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Zwei Schicksalswege

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Zwei Schicksalswege (EPUB)
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Zwei Schicksalswege
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Einleitung
Der Gast schreibt und erzählt die Geschichte der Mittagsgesellschaft

Seit meine Frau und ich die Vereinigten Staaten verließen, um England einen Besuch abzustatten, sind viele Jahre verflossen.

Wir waren natürlich mit vielen Empfehlungsbriefen versehen. Der eine davon war von dem Bruder meiner Frau geschrieben. Er sollte uns bei einem englischen Gentleman einführen, der unter seinen alten geschätzten Freunden hohes Ansehen genoss.

»Ihr werdet Mr. George Germaine in einer sehr interessanten Lebensepoche kennenlernen«, sagte mein Schwager, als wir uns von ihm verabschiedeten. »Die letzten Nachrichten, die ich von ihm erhielt, verkünden mir, dass er sich eben verheiratet hat. Ich weiß nichts von der Dame oder den Umständen, unter denen mein Freund ihr zuerst begegnet ist, aber davon bin ich überzeugt, ob Junggesell oder Ehemann, George Germaine wird euch um meinetwillen in England herzlich willkommen heißen.«

Am Tage unserer Ankunft in London gaben wir unseren Empfehlungsbrief in Mr. Germaines Hause ab.

Am nächsten Morgen gingen wir aus, um – den Tower von London – einen Lieblingsgegenstand des amerikanischen Interesses, zu besichtigen. Die Bürger der Vereinigten Staaten finden die Reliquien aus der guten, alten Zeit von großem Nutzen, um dadurch die Achtung der Nation vor den republikanischen Institutionen zu heben. Bei unserer Rückkehr ins Hotel sagten uns die Karten von Mr. und Mrs. Germaine, dass sie unseren Besuch bereits erwidert hatten. An demselben Abende erhielten wir eine Einladung, mit dem neuvermählten Paare zu speisen. Sie war in einem Billet von Mrs. Germaine an meine Frau enthalten, in dem sie uns mitteilte, dass wir keine große Gesellschaft erwarten sollten. »Es ist das erste Diner, das wir nach der Rückkehr von unserer Hochzeitsreise geben«, schrieb die Dame; »wir werden Sie nur mit einigen von meines Mannes alten Freunden bekanntmachen.«

In Amerika und, wie ich höre, auch auf dem Kontinent von Europa, erweist man dem Wirte die Höflichkeit, zu der in der Einladung bezeichneten Stunde pünktlich beim Diner zu erscheinen. Nur in England herrscht die unbegreifliche und unhöfliche Sitte vor, den Wirt und das Diner eine halbe Stunde länger warten zu lassen, ohne triftigen Grund, und ohne bessere Entschuldigung, als die hohle Redensart, die die Worte enthalten »bedaure mich verspätet zu haben.«

Wir hatten allen Grund uns zu beglückwünschen, dass wir durch unsere Unwissenheit so pünktlich zur bezeichneten Stunde in Mr. und Mrs. Germaines Hause anlangten; wir waren wirklich eine halbe Stunde vor den andern Gästen dort.

Die Art und Weise, wie sie uns begrüßten, war so herzlich und so frei von aller Förmlichkeit, dass wir uns wirklich in unsere Heimat zurückversetzt glaubten, und gewannen die Eheleute im ersten Augenblick, als wir sie sahen, unser Interesse. Die Dame bezauberte uns fast. In ihrem Gesicht und Wesen lag ein ungekünstelter Reiz, in allen ihren Bewegungen eine so anmutige Einfachheit, dazu ihre liebliche melodiöse Stimme, – kurz sie erschien uns Amerikanern ganz unwiderstehlich. Dass hier einmal ein glücklicher Ehebund geschlossen worden war, sah man klar und konnte sich dessen freuen! Dieses waren zwei Menschen, die in ihren innigsten Wünschen und Hoffnungen sympathisierten – denen man es ansah, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, dass sie füreinander geschaffen waren. Im Verlauf der halben Stunde, die uns um des guten Tons willen, mit unseren Wirten allein gegönnt war, hatte unsere Unterhaltung sich so gemütlich und vertraulich gestaltet, als wenn wir, alle vier, alte Freunde waren.

Als es acht Uhr schlug erschienen die ersten englischen Gäste. Da ich den Namen des Herrn vergessen habe, möge man mir gestatten, ihn durch einen Buchstaben des Alphabets zu bezeichnen. Ich werde ihn Mr. A. nennen. Als er ins Zimmer trat, sahen beide, mein Wirt und meine Wirtin, erschrocken und erstaunt aus. Sie erwarteten ihn sichtlich in Begleitung einer andern Person. Mr. Germaine empfing ihn mit der eigentümlichen Frage.

»Wo ist Ihre Frau?«

Mr. A. beantwortete diese Frage mit folgenden Worten der Entschuldigung:

»Sie hat heftiges Kopfweh. Sie bedauert unendlich, und hat mich beauftragt sie zu entschuldigen.«

Er hatte nur eben Zeit seinen Auftrag auszurichten, als ein anderer einzelner Herr erschien. Um an den Buchstaben des Alphabets festzuhalten, werde ich ihn Mr. B. nennen. Wiederum sah ich, dass meine Wirte erschraken, als sie ihn allein ins Zimmer treten sahen und zu meinem größten Erstaunen hörte ich Mr. Germaine an seinen neuen Gast wiederum die seltsame Frage richten:

»Wo ist Ihre Frau?«

Die Antwort war – mit einer kleinen Abweichung – Mr. A.s höfliche Entschuldigung, die Mr. B. wiederholte.

»Ich bedaure unendlich. Mrs. B. ist von heftigen Kopfschmerzen geplagt. Sie leidet oft daran und hat mich beauftragt sie zu entschuldigen.«

Mr. und Mrs. Germaine sahen einander an. Des Gatten Gesichtsausdruck verriet deutlich den Argwohn, den diese zweite Entschuldigung in ihm wachgerufen hatte. Die Frau war fest und ruhig. Es entstand eine längere Pause. Mr. A. und Mr. B. zogen sich schuldbewusst in eine Ecke zurück. Meine Frau und ich betrachteten die Bilder.

Mrs. Germaine erlöste uns endlich von der peinlichen Stille. Wie es schien, fehlten noch zwei Gäste, um die Gesellschaft vollzählig zu machen.

»Wollen wir gleich zu Tische gehen, George?« fragte sie ihren Gatten, »oder wollen wir auf Mr. und Mrs. C. Warten?«

»Wir wollen noch fünf Minuten warten«, antwortete er kurz – die Augen auf Mr. A. und Mr. B. gerichtet, die immer noch schuldbewusst in ihrer Ecke standen.

Die Tür des Empfangszimmers wurde geöffnet. Wir alle wussten, dass eine dritte Dame mit ihrem Gemahl erwartet wurde; und sahen alle in unsagbarer Erwartung nach der Tür. Unausgesprochen ruhten alle unsere Hoffnungen auf Mrs. C. Wird diese bewundernswürdige, wenn auch unbekannte Frau uns durch ihr Erscheinen zugleich entzücken und beruhigen? Mich durchschauert es noch, als ich dieses niederschreibe. Mr. C. betrat das Zimmer und – betrat es allein.

Mr. Germaine änderte seine bisherige Frage, indem er den Gast mit den Worten empfing:

»Ist Ihre Frau krank?«

Mr. C. War ein ältlicher Herr; er hatte dem Anscheine nach noch in der Zeit gelebt, wo die altmodischen Gesetze der Höflichkeit in voller Kraft waren. Als er seine beiden verheirateten Freunde in ihrer Ecke, unbegleitet von ihren Frauen entdeckte, entschuldigte er das Ausbleiben der seinen mit dem Ausdruck wirklicher Beschämung darüber. Mrs. C. bedauert so von Herzen. Sie hat sich sehr heftig erkältet. Es tut ihr so innig leid mich nicht begleiten zu können. Bei dieser dritten Entschuldigungsrede machte sich Mr. Germaines verhaltener Grimm in Worten Luft.

»Zwei arge Erkältungen und ein heftiges Kopfweh«, sagte er mit ironischer Höflichkeit. »Ich weiß nicht, meine Herren, wie sehr Ihre Gemahlinnen übereinstimmen, wenn sie gesund sind. In ihrem leidenden Zustande ist ihre Einigkeit bewunderungswürdig!«

Während dieser scharfen Worte wurde gemeldet, dass das Mahl serviert war.

Ich hatte die Ehre, Mrs. Germaine zu Tische zu führen. Die Erregung, die sie über die Beleidigung fühlte, welche ihr von den Frauen der Freunde ihres Mannes widerfahren war, äußerte sich nur in einem leisen, ganz leisen Zittern der Hand, welche sie auf meinen Arm legte. Mein Interesse für sich wuchs um das Zehnfache. Nur eine Frau, die gewohnt war zu leiden, die durch die Schule der Selbstbeherrschung schon gebeugt war, konnte das moralische Märtyrertum, das ihr auferlegt war, so tragen, wie diese Frau es vom Anfang bis zum Ende jenes Abends ertrug.

Übertreibe ich, wenn ich von meiner Wirtin in diesen Ausdrücken schreibe? Man betrachte nur die Umstände, wie sie meiner Frau und mir erscheinen mussten.

Diese war die erste Gesellschaft, die Mr. und Mrs. Germaine nach ihrer Verheiratung gaben. Es waren drei von Mr. Germaines Freunden mit ihren Frauen eingeladen, um Mrs. Germaine kennenzulernen und hatten die Einladung augenscheinlich ohne Rückhalt angenommen. Was für Entdeckungen, zwischen dem Empfange der Einladung und der Gesellschaft selbe, gemacht sein konnten, war unmöglich zu sagen. Eines nur war klar ersichtlich, dass die drei Frauen in der Zwischenzeit übereingekommen waren, sich an Mrs. Germaines Tafel durch ihre Männer vertreten zu lassen; und was noch staunenerregender war, die Männer waren auf die grobe Unhöflichkeit ihrer Frauen so weit eingegangen, dass sie sich herbeiließen, die verbrauchtesten und darum so beleidigenderen Entschuldigungen zu machen. Konnte eine Frau, im Angesichte ihres Mannes, in Gegenwart zweier Fremden aus fernem Lande, bei ihrem ersten Schritt in die Welt grausamer befleckt werden? Ist »Märtyrertum« ein zu inhaltsschweres Wort, um zu bezeichnen, was eine gefühlvolle Frau bei solcher Behandlung gelitten haben muss? Ich glaube kaum.

Wir setzten uns zu Tische. Ich bin außer Stande, diese unbehaglichste aller Zusammenkünfte, dieses ermüdendste und trübseligste aller Feste zu schildern! Es ist wahrhaftig schon schwer genug, dieses Abends überhaupt zu gedenken.

Meine Frau und ich bemühten uns nach Kräften, die Unterhaltung so harmlos und fließend als möglich zu erhalten. Es war ein schweres Stück Arbeit und dennoch war unser Erfolg sehr gering. Wie sehr wir uns auch bemühten, die leeren Plätze der drei abwesenden Damen waren nicht zu übersehen und sprachen für sich selbst in ihrer eigenen, niederdrückenden Sprache. Wie gern wir auch widerstanden hätten, unwillkürlich drängte sich die eine traurige Folgerung den Gemütern auf. Es lag zu klar am Tage, dass plötzlich irgendein furchtbares Gerücht über den Ruf der Dame, die an der Spitze der Tafel saß, aufgetaucht war und mit einem Schlage die Achtung der Freunde ihres Mannes für sie zerstört hatte. Was konnten die eng befreundeten Gäste diesen Entschuldigungen im Empfangszimmer, diesen leeren Plätzen an der Tafel gegenüber tun, um diesem Ehepaar in seinem plötzlichen und bitteren Leid beizustehen? Sie konnten sich nur als einzige Wohltat für sie je eher je lieber empfehlen und das unglückliche Paar sich selbst überlassen.

 

Zur Ehre der drei Herren, die in diesen Zeilen als A., B. und C. Bezeichnet sind, sei es aber gesagt, dass sie beschämt genug über ihre und ihrer Frauen Handlungsweise waren, um wenigstens die Ersten aus der Gesellschaft zu sein, die das Haus verließen. Nach einigen Augenblicken erhoben wir uns, um ihrem Beispiel zu folgen. Mrs. Germaine nötigte uns dringend noch zu bleiben.

»Bleiben Sie noch einige Augenblicke«, flüsterte sie mit einem Blick auf ihren Gatten. »Ich habe Ihnen etwas zu sagen, ehe Sie uns verlassen.«

Sie verließ uns, nahm den Arm ihres Mannes und führte ihn in den entgegengesetzten Teil des Zimmers. Beide sprachen einige Augenblicke leise miteinander, der Mann schloss die Beratung, indem er die Hand seiner Frau an seine Lippen zog.

»Tue wie die willst, Geliebte«, sagte er. »Ich überlasse es dir ganz.«

Er setzte sich, traurig und in Gedanken verloren, nieder. Mrs. Germaine verschloss einen Schrank am anderen Ende des Zimmers und kehrte dann allein zu uns zurück eine kleine Brieftasche in der Hand haltend.

»Mir fehlen die Worte, um Ihnen genugsam auszudrücken, wie dankbar ich Ihre Güte für mich anerkenne!« sagte sie, mit vollkommener Einfachheit und Würde. »Sie haben mich unter sehr schwierigen Umständen mit einer Zärtlichkeit und Teilnahme behandelt, wie man sie nur alten Freunden zollt. Die einzige Weise, in der ich Ihnen einigermaßen erwidern kann, was Sie für mich taten, ist, dass ich Ihnen mein vollstes Vertrauen schenke. Urteilen Sie dann selbst, ob ich die Behandlung, die ich heute Abend erfuhr, verdiene oder nicht.«

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schwieg um ruhiger zu werden. Wir baten sie beide nicht weiter zu sprechen, ihr Gatte, der sich uns zugesellte, vereinte seine Bitten den unseren. Sie dankte uns, fuhr aber dennoch fort. Wie die meisten tieffühlenden Menschen, konnte sie entschlossen sein, sobald sie es durch die Gelegenheit geboten fand.

»Ich habe noch einige Worte zu sagen«, fuhr sie, sich zu meiner Frau wendend, fort. »Sie sind die einzige Frau, die heute zu unserer Gesellschaft gekommen ist. Die geflissentliche Abwesenheit der andern Frauen spricht für sich selbst. Ob sie im Recht oder Unrecht sind, indem sie unser Haus meiden, wage ich nicht zu entscheiden. Mein teurer Mann – vor dem mein ganzes Leben so klar liegt, wie vor mir selbst – hatte den Wunsch diese Damen einzuladen. Er glaubte irrtümlicherweise, dass seine Achtung für mich maßgebend für die Achtung seiner Freunde sein würde; weder er noch ich konnten ahnen, dass die schmerzlichen Schicksale meines vergangenen Lebens durch jemand der sie kannte und dessen Verrat wir noch erst zu ergründen haben werden, enthüllt sein konnten. Das Geringste, was ich als Anerkennung für Ihre große Güte tun kann, ist, Sie mir gegenüber in dieselbe Lage zu setzen, in der sich die andren Damen befinden. Die Umstände, unter denen ich Mr. Germaines Frau geworden bin, sind in vielen Beziehungen sehr wunderbar. Sie sind ohne Rückhalt oder Auslassung in einer kleinen Geschichte niedergelegt, die mein Mann zur Zeit unserer Verheiratung schrieb, um dadurch seine fernen Verwandten, an deren Wohlwollen ihm viel gelegen war, zufriedenzustellen. Das Manuskript befindet sich in dieser Brieftasche. Ich erbitte es mir von Ihnen beiden als eine persönliche Gunst, dass Sie den Inhalt durchlesen. Mögen Sie, nachdem Sie es gelesen haben, entscheiden, ob ich für den Umgang achtbarer Frauen geeignet bin oder nicht.«

Sie reichte uns mit einem sanften, traurigen Lächeln ihre Hand und wünschte uns Gutenacht. Meine Frau vergaß in ihrer erregten Weise alle Förmlichkeiten und küsste sie beim Abschied. Bei diesem einen, kleinen Beweise schwesterlicher Teilnahme brach alle Stärke, die das arme Wesen den ganzen Abend über gezeigt hatte, zusammen – sie weinte bitterlich.

Ich teilte ganz die herzlichen, teilnehmenden Gefühle meiner Frau für sie, leider konnte ich aber von dem Vorrecht meiner Frau, sie zu küssen, nicht Gebrauch machen. Auf der Treppe fand ich Gelegenheit ihrem Manne, der uns zur Haustür geleitete, einig ermunternde Worte zu sagen.

»Ehe ich dieses öffne«, sagte ich, auf die Brieftasche unter meinem Arme deutend, »bin ich mir eines klar bewusst, dass wenn ich nicht schon verheiratet wäre, ein Herr, ich Sie um Ihre Frau beneiden würde, glauben Sie mir.«

»Lesen Sie, was hier geschrieben steht und Sie werden begreifen, was ich um meiner falschen Freunde willen diesen Abend gelitten habe.«

Am nächsten Morgen öffneten meine Frau und ich die Brieftasche und lasen die seltsame Geschichte von George Germaines Verheiratung.

Die Geschichte
George Germaine schreibt und erzählt seine eigene Liebesgeschichte

Erstes Kapitel
Die Grünwasser-Fläche

Schau zurück, Erinnerung, durch das dunkle Labyrinth der Vergangenheit durch die gemischten Freuden und Schmerzen von zwanzig Jahren. Erwache wieder, meine Knabenzeit, an den geschlängelten, grünen Ufern des kleinen Sees. Kehre zu mir zurück, meine Kinderliebe, in der schuldlosen Schöne deiner ersten zehn Jahre. Lass uns wiederum leben, mein Engel, wie wir in unserem ersten Paradiese lebte, ehe Sünde und Schmerz ihre flammenden Schwerter erhoben und uns in die Welt hinaustrieben.

Es war im Monat März. Die letzten wilden Vögel der Jahreszeit flatterten über den Wassern des Sees, den wir in der Suffolkischen Mundart die »Grünwasser-Fläche« nannten.

Durch alle Windungen hindurch färbten die grünen Ufer und die überhängenden Bäume den See mit ihrem saftigen Grün, indem sie sich darin spiegelten und der dadurch seien Namen erhielt. In einer kleinen Bucht am südlichen Ende wurden die Boote aufgestellt – mein eigenes, niedliches Segelboot hatte seinen kleinen, natürlichen Hafen ganz für sich allein. Gegen Norden stand die große Schlinge, der Entenfang genannte, worin die wilden Vögel gefangen wurden, die im Winter zu Tausenden und Tausenden die »Grünwasser-Fläche« besuchten. Meine kleine Mary und ich gingen Hand in Hand hinaus, um die letzten Vögel in die Schlinge locken zu sehn.

Der äußere Teil der seltsamen Vogelfalle ragte aus dem Wasser des Sees in einer Reihe von Bogen hervor, die von biegsamen Zweigen geformt und von feinem Netzwerk bedeckt waren. Kleiner und kleiner werdend, folgten die Bogen mit ihrem Netzdach den geheimen Windungen der kleinen Bucht landwärts bis zu ihrem Ende. Rings um die Bogen, nach der Landseite zu, lief ein hölzerner Zaun, der hoch genug war, um einen knieenden Mann den Blicken der Vögel auf dem Wasser zu verbergen. In gewissen Zwischenräumen waren Öffnungen in den Zaun gemacht, die grade ausreichten um einem Dachshund oder Windspiel den Eingang zu ermöglichen. Dieses war die ganze, einfache Bauart des Entenfanges.

In jenen Tagen war ich dreizehn und Mary zehn Jahre alt. Auf unserem Wege zum See hatten wir Marys Vater als Führer und Begleiter bei uns. Der gute Mann diente als Vogt auf meines Vaters Gute und war nebenbei einer der geschicktesten Meister in der Kunst des Entenfanges. Ein kleiner Dachshund war sein Gehilfe, als Lockvögel waren wir in Suffolk gewohnt Enten zu zähmen. Der Dachshund war auch in seiner Art ein Meister in seiner Kunst – ein Geschöpf, welches zu gleichen Teilen die beneidenswerten Vorzüge unwandelbar guter Laune und natürlichen Verstandes besaß.

Der Hund folgte dem Vogte und wir folgten dem Hunde.

Als wir an dem Zaune ankamen, der den Entenfang umgab, setzte sich der Hund, um zu warten, bis er gebraucht wurde. Der Vogt und die Kinder kauerten hinter dem Zaun, und guckten durch das äußerste Hundeloch, durch das man einen völligen Überblick über den See hatte. Es war ein windstiller Tag; nicht eine Welle trübte die Spiegelfläche des Sees; sanfte, graue Wolken überzogen den Himmel und verbargen die Sonne den Blicken. Wir guckten durch das Loch im Zaun. Da waren die wilden Enten – im Bereich des Entenfanges versammelt – auf dem friedlichen Spiegel des Wassers, friedlich ihre Federn ordnend. Der Vogt machte dem Hunde ein Zeichen. Der Hund sah den Vogt an; und, langsam vorwärts schreitend, ging er durch das Loch, so dass er sich auf dem schmalen Landstreifen zeigte, der sich von der äußeren Seite des Zaunes in den See senkte.

Zuerst entdeckte eine Ente, dann eine andere, endlich ein halbes Dutzend zusammen, den Hund.

Der neue Gegenstand, der auf der einsamen Szenerie erschien, wurde sofort auch der alles verschlingende Gegenstand der Neugierde der Enten. Die Äußersten derselben begannen langsam dem seltsamen, vierfüßigen Geschöpf entgegen zu schwimmen, das regungslos am Ufer saß. Zu zweien und dreien rückte das ganze Gros der Wasservögel allmälig der Avantgarde nach. Näher und näher an den Hund heranschwimmend, machten die schlauen Enten plötzlich Halt und auf dem Wasser sitzend, betrachteten sie aus einiger Entfernung das Phänomen auf dem Lande.

Der Vogt, der hinter dem Zaune kniete, flüsterte »Trim!« Als er seinen Namen hörte, wendete sich der Dachshund um, und sich durch das Loch zurückziehend, war er den Blicken der Enten entschwunden. Die Vögel saßen regungslos auf dem Wasser und wunderten sich und warteten. Einen Augenblick später war der Hund herum gegangen und zeigte sich in dem nächsten Loch des Zaunes, das mehr nach innen belegen war, wo der See den äußersten Windungen der Bucht folgte.

Das zweite Erscheinen des Hundes erregte neue Neugier unter den Enten. Mit einem Ruck schwammen sie wieder vorwärts, um den Hund wiederholt und näher in Augenschein zu nehmen; dann, um ihre gesicherte Stellung nicht zu verlieren, hielten sie wieder an, und zwar unter dem äußersten Bogen des Entenfanges. Wiederum verschwand der Hund und die erstaunten Enten warteten. Es entstand eine Pause – und Trim erschien zum dritten Male, im dritten Loche des Zaunes, welches weiter landeinwärts, an der Bucht lag. Zum dritten Male lockte unwiderstehliche Neugier die Enten weiter und weiter vorwärts in die verhängnisvollen Bogen des Entenfanges. Zum vierten und fünften Male begann das Spiel, bis der Hund die Wasservögel Schritt für Schritt weiter vorwärts in die inneren Räume des Entenfanges gelockt hatte. Dort erschien Trim zum letzten Male. Ein letztes Vorwärtsbringen, eine letzte vorsichtige Pause wurde von den Enten gemacht. Der Vogt zog an den Schnüren. Das beschwerte Netzwerk sank senkrecht ins Wasser und verschloss den Entenfang. Nun wurden die Enten zu Dutzenden und Dutzenden durch ihre eigene Neugier gefangen – durch keine andere Lockspeise als einen kleinen Hund! Wenige Stunden darauf waren sie alle als tote Enten auf dem Wege zu den Londoner Märkten befindlich.

Als der letzte Akte der seltsamen Komödie im Entenfange zu Ende war, legte mir die kleine Mary ihre Hand auf die Schulter, erhob sich auf die Zehspitzen und flüsterte mir ins Ohr:

»George! Komm mit mir nach Hause. Ich möchte dir etwas zeigen, was sehenswerter ist als die Enten.«

»Was ist es?«

»Es ist eine Überraschung. Ich sage es nicht.«

»Willst du mir einen Kuss geben?«

Das reizende kleine Geschöpf legte seine schlanken, sonnverbrannten Arme um meinen Hals und sagte:

»So viele Küsse als du willst, George.«

Sie sagte es unschuldig und ich ebenso. Der gute, gemütliche Vogt, der gerade von seinen Enten zur Seite blickte, sah uns in unserer kindlichen Courmacherei einander in den Armen liegen. Er drohte uns mit seinem dicken Zeigefinger und lächelte trübe und zweifelhaft:

»Oh, Mr. George! Mr. George!« sagte er. »Wenn Ihr Vater heimkehrt, meinen Sie, dass er damit einverstanden sein wird, wenn sein Sohn und Erbe die Tochter seines Vogtes küsst?«

»Wenn mein Vater heimkehrt«, sagte ich mit großer Würde, »so werde ich ihm die Wahrheit sagen. Ich werde ihm sagen, dass ich Ihre Tochter zu heiraten gedenke.«

Der Vogt lachte laut auf und kehrte zu seinen Enten zurück.

»Nun! Nun!« hörten wir ihn zu sich selbst sagen, » sie sind ja noch Kinder. Es ist noch nicht nötig, die armen Dinger jetzt schon zu trennen.«

Mary und ich hörten uns sehr ungern Kinder nennen. Von rechtswegen war einer eine Dame von zehn Jahren und der andere war ein dreizehnjähriger Herr. Wir verließen sehr ungehalten den Vogt und gingen Hand in Hand nach Hause.