brauchen, dann sei zur Stelle!

Wenn Menschen allein sind, dann bleibe bei ihnen!

Wenn Menschen traurig sind, dann lass sie nicht allein in ihrer Trauer, sondern tröste sie!

Wenn Menschen den Glauben, die Hoffnung und die Liebe verloren haben, dann hilf ihnen, Wege zu Gott zu finden, und bete für sie!

Das ist die Taktik, die seelische Dämonen austreibt und Frieden schafft, die Krankes heilt, die Menschen verbindet, die auf Liebe setzt. Es ist eine Taktik, die etwas kostet – nämlich Einsatzbereitschaft, Opfer und Verzicht – und die manchmal etwas Ungewolltes hervorruft – nämlich Unverständnis, Spott und Ablehnung. Die Frage des abgebrühten Zeitgenossen lautet dazu: Was bringt diese Taktik mir persönlich, was bekomme ich dafür?

Die Lebensschule Jesu ist zugleich der Weg wahren inneren Reichtums. Es ist der im Menschen angelegte Weg, der ihn seine Isolierung überwinden lässt, indem er sich auf sein menschliches Gegenüber bezieht. Die Bereitschaft zu teilen, zu geben, Opfer zu bringen, ist eine in uns allen vorhandene Anlage, die jedoch auf mannigfache Weise verschüttet sein kann. Auf diesen Lebensweg der Zuwendung sendet Jesus seine Jünger aus, wohlwissend, dass sein Auftrag nicht leicht ist. Jesus beschönigt nichts, er sagt deutlich, worauf sich die Jünger einstellen müssen, wenn sie sein Kommen vorbereiten. Anders als die Gesandten multinationaler Konzerne sollen sie keine Businesspläne, Titel und Statussymbole, keinen Besitz, kein Geld, keinen Vorrat mit sich führen. Das Gottvertrauen, das sie anderen predigen, sollen sie selbst leben, glaubwürdig und ohne doppelten Boden. Mit ihren leeren Händen sollen sie das, was sie selbst von Gott empfangen haben, an andere weitergeben, großzügig und vorbehaltlos. Sie sind schutz- und mittellos auf die Güte und Großzügigkeit der Menschen angewiesen. Neben dem Gottvertrauen gilt es also auch, den Mitmenschen Gutes zuzutrauen – eine Herausforderung, die Mut abverlangt, aber von der Gottesbeziehung nicht zu trennen ist, wie Papst Franziskus uns unmissverständlich ins Gedächtnis ruft.

Im biblischen Bericht von der Aussendung der Jünger ist von der ganzen Menschheit die Rede, von jedem einzelnen Christen. Getaufte, Gefirmte und Geweihte sind heute die Jünger und Gesandten Jesu. Wir sollen heute die Botschaft Jesu, dass Gott alle Menschen liebt und ihnen nahe sein will, weitersagen und so leben, dass etwas davon für andere erfahrbar wird. Auf uns, unseren Beistand und unseren Trost warten traurige, einsame, notleidende, schmerzgeplagte, zweifelnde und verzweifelte, innerlich zerrissene oder überforderte Menschen – meist nicht weit weg, sondern ganz in unserer Nähe: oft in der eigenen Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz. Diesen Auftrag können wir jedoch nicht als Fachleute oder als Besserwisser erfüllen. Es gibt keinen akademischen Titel, der den innerlich freien Menschen ausweisen könnte. Frei aber muss man sein, um den von Jesus gezeigten Weg selbst gehen zu können. Dieser inneren Freiheit geht immer eine echte Selbstbekehrung voraus. Eine tiefgreifende seelische Wandlung, die bei einem selbst die Fixiertheit auf das Haben aufbricht und erleben lässt, dass es mitunter die wertvollsten und schönsten Dinge im Leben sind, die nicht mit vollen Händen zu bewerkstelligen sind – ob wir beten, jemanden umarmen, einem anderen eine Freude machen oder helfen, oder ob wir einfach nur aus freiem Herzen ein Lied singen. Immer dann bewahrheitet es sich, dass Geben seliger ist denn Nehmen, weil es Ausdruck von Liebe und höchster Produktivität ist. Es ist eine Haltung, die, wenn sie echt ist, auf andere ansteckend wirkt und die den tiefgreifenden politischen, ökonomischen und ökologischen Wandel möglich machen wird, den die Erde und unsere Welt so dringend benötigen. Es ist die Haltung, die der wahren Natur des Menschen entspricht.

D wie DINNER CANCELLING

Oder: „Vergelt’s Gott, Hochwürden, vergelt’s Gott, aber ich muss schon speiben!“

Das Angebot an Diätbüchern in den Buchläden ist auch Ausdruck einer Gesellschaft, die materiell im Überfluss lebt und ihre Sinnsuche in Gesundheits-, Schlankheits- und Schönheitskulte verlegt hat. Auch kirchliche Kost wird auf die Diätlisten der säkularisierten Gesellschaft verbannt. Was tun, wenn zum christlichen Gastmahl zwar alle eingeladen sind, aber keiner zum Essen erscheint? Ägidius Zsifkovics erinnert seine Amtskollegen bei einer Vollversammlung der Österreichischen Bischofskonferenz in Brüssel daran, dass das Evangelium nie ein Mastprogramm war, sondern die Anleitung, Salz im Teig des Lebens zu sein. Es ist das Gastmahl im größten aller Säle, der nie voll ist und in den immer irgendjemand eingeladen werden möchte. Voraussetzung: Gastgeber, die nicht nur einladen, sondern selbst einladend wirken.

Die Situation, in welcher der christliche Glaube, die Kirche, ihre Priester, Bischöfe und alle, die im Verkündigungsdienst stehen, sich heute befinden, könnte wohl kaum prägnanter auf den Punkt gebracht werden als mit dem Gleichnis vom Festmahl, das wir im Lukas-Evangelium finden. Darin ist die Rede von jemandem, der zu einem großen Festmahl einlädt und seinen Diener ausschickt, um die Einladung persönlich zu überbringen. Doch keiner der Geladenen folgt der Einladung. Alle haben eine Entschuldigung. Alle bleiben zu Hause.

Hier an diesem Ort, nahe bei den Institutionen der EU und den politischen Schaltstellen des Vereinten Europa, bekommen wir ein kontinentales Gefühl für die Enttäuschung des erfolglosen Dieners im Evangelium. Die Kirche in Österreich und in ganz Europa lädt ein – und immer mehr Menschen, auch wichtige gesellschaftliche Entscheidungsträger, folgen der Einladung nicht! Ohne Pathos und Wehleidigkeit können wir es sagen: So sehr das Christentum eine der Wurzeln Europas ist, so sehr erleben wir als Kirche täglich, wie es im politischen und gesellschaftlichen Kontext Österreichs, aber auch im europäischen Projekt zunehmend zum Fremdkörper zu werden scheint. Wir erleben eine Marginalisierung christlicher Identität, ja sogar regelrechte kirchliche Rückzugsgefechte in ethischen Fragen – seien es die skandalösen Methoden der Fortpflanzungsmedizin, die verbrauchende Embryonenforschung oder die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe, die im christlichen Verständnis nun mal an Nachkommenschaft geknüpft ist und einen unveräußerlichen Wert als Keimzelle der Gesellschaft besitzt. Ja und es scheint sogar so, als ob nicht nur anderweitige Verpflichtungen die Geladenen abhalten würden, sondern ein kategorisches Unverständnis für das Festmahl an sich vorliege. Mehr und mehr wird den Christen in der europäischen Gesellschaft signalisiert: Eure Werte sind nicht unsere Werte!

Diese Situation erinnert mich ein wenig an den burgenländischen Mesner vom Land, dem sein Pfarrer eine echte Freude machen wollte und ihn zu einem Festschmaus in den Pfarrhof einlud. Der Pfarrer hat dem guten Mann immer wieder nachgelegt, eine Scheibe Schweinsbraten mit Krautsalat hier, eine Blunze dort, zuletzt noch die burgenländische Mehlspeis, bis sich der Mesner, der aus Gehorsam schon weit über den Hunger hinaus gegessen hatte, schließlich nicht mehr erwehren konnte und zum Pfarrer im Tonfall größter Ehrerbietung sagte: „Vergelt’s Gott, Hochwürden, vergelt’s Gott, aber ich muss schon speiben.“

Auch die Kirche will den Menschen zur Freude führen, jener Freude, die vor 2000 Jahren den Hirten auf den Feldern von Bethlehem verkündet wurde. Doch wir verkaufen kein Fast Food, sondern bieten den Menschen gewichtige Antworten auf existentielle Fragen an. Haben wir sie dabei überfordert? Sind wir mit unserem Speiseplan zu aufdringlich gewesen? Haben wir die anspruchsvolle Speise so schlecht zubereitet, dass die Menschen die hochwertige geistliche Nahrung des Evangeliums gar nicht in sich aufnehmen können? Haben wir als Institution wirklich so viel Wein getrunken, wie man uns gerne vorwirft, während wir den Menschen das Wasser gepredigt haben?

Vieles davon mag zutreffen. Und doch ist es nicht die volle Erklärung für die Ablehnung und die Gleichgültigkeit, die dem Christentum heute widerfährt. Waren nicht schon Jesus, seine Jünger, Petrus und Paulus und die ersten Gemeinden von all dem betroffen? Dass das Christentum später als Staatsreligion den Ehebund mit der weltlichen Macht eingegangen ist, die Christus zu ihrem Logo machte, hat den „Skandal“ des Christentums nur über Jahrhunderte hinweg zugedeckt. Das eigentliche Ärgernis des Christentums mit seinem „Wider die Welt!“ ist damals wie heute unverändert gegeben.

Wir kennen aber die Antwort des Hausherrn im Evangelium, die auf die Absage der Geladenen folgt: „Geh hinaus und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein!“ Der Herr selbst lehrt uns hier die Methode der Neuevangelisierung: Jesus schickt uns immer wieder aus, um zu seinem himmlischen Gastmahl einzuladen. Egal, wie ernüchternd die Absagen auch sein mögen. Die Säkularisierung verlangt von der Kirche, die eigene Präsenz in der Gesellschaft neu zu überdenken – und zu erkennen, dass die vielen und ständig neuen Formen der Armut der tätigen Nächstenliebe unbekannte Räume eröffnen! Die Authentizität der Neuevangelisierung trägt das Antlitz der Armen – auch und gerade in Europa! Darin liegt die Chance einer Entflechtung von alten gesellschaftlichen Mustern hin zum Ureigensten des Christentums: zum Evangelium!

„Es ist aber noch Raum da!“, sagt der Diener, nachdem er bereits die Armen und Kranken in den Festsaal geholt hat. Dieser sich festen Abmessungen entziehende Raum ist die Kirche selbst. Die Kirche ist, wie die Weltbischofssynode von 2012 festgehalten hat, „der Raum, den Christus in der Geschichte anbietet, um ihm begegnen zu können.“ Ihr hat er sein Wort und seine Sakramente anvertraut. In diesem Raum ist in besonderem Maße Platz auch für die, die draußen stehen, an den „Zäunen“, die Fernen, die wir wieder vermehrt zum Mahl rufen müssen – auch und gerade in Europa! Dabei soll uns bewusst sein, dass sich unser persönlicher Glaube als Christen und als Bischöfe ganz in der Beziehung entscheidet, die wir selbst mit der Person Christi aufbauen, der uns selbst als seinen Dienern als erster entgegengeht: Neuevangelisierung beginnt bei uns selber und bei der eigenen Bekehrung. Aus dieser eigenen Bekehrung heraus werden wir glaubhafte Gastgeber sein, denen die Menschen folgen und vertrauen können.

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