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Detektiv-Geschichten

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Detektiv-Geschichten
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Der Polizist und die Köchin.
(Mr. Policeman and The Cook)

Zunächst ein Wort für mich

Ehe der Arzt mich eines Abends verließ, fragte ich ihn, wie lange ich voraussichtlich noch zu leben habe. Er antwortete mir: »Das ist nicht leicht zu sagen; Sie können sterben, ehe ich morgen zu Ihnen zurückkommen kann, Sie können aber auch bis zu Ende des Monats leben.«

Ich war am nächsten Morgen noch kräftig genug, an die Bedürfnisse meiner Seele zu denken, und, da ich ein Glied der römisch-katholischen Kirche bin, einen Geistlichen kommen zu lassen.

Die Geschichte meiner Sünden, die ich in der Beichte erzählte, enthielt eine tadelnswerte Vernachlässigung der Pflicht, die ich gegen die Gesetze meines Vaterlandes hatte.

Nach der Meinung des Geistlichen – und ich stimmte mit ihm überein – war ich verpflichtet, ein öffentliches Eingeständnis meiner Schuld abzulegen, als einen Akt der Buße, wie er sich für einen katholischen Engländer geziemt.

Wir beschlossen deshalb, eine Teilung der Arbeit zu versuchen. Ich erzählte die einzelnen Umstände, während Seine Hochwürden die Feder nahm und dem Stoffe die Form gab.

Hier folgt, was daraus entstand:

I

Als ich ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren war, wurde ich Mitglied der Londoner Polizeimannschaft.

Nach einer beinahe zweijährigen Probezeit in diesem verantwortungsvollen und dabei schlecht bezahlten Berufe befand ich mich zum ersten Mal in der ernsten Lage, eine amtliche Untersuchung zu führen, welche auf nichts Geringeres als einen Mord sich bezog. Die näheren Umstände waren folgende:

Ich war damals einer Station im nördlichen London zugeteilt, die ich nicht näher bezeichnen möchte. An einem Montage kam die Reihe zum Nachtdienste an mich. Bis 4 Uhr des Morgens kam im Polizeigebäude nichts Außergewöhnliches vor. Es war damals Frühling und bei Gaslicht und Feuer im Zimmer ziemlich heiß. Ich ging an die Tür, um frische Luft zu schöpfen, sehr zur Verwunderung unseres diensthabenden Inspektors, der kühler veranlagt war. Es fiel ein feiner Regen, und ein hässlicher Nebel in der Luft veranlasste mich, an den Kamin zurückzukehren. Ich glaube nicht, dass ich länger als eine Minute wieder gesessen hatte, als die Tür heftig aufgestoßen wurde. Eine Frau, die sich wie wahnsinnig gebärdete, stürzte herein und schrie: »Ist dies das Polizeigebäude?«

Unser Inspektor, sonst ein tüchtiger Beamter, hatte zufolge einer Laune der Natur bei seiner Kühle in körperlicher Beziehung ein hitziges Temperament. »Himmel« sagte er, »sehen Sie denn nicht, dass dies das Polizeigebäude ist? Um was handelt es sich denn?« »Um einen Mord!« stieß sie hervor. »Um Gottes willen, kommen Sie mit mir! Es ist in der Pension der Frau Großcapel, Hochstraße Nr. 14. Eine junge Frau hat diese Nacht ihren Gatten erstochen! Mit einem Messer, mein Herr! Sie glaubt, wie sie sagt, es im Schlafe getan zu haben.«

Ich gestehe, dass ich erschrocken war, und der dritte im Dienste, ein Polizeidiener, schien dasselbe Gefühl zu haben. Das Frauenzimmer hatte nur nachlässig seine Kleider übergeworfen, da es anscheinend eben erst aus dem Schlafe aufgeschreckt worden war. Es war jung und selbst in dem gegenwärtigen Zustande eine hübsche Erscheinung.

Ich selbst war von hoher Gestalt, und sie hatte, wie man sagte, meine Statur. Ich stellte ihr einen Stuhl hin; der Polizeidiener schürte das Feuer. Was den Inspektor anlangte, so konnte ihn nichts aus der Fassung bringen. Er verhörte sie so kaltblütig, als wenn es sich um einen geringfügigen Diebstahl gehandelt hätte.

»Haben Sie den Ermordeten gesehen?« fragte er.

»Nein, mein Herr!«

»Oder die Frau?«

»Nein! Ich wagte nicht, das Zimmer zu betreten. Ich hörte nur davon.«

»Und wer sind Sie? Einer von den Mietern?«

»Nein, Herr Inspektor, ich bin die Köchin.«

»Ist denn kein Hausherr da?«

»Ja, aber er ist vor Schrecken außer sich, und das Hausmädchen ist nach dem Arzt gegangen. Dies alles fällt natürlich auf die armen Dienstboten. O, warum setzte ich jemals einen Fuß in dieses schreckliche Haus?«

Die arme Person stieß einen Seufzer aus und zitterte am ganzen Körper. Der Inspektor schrieb die von ihr dargestellten Umstände nieder und ersuchte sie dann, das Protokoll zu lesen und zu unterschreiben Der Zweck dieses Vorgehens war der, sie in seine Nähe zu bringen, um ihren Atem zu prüfen.

»Wenn Leute außergewöhnliche Erklärungen abgeben,« sagte er nachher zu mir, »bewahrt es Sie vor manchen Verdruss, wenn Sie sich überzeugen, dass sie nicht betrunken sind. Ich habe einzelne gekannt, die wahnsinnig waren, aber nicht viele. Sie werden dies in der Regel an ihren Augen merken.«

Die Frau erhob sich und zeichnete ihren Namen: Priscilla Thurlby. Die von dem Inspektor vorgenommene Prüfung ergab, dass sie nüchtern, und ihre Augen überzeugten ihn, wie ich glaube, dass sie nicht wahnsinnig war, denn diese, von lieblicher, hellblauer Farbe, blickten ohne Zweifel sanft und freundlich, wenn sie nicht starr von Furcht oder von Weinen gerötet waren.

Zunächst übertrug er mir die Angelegenheit.

Ich sah, dass er auch jetzt noch nicht an die Richtigkeit der Sache glaubte. »Gehen Sie mit ihr nach Hause!« sagte er, »es wird eine dumme Finte oder aufgebauschter Streit sein. Überzeugen Sie sich selbst und hören Sie, was der Arzt sagt. Wenn die Sache ernst ist, benachrichtigen Sie mich sofort und lassen Sie niemand im Hause ein- und ausgehen, bis wir kommen. Halt! Sie kennen ja die Form, wenn zu einer Protokollaufnahme Veranlassung sein sollte.«

»Ja, Herr Inspektor! Ich werde die Leute darauf aufmerksam machen, dass alles, was sie aussagen, niedergeschrieben wird und gegen sie geltend gemacht werden könne.«

»Ganz recht! Sie werden bald einmal selbst Inspektor sein.«

»Nun also, Fräulein!« Und damit entließ er sie unter meiner Begleitung. Die Hochstraße war nicht sehr weit, ungefähr zwanzig Minuten von dem Polizeigebäude entfernt.

Ich war der Ansicht, wie ich gestehe, dass der Herr Inspektor ein wenig grob gegen Priscilla gewesen war. Sie war natürlich deshalb ärgerlich über ihn. »Was meint er,« sagte sie, »mit der Finte? Ich wünschte, er wäre so erschrocken, wie ich es bin. Es ist das erste Mal, mein Herr, dass ich in fremdem Dienste bin, und ich dachte, eine anständige Stelle gefunden zu haben.«

Ich sprach sehr wenig mit ihr, da ich mich, die Wahrheit zu sagen, bei dem mir gewordenen Auftrag ein wenig ängstlich fühlte. Als wir das Haus erreichten, wurde die Tür von innen geöffnet, ehe ich anklopfen konnte. Es trat ein Herr heraus, der sich als der herbeigerufene Arzt zu erkennen gab. Er blieb stehen, sobald er mich sah. »Sie müssen vorsichtig sein, Schutzmann!« sagte er. »Ich fand den Mann, auf dem Rücken liegend, tot im Bette. Das Messer, mit dem er getötet wurde, steckte noch in der Wunde.«

Als ich dies hörte, fühlte ich mich verpflichtet, sogleich eine Meldung nach der Polizeistation zu machen.

Aber wo konnte ich einen zuverlässigen Boten finden?

Ich nahm mir die Freiheit, den Arzt zu fragen, ob er bei der Polizei das nochmals erklären wolle, was er mir bereits gesagt habe. Das Polizeigebäude war nicht weit von seinem Heimwege entfernt. Er gewährte mir freundlich meine Bitte.

Die Hauswirtin, Frau Großcapel, kam herzu, als wir noch miteinander sprachen. Sie war eine noch junge Frau und, soweit ich sehen konnte, nicht leicht zu erschrecken, selbst nicht durch einen in ihrem Hause begangenen Mord. Ihr Gatte stand hinter ihr im Türeingang. Er sah alt genug aus, um ihr Vater zu sein, und zitterte vor Schrecken so sehr, dass mancher ihn für den Schuldigen hätte halten können.

Ich nahm den Schlüssel der Haustür an mich, nachdem ich sie verschlossen hatte, und sagte der Hauswirtin, dass niemand das Haus verlassen und niemand es betreten dürfe, ehe der Inspektor komme.

Ich müsste die ganze Liegenschaft untersuchen, um zu sehen, ob jemand etwa einen Einbruch verübt habe.

»Hier ist der Schlüssel zur Tür der Lauftreppe,« sagte sie daraufhin zu mir. »Sie wird immer verschlossen gehalten. Kommen Sie wieder herab und überzeugen Sie sich selbst.« Priscilla ging mit uns. Ihre Herrin beauftragte sie alsdann, das Feuer in der Küche anzuzünden.

»Eins oder das andere von uns dürfte sich bei einer Tasse Tee wohler befinden,« äußerte Frau Großcapel. Ich bemerkte ihr, dass sie unter den vorliegenden Umständen die Dinge zu leicht nehme, worauf sie mir erwiderte, dass die Besitzerin einer Londoner Fremdenherberge es nicht fertig bringe, den Kopf zu verlieren, was auch vorfallen möchte.

Ich fand die Tür verschlossen und die Läden des Küchenfensters verriegelt. Die innere Seite der Küche und die Hintertür waren in derselben Weise gesichert. Nirgends war jemand verborgen. Nachdem wir wieder hinausgegangen waren, untersuchte ich das Vorderfenster des Salons. Auch dort bürgten die verriegelten Laden für die Sicherheit dieser Räumlichkeit. Durch die Tür des hinteren Salons hörten wir eine schnarrende Stimme. »Der Polizeibeamte kann hereinkommen,« sagte sie, »wenn er versprechen will, nicht nach mir zu sehen.«

Ich wendete mich um Auskunft an die Hauswirtin. »Es ist die Mieterin meines hinteren Salons, Fräulein Mybus« sagte sie »eine sehr achtbare Dame.« Nachdem ich das Zimmer betreten hatte, sah ich eine Gestalt, aufrechtsitzend und in die Bettvorhänge eingewickelt. Fräulein Mybus hatte sich in dieser Weise sittsam verhüllt. Nachdem ich mich so über die Sicherheit des unteren Teils des Hauses vergewissert und die Schlüssel wohlverwahrt in der Tasche hatte, war ich bereit, hinaufzugehen.

Auf unserem Wege zu dem oberen Teile des Hauses fragte ich, ob irgendwelche Besucher am vorhergehenden Tage dagewesen seien. Ich erfuhr, dass deren nur zwei, und zwar Freunde von Mietern, vorgesprochen hätten und von Frau Großcapel selbst wieder hinausgeleitet worden seien. Meine nächste Erkundigung bezog sich auf die Mieter selbst.

 

Im Erdgeschoß wohnte Fräulein Mybus. Im ersten Stock bewohnte ein Herr Barfield die beiden Zimmer. Er war ein alter Junggeselle und auf dem Comptoir eines Kaufmanns beschäftigt. Im zweiten Stock bewohnten das vordere Zimmer Johann Zebedäus, der Ermordete, und seine Frau. Im hinteren Zimmer war ein Herr Deluc, als Zigarren-Agent bezeichnet und vermutlich ein Kreole von Martinique.

In der vorderen Dachstube wohnten Herr und Frau Großcapel, in der hinteren die Köchin und das Hausmädchen. Dies waren die zu den Bewohnern des Hauses gerechneten Personen. Ich erkundigte mich nach den Dienstboten. »Beide sind vortreffliche Personen,« sagte die Hauswirtin, »sonst würden sie nicht in meinem Dienste sein.«

Wir gelangten nun den zweiten Stock und fanden das Hausmädchen auf Wache vor der Tür des vorderen Zimmers. Sie war nicht so hübsch wie die Köchin und natürlich sehr erschrocken. Ihre Herrin hatte sie dorthin gestellt, um Lärm zu schlagen, falls Frau Zebedäus, die im Zimmer verschlossen gehalten wurde, zu entweichen versuchen sollte. Meine Ankunft befreite sie von weiterer Verantwortlichkeit. Sie eilte zu ihrer Dienstgenossin in die Küche hinab.

Ich fragte Frau Großcapel, wie und wann zuerst über den Mord etwas laut geworden sei. Frau Großcapel erzählte: »Bald nach drei Uhr diesen Morgen wurde ich durch das Geschrei der Frau Zebedäus geweckt. Ich fand sie hier außen auf der Treppe, und ebenso Herrn Deluc in großer Aufregung, der sie zu beruhigen versuchte. Da er im nächsten Zimmer schlief, hatte er, als ihr Geschrei ihn weckte, nur seine Tür zu öffnen. »Mein lieber Johann ist ermordet; ich bin das elende Geschöpf, das es im Schlafe tat.« Diese wahnsinnigen Worte wiederholte sie ein über das andere mal, bis sie in Ohnmacht sank. Ich und Herr Deluc trugen sie in das Schlafgemach. Wir beide glaubten, dass das arme Geschöpf durch irgend einen furchtbaren Traum irrsinnig geworden wäre. Aber als wir in die Nähe des Bettes kamen, fragen Sie mich nicht, was wir sahen; der Arzt hat ihnen davon schon erzählt. Ich war einst Pflegerin in einem Krankenhause und als solche an schreckliche Anblicke gewöhnt. Dennoch überlief mich ein Schauder, und es schwindelte mir. Was Herrn Deluc betrifft, so dachte ich, er würde gleich in Ohnmacht fallen. Hierauf fragte ich, ob Frau Zebedäus irgend etwas Ungewöhnliches gesagt oder getan habe, seitdem sie Mieterin bei Frau Großcapel sei. »Sie denken wohl, sie sei wahnsinnig?« sagte die Hauswirtin, »und jeder würde Ihrer Meinung sein, wenn eine Frau sich selbst der Ermordung ihres Gatten im Schlafe anklagt. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich bis zu diesem Morgen keinem stilleren, vernünftigeren, braveren Weibchen als der Frau Zebedäus begegnet bin. Kaum erst verheiratet, war sie für ihren unglücklichen Gatten so eingenommen, wie es eine Frau nur sein kann. Ich hätte sie in ihren Verhältnissen ein Musterpaar nennen mögen.« Mehr war auf der Treppe nicht zu sagen. Wir schlossen die Tür auf und gingen in das Zimmer.

II

Der Ermordete lag auf dem Rücken, wie der Arzt angegeben hatte; das Blut auf der Leinwand links an seinem Schlafrocke, gerade über dem Herzen, redete seine schreckliche Sprache. Soweit man urteilen konnte, wenn man wider Willen ein totes Angesicht betrachtet, musste er zu seinen Lebzeiten ein schöner junger Mann gewesen sein. Es war ein Anblick, welcher einen jeden aus das tiefste ergreifen musste, aber ich glaube, den schmerzlichsten Eindruck machte es, als meine Augen daneben auf sein unglückliches Weib sich richteten. Sie kauerte auf dem Fußboden in einer Ecke des Zimmers: eine kleine schwarze Frau, in lebhafte Farben gekleidet. Ihr schwarzes Haar und ihre großen braunen Augen ließen die entsetzliche Blässe ihres Gesichtes noch greller erscheinen, als sie in Wirklichkeit vielleicht war. Sie starrte uns grade an, ohne dass es schien, als wenn sie uns sähe. Wir redeten sie an, aber sie antwortete kein Wort. Man hätte sie für tot halten können wie ihren Gatten, wenn sie nicht fortwährend an den Fingern gepickt und dann und wann ein Schauer sie überlaufen hätte, als wenn sie friere.

Ich ging zu ihr und versuchte, sie aufzurichten. Sie sank mit einem Schrei zusammen, der mich fast in Schrecken versetzte, nicht weil er laut, sondern weil er dem Schrei eines Tieres ähnlicher als demjenigen eines menschlichen Wesens war. Wie vernünftig sie sich auch während ihres bisherigen Aufenthaltes bei der Hauswirtin betragen haben mochte, jetzt war sie nicht bei Verstand. Sei es nun, dass ich durch ein natürliches Mitleiden gerührt war, oder sei es, dass mein Gemüt vollständig in Verwirrung geraten war, so viel weiß ich nur, dass ich mich von ihrer Schuld nicht überzeugen konnte. Ich sagte sogar zu Frau Großcapel: »Ich glaube nicht, dass sie es getan hat.« Während ich sprach, klopfte es an der Tür. Ich ging sogleich hinab und öffnete zu meiner großen Erleichterung dem Inspektor, der von einem unserer Beamten begleitet war. Er wartete unten, um meinen Bericht zu hören, und billigte, was ich bereits getan hatte. »Es sieht aus, als wenn der Mord von jemand im Hause begangen worden sei« sagte er, ließ den ihm folgenden Beamten unten und ging mit mir in den zweiten Stock hinauf. Als er kaum eine Minute im Zimmer sich befand, entdeckte er einen Gegenstand, der meiner Wahrnehmung entgangen war. Es war das Messer, mit welchem die Tat begangen worden war. Der Arzt hatte es in dem Leichnam steckend gefunden, es herausgezogen, um die Wunde zu untersuchen, und hatte es alsdann auf den in der Nähe des Bettes stehenden Tisch gelegt.

Es war eins von jenen praktischen Messern, welche eine Säge, einen Pfropfenzieher und andere ähnliche Werkzeuge enthalten. Die große Klinge wurde, wenn offen, durch eine Sprungfeder festgehalten Das Messer war, die blutbefleckte Stelle ausgenommen, so glänzend, als wenn es erst gekauft worden wäre. Eine kleine Metallplatte war auf dem Hornstiel befestigt, welche eine Inschrift enthielt. Dieselbe war nur zum Teil eingraviert und begann: »Dem Johann Zebedäus von —«; das folgende fehlte seltsamerweise. Wer oder was hatte die Arbeit des Graveurs unterbrochen? Jede Vermutung war unmöglich. Nichtsdestoweniger wurde der Inspektor dadurch ermutigt. »Dies könnte uns helfen,« sagte er; dann hörte er aufmerksam dem zu, was Frau Großcapel ihm zu sagen hatte, indem er währenddem nach dem armen Geschöpf in die Ecke blickte. Nachdem die Hauswirtin mit ihrem Berichte zu Ende war, erklärte er, dass er nun den Mieter sehen müsse, welcher in dem anstoßenden Zimmer geschlafen habe. Herr Deluc erschien, indem er sich in die Tür des Zimmers stellte und mit Entsetzen den Kopf von dem sich ihm darbietenden Anblicke abwendete. Er war in einen prächtigen blauen Schlafrock mit goldenem Gürtel und Besatz eingehüllt. Seine Gesichtsfarbe war gelb; seine grünlich-braunen Augen waren von der Art der sogenannten Glotzaugen; es schien, als wenn sie aus dem Gesichte fallen könnten, wenn man einen Löffel unter sie hielt. Sein Schnurrbart und sein Geißbart waren schön parfümiert und, um seine Ausrüstung zu vervollständigen, hatte er eine lange dunkle Zigarre im Munde. »Es ist nicht Gefühllosigkeit bei diesem schrecklichen Auftritte,« erklärte er; »meine Nerven sind zerrüttet, Herr Polizei-Inspektor, und ich kann nur auf diesem Wege das Unglück wieder gut machen. Entschuldigen Sie mich gütigst und haben Sie Mitgefühl für mich.«

Der Inspektor verhörte diesen Zeugen scharf und genau. Er war nicht der Mann, sich durch den Schein irreführen zu lassen, aber ich konnte sehen. dass er weit davon entfernt war, an Herrn Deluc Gefallen zu finden oder ihm gar zu glauben. Nichts kam bei der Untersuchung heraus außer dem, was Frau Großcapel mir im wesentlichen schon mitgeteilt hatte.

Herr Deluc kehrte in sein Zimmer zurück. »Wie lange wohnt er bei Ihnen?« fragte der Inspektor, sobald Deluc ihm den Rücken gekehrt hatte.

»Beinahe ein Jahr,« antwortete die Hauswirtin.

»Gab er Ihnen Referenzen?«

»So gut als ich sie wünschen konnte.« Darauf nannte sie die wohlbekannte Firma einer Zigarrenhandlung in der Altstadt. Der Inspektor notierte die Auskunft in seinem Notizbuche.

Ich möchte lieber im einzelnen nichts erzählen, was sich zunächst zutrug. Es ist zu peinlich, dabei zu verweilen. Lassen Sie mich nur sagen, dass die arme geisteskranke Frau in einer Droschke nach dem Polizeigebäude gebracht wurde. Der Inspektor nahm selbst das Messer und ein Buch in Verwahrung, das auf dem Fußboden gesunden wurde und »Die Welt des Schlafs« betitelt war. Die Reisetasche, die das Gepäck enthielt, wurde verschlossen und dann die Türe des Zimmers verwahrt, indem die Schlüssel von beiden meiner Obhut überlassen wurden. Meine Instruktion ging dahin, im Hause zu bleiben und niemand zu erlauben, es zu verlassen, bis dass ich in Kürze wieder etwas von dem Inspektor hörte.

III

Die amtliche Leichenschau wurde ausgesetzt und die gerichtliche Untersuchung vertagt, da Frau Zebedäus nicht in dem Zustande war, um das eine oder das andere Verfahren zu verstehen.

Der Gerichtsarzt sagte aus, dass sie durch eine Nervenerschütterung vollständig niedergeschmettert sei.

Als er gefragt wurde, ob er glaube, dass sie eine geistig gesunde Frau gewesen sei, ehe der Mord ausgeführt wurde, lehnte er es ab, hierauf zur Zeit eine bestimmte Antwort zu geben.

Eine Woche war vergangen. Der Ermordete war begraben. Sein alter Vater hatte dem Leichenbegängnis beigewohnt. Ich besuchte gelegentlich Frau Großcapel und ihre beiden Bediensteten in der Absicht, diejenige weitere Auskunft zu erlangen, die mir noch wünschenswerter erschien. Sowohl die Köchin als auch das Hausmädchen hatten von dem monatlichen Kündigungsrechte Gebrauch gemacht, um den Dienst zu verlassen, indem sie, wie sie sagten, im Interesse ihres guten Rufes es ablehnten, in einem Hause zu bleiben, welches der Schauplatz eines Mordes gewesen war.

Der Zustand seiner Nerven veranlasste auch Herrn Deluc zum Ausziehen; seine Ruhe wurde durch schreckliche Träume gestört. Er zahlte die verwirkte Buße und verließ das Haus ohne Kündigung.

Herr Barfield, der Mieter des ersten Stockes, behielt seine Zimmer, aber er bekam von seinen Prinzipalen einen Urlaub und flüchtete mit einigen Freunden auf das Land.

Fräulein Mybus allein blieb in den Salons. »Wenn ich mich wohl befinde,« sagte die alte Dame, »so bringt mich in meinem Alter nichts von der Stelle. Ein Mord zwei Stiegen höher ist beinahe dasselbe wie ein Mord im nächsten Hause. Sie sehen, die Entfernung allein macht den ganzen Unterschied.« Es war der Polizei wenig daran gelegen, was die Mieter taten. Wir hatten Geheimpolizisten, die das Haus Tag und Nacht bewachten. Jedem, welcher das Haus verließ, folgte man im geheimen, und die Polizei des Bezirks, in welchen er sich begab, wurde ersucht, ein wachsames Auge auf ihn zu haben. So lange wir nicht in der Lage waren, die außergewöhnliche Erklärung der Frau Zebedäus in irgendeiner Weise auf ihre Richtigkeit zu prüfen – geschweige dass unsere Bemühungen, den Käufer des benutzten Messers zu ermitteln, bis jetzt von Erfolg gewesen wären – waren wir verpflichtet, keine Person, die in der Nacht des Mordes unter dem Dache Großcapel gewohnt hatte, durch die Finger schlüpfen zu lassen.