Anne Lisbeth

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Anne Lisbeth

Hans Christian Andersen

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Über den Autoren

Anne Lisbeth

Über den Autoren

Hans Christian Andersen, der sich als Künstler zeitlebens nur H. C. Andersen nannte, ist der bekannteste Dichter und Schriftsteller Dänemarks.

Anne Lisbeth

Anne Lisbeth war wie Milch und Blut, jung, frisch und fröhlich, wunderschön sah sie aus, blendend weiße Zähne, klare Augen hatte sie, leicht war ihr Fuß im Tanze und ihr Sinn noch leichter! Was kam aber dabei heraus? „Ein häßlicher Bube!“ Nein, schön war er nicht!“ Er wurde bei der Frau des Feldarbeiters „abgegeben“. Anne Lisbeth kam ins gräfliche Schloß, saß dort im Prunkzimmer, angetan mit Sammet und Seide, kein Wind durfte sie anwehen, niemand ihr ein hartes Wort sagen, hätte ihr das doch Schaden bringen können, und das dufte ja nicht sein. Sie stillte das gräfliche Kind, und das war fein und zart wie ein Prinz, schön wie ein Engel; wie liebte sie dieses Kind! Ihr eigenes, ja, das war untergebracht, war bei dem Feldarbeiter, wo nicht der Topf, wohl aber der Mund überkochte und wo in der Regel niemand zu Hause war bei dem Knaben. Dieser weinte dann -aber was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß -, er weinte sich in den Schlaf und im Schlaf empfindet man weder Hunger noch Durst; der Schlaf ist eine gar gute Erfindung. Mit den Jahren -auch Unkraut schießt empor -schoß Anne Lisbeths Knabe in die Höhe, und doch war er im Wachstum zurück, sagte man; aber in die Familie war er ganz und gar hineingewachsen, sie hatten Geld dafür erhalten. Anne Lisbeth war ihn ganz los, sie war eine Stadtdame geworden, hatte es gut und gemütlich zu Hause und trug Hut und Schleier, wenn sie spazierenging; aber sie spazierte nie zu dem Feldarbeiter hinaus, das war zu weit von der Stadt entfernt, und sie hatte ja dort auch nichts zu tun, der Knabe gehörte den Arbeiterleuten, und sein Essen hatte er, sagte Sie, und was tun fürs Essen müsse er auch, und deshalb hütete er Matz Matzens rote Kuh, er konnte schon Vieh hüten und sich nützlich machten.

Der Kettenhund auf der Bleiche des Herrenhofes sitzt stolz im Sonnenschein oben auf seiner Hütte und bellt jeden an, der vorübergeht; gibt es Regen, verkriecht er sich in die Hütte und liegt dort warm und trocken. Anne Lisbeths Knaben saß auf dem Feldzaun im Sonnenschein und schnitzte einen Spannpflock, denn im Frühling hatte er drei Erdbeerpflanzen entdeckt, die in Blüte standen, die würden sicher Beeren tragen. Er saß draußen in Regen und Wetter und ward naß bis auf die Haut, der scharfe Wind trocknete ihm nachher die Kleider am Leib. Kam er einmal auf den Herrenhof, wurde er geknufft und gestoßen, er sei gar zu häßlich, sagten die Mägde und Knechte, daran war er gewöhnt, niemand liebte ihn! So erging es Anne Lisbeths Knaben, und wie sollte es ihm anders ergehen! Sein Los war nun einmal, niemals geliebt zu werden.

Bisher eine „Landkrabbe“, wurde er nun vom Land „über Bord“ geworfen, er fuhr zur See mit einem elenden Fahrzeug, saß am Ruder, während der Schiffer beim Schnapsglas saß; schmutzig und häßlich war er, durchgefroren und heißhungrig, man sollte meinen, er sei nie satt gewesen, und das war auch der Fall. Es war Spätherbst, rauhes, nasses, windiges Wetter; der Wind schnitt kalt durch die dicken Kleider, namentlich auf See; und da fuhr ein elendes Fahrzeug mit einem einzigen Segel und nur zwei Mann an Bord, ja, nur anderthalb, hätte man sagen können, dem Schiffer und seinem Schiffsjungen. Dämmerlicht war den ganzen Tag über gewesen, jetzt wurde es finster; es herrschte eine schneidende Kälte Der Schiffer trank einen Schnaps, der ihn von innen erwärmen konnte! Die Flasche war alt, das Glas auch, oben war es ganz, aber der Fuß war abgebrochen, und nun stand es auf einem geschnitzten, blau angestrichenen Holzklötzchen. Ein Schnaps tut wohl, zwei tun noch wohler, meinte der Schiffer. Der Junge saß am Ruder, das er mit seinen harten, schwieligen Händen festkeilt; häßlich war er, das Haar struppig, er selber verkrüppelt und verkümmert, er war des Feldarbeiters Kind -im Kirchenbuch hieß er Anne Lisbeths Kind.

Der Wind flog auf seine Weise, das Fahrzeug auf seine dahin. Das Segel blähte sich, der Wind war hineingesprungen, es ging in sausender Fahrt, rauh, naß ringsumher, und noch ärger konnte es kommen! Halt! Was war nur das? Was stieß da, was zersprang dort, was ergriff das Schiff? Es drehte sich, legte sich um! War das ein Wolkenbruch? erhob sich eine Sturzsee? Der Junge am Ruder schrie laut auf: „In Jesu Namen!“ Das Fahrzeug war auf einen großen Fels am Meeresoden gestoßen und sank wie ein alter Schuh in der Gosse, versank mit Mann und Maus, wie man sagt; und Mäuse waren an Bord, aber nur anderthalb Mann: Der Fischer und des Feldarbeiters Junge. Niemand sah es, außer den schwimmenden Möwen und den Fischen dort unten, und die sahen es auch nicht einmal recht, denn sie fuhren erschrocken auseinander, als das Wasser ins Schiff hineinbrauste und es versank. Kaum einen Faden unter dem Wasserspiegel lag es; diese beiden waren untergebracht, begraben und vergessen! Nur das Glas mit dem blauen hölzernen Fuß sank nicht. der Fuß hielt es oben; das Glas trieb dahin um zerbrochen und an die Küste gespült zu werden -wo und wann? Ja, wem läge wohl daran? Hatte es doch jetzt ausgedient und war es doch geliebt worden, nicht so Anne Lisbeths Knaben“ Doch im Himmel wird keine Seele mehr sagen können: „Niemals geliebt!“ Anne Lisbeth wohnte in der Stadt, und zwar seit vielen Jahren hieß Madame und fühlte sich erst recht, wenn sie auf die alten Erinnerungen zu sprechen kam, auf die „gräfliche“ Zeit, als sie in der Kutsche fuhr und mit Gräfinnen und Baroninnen verkehren konnte. Ihr süßes Grafenkind war der schönste Engel, die liebste Seele, es hatte sie so sehr geliebt und sie es wieder geliebt; sie hatten sich geküßt und geherzt, der Knabe war ihre Freude, ihr halbes Leben. Jetzt war er groß, vierzehn Jahre alt, schön und gelehrt; sie hatte ihn nicht wiedergesehen, seit sie ihn auf ihren Armen getragen; sie war seit vielen Jahren nicht mehr im gräflichen Schloß gewesen, war es doch eine ganze Reise bis dorthin!

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