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Der Wahnsinnige

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Der Wahnsinnige
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I

In der Grafschaft Durham liegt die Abtei Wincot, welche früher ein Kloster, seit der Reformation aber, und bis vor ungefähr dreißig Jahren, im Besitze der Familie Monkton war. Diese Familie stand, so lange ich denken kann, in der ganzen Umgegend im Rufe der Ungeselligkeit. Sie machte keine Besuche und empfing keine, ausgenommen von meinem Vater und einer mit ihrer Tochter in der Nähe wohnenden verwitweten Dame.

Diese Zurückgezogenheit entsprang nicht sowohl aus Stolz, als vielmehr aus Furcht. Seit mehreren Generationen nämlich wurde die Familie von dem schweren Leiden erblichen Irrsinns heimgesucht. Alle Mitglieder derselben vermieden es deshalb so viel als möglich, sich in die Öffentlichkeit zu mischen, um nicht der Beobachtung ausgesetzt zu sein. Man erzählt sich eine Grausen erregende Geschichte von schweren Verbrechen, welche zwei Monktons, nahe Anverwandte, in früher Vorzeit verübt haben sollen, und seit denen das erste Erscheinen des Irrsinns sich datiert. Ohne diese hier zu wiederholen, sei nur bemerkt, dass sich von Zeit zu Zeit fast jede Art von Geistesstörung, besonders aber sogenannte Monomanie, d. h. die Krankheit fixer Ideen, in der Familie zeigte. Die Kenntnis dieser Verhältnisse verdanke ich meinem Vater.

Zur Zeit meiner Jugend bestand die in der Abtei wohnende Familie Monkton noch aus drei Gliedern, nämlich aus Mr. Monkton, seiner Frau und einem einzigen Sohne und Erben. Außer ihnen lebte nur noch ein Individuum, das diesen Namen trug – ein jüngerer Bruder Mr. Monktons, Stephan genannt. Er war unverheiratet und besaß ein schönes Gut in Schottland, aber weilte fast immer auf dem Kontinente, und stand im Rufe eines schamlosen Wüstlings. Die in Wincot residierende Familie stand mit ihm in keinem größerem Verkehr als mit ihren Nachbarn, das heißt, in gar keinem.

Wie bereits erwähnt, waren mein Vater und eine Dame mit ihrer Tochter, die einzigen Bevorzugten, welche in der Abtei Zutritt fanden. Meines Vaters Bekanntschaft mit Mr. Monkton rührte aus ihrem gemeinschaftlichen Schul- und Universitätsbesuche her, und auch im späteren Leben hatte der Zufall sie in so nahe Berührungen gebracht, dass ihr vertrautes Verhältnis sich daraus leicht erklären ließ. Woher sich die Freundschaft mit Mrs. Elmsly, der eben erwähnten Dame, datierte, ist mir nicht genau bekannt. Ihr verstorbener Gatte war, wenn ich nicht irre, ein entfernter Verwandter der Mrs. Monkton, und mein Vater der Vormund ihrer minderjährigen Tochter. Außer diesen Umständen müssen jedoch noch andere, mir nicht bekannte mitwirkend gewesen sein; denn aus ihnen allein ließe sich das sehr intime Verhältnis nicht erklären, in welchem Mr. Elmsly zu der Familie stand. Eine Folge dieses vertrauten Umganges war, dass Alfred Monkton und Ada Elmsly Neigung zu einander gewannen.

Ich hatte nicht oft Gelegenheit, die junge Dame zu sehen, und erinnere mich nur, dass sie damals ein zartes, sanftes, liebenswürdiges Mädchen war, dessen Äußeres und Charakter in direktem Gegensatze zu dem Alfred Monktons zu stehen schienen. Vielleicht war es gerade diese Verschiedenheit, was gegenseitige Liebe in ihnen erweckte. Diese Neigung wurde von den beiderseitigen Eltern bald entdeckt und nicht missbilligt. In allen wesentlichen Beziehungen, mit alleiniger Ausnahme des Vermögens, stand die Familie Elmsly den Monktons gleich; und der Mangel des Vermögens bei der Braut konnte bei Alfred, dem Erben von Wincot, der nach dem Ableben seines Vaters ein Einkommen von jährlich dreißigtausend Pfund überkam, von keinem Gewichte sein. Obgleich daher die jungen Leute noch nicht das erforderliche Alter erreicht hatten, um eine ehrliche Verbindung schließen zu können, legten die Eltern doch ihrer Verlobung kein Hindernis in den Weg, und willigten ein, dass die Vermählung vollzogen werde, sobald Alfred die Volljährigkeit erreicht habe. Allein außer ihnen war auch die Einwilligung meines Vaters, als Vormundes von Ada Elmsly, erforderlich. Er wusste, dass das in der Familie erbliche Übel sich vor längeren Jahren bei Mrs. Monkton, welche ihrem Gatten nahe verwandt war, gezeigt hatte. Durch geschickte ärztliche Behandlung war es zwar nicht zum völligen Ausbruche gekommen, und man versicherte allgemein, dass die Krankheit – wie es bezeichnender Weise genannt wurde – völlig geheilt worden sei; allein mein Vater ließ sich dadurch nicht täuschen, denn er kannte den heimlichen Sitz des Übels zu wohl. Mit Schrecken dachte er an die Möglichkeit, dass es früher oder später bei den Kindern der einzigen Tochter seines verstorbenen Freundes wieder ausbrechen könne, und versagte deshalb seine Einwilligung zu der ehelichen Verbindung.

Die Folge davon war, dass der bisher zwischen ihm und den beiden Familien Monkton und Elmsly bestandene freundliche Verkehr aufhörte. Diese Spannung hatte erst kurze Zeit gedauert, als Mrs. Monkton starb. Ihr Gatte, der sie innig liebte und ihren Verlust sehr schmerzlich empfand, zog sich eine sehr heftige Erkältung während des Leichenbegängnisses zu, vernachlässigte diese, und folgte nach wenigen Monaten der Vorangegangenen in das Grab, wodurch Alfred alleiniger Herr der Abtei Wincot und ihrer ausgedehnten Ländereien wurde.

Nach diesem letzten Trauerfall war Mrs. Elmsly, Adas Mutter, so undelikat, einen wiederholten Versuch zu machen, die Einwilligung meines Vaters zu der gewünschten Verbindung zu erlangen. Er verweigerte sie jedoch noch bestimmter als vorher. Mehr als ein Jahr verstrich hierauf, und der Zeitpunkt näherte sich, da Alfred seine Volljährigkeit erlangte. Ich kam damals von der Universität nach Hause, um die Ferien in der Familie zu verleben, und machte einige Versuche, meine frühere Bekanntschaft mit dem jungen Monkton wieder anzuknüpfen; allein er wich ihnen aus, und wenn gleich mit großer Höflichkeit, doch in solcher Weise, dass von einer Wiederholung keine Rede sein konnte. Das Gefühl der Kränkung, das ich unter anderen Umständen in Folge dieser Zurückweisung empfunden haben würde, konnte nicht aufkommen, weil meine Familie von einem schweren Unglücksfalle heimgesucht wurde. Schon seit mehreren Monaten war mein Vater leidend gewesen, und gerade in dieser Zeit, kurz nach meiner Heimkehr von der Universität, traf mich und meine Geschwister der harte Schlag seines Todes.

Dieses Ereignis machte Ada, in Gemäßheit des väterlichen Testamentes, für die Zukunft nur vom Willen ihrer Mutter abhängig, und das Verhältnis zwischen Alfred und Ada wurde daher sogleich wieder angeknüpft. Nach erfolgter Bekanntmachung der Verlobung kamen Mrs. Elmslys nähere Freunde und gratulierten, aber wagten auch, da ihnen die Gerüchte über das in der Familie Monkton herrschende erbliche Leiden bekannt waren, ihren Glückwünschen einige Andeutungen und Fragen, den Gemütszustand des Sohnes betreffend, beizufügen. Mrs. Elmsly gab jedoch auf diese höflichen Winke stets nur eine sehr entschiedene Antwort. Sie räumte die Existenz jener Gerüchte ein, aber erklärte sie für schändliche Verleumdungen. Das erbliche Leiden, worauf ihre Freunde anspielten, versicherte sie, sei bereits seit mehreren Generationen aus der Familie ganz verschwunden; Alfred sei das beste, gütigste und geistig gesündeste aller menschlichen Wesen; er liebe die Zurückgezogenheit und die Wissenschaften, und Ada sympathisiere mit seinem Geschmacke und habe, durch keinen fremden Einfluss bestimmt, ihre Wahl frei und unabhängig getroffen. Sollten mehr dergleichen Andeutungen getan werden, fügte sie hinzu, so müsse sie dieselben als Beleidigungen für sich selbst ansehen, deren Mutterliebe in Zweifel zu ziehen grausam und kränkend sei.

Solche Erwiderungen brachten die Leute zwar zum Schweigen, aber überzeugten sie nicht. Man begann nicht mit Unrecht zu vermuten, dass Mrs. Elmsly ein weltlich gesinntes, habsüchtiges Weib sei, das ihre Tochter nur vorteilhaft verheiraten und als die reichste Besitzerin in der Grafschaft sehen wolle, ohne sich um die Folgen zu kümmern.

Es schien jedoch, als wenn irgendein böses Verhängnis tätig wäre, um die Erreichung dieses großen, von Mrs. Elmsly erstrebten Zieles zu vereiteln. Kaum war das erste der unglücklichen Verbindung entgegenstehende Hindernis durch den Tod meines Vaters beseitigt worden, so zeigte sich ein neues in den Befürchtungen, welche durch Adas leidenden Gesundheitszustand veranlasst wurden. Die besten Ärzte wurden zu Rat gezogen, und ihre Meinungen vereinigten sich dahin, dass die Heirat verschoben werden, und Miss Elmsly England verlassen und längere Zeit in einem milderen Klima – wenn ich nicht irre, im südlichen Frankreich – wohnen müsse. So kam es, dass Ada und ihre Mutter wenige Wochen vor dem Tage, an welchem Alfred seine Volljährigkeit erreichte, England verließen, und die Verbindung, wie es allgemein hieß, auf unbestimmte Zeit verschoben wurde.

Die Nachbarn waren neugierig, was Alfred unter diesen Umständen tun werde – ob er seiner Braut folgen, oder die Türen der Abtei öffnen, und ihre Abwesenheit und die Verschiebung seiner Heirat in rauschenden Vergnügungen zu vergessen suchen werde. Er tat jedoch keins von beidem, sondern blieb ruhig in der Abtei, und setzte das sonderbare, einsame Leben fort, wie es sein Vater geführt hatte. Sein einziger Gesellschafter war der alte katholische Priester, der Alfreds Lehrer von dessen frühester Jugend an gewesen war. Als der Tag seiner Volljährigkeit kam, fand auch nicht die geringste Festlichkeit statt. Mehrere nachbarliche Familien hatten zwar beschlossen, die ihnen von seinem Vater durch dessen Zurückgezogenheit bewiesene Vernachlässigung zu vergessen, und luden ihn zu sich ein; allein diese Einladungen wurden von Alfred auf die höflichste Weise abgelehnt. Andere gingen noch weiter und kamen, um ihm in der Abtei selbst Besuche abzustatten; aber sie wurden an der Tür von den Dienstboten unter den artigsten Verbeugungen abgewiesen. Ein so abstoßendes Benehmen musste verletzen, und die Leute begannen endlich, sobald der Name Alfred Monkton genannt wurde, den Kopf geheimnisvoll zu schütteln, auf das erbliche Familienleiden anzuspielen und ihre Verwunderung darüber auszudrücken, womit der junge Mann sich Monate lang in dem einsamen alten Hause die Zeit vertreiben könne.

 

Die richtige Antwort auf diese Frage zu finden war nicht leicht. Von dem alten Priester ließ sich keine Auskunft erlangen, da er ein äußerst vorsichtiger Mann war, und seine höflichen und weitschweifigen Erwiderungen stets so einzurichten wusste, dass sich daraus nichts entnehmen ließ. Die Haushälterin war ein zu finsteres, abstoßendes altes Weib, als dass man sich ihr überhaupt hätte nähern können, und die wenigen übrigen Dienstboten hatten zu lange in der Familie gelebt, um nicht schweigen gelernt zu haben. Die einzigen Personen also, von denen sich einige Auskunft erlangen ließ, waren die auf dem Hofe beschäftigten Arbeiter; allein ihre Mitteilungen lauteten sehr unbestimmt. Manche von ihnen wollten den »jungen Herrn« im Bibliothekzimmer, mit Haufen staubiger Papiere in den Händen, haben auf- und abgehen sehen. Andere hatten sonderbare Töne in den unbewohnten Teilen der Abtei gehört, und ihn beim Aufblicken wahrgenommen, wie er bemüht gewesen, die Fenster zu öffnen, als wolle er Licht und Luft in die seit Jahren unbewohnten Räume einlassen; oder sie hatten ihn auf der gefährlichen Spitze irgendeines alten, verfallenen Turmes stehen sehen, der seit Menschengedenken von niemand bestiegen worden, und nach allgemeinem Volksglauben von den Geistern der Mönche bewohnt war, die früher dort gehaust hatten. Derartige Beobachtungen und Gerüchte dienten natürlich dazu, die schon herrschende Meinung zu befestigen, dass der junge Monkton denselben Weg gehe, den seine Voreltern gegangen, das heißt, irrsinnig geworden sei.

Das bisher Erzählte habe ich meistens nur aus den Mitteilungen anderer entnommen, der jetzt folgende Teil beruht auf meinen eigenen Wahrnehmungen.

II

Ungefähr fünf Monate später, nachdem Alfred Monkton die Volljährigkeit erreicht hatte, verließ ich die Universität und beschloss, sowohl zu meiner Belehrung als Erholung einige Zeit fremde Länder zu besuchen.

Als ich England verließ, lebte der junge Monkton noch in seiner abgeschlossenen Zurückgezogenheit auf der Abtei und erlag, der allgemeinen Meinung zufolge, immer mehr und mehr dem erblichen Leiden der Familie. In Betreff Miss Elmslys sagte das Gerücht, dass sie sich durch den Aufenthalt im Auslande bedeutend erholt und bereits mit ihrer Mutter den Heimweg nach England angetreten habe, um ihr früheres Verhältnis zu dem Erben von Wincot wieder anzuknüpfen. Noch ehe sie jedoch anlangten, hatte ich meine Reise schon begonnen. Ich durchwanderte halb Europa ohne Plan, bis mich endlich der Zufall auch-nach Neapel führte. Dort traf ich einen alten Schulfreund, welcher Attaché bei der englischen Gesandtschaft war, und dort nahmen die merkwürdigen, Alfred Monkton so nahe berührenden Begebenheiten ihren Anfang, welche ich in den nachfolgenden Zeilen schildern will.

An einem schönen Morgen, als ich mit meinem Freunde, dem Attaché, in den Gärten der Villa Reale umher schlenderte, begegneten wir einem jungen, einsam gehenden Manne, welcher meinen Begleiter grüßte. Ich glaubte diese dunklen, glühenden Augen, die fahlen Wangen und den ängstlich suchenden Blick schon gesehen zu haben, und Alfred Monkton in

ihm zu erkennen, und war im Begriffe, meinen Freund darüber zu befragen, als er mir unaufgefordert die gewünschte Auskunft gab.

»Es ist Alfred Monkton«, sagte er, »er ist in demselben Teile von England zu Hause wie Sie. Kennen Sie ihn nicht?«

»Nur entfernt«, erwiderte ich. »Er war mit Miss Elmsly verlobt, als ich ihn zum letzten Male in der Nähe von Wincot sah. Ist er schon mit ihr vermählt?«

»Nein; es sollte auch nie-geschehen, denn er ist, wie alle seine Vorfahren – wahnsinnig.«

»Wahnsinnig?« rief ich. »Doch ich kann mich nach den Gerüchten, die ich schon in England über ihn gehört habe, eigentlich nicht wundern.«

»Ich urteile nicht nach den Gerüchten, sondern nach dem, was er in meiner Gegenwart und im Angesichte von Hunderten gesagt und getan hat. Sie müssen davon gehört haben.«

»Nie. Seit Monaten habe ich von England durchaus keine Nachrichten erhalten, und ebenso wenig hier, in Neapel, Neuigkeiten erfahren.«

»So muss ich Ihnen eine sonderbare Geschichte erzählen. Es wird Ihnen bekannt sein, dass Alfred Monkton einen Oheim und Bruder seines Vaters namens Stephan Monkton hatte. Dieser Oheim duellierte sich vor einiger Zeit in den päpstlichen Staaten mit einem Franzosen und wurde erschossen. Die Sekundanten und der Franzose, welcher unverletzt geblieben war, entflohen, wie man vermutet, in verschiedenen Richtungen. Die näheren Umstände des Duells hörten wir hier erst einen Monat später, als nämlich ein französisches Journal einen Bericht darüber brachte, welcher den hinterlassenen Papieren eines der dabei beteiligten und bald darauf in Paris verstorbenen Sekundanten entnommen war. Es ergab sich daraus die Art und Weise, in der das Duell vor sich gegangen und beendet worden, aber weiter nichts. Der andere Sekundant und der Gegner, der Franzose, waren spurlos verschwunden, und alle bisher an gestellten Nachforschungen blieben fruchtlos. Man weiß daher nichts weiter, als dass Stephan Monkton im Duelle erschossen wurde – ein Ereignis, das niemand sehr beklagen wird, da ein größerer Schuft als er nie auf Erden gelebt hat. Allein, wie dies geschehen, und wohin sein Leichnam gebracht worden ist, sind Fragen, über denen ein bis jetzt noch unaufgeklärtes Dunkel schwebt.«

»Aber was hat alles dies mit Alfred Monkton zu tun?«

»Nur Geduld, Sie werden es gleich hören. Was glauben Sie, das Alfred tat, sobald die Nachricht vom Tode seines Oheims nach England gelangte? Er verschob seine bereits nahe bevorstehende Vermählung mit Miss Elmsly und kam hierher, um die Grabstätte seines schuftigen Oheims aufzusuchen. Er hat erklärt, nicht eher nach England und zu seiner Braut zurückkehren zu wollen, als bis er den Leichnam gefunden habe und mit sich nach England führen könne, um ihn in der Monktonschen Gruft beizusetzen. Er hat hier sein Geld verschwendet, die Polizei nutzlos gequält, sich seit drei Monaten dem Gelächter aller preisgegeben, und ist der Erreichung seines Zweckes jetzt noch ebenso fern als je. Keinem Menschen will er einen Beweggrund für diese seltsame Handlungsweise angeben. Man mag über ihn lachen, oder ihm vernünftige Vorstellungen machen, Alles ist vergeblich. Jetzt eben, als wir ihm begegneten, war er wieder auf dem Wege zum Polizeiminister, um neue Agenten durch den ganzen Kirchenstaat zu senden, die den Ort entdecken sollen, an dem sein Oheim den Tod gefunden hat. Das Sonderbarste bei der ganzen Sache ist aber, dass er dessen ungeachtet versichert, die unbegrenzteste Liebe für Miss Elmsly zu empfinden, und sich wegen der Trennung von ihr unaussprechlich unglücklich zu fühlen – eine Trennung, die er sich freiwillig auferlegt hat, um die Überreste eines Elenden aufzusuchen, der ein Schandfleck für die Familie war, und den er kaum ein paarmal in seinem Leben gesehen hat. Denken Sie nur! Von allen »verrückten Monktons«, wie sie in England genannt werden, ist Alfred der Verrückteste, und macht hier den Hauptgegenstand unserer Unterhaltung aus. Wenn ich aber an das arme, verlassene Mädchen in England denke, so fühle ich mich mehr geneigt ihn zu verachten, als über ihn zu lachen.«

»Sie kennen also die Elmslysche Familie?«

»Genau. Erst vor wenigen Tagen erhielt ich von meiner Mutter aus England einen Brief in Betreff Adas, welche sie besucht hatte. Alle Freunde der Familie sind empört über diesen Narrenstreich, und dringen in sie, das Verhältnis abzubrechen. Selbst ihre Mutter, so schmutzig und hochmütig sie ist, hat es des öffentlichen Anstandes halber für notwendig erachtet, auf die Seite der übrigen Verwandten zu treten, und sich ihren Wünschen anzuschließen; allein das brave Mädchen will ihn nicht aufgeben. Sie nimmt seine Tollheit in Schutz, versichert, dass er ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit einen guten Grund für sein abenteuerliches Unternehmen angegeben habe, und dass sie zuversichtlich hoffe, noch recht glücklich mit ihm zu werden. Mit einem Worte, sie liebt ihn von ganzem Herzen und schenkt ihm volles Vertrauen. Durch nichts lässt sie sich wankend machen und ist fest entschlossen, ihm ihr Leben zu opfern.«

»Weshalb gerade – opfern? So seltsam sein Benehmen auch erscheint, kann er doch einen Grund dazu haben, den wir nicht zu entdecken vermögen. Ist denn eine Störung in seinem Geiste erkennbar, wenn er von gewöhnlichen Gegenständen spricht?«

»Nicht im Geringsten; wenn man ihn überhaupt zum Reden bringen kann, was nicht leicht ist und nicht häufig geschieht, so spricht er wie ein vernünftiger, gebildeter Mann. Berühren Sie nicht den Gegenstand, welcher ihn hierher geführt hat, und er wird Ihnen als der sanfteste, ruhigste Mensch erscheinen. Sobald man aber auch nur im Entferntesten jenes Vagabunden, seines Oheims, erwähnt, so zeigt sich die Familienkrankheit augenblicklich. Vor einigen Tagen fragte ihn eine Dame scherzweise, ob er jemals den Geist seines Oheims gesehen habe. Als Erwiderung sah er sie mit wahrhaft teuflischen Blicken an und sagte, dass er und sein Oheim ihre Frage gemeinschaftlich beantworten würden, wenn sie auch aus der Hölle kommen müssten, um es zu tun. Wir lachten über seine-Antwort, allein die Dame war von seinen Blicken so erschreckt worden, dass sie in Ohnmacht sank. Jeder andere Mann würde wegen eines solchen Betragens aus der Gesellschaft verwiesen worden sein, allein der »verrückte Monkton«, wie wir ihn getauft haben, genießt in den Kreisen von Neapel das Privilegium des Wahnsinns, weil er ein Engländer, ein hübscher Mann ist, und jährlich dreißigtausend Pfund zu verzehren hat. Überall, wohin er geht, hofft er jemanden zu finden, der ihm das Geheimnis des Ortes enthüllen kann, an dem das Duell stattgefunden hat. Sobald Sie ihm vorgestellt werden, wird er Sie augenblicklich fragen, ob Ihnen nichts davon bekannt sei. Aber hüten Sie sich wohl, auf den Gegenstand näher einzugehen, wenn es nicht in Ihrer Absicht liegt, sich davon zu überzeugen, dass er wirklich wahnsinnig ist. In diesem Falle dürfen Sie nur von seinem Oheim zu reden anfangen, und der Erfolg wird Sie vollständig befriedigen.«

Wenige Tage nach dieser Unterredung mit dem Attaché traf ich Monkton in einer Abendgesellschaft. Als er meinen Namen nennen hörte, überzog hohe Röte sein Gesicht. Er ergriff meinen Arm, führte mich in eine Ecke des Zimmers, und bat mich wegen der Kälte, mit der er früher meine Annäherung zurückgewiesen hatte, um Verzeihung, nannte seine Handlungsweise eine nicht zu entschuldigende Undankbarkeit, und sprach mit einer Glut und inneren Bewegung, die mich in Erstaunen setzten. Sein nächstes Wort enthielt, wie mein Freund mir vorher gesagt hatte, die Frage nach dem Orte des geheimnisvollen Duells.

Während er davon sprach, ging eine merkwürdige Veränderung mit ihm vor. Statt mir in das Gesicht zu blicken, wie er bisher getan hatte, schweiften seine Augen umher und richteten sich dann mit fast wildem Ausdrucke auf die leere Wand vor uns. Ich war zur See von Spanien nach Neapel gekommen, und sagte ihm kurz, dass ich aus diesem Grunde unvermögend sei, die geringste Auskunft zu geben. Er verfolgte den Gegenstand auch nicht weiter, und meines Freundes Warnung gedenkend, lenkte ich das Gespräch auf andere Dinge. Sogleich fielen seine Blicke wieder auf mich und blieben in dieser Richtung, so lange wir in der Ecke des Zimmers miteinander sprachen.

Er war zwar immer mehr geneigt zu hören, als selbst zu sprechen, allein wenn er sprach, ließ seine Rede auch nicht die leisesten Spuren von Irrsinn erkennen. Er hatte viel und gründlich gelesen, und besaß die glückliche Gabe, das auf diese Weise erlangte Wissen bei jedem Gegenstande der Unterhaltung zur Anwendung zu bringen, ohne dass er dadurch prahlerisch erschien. Sein ganzes Wesen und Benehmen stand im direktesten Widerspruch mit dem Spottnamen »verrückter Monkton«. Er war ruhig, zurückhaltend, und in seinem ganzen Tun und Treiben so sanft, dass ich ihn zuweilen fast hätte weibisch nennen mögen. Wir hatten am ersten Abende unseres Zusammentreffens eine lange Unterhaltung, sahen uns später öfter, und ließen keine Gelegenheit vorübergehen, das angeknüpfte Band des Vertrauens zu befestigen. Ich sah, dass er sich zu mir hingezogen fühlte, und ungeachtet alles dessen, was ich über sein Betragen gegen Miss Elmsly gehört hatte, und des Verdachtes, zu dem die Geschichte seiner Familie sowohl wie sein eigenes Benehmen Veranlassung gab, begann ich die mir geschenkte Zuneigung in demselben Grade zu erwidern. Wir machten manchen Spazierritt in der Umgegend, und ruderten oft zusammen längs der schönen Ufer der Bai von Neapel. Wenn sich nicht zwei auffallende, mir unerklärliche Erscheinungen in seinem Wesen gezeigt hätten, so würde ich mich im Umgange mit ihm so wohl gefühlt haben, als wenn er mein Bruder gewesen wäre.

 

Die eine dieser Erscheinungen bestand darin, dass sich zuweilen jener sonderbare Ausdruck in seinen Augen zeigte, den ich am ersten Abende bemerkt hatte, als er mich über das Duell befragte. Er pflegte dann, gleichviel wovon wir sprachen, oder wo wir uns befanden, seine Augen plötzlich von mir abzuwenden, und bald auf diese, bald auf jene Seite zu richten, aber immer dahin, wo nichts zu sehen war, und stets mit demselben stieren, fast wilden Blicke. Das sah dem Wahnsinn so ähnlich, dass ich mich scheute, ihn darüber zu befragen, und mich stellte, als wenn ich es nicht bemerkte.

Die andere Sonderbarkeit in seinem Wesen war die, dass er nie von den über den Zweck seiner Reise in Neapel umgehenden Gerüchten, nie von Miss Elmsly und seinem Leben in der Abtei mit mir sprach. Dies setzte nicht bloß mich, sondern auch diejenigen in Erstaunen, welche unseren vertrauten Umgang beobachteten und deshalb nicht anders glaubten, als dass ich Mitwisser aller seiner Geheimnisse sei. Allein die Zeit war nahe, da er selbst alle Schleier lüften und mir Dinge mitteilen sollte, von denen ich bis dahin noch keine Ahnung hatte.