Weihnachtsmärchen

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Weihnachtsmärchen
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Charles Dickens

Weihnachtsmärchen

Mit 49 Zeichnungen zu den Erstausgaben

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Weihnachtsmärchen

Inhalt

Vorrede

Zweite Strophe

Dritte Strophe

Vierte Strophe

Fünfte Strophe

Die Zauberglocken

Das Heimchen am Herd

Zweites Gezirp

Drittes Gezirp

Der Kampf des Lebens

Zweiter Teil

Dritter Teil

Der Verwünschte

Zweites Kapitel

Erste Strophe

Drittes Kapitel

Impressum neobooks

Weihnachtsmärchen

Neue, durchgesehene Ausgabe unter Verwendung der

Übertragungen Von Carl Kolb und Julius Seybt mit den 49

Zeichnungen zu den Erstausgaben von Richard Doyle, Edwin

Landseer, John Leech, Daniel Mclise, Clarkson Stanfiel, Frank

Stone und John Tenniel.

Orthographie und Interpunktion wurden dem heutigen Stand

Angepasst. Titel der Originalausgaben: „A christmas carol in

prose. Being a ghoststory of Christmas“ – „The chimes, a goblin

story of some bel s that rang an old year out and a new year in”

– “The cricket on the hearth” – “The battle of life” –

“The haunted man”

Sponsored

by

Santa Claus

16. Auflage

Verlag Arthur Moewig GmbH, Rastatt

September 1985

© 1976 by Verlag Arthur Moewig GmbH, Rastatt

Gesamtausstattung: Creativ Shop München

Satz: Satz + Repro Pfaff, Inning

Druck und Bindung: Salzer – Ueberreuter, Wien

Printed in Austria

ISBN 3-8118-0062-0

Inhalt

Vorrede 4

Ein Weihnachtslied in Prosa

5

Erste Strophe. Marleys Geist

6

Zweite Strophe. Der erste der drei Geister

21

Dritte Strophe. Der zweite der drei Geister

35

Vierte Strophe. Der letzte der Geister

53

Fünfte Strophe. Der Ausgang der Geschichte

65

Die Zauberglocken

71

Das erste Viertel

72

Das zweite Viertel

90

Das dritte Viertel

106

Das vierte Viertel

121

Das Heimchen am Herd

136

Erstes Gezirp

137

Zweites Gezirp

157

Drittes Gezirp

178

Der Kampf des Lebens

197

Erster Teil

198

Zweiter Teil

215

Dritter Teil

237

Der Verwünschte

255

Erstes Kapitel. Der Empfang der Gabe

256

Zweites Kapitel. Die Verbreitung der Gabe

273

Drittes Kapitel. Die Zurücknahme der Gabe

301

Vorrede

Ich habe versucht, in diesem kleinen Geisterbuch den Geist einer

Idee zu wecken, der die Leser nicht übel aunig gegen sich selbst,

gegen andere, gegen die Jahreszeit oder gegen mich machen sol .

Möge er freundlich in ihren Häusern spucken und niemand

wünschen, ihn zu vertreiben.

Ihr

Treuer Freund und Diener

C. D.

Dezember 1843

4

Ein Weihnachtslied in Prosa

Eine Geistergeschichte der Christnacht

5

Zweite Strophe

Der erste Geist

Als Scrooge wieder erwachte, war es so finster, daß er das

Fenster kaum von den Wänden seines Zimmers unterscheiden

konnte. Er bemühte sich, die Finsternis mit seinen Katzenaugen

zu durchdringen, als die Glocke eines Turmes in der

Nachbarschaft mit vier Viertelschlägen die volle Stunde

ankündigte. Er lauschte, um die Stundenschläge zu hören.

Zu seinem großen Erstaunen schlug die Glocke fort, von sechs zu

sieben, von sieben zu acht und so weiter bis zwölf; dann schwieg

sie.

Zwölf! Es war zwei vorübergewesen, als er sich zu Bett gelegt

hatte. Das Uhrwerk mußte falsch gehen.

Ein Eiszapfen mußte zwischen die Räder gekommen sein. Zwölf!

Er drückte an die Feder seiner Repetieruhr, um die verrückte

Glocke zu kontrol ieren. Ihr kleiner lebhafter Puls schlug zwölf

und schwieg.

»Was! Das ist doch nicht möglich«, sagte Scrooge. »Ich sol den

ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein geschlafen

ganzen Tag und bis tief in die andere Nacht hinein geschlafen

haben? Es kann doch nicht sein, daß der Sonne etwas passiert

und es mittags um zwölf ist?«

Mit diesen unruhigen Gedanken beschäftigt, stieg er aus dem

Bett und tappte nach dem Fenster. Er mußte das Eis erst

wegkratzen und das Fenster mit dem Ärmel seines Schlafrockes

abwischen, ehe er etwas sehen konnte; und auch nachher konnte

er nur sehr wenig sehen. Alles, was er bemerkte, war, daß es

noch sehr neblig und sehr kalt war, und daß man nicht den Lärm

hin und her eilender Leute hörte, was doch gewiß vernehmbar

gewesen wäre, wenn Nacht plötzlich den hellen Tag vertrieben

und von der Welt Besitz genommen hätte.

Das war ein großer Trost, weil Bedingungen wie »Drei Tage

nach Sicht bezahlen Sie diesen Primawechsel an Mr. Ebenezer

Scrooge oder dessen Order«

und so weiter bloße Vereinigte-Staaten-Sicherheiten wären,

wenn es keine Tage mehr gab, um danach zu zählen.

Scrooge legte sich wieder ins Bett und dachte darüber nach,

konnte aber zu keinem Schluß kommen. Je mehr er nachdachte,

desto verwirrter wurde er, und je mehr er sich bemühte nicht

nachzudenken, desto mehr dachte er nach.

Marleys Geist machte ihm viel zu schaffen. Immer, wenn er nach

reiflicher Überlegung zu dem festen Entschluß gekommen war,

das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie eine

das Ganze nur für einen Traum zu halten, flog sein Geist wie eine

starke vom Druck befreite Feder wieder in die alte Lage zurück

und legte ihm erneut dieselbe Frage vor, die er schon zehnmal

überlegt hatte: »War es ein Traum oder nicht?«

Scrooge blieb in diesem Zustand liegen, bis es wieder drei

Viertel schlug. Da besann er sich plötzlich, daß der Geist ihm

eine Erscheinung mit dem Schlag eins versprochen hatte. So

beschloß er wach zu bleiben, bis die Stunde vorüber sei, und

wenn man bedenkt, daß er ebensowenig schlafen, als in den

Himmel kommen konnte, war dies gewiß der klügste Entschluß,

den er fassen konnte.

21

Die Viertelstunde war so lang, daß es ihm mehr als einmal

vorkam, er müsse unversehens in Schlaf gefal en sein und die

Uhr überhört haben. Endlich vernahm sein lauschendes Ohr die

Glocke.

»Bim, bam!«

»Ein Viertel«, sagte Scrooge zählend.

»Bim, bam!«

»Halb«, sagte Scrooge.

»Bim, bam!«

»Bim, bam!«

»Drei Viertel«, sagte Scrooge.

»Bim, bam!« »Voll!« rief Scrooge freudig. »Und weiter nichts!«

Er sprach das, ehe die Stundenglocke schlug, was sie jetzt mit

einem tiefen, hohlen, melancholischen Klang tat. In demselben

Augenblick wurde es hel im Zimmer, und die Vorhänge seines

Bettes wurden geöffnet.

Ich sage euch, die Vorhänge seines Bettes wurden von einer

Hand weggezogen, und sich aufrichtend blickte Scrooge dem

unirdischen Gast, der sie geöffnet hatte, in das Gesicht. So dicht

stand er ihm gegenüber, wie ich jetzt im Geist neben euch stehe.

Es war eine sonderbare Gestalt, gleich einem Kind, aber doch

eigentlich nicht gleich einem Kind, sondern mehr wie ein Greis,

der durch einen wunderbaren Zauber erschien, als sei er dem

 

Auge entrückt und auf diese Weise so klein geworden wie ein

Kind. Sein Haar, das in langen Locken auf seine Schultern

herabwal te, war weiß, wie vom Alter, und dennoch hatte das

Gesicht keine einzige Runzel, und um das Kinn bemerkte man

den zartesten Flaum. Die Arme waren lang und muskulös, die

Hände ebenso, als läge in ihnen eine ungeheure Kraft. Seine

Füße, zart und fein geformt, waren entblößt, gleich den Armen.

Der Geist trug einen Talar vom reinsten Weiß; um seinen Leib

schlang sich ein Gürtel von wunderbarem Glanz. Er hielt einen

frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem

frisch-grünen Stechpalmenzweig in der Hand; aber in seltsamem

Widerspruch mit diesem Zeichen des Winters war das Kleid mit

Sommerblumen verziert. Das Wunderbarste aber war, daß von

seinem Scheitel ein heller Lichtstrahl in die Höhe schoß, der al es

ringsum erleuchtete, und der gewiß die Ursache war, daß der

Geist bei weniger guter Laune einen großen Löschhut, den er

jetzt unter dein Arm trug, als Mütze aufsetzte.

Aber selbst dies war nicht seine seltsamste Eigenschaft. Denn

wie der Gürtel des Geistes bald an dieser Stelle glänzte und

funkelte und bald an jener, und wie das, was im Augenblick hell

gewesen war, plötzlich dunkel wurde, so verwandelte sich auch

die Gestalt selbst, man wußte nicht wie: bald war es ein Ding mit

einem Arm, bald mit einem Bein, bald mit zwanzig Beinen, bald

sah man nur zwei Füße ohne Kopf, bald einen Kopf ohne Leib;

und wie einer dieser Teile verschwand, blieb keine Spur von ihm

in dem dichten Dunkel zurück, das ihn verschlang. Und das

größte Wunder dabei war: die Gestalt blieb immer dieselbe.

»Sind Sie der Geist, dessen Erscheinung mir vorhergesagt

wurde?« fragte Scrooge.

22

»Ich bin es.«

Die Stimme war sanft und wohlklingend und so leise, als käme

sie nicht aus dichtester Nähe, sondern aus einiger Entfernung.

»Wer und was sind Sie?« fragte Scrooge, schon etwas mehr

Mut fassend.

»Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht.«

»Einer lange vergangenen?« fragte Scrooge, seiner zwerghaften

Gestalt gedenkend.

»Nein, einer deiner vergangenen.«

Vielleicht hätte Scrooge, wenn ihn jemand befragt hätte, nicht

sagen können, warum, aber doch fühlte er ein ganz besonderes

Verlangen, den Geist unter seinem Hut zu sehen; und er bat ihn,

sich zu bedecken.

»Was?« rief der Geist. »Willst du so bald mit irdisch gesinnter

Hand das Licht, das ich spende, verlöschen? Ist es nicht genug,

daß du einer von denen bist, deren Leidenschaften diese Mütze

geschaffen haben und mich zwingen, durch lange, lange Jahre

meine Stirn damit zu verhüllen?«

Scrooge entschuldigte sich ehrfurchtsvoll, er habe nicht die

Absicht gehabt, ihn zu beleidigen, und behauptete, nicht zu

wissen, daß er irgend einmal in seinem Leben dem Geist Ursache

gegeben habe, sich zu bedecken. Dann war er so frei, zu fragen,

was ihn hierher führe?

»Dein Wohl«, sagte der Geist.

»Dein Wohl«, sagte der Geist.

Scrooge drückte ihm seine Dankbarkeit aus, konnte sich aber

doch nicht des Gedankens erwehren, daß ihm eine Nacht

ungestörten Schlafes mehr genützt hätte. Der Geist mußte ihn

haben denken hören, denn er sagte sogleich:

»Deine Besserung. Nimm dich in acht!«

Er streckte seine starke Hand aus, als er dies sprach, und ergriff

sanft seinen Arm.

»Steh auf und folge mir.«

Vergebens würde Scrooge eingewendet haben, Wetter und

Stunde seien schlecht geeignet zum Spazierengehen, das Bett sei

warm und das Thermometer ein gutes Stück unter dem

Gefrierpunkt, er sei nur leicht in Pantoffeln, Schlafrock und

Nachtmütze gekleidet und habe gerade jetzt den Schnupfen.

Dem Griff, war er auch sanft wie der einer Frauenhand, war

nicht zu widerstehen. Er stand auf; aber als er sah, daß der Geist

nach dem Fenster schwebte, faßte er ihn flehend bei dem

Gewand.

»Ich bin ein Sterblicher«, sagte Scrooge, »und könnte fal en.«

»Laß meine Hand dich hier berühren«, sagte der Geist, indem er

die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren

die Hand auf das Herz legte, »und du wirst größere Gefahren

überwinden, als diese hier.«

Als er diese Worte gesprochen hatte, drangen die beiden durch

die Wand und standen plötzlich im Freien auf der Landstraße,

rings von Feldern umgeben. Die Stadt war ganz verschwunden.

Keine Spur war mehr davon. Die Dunkelheit und der Nebel

waren mit ihr verschwunden, denn es war jetzt ein klarer, kalter

Wintertag und der Boden mit weißem reinem Schnee bedeckt.

»Gütiger Himmel!« rief Scrooge, die Hände faltend, als er um

sich blickte.

»Hier wurde ich geboren. Hier lebte ich als Knabe.«

23

Der Geist schaute ihn mit milden Blicken an. Seine sanfte

Berührung, obgleich sie nur leise und flüchtig gewesen war, bebte

immer noch nach in dem Herzen des alten Mannes. Er fühlte, wie

tausend Düfte die Luft durchwehten, jeder mit tausend

Gedanken und Hoffnungen und Freuden und Sorgen verbunden,

die lange, lange vergessen waren.

»Deine Lippen zittern«, sagte der Geist. »Und was glänzt auf

deiner Wange?«

Scrooge murmelte mit einem ungewöhnlichen Mollton in der

Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen,

Stimme, es sei ein Wärzchen, und bat den Geist, ihn zu führen,

wohin er wol e.

»Erinnerst du dich des Weges?« fragte der Geist.

»Ob ich mich seiner erinnere?« rief Scrooge mit Innigkeit.

»Blindlings könnte ich ihn gehen!«

»Seltsam, daß du ihn so viele Jahre hindurch vergessen hast«,

sagte der Geist.

»Komm!«

Sie schritten den Weg entlang. Scrooge erkannte jedes Tor,

jeden Pfahl, jeden Baum wieder, bis ein kleiner Marktflecken in

der Ferne mit seiner Kirche, seiner Brücke und dem hellen Fluß

erschien. jetzt kamen einige Knaben, auf zottigen Ponies reitend,

auf sie zu, die anderen Knaben in ländlichen Wagen laut zuriefen.

Al e waren gar fröhlich und laut, bis die weiten Felder so voll

heiterer Musik waren, daß die kalte, sonnige Luft lachte, sie zu

hören.

»Dies sind nur Schatten der Dinge, die da gewesen sind,« meinte

der Geist,

»sie wissen nichts von uns.«

Die fröhlichen Reisenden kamen näher, und Scrooge erkannte

sie jetzt alle und konnte sie alle beim Namen nennen. Warum

freute er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein

freute er sich über alle Maßen, sie zu sehen, warum wurde sein

kaltes Auge feucht, warum frohlockte sein Herz, als sie

vorübereilten, warum wurde sein Herz weich, wie sie an den

Kreuzwegen voneinander schieden und einander fröhliche

Weihnachten wünschten?

Was gingen denn Scrooge fröhliche Weihnachten an? Der

Henker hole die fröhlichen Weihnachten! Welchen Nutzen hatte

er wohl jemals davon gehabt?

»Die Schule ist nicht ganz verlassen«, nahm der Geist wieder das

Wort. »Ein Kind, eine verlassene Waise, sitzt noch einsam dort.«

Scrooge sagte, er wisse es. Und er schluchzte.

Sie verließen nunmehr die Heerstraße auf einem wohlbekannten

Feldweg und erreichten bald ein Haus aus dunkelroten

Backsteinen mit einem kleinen Türmchen auf dem Dach und

einer Glocke drin. Es war ein großes Haus, aber jetzt

vernachlässigt und ziemlich verwahrlost, weil die geräumigen

Gemächer wenig gebraucht waren, die Wände feucht und grün,

die Fenster zerbrochen, die Türen morsch und halb zerfallen.

Hühner gluckten und scharrten in den Ställen, und der

Wagenschuppen war mit Gras überwachsen. Auch im Innern

war nichts übriggeblieben von seiner alten Pracht, denn als sie in

den verödeten Hausflur eintraten und durch die offenen Türen in

die vielen Zimmer blickten, sahen sie nur ärmlich ausgestattete,

kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft,

kalte, große Räume. Ein erdiger, multriger Geruch lag in der Luft,

eine frostige Unbehaglichkeit von allzu häufigem Aufstehen bei

Kerzenlicht und nicht al zu reichlichem Essen.

24

Der Geist ging mit Scrooge über den Hausflur nach einer Tür auf

der Rückseite des Hauses. Sie öffnete sich vor ihnen und zeigte

ihnen einen langen, kahlen, unbehaglichen Saal, den Reihen von

einfachen hölzernen Bänken noch kahler und unbehaglicher

machten.

Auf einer davon saß einsam ein Knabe neben einem schwachen

Feuer und las; und Scrooge setzte sich auf eine Bank nieder und

weinte, als er sein eigenes, vergessenes Selbst sah, wie es in

früheren Jahren war.

Kein dumpfer Widerhall in dem Haus, kein Rascheln der Mäuse

hinter dem Getäfel, kein Getröpfel des halbgefrorenen

Brunnentrogs hinten im Hof, kein Seufzer in den blattlosen

Zweigen einer verlassen trauernden Pappel, nicht das Knarren

der vom Wind hin und her bewegten Tür des Vorratshauses im

Hof, selbst nicht das Knistern des Feuers war für Scrooge

verloren. Alles fiel auf sein Herz wie erweichende Töne und löste

seine Tränen.

Der Geist berührte seinen Arm und wies auf sein jüngeres, in ein

Buch vertieftes Abbild. Plötzlich stand draußen vor dem Fenster

ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und

ein Mann in fremdartiger Tracht, mit einer Axt im Gürtel und

einen mit Holz beladenen Esel am Zaume führend.

»Was! Das ist ja Ali Baba!« rief Scrooge voller Freude aus. »Es

ist der alte, liebe, ehrliche Ali Baba. Ja, ja, ich weiß es noch.

Einst zur Weihnachtszeit geschah es, daß dieser verlassene

Knabe ganz allein hier saß, und er zum ersten Male wirklich

kam, gerade wie er dort steht. Der arme Junge! Und Valentin«,

fuhr Scrooge fort, »und auch sein wilder Bruder Orson, dort

gehen sie! Und wie heißt doch der, der mitten im Schlaf vor das

Tor von Damaskus gesetzt wurde?

Siehst du ihn nicht? Und der Stallmeister des Sultans, der von

den bösen Geistern auf den Kopf gestellt wurde, dort ist er ja

auch! Ha, ha, es geschieht ihm schon recht! Wer hieß es ihn

auch, die Prinzessin heiraten wol en!«

Scrooge mit vollem Ernst über solche Gegenstände reden zu

hören und mit einer zwischen Lachen und Weinen schwankenden

Stimme, dann auch sein vor Freude aufgeregtes Gesicht zu

sehen: das wäre für seine Geschäftsfreunde in der City gewiß

eine große Überraschung gewesen.

»Da ist ja auch der Papagei«, rief Scrooge, »der mit grünem Leib

und gelbem Schwanz, da ist er! Der arme Robinson, er rief ihn,

als er von seiner Inselumsegelung wieder nach Hause kam

›Robinson Crusoe, wo bist du gewesen?‹ Er glaubte, er träume,

aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen

aber das war der Papagei. Ha, dort läuft Freitag in der kleinen

Bucht. Es gilt das Leben. Hallo, hob, hal o!«

Dann sagte er mit einem schnel en Wechsel der Gefühle, der

seinem gewöhnlichen Charakter sehr fremd war: »Der arme

Knabe!«, und er weinte wieder. Dann wischte er sich mit dem

Ärmelaufschlag die Augen, steckte die Hand in die Tasche und

murmelte: »Ich wünschte - aber es ist jetzt zu spät.«

»Was willst du?« fragte der Geist.

»Nichts«, sagte Scrooge, »nichts. Gestern abend sang ein Knabe

ein Weihnachtslied vor meiner Tür. Ich wünschte, ich hätte ihm

etwas gegeben, weiter war es nichts.«

 

25

Der Geist lächelte gedankenvoll und winkte mit der Hand. Dann

sagte er: »Laß uns ein anderes Weihnachtsfest sehen.«

Scrooges früheres Selbst wurde bei diesen Worten größer, und

das Zimmer etwas finsterer und schwärzer, das Getäfel warf

sich, die Fensterscheiben sprangen, Stücke des Kalkbewurfs

fielen von der Decke und das bloße Lattenwerk zeigte sich: aber

wie das alles geschah, wußte Scrooge ebensowenig wie ihr. Er

wußte nur, daß alles stimmte und sich ganz so zugetragen habe,

und daß er's nun wieder sei, der dort al ein sitze, während die

andern Knaben nach Hause gereist waren zur fröhlichen

Weihnachtsfeier.

Weihnachtsfeier.

Er las nicht, sondern ging wie in Verzweiflung im Zimmer auf und

ab.

Scrooge blickte den Geist an und schaute mit einem traurigen

Kopfschütteln und in banger Erwartung nach der Tür.

Da ging sie auf und ein kleines Mädchen, viel jünger als der

Knabe, sprang herein, schlang die Arme um seinen Hals, küßte

ihn und begrüßte ihn als ihren

»lieben, lieben Bruder«.

»Ich komme, um dich mit nach Hause zu nehmen, lieber

Bruder!« sagte das Kind, fröhlich mit den Händen klatschend.

»Dich mit nach Hause zu nehmen, nach Hause, nach Hause!«

»Nach Hause, liebe Fanny?« fragte der Knabe.

»Ja!« antwortete die Kleine in überströmender Freude. »Nach

Hause und für immer! Der Vater ist so viel freundlicher als sonst,

daß es bei uns wie im Himmel ist. Eines Abends, als ich zu Bett

ging, sprach er so freundlich mit mir, daß ich mir ein Herz faßte

und ihn fragte, ob du nicht nach Hause kommen dürftest -, und

er sagte ja, und schickte mich im Wagen her, um dich zu holen.

Und du sollst jetzt dein freier Herr sein«, sagte das Kind und

blickte ihn bewundernd an, »und nicht mehr hierher

zurückkehren; aber erst sol en wir alle zusammen das

Weihnachtsfest feiern und recht lustig sein.«

»Du bist ja eine ordentliche Dame geworden, Fanny!« rief der

Knabe aus.

Sie klatschte in die Hände und lachte und versuchte, bis an

seinen Kopf zu reichen; aber sie war zu klein, und lachte wieder

und stellte sich auf die Zehen, um ihn zu umarmen. Dann zog sie

ihn in kindlicher Ungeduld zur Tür, und er begleitete sie mit

leichtem Herzen.

Eine schreckliche Stimme im Hausflur rief: »Bringt Master

Scrooges Koffer herunter!« Es war der Lehrer selbst, der

Master Scrooge mit brutal hochnäsiger Herablassung anstierte,

und ihn in großen Schrecken setzte, als er ihm die Hand drückte.

Dann führte er ihn und seine Schwester in ein feuchtes,

fröstelnerregendes Empfangszimmer, an dessen Wänden

Landkarten und in dessen Fenster die Erd- und Himmelsgloben

vor Kälte glänzten. Hier brachte er eine Flasche merkwürdig

leichten Wein und ein Stück merkwürdig schweren Kuchen

herbei und regalierte die Kinder schonend sparsam mit diesen

auserlesenen Leckerbissen. Auch schickte er eine hungrig

aussehende Magd hinaus, um dem Postillion ein Gläschen

anzubieten, wofür dieser aber mit den Worten dankte, wenn es

von demselben Faß wie das vorige sei, möchte er lieber nicht

kosten. Während dieser Zeit war Master Scrooges Koffer auf

den Wagen 26

den Wagen 26

gebunden worden, und die Kinder nahmen ohne Rührung von

dem Schulmeister Abschied, setzten sich in den Wagen und

fuhren so schnel zum Garten hinaus, daß der Reif und der

Schnee wie Schaum von den immergrünen Gebüschen

hinwegstob.

»Sie war immer ein zartes Wesen, das von einem Hauch hätte

verwelken können«, sagte der Geist. »Aber sie hatte ein großes

Herz.«

»Ja, das hatte sie«, rief Scrooge. »Ich will nicht widersprechen,

Geist. Gott verhüte es.«

»Sie starb als Frau«, sagte der Geist, »und hatte Kinder, glaube

ich.«

»Ein Kind«, antwortete Scrooge.

»Ja«, sagte der Geist. »Dein Neffe.«

Scrooge schien unruhig zu werden und antwortete kurz: »ja.«

Obgleich sie die Schule kaum einen Augenblick hinter s ich

gelassen hatten, befanden sie s ich doch plötzlich mitten in den

lebendigsten Straßen der Stadt, wo schattenhafte Fußgänger

vorübergingen, wo gespenstige Wagen und Kutschen um Platz

stritten und wo das ganze wirre Leben einer wirklichen Stadt

stritten und wo das ganze wirre Leben einer wirklichen Stadt

herrschte. Am Aufputz der Läden sah man, daß auch hier

Weihnachten war; aber es war Abend und die Straßenlaternen

brannten.

Der Geist blieb vor dem Eingang eines Lagerhauses stehen und

fragte Scrooge, ob er dies kenne.

»Ob ich es kenne?« sagte Scrooge. »Hab ich hier nicht gelernt?«

Sie traten ein. Beim Anblick eines alten Herrn in einer

Stutzperücke, der hinter einem so hohen Pult saß, daß er mit

dem Kopf hätte an die Decke stoßen müssen, wäre er zwei Zoll

größer gewesen, rief Scrooge in großer Aufregung:

»Ha, das ist ja der alte Fezziwig, Gott segne ihn, es ist Fezziwig,

wie er leibt und lebt!«

Der alte Fezziwig legte seine Feder hin und sah hinauf nach der

Uhr, deren Zeiger auf sieben stand. Er rieb die Hände, zog seine

geräumige Weste herunter, schüttelte sich vor heimlichem Lachen

von Kopf bis Fuß und rief mit einer behäbigen, voll und doch

mild tönenden heiteren Stimme: »Hallo, dort!

Ebenezer! Dick!«

Scrooges früheres Selbst, jetzt zu einem Jüngling geworden, trat

flink herein, begleitet von seinem Mitlehrling.

»Dick Wilkins, wahrhaftig!« sagte Scrooge zu dem Geist.

»Wahrhaftig, er ist es. Er war mir sehr zugetan, der Dick. Der

arme Dick! Du meine Güte!«

»Hallo, meine Burschen«, rief Fezziwig. »Feierabend heute.

Weihnachten, Dick! Weihnachten Ebenezer! Macht die Läden

zu, schnel ! Ehe einer Jack Robinson sagen kann.« So rief der

alte Fezziwig, munter die Hände zusammenschlagend.

Kaum zu glauben, wie rasch und munter die beiden Jungen

darangingen. Sie liefen mit den Läden hinaus -eins, zwei, drei -

hatten sie eingesetzt - vier, fünf, sechs - sie zugeriegelt und

zugeschraubt - sieben, acht, neun - und kamen zurück, ehe man

zwölf sagen konnte, außer Atem, wie Rennpferde.

27

»Hussahoh!« rief der alte Fezziwig, mit wunderbarer

Geschicklichkeit von seinem hohen Sessel herunterspringend.

»Aufräumen, Jungens, und macht viel Platz! Hussahoh, Dick!

Hallo, Ebenezer!«

Aufräumen! Es gab nichts, was sie nicht wegräumen wol ten

oder wegräumen konnten, wenn der alte Fezziwig zusah. Es war

in einer Minute geschehen.

Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde in die Winkel

geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen Dienste

geschoben, als sei es für immer aus dem öffentlichen Dienste

entlassen; der Flur wurde gekehrt und gesprengt, die Lampen

geputzt, Kohlen auf das Feuer geschüttet, und der Laden war so

behaglich, so warm und hel wie ein Ballsaal und wie man es nur

an einem Winterabend verlangen konnte.

Jetzt trat ein Fiedler mit einem Notenbuch herein, er kletterte auf

Fezziwigs hohen Stuhl, machte ihn zum Orchester und begann zu

stimmen, als hätte er fünfzigfaches Bauchweh. Dann kam Mrs.

Fezziwig, ein einziges behagliches Lächeln. Dann kamen die drei

Miss Fezziwig, freudestrahlend und liebenswürdig. Dann kamen

die sechs Jünglinge, deren Herzen s ie brachen.

Dann kamen die Burschen und Mädchen, die im Haus einen

Dienst hatten: das Hausmädchen mit ihrem Vetter, dem Bäcker,

die Köchin mit ihres Bruders vertrautem Freund, dem

Milchmann. Dann kam der Bursche von gegenüber, von dem

man sagte, er habe bei seinem Herrn knappe Kost; er versuchte,

sich hinter dem Mädchen aus dem Nachbarhaus zu verstecken,

der man nachwies, sie sei von ihrer Herrschaft an den Ohren

gezogen worden. Sie kamen alle, einer nach dem andern; einige

schüchtern, andere keck, einige mit Geschick, andere mit

Ungeschick, die zerrend und jene stoßend. Dann ging es los,

zwanzig Paare auf einmal, eine halbe Runde hin und zurück, dann

die Mitte des Zimmers hinauf und wieder herab, dann in

zärtlichen Gruppen sich drehend: das alte erste Paar immer an

der falschen Stelle, das nächste erste Paar immer zur falschen

Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte.

Zeit, bis alle Paare erste waren und kein einziges mehr das letzte.

Als sie so weit gekommen waren, klatschte der alte Fezziwig

zum Zeichen, daß der Tanz aus sei, in die Hände und rief

»Bravo!«, und der Fiedler senkte sein glühendes Gesicht in einen

Krug Porter, der besonders zu diesem Zweck neben ihm stand.

Aber kaum war er wieder heraus, als er, obgleich noch keine

Tänzer dastanden, wieder aufzuspielen begann, als sei der alte

Fiedler erschöpft nach Hause getragen worden und er ein ganz

frischer, entschlossen, den alten vergessen zu machen oder zu

sterben.

Dann folgten noch mehrere Tänze und Pfänderspiele und wieder

Tänze. Dann kam Kuchen und Negus und ein großes Stück

kalter Braten, und dann ein großes Stück kaltes Siedfleisch und

Fleischpasteten und viel Bier. Aber der Glanzpunkt des Abends

kam nach dem Siedfleisch, als der Fiedler (ein heller Kopf, er

kannte sein Geschäft besser, als ihr oder ich es hätte lehren

können) den Großvatertanz »Sir Roger de Coverley«zu spielen

begann. Da trat der alte Fezziwig mit Mrs. Fezziwig an, und zwar

als das erste Paar. Sie hatten ein gutes Stück Arbeit vor sich,

drei- oder vierundzwanzig Partner, Leute, mit denen nicht zu

spaßen war, Leute, die tanzen wol ten und keine Lust hatten, zu

spazieren.

28

Aber selbst wenn es zweimal, ja viermal soviel gewesen wären,

hätte es der alte Fezziwig mit ihnen aufgenommen und auch Mrs.

Fezziwig. Sie war im vollen Sinn des Wortes würdig, seine

Tänzerin zu sein. Wenn das kein großes Lob ist, so sagt mir ein

größeres und ich will es aussprechen. Von Fezziwigs Waden

schien ein eigener Glanz auszugehen. Sie leuchteten in jedem Teil

des Tanzes wie ein Paar Monde. Ihr hättet zu keiner Minute

voraussagen können, was aus ihnen in der nächsten wird. Und

als der alte Fezziwig und Mrs.

Fezziwig alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang

Fezziwig alle Touren des Tanzes durchgemacht hatten, sprang

Fezziwig so geschickt, als zwinkere er mit den Beinen, und kam,

ohne zu wanken, wieder auf die Füße.

Mit dem Glockenschlag elf war dieser häusliche Ball zu Ende.

Mr. und Mrs.

Fezziwig stellten sich zu beiden Seiten der Tür auf, schüttelten

jedem einzelnen der Gäste die Hand zum Abschied und

wünschten ihm oder ihr fröhliche Weihnachten.

Als alles, außer den zwei Lehrlingen, fort war, wünschten sie

diesen das gleiche. So waren die heiteren Stimmen verklungen,

und die Burschen gingen in ihr Bett, das sich unter einem

Ladentisch hinten im Lagerraum befand.

Während dieser ganzen Zeit hatte sich Scrooge wie ein

Verrückter benommen.

Sein Herz und seine Seele waren bei dem Ball und seinem