Schuldrecht Allgemeiner Teil II

Text
From the series: JURIQ Erfolgstraining
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

Anmerkungen

[1]

Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB.

[2]

Looschelders Schuldrecht-AT 1 Rn. 11.

[3]

Palandt-Grüneberg § 241 Rn. 5.

[4]

Eine andere Frage ist, ob die Abnahme im Gegenseitigkeitsverhältnis i.S.d. §§ 320 f. steht, vgl. Palandt-Weidenkaff § 433 Rn. 43, 44.

[5]

Palandt-Weidenkaff § 433 Rn. 32.

[6]

Siehe im Skript „Schuldrecht AT I“ Rn. 150 ff.

[7]

Siehe im Skript „Schuldrecht BT III“ Rn. 3.

[8]

Lorenz NJW 2007, 1, 2 unter Ziff. II 1.

[9]

BGH Urteil vom 5. April 2006 (Az. VIII ZR 283/05) unter Ziff. II 1 = NJW 2006, 2262 f.

[10]

Vgl. BGH Urteil vom 31. Oktober 2006 (Az. VI ZR 223/05) unter Tz. 11: „Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre unrealistisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr deshalb erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können.“ = NJW 2007, 762.

[11]

So die einprägsame Empfehlung von Madaus JURA 2004, 289 ff. unter Ziff. III 3 und IV (sehr lesenswert! – mit krit. Würdigung aller „auf dem Markt gehandelten“ sonstigen Ansätze).

1. Teil Einführung › B. Arten der Pflichtverletzung

B. Arten der Pflichtverletzung

6


[Bild vergrößern]

Der Begriff der „Pflichtverletzung“ wird in § 280 Abs. 1 genannt und löst im Rahmen eines Schuldverhältnisses nach dieser Vorschrift eine Schadensersatzhaftung aus, es sei denn, dass der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Nach dem zuvor Gesagten kommen dabei einerseits Verletzungen der Leistungspflichten und andererseits Verletzungen der Rücksichtspflichten in Betracht.

1. Teil Einführung › B. Arten der Pflichtverletzung › I. Verletzung von Leistungspflichten

I. Verletzung von Leistungspflichten

7

Im Hinblick auf die Verletzung von Leistungspflichten hat sich eine objektive und erfolgsbezogene Betrachtung durchgesetzt. Das bedeutet, dass unter einer Leistungspflichtverletzung jedes objektive Abweichen der realen Lage vom ursprünglich festgelegten Pflichtenprogramm eines Schuldverhältnisses zu verstehen ist. Das Pflichten- oder „Sollprogramm“ ergibt sich beim vertraglichen Schuldverhältnis aus den Vereinbarungen, dispositiven Normen und ggfs. erläuternder oder ergänzender Vertragsauslegung, sowie aus § 242. Beim gesetzlichen Schuldverhältnis folgt das Pflichtenprogramm aus den jeweiligen Tatbeständen.[1] „Objektiv“ und „erfolgsbezogen“ ist diese Betrachtung deshalb, weil es auf Hindernisse in der Sphäre des Schuldners und Fragen des Verschuldens in diesem Zusammenhang nicht ankommt. Auch wenn der Begriff der Pflichtverletzung sprachlich eine gedankliche Nähe zu schuldhaftem Verhalten herstellt, ist dies damit nicht gemeint. Das „Wieso“ und „Warum“ einer Pflichtverletzung ist für die Frage einer Pflichtverletzung ohne jede Bedeutung, sondern eine Frage des Vertretenmüssens.[2]

Beispiel

K erwirbt vom Händler V ein Fernsehgerät. Das Gerät funktioniert nicht. Ohne V zunächst aufzufordern, die Reparatur durchzuführen, lässt K das Gerät vom Nachbarn N, einem Fernsehtechniker, reparieren, der K dafür 50 € in Rechnung stellt. K möchte von V das Geld erstattet haben.

Hier könnte dem K ein Ersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 437 Nr. 3 (bitte lesen) zustehen. V war dem K nach §§ 437 Nr. 1, 439 zur Reparatur verpflichtet. Dadurch, dass das Gerät auf Verlangen des K bereits von N repariert wurde, ist dem V die Erfüllung seiner Pflicht unmöglich geworden, so dass er nach § 275 Abs. 1 von seiner Leistungspflicht befreit wurde.[3] Die Unmöglichkeit wurde zwar nicht von V verursacht, sondern durch K selbst; dennoch liegt nach der objektiven Betrachtungsweise eine „Pflichtverletzung“ des V vor. Der Grund für die bei V eingetretene Unmöglichkeit ist für die Frage der Pflichtverletzung unerheblich. Allerdings scheitert der Anspruch des K auf Schadensersatz daran, dass V die Unmöglichkeit nicht i.S.v. § 276 zu vertreten hat.

Die Frage des Vertretenmüssens stellt sich also bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „Pflichtverletzung“ nicht. Das Vertretenmüssen ist allerdings bei verschiedenen Anspruchsgrundlagen, insbesondere beim Schadensersatzanspruch aus § 280, als weitere Tatbestandsvoraussetzung zu prüfen (§ 280 Abs. 1 S. 2).

8

Bei der näheren Bestimmung der einzelnen Pflichtverletzungskategorien helfen uns die Vorschriften über Leistungsstörungen. Sie können daher zur näheren Konkretisierung der verschiedenen Pflichtverletzungsarten herangezogen werden.[4]

1. Leistungsverzögerung

9

Eine erste Kategorie der Leistungspflichtverletzung können wir § 281 Abs. 1 S. 1 Var. 1 entnehmen. Dort beschreibt das Gesetz die Situation, dass der Schuldner „die fällige Leistung nicht erbringt“. Eine entsprechende Formulierung findet sich in § 323 Abs. 1. § 280 Abs. 2 und gibt dieser Pflichtverletzungskategorie einen besonderen Namen: „Verzögerung“ der (fälligen) Leistung. Das Auseinanderfallen des realen Leistungsstandes vom Sollprogramm liegt hier auf der Hand: Der Schuldner leistet nicht, obwohl er leisten muss.


[Bild vergrößern]

2. Schlechtleistung

10

In § 281 Abs. 1 S. 1 Var. 2 beschreibt das Gesetz die Situation, dass der Schuldner die fällige Leistung „nicht wie geschuldet“ erbringt. Eine ähnliche Formulierung findet sich in § 323 Abs. 1, wo es heißt, dass der Schuldner die fällige Leistung „nicht vertragsgemäß“ erbringt.


[Bild vergrößern]

Hinweis

Die Tatsache, dass § 323 von einer „nicht vertragsgemäßen“ statt „nicht wie geschuldet erbrachten“ Leistung spricht, erklärt sich daraus, dass die §§ 280 ff. grundsätzlich auf jedes Schuldverhältnis anzuwenden sind, § 323 aber nur auf gegenseitige Verträge Anwendung findet (vgl. die Titelüberschrift vor § 320). Dies soll im Tatbestand zum Ausdruck kommen, weshalb der Gesetzgeber eine entsprechend abweichende Formulierung gewählt hat. Die „nicht vertragsgemäß“ erbrachte Leistung ist also eine „nicht wie geschuldet“ erbrachte Leistung.

 

3. Nichtleistung wegen Leistungsbefreiung nach § 275

11

Aus § 275 Abs. 4 folgt zwingend, dass die Nichtleistung wegen Ausschlusses der Leistungspflicht nach § 275 Abs. 1 bis 3 eine Pflichtverletzung darstellt. Denn § 275 Abs. 4 verweist wegen der Rechtsfolgen auf die Vorschriften der §§ 280 ff. Dann muss also die Leistungsbefreiung ihrerseits eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 darstellen.[5]

Es kommt Ihnen möglicherweise eigenartig vor, dass der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis 3 nicht zu leisten braucht und dass das Gesetz die damit logischerweise verbundene Nichtleistung trotzdem als Pflichtverletzung ansieht. Wie kann man eine Pflicht verletzen, die es wegen des Ausschlusses nach § 275 Abs. 1–3 nicht mehr gibt? Jedoch ist diese Merkwürdigkeit die klare Rechtsfolge des § 275 Abs. 4. Bei näherem Hinsehen löst sich die vermeintliche Ungereimtheit auch auf: Das Ergebnis entspricht dem objektiven und erfolgsbezogenen Begriff der Pflichtverletzung. Denn im Falle der Leistungsbefreiung nach § 275 entspricht der reale Leistungsstand nicht mehr dem ursprünglichen Sollprogramm.

Beispiel

V verkauft dem K einen gebrauchten, von K ausgesuchten Pkw. Vor Übergabe wird der Pkw zerstört. Da V von Anfang lediglich den von K ausgesuchten Pkw zu übereignen und zu übergeben hatte, ist mit der Zerstörung des Pkw diese Leistung gem. § 275 Abs. 1 unmöglich geworden. V ist daher nicht mehr zur Leistung verpflichtet. Die bei Vertragsschluss zunächst vereinbarte Leistungspflicht des V gem. § 433 Abs. 1 besteht nun real wegen § 275 Abs. 1 nicht mehr. Vertragliches Sollprogramm und realer Leistungsstand fallen daher auseinander. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei der Leistungsbefreiung von einer Pflichtverletzung zu sprechen.


[Bild vergrößern]

12

Im Ergebnis kennen wir damit drei verschiedene Leistungspflichtverletzungen, nämlich die nicht rechtzeitige Leistung („Leistungsverzögerung“), die nicht wie geschuldet erbrachte Leistung („Schlechtleistung“) und die Nichtleistung wegen Leistungsbefreiung nach § 275.[6]

1. Teil Einführung › B. Arten der Pflichtverletzung › II. Verletzung von Rücksichtspflichten

II. Verletzung von Rücksichtspflichten

13

Auch die Verletzung einer Rücksichtspflicht nach § 241 Abs. 2 stellt eine Pflichtverletzung i.S.d. § 280 dar. Dies folgt zwingend aus den §§ 282, 324, die für diesen Fall ergänzende Voraussetzungen für die Geltendmachung von Schadensersatz statt der Leistung bzw. die Ausübung eines Rücktritts vom gegenseitigen Vertrag vorsehen. Da bei den Rücksichtspflichten nur ein Verhalten und kein darüber hinausgehender Erfolg geschuldet ist, liegt eine Pflichtverletzung dann vor, wenn der Schuldner sich nicht in der den Umständen nach erforderlichen Art und Weise verhalten hat.[7]

Beispiel

Maler M hat sich verpflichtet, die Wohnung des A zu streichen. Da er es nicht lassen kann, raucht er bei der Arbeit eine Zigarette nach der anderen. Durch herabfallende Asche wird der Teppichboden des A beschädigt, da M keinen Aschenbecher benutzt (= Rücksichtspflichtverletzung).

Wäre der Anstrich objektiv mangelhaft, läge insoweit eine Leistungspflichtverletzung in Form der Schlechtleistung vor, ohne dass es auf den Grund ankäme. Die Ursache ist dann eine Frage des Vertretenmüssens.


[Bild vergrößern]


[Bild vergrößern]

Anmerkungen

[1]

Palandt-Grüneberg § 280 Rn. 12; Lorenz „Schuldrechtsreform 2002: Problemschwerpunkte drei Jahre danach“; NJW 2005, 1889, 1890 unter Ziffer IV 1 (sehr lesenswert!).

[2]

Looschelders Schuldrecht AT § 24 Rn. 484; Lorenz NJW 2005, 1889, 1890 unter Ziff. IV 1.

[3]

Man spricht in diesem Fall von „Unmöglichkeit durch Zweckerreichung“, Looschelders Schuldrecht-AT § 23 Rn. 458.

[4]

Looschelders Schuldrecht AT § 24 Rn. 485.

[5]

Lorenz NJW 2005, 1889, 1890 unter Ziff. IV 1.

[6]

Lorenz NJW 2005, 1889, 1890 unter Ziff. IV 1.

[7]

Lorenz NJW 2007, 1 unter Ziff. II 1 und ders. in NJW 2005, 1889, 1890 unter Ziff. IV 1 (beide Aufsätze sehr lesenswert!).

1. Teil Einführung › C. Aufgaben der Regelungen über Leistungsstörungen

C. Aufgaben der Regelungen über Leistungsstörungen

14

In allen Fällen der Pflichtverletzung muss das Gesetz entscheiden, wie es die verschiedenen Interessen der betroffenen Personen ausgleicht.

Durch die Pflichtverletzung können dem Gläubiger Schäden entstanden oder Aufwendungen sinnlos geworden sein.

15

Es muss also geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger Schadensersatz und Ersatz für vergebliche Aufwendungen verlangen kann.

16

Bei gegenseitigen Verträgen stellt sich die zusätzliche Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger verpflichtet ist, die seinerseits geschuldete Gegenleistung zu erbringen. Wenn die Leistung des Schuldners nicht ordnungsgemäß erbracht wurde, hat der Gläubiger regelmäßig ein Interesse, seine Gegenleistung zurückzuhalten. Hat er bereits vorgeleistet, möchte er möglicherweise seine Gegenleistung wieder zurückbekommen.

Weiter kann es sein, dass der Gläubiger beim gegenseitigen Vertrag gar kein Interesse mehr hat, es weiter mit seinem Vertragspartner „zu tun zu haben“. Es muss daher auch geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger sich vom Vertrag wieder lösen kann, um das Geschäft mit einem anderen Vertragspartner durchzuführen.

17

Wir werden diese Fragen nun der Reihe nach anhand der verschiedenen Pflichtverletzungen durchgehen. Wir beginnen mit der Leistungsverzögerung und besprechen anschließend die Besonderheiten bei der Nichtleistung wegen Leistungsbefreiung nach § 275. Den Abschluss bildet die Rücksichtspflichtverletzung nach § 241 Abs. 2 im Schuldverhältnis sowie in der besonderen Situation des vorvertraglichen Schuldverhältnisses.

Die Schlechtleistung ist hingegen kein gesonderter Gegenstand dieses Skripts. Sie soll im Zusammenhang mit dem Gewährleistungssystem der besonderen Schuldverhältnisse erörtert werden. Die Struktur und Probleme der Schlechtleistungsregeln des Allgemeinen Schuldrechts erschließt sich allerdings bereits durch die Beschäftigung mit den anderen Pflichtverletzungen, insbesondere den Verzögerungstatbeständen. Darauf können wir dann im Besonderen Schuldrecht aufbauen.

18

Wie wir gesehen haben, müssen wir streng zwischen dem Tatbestand der Pflichtverletzung und der Frage des Vertretenmüssens unterscheiden. Da das Vertretenmüssen als Tatbestandsmerkmal bei sämtlichen Schadensersatzansprüchen der §§ 280 ff. zu berücksichtigen ist, sollen die Grundzüge des Vertretenmüssens vorweg, sozusagen „vor die Klammer gezogen“ erörtert werden. Wir können uns dann bei den einzelnen Tatbeständen diesbezüglich kürzer fassen und ergänzend auf diesen Abschnitt verweisen.

2. Teil Vertretenmüssen

Inhaltsverzeichnis

A. Unterscheidung zwischen Vertretenmüssen und Verschulden

B. Vertretenmüssen ohne Verschulden

C. Vertretenmüssen wegen Verschuldens des Schuldners

D. Vertretenmüssen wegen Verschuldens Dritter (§ 278)

E. Erleichterungen im Haftungsmaßstab

19

Vertretenmüssen

I.Vertretenmüssen ohne Verschuldenserfordernis, weil:

1.Gesetzliche Anordnung, insbesondere § 287 S. 2

2.Pflichtverletzung wegen Geldmangels

3.Vertragliche Vereinbarung

Vereinbarung durch AGBRn. 30 f.

4.Verletzung einer übernommenen Garantie

Abgrenzung zur reinen BeschaffenheitsvereinbarungRn. 33 f.

5.Verwirklichung eines übernommenen Beschaffungsrisikos

Reichweite der übernommenen RisikenRn. 35 f.

II.Vertretenmüssen wegen Verschuldens des Schuldners/seiner Repräsentanten i.S.d. § 31

1.Vorsatz

2.Fahrlässigkeit

RechtsirrtumRn. 43

Korrekturen bei bestimmten PersonengruppenRn. 44 f.

3.Verschuldensfähigkeit

III.Vertretenmüssen wegen Verschuldens Dritter nach § 278

 

1.Bestehendes Schuldverhältnis

2.Verschulden des Dritten

Bestimmung des VerschuldensmaßstabesRn. 52 ff.

3.Verschulden bei Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe

Reichweite der SchuldnerpflichtenRn. 59 ff.

Handeln bei Gelegenheit der ErfüllungRn. 62 ff.

4.Verschulden bei Tätigkeit als gesetzlicher Vertreter

IV.Haftungsbeschränkungen

1.Gesetzliche Haftungsbeschränkungen

2.Vertragliche Haftungsbeschränkungen

Haftungsbeschränkung durch AGBRn. 79

Rechtsfolgen bei unzulässiger VereinbarungRn. 80 ff.

2. Teil Vertretenmüssen › A. Unterscheidung zwischen Vertretenmüssen und Verschulden

A. Unterscheidung zwischen Vertretenmüssen und Verschulden

20


[Bild vergrößern]

21

Wenn der Schuldner eine Pflichtverletzung zu verantworten hat, spricht das Gesetz vom „Vertretenmüssen“ (vgl. §§ 276 Abs. 1, 280 Abs. 1 S. 2).

Was der Schuldner zu verantworten bzw. zu vertreten hat, bestimmen allgemein die §§ 276–278. Diese Vorschriften sind als Hilfsnormen[1] immer dann heranzuziehen, wenn das Gesetz in verschiedenen Tatbeständen vom Vertretenmüssen des Schuldners spricht.

Beispiele

§§ 275 Abs. 2 S. 2, 280 Abs. 1 S. 2, 286 Abs. 4, 536a Abs. 1 Var. 2, 538

22

„Vertretenmüssen“ und „Verschulden“ sind inhaltlich voneinander zu unterscheiden.

Das Verschulden ist nach § 276 Abs. 1 der Oberbegriff für die Schuldformen „Vorsatz“ und „Fahrlässigkeit“, die ihrerseits Verschuldensfähigkeit voraussetzen, wie sich aus § 276 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 827, 828 ergibt.[2]

23

Aus § 276 Abs. 1 folgt, dass der Schuldner grundsätzlich nur (sein eigenes) Verschulden zu vertreten hat. Er ist grundsätzlich also nur für die Folgen eines schuldhaften Verhaltens verantwortlich und nur dann verpflichtet, für die Folgen in besonderer Weise einzustehen (sog. „Verschuldensprinzip“). Die besondere Einstandspflicht kann entweder darin bestehen, dass der Schuldner auch unter erschwerten Bedingungen leisten muss (vgl. § 275 Abs. 2 S. 2), zum Ersatz allen sich aus seinem Verhalten ergebenden Schadens verpflichtet ist (etwa aus § 280 Abs. 1 S. 2) oder sonstige Ersatzleistungen zu erbringen hat, z.B. Zinsen nach §§ 288, 286 (§ 286 Abs. 4!).

24

Wie sich aus § 276 Abs. 1 S. 1 ergibt, kann aber auch eine „strengere“ oder „mildere“ Haftung bestimmt sein. Es gibt also einerseits Fälle, in denen der Schuldner etwas „zu vertreten hat“, obwohl ihn kein eigenes Verschulden trifft. Andererseits kann es vorkommen, dass ein Vertretenmüssen trotz Verschuldens ausgeschlossen ist. Die Begriffe „Vertretenmüssen“ und „Verschulden“ decken sich inhaltlich also nicht vollständig, sondern bilden (lediglich) eine Schnittmenge (siehe im Schaubild oben).

25

Das „Vertretenmüssen“ bezieht sich stets auf die objektive Pflichtwidrigkeit, die nach einer bestimmten Norm eine besondere Einstandspflicht auslöst.[3] Auf den Schaden muss sich das Vertretenmüssen hingegen nicht beziehen.[4]

Beispiel

Das Vertretenmüssen bezieht sich


bei § 280 Abs. 1 auf die Pflichtverletzung im Rahmen eines bestehenden Schuldverhältnisses;
bei § 286 Abs. 4 auf den eingetretenen Verzug mit der Erfüllung einer Leistungspflicht (bedeutsam für eine Haftung z.B. nach §§ 280 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2, 288 Abs. 1, 536a Abs. 1 Var. 3, 536a Abs. 2 Nr. 1);
bei § 536a Abs. 1 Var. 2 auf einen nachträglich entstandenen Mangel des Mietobjekts.

Betrachten wir nun die verschiedenen Formen des Vertretenmüssens.

Anmerkungen

[1]

Zur Funktion der „Hilfsnormen“ vgl. Skript „BGB AT I“ unter Rn. 35.

[2]

Palandt-Grüneberg § 276 Rn. 5 f.

[3]

Palandt-Grüneberg § 276 Rn. 8.

[4]

Ausnahmen macht die Rechtsprechung aus Billigkeitsgründen u.a. im Arbeitsrecht bei Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, vgl. BAG 101, 107 ff. = NJW 2003, 377 ff.

2. Teil Vertretenmüssen › B. Vertretenmüssen ohne Verschulden

B. Vertretenmüssen ohne Verschulden

26

In bestimmten Fällen hat der Schuldner eine Pflichtwidrigkeit auch dann zu vertreten, wenn kein Verschulden vorliegt. Dies folgt bereits aus § 276 Abs. 1 S. 1, wonach eine „strengere“ (= verschuldensunabhängige) Haftung „bestimmt“ ist oder sich aus dem „sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses“ ergeben kann. Die „Bestimmung“ einer strengeren Haftung kann sich entweder aus dem Gesetz oder aus einer vertraglichen Vereinbarung ergeben. Es kommen folglich drei Gründe für eine verschuldensunabhängige Einstandspflicht des Schuldners in Betracht: eine gesetzliche Bestimmung, eine vertragliche Bestimmung oder der sonstige Inhalt des Schuldverhältnisses. Wir gehen die einzelnen Gründe in dieser Reihenfolge durch.

2. Teil Vertretenmüssen › B. Vertretenmüssen ohne Verschulden › I. Gesetzliche Bestimmung