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Read the book: «Schach von Wuthenow», page 3

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Die Carayons, so verwöhnte Stadtkinder sie waren, oder vielleicht auch weil sie's waren, enthusiasmirten sich über all und jedes, und jubelten, als Schach einen Abendspaziergang in die Tempelhofer Kirche zur Sprache brachte. Sonnenuntergang sei die schönste Stunde. Tante Marguerite freilich, die sich »vor dem unvernünftigen Viehe« fürchtete, wäre lieber am Kaffeetische zurückgeblieben, als ihr aber der zu weiterer Beruhigung herbeigerufene Wirth aufs eindringlichste versichert hatte, »daß sie sich um den Bullen nicht zu fürchten brauche,« nahm sie Victoirens Arm und trat mit dieser auf die Dorfstraße hinaus, während Schach und Frau von Carayon folgten. Alles, was noch an dem Staketenzaune saß, sah ihnen nach.

»Es ist nichts so fein gesponnen,« sagte Frau von Carayon und lachte.

Schach sah sie fragend an.

»Ja lieber Freund, ich weiß alles. Und niemand Geringeres als Tante Marguerite hat uns heute Mittag davon erzählt.«

»Wovon?«

»Von der Serenade. Die Carolath ist eine Dame von Welt und vor allem eine Fürstin. Und Sie wissen doch, was Ihnen nachgesagt wird, ›daß Sie der garstigsten princesse vor der schönsten bourgeoise den Vorzug geben würden.‹ Jeder garstigen Prinzeß sag ich. Aber zum Ueberfluß ist die Carolath auch noch schön. Un teint de lys et de rose. Sie werden mich eifersüchtig machen.«

Schach küßte der schönen Frau die Hand. »Tante Marguerite hat Ihnen richtig berichtet, und Sie sollen nun alles hören. Auch das Kleinste. Denn, wenn es mir, wie zugestanden, eine Freude gewährt, einen solchen Abend unter meinen Erlebnissen zu haben, so gewährt es mir doch eine noch größere Freude, mit meiner schönen Freundin darüber plaudern zu können. Ihre Plaisanterien, die so kritisch und doch zugleich so voll guten Herzens sind, machen mir erst alles lieb und werth. Lächeln Sie nicht. Ach daß ich Ihnen alles sagen könnte. Theure Josephine, Sie sind mir das Ideal einer Frau: klug und doch ohne Gelehrsamkeit und Dünkel, espritvoll und doch ohne Mocquanterie. Die Huldigungen, die mein Herz darbringt, gelten nach wie vor nur Ihnen, Ihnen, der Liebenswürdigsten und Besten. Und das ist Ihr höchster Reiz, meine theure Freundin, daß Sie nicht einmal wissen, wie gut Sie sind, und welch stille Macht Sie über mich üben.«

Er hatte fast mit Bewegung gesprochen, und das Auge der schönen Frau leuchtete, während ihre Hand in der seinen zitterte. Rasch aber nahm sie den scherzhaften Ton wieder auf und sagte: »Wie gut Sie zu sprechen verstehen. Wissen Sie wohl, so gut spricht man nur aus der Verschuldung heraus.«

»Oder aus dem Herzen. Aber lassen wir's bei der Verschuldung, die nach Sühne verlangt. Und zunächst nach Beichte. Deshalb kam ich gestern. Ich hatte vergessen, daß Ihr Empfangsabend war, und erschrak fast, als ich Bülow sah, und diesen aufgedunsenen Roturier, den Sander. Wie kommt er nur in Ihre Gesellschaft?«

»Er ist der Schatten Bülows.«

»Ein sonderbarer Schatten, der dreimal schwerer wiegt als der Gegenstand, der ihn wirft. Ein wahres Mammuth. Nur seine Frau soll ihn noch übertreffen, weshalb ich neulich spöttisch erzählen hörte, ›Sander, wenn er seine Brunnenpromenade vorhabe, gehe nur dreimal um seine Frau herum.‹ Und dieser Mann Bülows Schatten! Wenn Sie lieber sagten, sein Sancho Pansa …«

»So nehmen Sie Bülow selbst als Don Quixote?«

»Ja, meine Gnädigste … Sie wissen, daß es mir im allgemeinen widersteht, zu medisiren, aber dies ist au fond nicht medisiren, ist eher Schmeichelei. Der gute Ritter von La Mancha war ein ehrlicher Enthusiast, und nun frag ich Sie, theuerste Freundin, läßt sich von Bülow dasselbe sagen? Enthusiast! Er ist excentrisch, nichts weiter, und das Feuer, das in ihm brennt, ist einfach das einer infernalen Eigenliebe.«

»Sie verkennen ihn, lieber Schach. Er ist verbittert, gewiß; aber ich fürchte, daß er ein Recht hat, es zu sein.«

»Wer an krankhafter Ueberschätzung leidet, wird immer tausend Gründe haben, verbittert zu sein. Er zieht von Gesellschaft zu Gesellschaft, und predigt die billigste der Weisheiten, die Weisheit post festum. Lächerlich. An allem, was uns das letzte Jahr an Demüthigungen gebracht hat, ist, wenn man ihn hört, nicht der Uebermuth oder die Kraft unserer Feinde schuld, o nein, dieser Kraft würde man mit einer größeren Kraft unschwer haben begegnen können, wenn man sich unsrer Talente, will also sagen, der Talente Bülows rechtzeitig versichert hätte. Das unterließ die Welt, und daran geht sie zu Grunde. So geht es endlos weiter. Darum Ulm und darum Austerlitz. Alles hätt ein andres Ansehen gewonnen, sich anders zugetragen, wenn diesem korsischen Thron- und Kronenräuber, diesem Engel der Finsterniß, der sich Bonaparte nennt, die Lichtgestalt Bülows auf dem Schlachtfeld entgegengetreten wäre. Mir widerwärtig. Ich hasse solche Fanfaronaden. Er spricht von Braunschweig und Hohenlohe, wie von lächerlichen Größen, ich aber halte zu dem fridericianischen Satze, daß die Welt nicht sicherer auf den Schultern des Atlas ruht, als Preußen auf den Schultern seiner Armee.«

Während dieses Gespräch zwischen Schach und Frau von Carayon geführt wurde, war das ihnen voranschreitende Paar bis an eine Wegstelle gekommen, von der aus ein Fußpfad über ein frisch gepflügtes Ackerfeld hin sich abzweigte.

»Das ist die Kürche,« sagte das Tantchen und zeigte mit ihrem Parasol auf ein neugedecktes Thurmdach, dessen Roth aus allerlei Gestrüpp und Gezweig hervorschimmerte. Victoire bestätigte, was sich ohnehin nicht bestreiten ließ, und wandte sich gleich danach nach rückwärts, um die Mama durch eine Kopf- und Handbewegung zu fragen, ob man den hier abzweigenden Fußpfad einschlagen wolle? Frau von Carayon nickte zustimmend, und Tante und Nichte schritten in der angedeuteten Richtung weiter. Ueberall aus dem braunen Acker stiegen Lerchen auf, die hier, noch ehe die Saat heraus war, schon ihr Furchennest gebaut hatten, ganz zuletzt aber kam ein Stück brachliegendes Feld, das bis an die Kirchhofsmauer lief, und, außer einer spärlichen Grasnarbe, nichts aufwies, als einen trichterförmigen Tümpel, in dem ein Unkenpaar musizirte, während der Rand des Tümpels in hohen Binsen stand.

»Sieh, Victoire, das sind Binsen.«

»Ja, liebe Tante.«

»Kannst Du Dir denken, ma chère, daß, als ich jung war, die Binsen als kleine Nachtlichter gebraucht wurden, und auch wirklich ganz ruhig auf einem Glase schwammen, wenn man krank war oder auch bloß nicht schlafen konnte …«

»Gewiß,« sagte Victoire. »Jetzt nimmt man Wachsfädchen, die man zerschneidet, und in ein Kartenstückchen steckt.«

»Ganz recht, mein Engelchen. Aber früher waren es Binsen, des joncs. Und sie brannten auch. Und deshalb erzähl' ich es Dir. Denn sie müssen doch ein natürliches Fett gehabt haben, ich möchte sagen etwas Kienenes.«

»Es ist wohl möglich,« antwortete Victoire, die der Tante nie widersprach, und horchte, während sie dies sagte, nach dem Tümpel hin, in dem das Musiziren der Unken immer lauter wurde. Gleich danach aber sah sie, daß ein halberwachsenes Mädchen von der Kirche her im vollen Lauf auf sie zukam und mit einem zottigen weißen Spitz sich neckte, der bellend und beißend an der Kleinen empor sprang. Dabei warf die Kleine, mitten im Lauf, einen an einem Strick und einem Klöppel hängenden Kirchenschlüssel in die Luft, und fing ihn so geschickt wieder auf, daß weder der Schlüssel noch der Klöppel ihr weh thun konnte. Zuletzt aber blieb sie stehn und hielt die linke Hand vor die Augen, weil die niedergehende Sonne sie blendete.

»Bist Du die Küsterstochter?« fragte Victoire.

»Ja,« sagte das Kind.

»Dann bitte, gieb uns den Schlüssel oder komm mit uns und schließ uns die Kirche wieder auf. Wir möchten sie gerne sehen, wir und die Herrschaften da.«

»Gerne,« sagte das Kind und lief wieder vorauf, überkletterte die Kirchhofsmauer und verschwand alsbald hinter den Haselnuß- und Hagebuttensträuchern, die hier so reichlich standen, daß sie, trotzdem sie noch kahl waren, eine dichte Hecke bildeten.

Das Tantchen und Victoire folgten ihr und stiegen langsam über verfallene Gräber weg, die der Frühling noch nirgends mit seiner Hand berührt hatte; nirgends zeigte sich ein Blatt, und nur unmittelbar neben der Kirche war eine schattig-feuchte Stelle wie mit Veilchen überdeckt. Victoire bückte sich, um hastig davon zu pflücken, und als Schach und Frau von Carayon im nächsten Augenblick den eigentlichen Hauptweg des Kirchhofes heraufkamen, ging ihnen Victoire entgegen und gab der Mutter die Veilchen.

Die Kleine hatte mittlerweile schon aufgeschlossen und saß wartend auf dem Schwellstein; als aber beide Paare heran waren, erhob sie sich rasch und trat, allen vorauf, in die Kirche, deren Chorstühle fast so schräg standen, wie die Grabkreuze draußen. Alles wirkte kümmerlich und zerfallen, der eben sinkende Sonnenball aber, der hinter den nach Abend zu gelegenen Fenstern stand, übergoß die Wände mit einem röthlichen Schimmer und erneuerte, für Augenblicke wenigstens, die längst blind gewordene Vergoldung der alten Altarheiligen, die hier noch, aus der katholischen Zeit her, ihr Dasein fristeten. Es konnte nicht ausbleiben, daß das genferisch reformirte Tantchen aufrichtig erschrak, als sie dieser »Götzen« ansichtig wurde, Schach aber, der unter seine Liebhabereien auch die Genealogie zählte, fragte bei der Kleinen an, ob nicht vielleicht alte Grabsteine da wären?

»Einer ist da,« sagte die Kleine. »Dieser hier,« und wies auf ein abgetretenes, aber doch noch deutlich erkennbares Steinbild, das aufrecht in einen Pfeiler, dicht neben dem Altar, eingemauert war. Es war ersichtlich ein Reiteroberst.

»Und wer ist es?« fragte Schach.

»Ein Tempelritter,« erwiderte das Kind, »und hieß der Ritter von Tempelhof. Und diesen Grabstein ließ er schon bei Lebzeiten machen, weil er wollte, daß er ihm ähnlich werden sollte.«

Hier nickte das Tantchen zustimmend, weil das Aehnlichkeitsbedürfniß des angeblichen Ritters von Tempelhof eine verwandte Saite in ihrem Herzen traf.

»Und er baute diese Kirche,« fuhr die Kleine fort, »und baute zuletzt auch das Dorf, und nannt es Tempelhof, weil er selber Tempelhof hieß. Und die Berliner sagen »Templow«. Aber es ist falsch.«

All das nahmen die Damen in Andacht hin, und nur Schach, der neugierig geworden war, fragte weiter »ob sie nicht das ein oder andre noch aus den Lebzeiten des Ritters wisse?«

»Nein, aus seinen Lebzeiten nicht. Aber nachher.«

Alle horchten auf, am meisten das sofort einen leisen Grusel verspürende Tantchen, die Kleine hingegen fuhr in ruhigem Tone fort: »Ob es alles so wahr ist, wie die Leute sagen, das weiß ich nicht. Aber der alte Kossäthe Maltusch hat es noch mit erlebt.«

»Aber was denn, Kind?«

»Er lag hier vor dem Altar über hundert Jahre, bis es ihn ärgerte, daß die Bauern und Einsegnungskinder immer auf ihm herumstanden, und ihm das Gesicht abschurrten, wenn sie zum Abendmahl gingen. Und der alte Maltusch, der jetzt ins neunzigste geht, hat mir und meinem Vater erzählt, er hab es noch mit seinen eigenen Ohren gehört, daß es noch mitunter so gepoltert und gerollt hätte, wie wenn es drüben über Schmargendorf donnert.«

»Wohl möglich.«

»Aber sie verstanden nicht, was das Poltern und Rollen bedeutete,« fuhr die Kleine fort. »Und so ging es bis das Jahr, wo der russische General, dessen Namen ich immer vergesse, hier auf dem Tempelhofer Felde lag. Da kam einen Sonnabend der vorige Küster und wollte die Singezahlen wegwischen und neue für den Sonntag anschreiben. Und nahm auch schon das Kreidestück. Aber da sah er mit einem Male, daß die Zahlen schon weggewischt und neue Gesangbuchzahlen und auch die Zahlen von einem Bibelspruch, Kapitel und Vers, mit angeschrieben waren. Alles altmodisch und undeutlich, und nur so grade noch zu lesen. Und als sie nachschlugen, da fanden sie: ›Du sollst Deinen Todten in Ehren halten und ihn nicht schädigen an seinem Antlitz.‹ Und nun wußten sie, wer die Zahlen geschrieben, und nahmen den Stein auf, und mauerten ihn in diesen Pfeiler.«

»Ich finde doch,« sagte Tante Marguerite, die, je schrecklicher sie sich vor Gespenstern fürchtete, desto lebhafter ihr Vorhandensein bestritt, »ich finde doch, die Regierung sollte mehr gegen dem Aberglauben thun.« Und dabei wandte sie sich ängstlich von dem unheimlichen Steinbild ab, und ging mit Frau von Carayon, die, was Gespensterfurcht anging, mit dem Tantchen wetteifern konnte, wieder dem Ausgange zu.

Schach folgte mit Victoire, der er den Arm gereicht hatte.

»War es wirklich ein Tempelritter?« fragte diese. »Meine Tempelritter-Kenntniß beschränkt sich freilich nur auf den einen im ›Nathan,‹ aber wenn unsre Bühne die Kostümfrage nicht zu willkürlich behandelt hat, so müssen die Tempelritter durchaus anders ausgesehen haben. Hab ich Recht?«

»Immer Recht, meine liebe Victoire.« Und der Ton dieser Worte traf ihr Herz und zitterte darin nach, ohne daß sich Schach dessen bewußt gewesen wäre.

»Wohl. Aber wenn kein Templer, was dann?« fragte sie weiter und sah ihn zutraulich und doch verlegen an.

»Ein Reiteroberst aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Oder vielleicht auch erst aus den Tagen von Fehrbellin. Ich las sogar seinen Namen: Achim von Haake.«

»So halten Sie die ganze Geschichte für ein Märchen?«

»Nicht eigentlich das, oder wenigstens nicht in allem. Es ist erwiesen, daß wir Templer in diesem Lande hatten, und die Kirche hier mit ihren vorgothischen Formen mag sehr wohl bis in jene Templertage zurückreichen. So viel ist glaubhaft.«

»Ich höre so gern von diesem Orden.«

»Auch ich. Er ist von der strafenden Hand Gottes am schwersten heimgesucht worden und eben deshalb auch der poetischste und interessanteste. Sie wissen, was ihm vorgeworfen wird: Götzendienst, Verleugnung Christi, Laster aller Art. Und ich fürchte mit Recht. Aber groß wie seine Schuld, so groß war auch seine Sühne, ganz dessen zu geschweigen, daß auch hier wieder der unschuldig Ueberlebende die Schuld voraufgegangener Geschlechter zu büßen hatte. Das Loos und Schicksal aller Erscheinungen, die sich, auch da noch wo sie fehlen und irren, dem Alltäglichen entziehn. Und so sehen wir denn den schuldbeladenen Orden, all seiner Unrühmlichkeiten unerachtet, schließlich in einem wiedergewonnenen Glorienschein zu Grunde gehen. Es war der Neid, der ihn tödtete, der Neid und der Eigennutz, und schuldig oder nicht, mich überwältigt seine Größe.«

Victoire lächelte. »Wer Sie so hörte, lieber Schach, könnte meinen, einen nachgebornen Templer in Ihnen zu sehen. Und doch war es ein mönchischer Orden, und mönchisch war auch sein Gelübde. Hätten Sie's vermocht als Templer zu leben und zu sterben?«

»Ja.«

»Vielleicht verlockt durch das Kleid, das noch kleidsamer war, als die Supra-Weste der Gensdarmes.«

»Nicht durch das Kleid, Victoire. Sie verkennen mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das mich vor keinem Gelübde zurückschrecken läßt.«

»Um es zu halten?«

Aber eh er noch antworten konnte, fuhr sie rasch in wieder scherzhafter werdendem Tone fort: »Ich glaube Philipp le Bel hat den Orden auf dem Gewissen. Sonderbar, daß alle historischen Personen, die den Beinamen des ›Schönen‹ führen, mir unsympathisch sind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber die Schönheit, das muß wahr sein, macht selbstisch, und wer selbstisch ist, ist undankbar und treulos.«

Schach suchte zu widerlegen. Er wußte, daß sich Victoirens Worte, so sehr sie Piquanterien und Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn gerichtet haben konnten. Und darin traf er's auch. Es war alles nur jeu d'esprit, eine Nachgiebigkeit gegen ihren Hang zu philosophiren. Und doch, alles was sie gesagt hatte, so gewiß es absichtslos gesagt worden war, so gewiß war es doch auch aus einer dunklen Ahnung heraus gesprochen worden.

Als ihr Streit schwieg, hatte man den Dorfeingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau von Carayon und Tante Marguerite, die sich beide versäumt hatten, zu warten.

Als sie heran waren, bot er der Frau von Carayon den Arm, und führte diese bis an das Gasthaus zurück.

Victoire sah ihnen betroffen nach, und sann nach über den Tausch, den Schach mit keinem Worte der Entschuldigung begleitet hatte. »Was war das?« Und sie verfärbte sich, als sie sich, aus einem plötzlichen Argwohn heraus, die selbstgestellte Frage beantwortet hatte.

Von einem Wiederplatznehmen vor dem Gasthause war keine Rede mehr, und man gab es um so leichter und lieber auf, als es inzwischen kühl geworden und der Wind, der den ganzen Tag über geweht hatte, nach Nordwesten hin umgesprungen war.

Tante Marguerite bat sich den Rücksitz aus, »um nicht gegen dem Winde zu fahren.«

Niemand widersprach. So nahm sie denn den erbetenen Platz, und während jeder in Schweigen überdachte, was ihm der Nachmittag gebracht hatte, ging es in immer rascherer Fahrt wieder auf die Stadt zurück.

Diese lag schon in Dämmer als man bis an den Abhang der Kreuzberghöhe gekommen war und nur die beiden Gensdarmenthürme ragten noch mit ihren Kuppeln aus dem graublauen Nebel empor.

Fünftes Kapitel.
Victoire von Carayon an Lisette von Perbandt

Berlin, den 3. Mai. Ma chère Lisette.

Wie froh war ich, endlich von Dir zu hören, und so Gutes. Nicht als ob ich es anders erwartet hätte; wenige Männer hab ich kennen gelernt, die mir so ganz eine Garantie des Glückes zu bieten scheinen, wie der Deinige. Gesund, wohlwollend, anspruchslos, und von jenem schönen Wissens- und Bildungsmaß, das ein gleich gefährliches Zuviel und Zuwenig vermeidet. Wobei ein »Zuviel« das vielleicht noch gefährlichere ist. Denn junge Frauen sind nur zu geneigt, die Forderung zu stellen »Du sollst keine andren Götter haben neben mir.« Ich sehe das beinah täglich bei Rombergs, und Marie weiß es ihrem klugen und liebenswürdigen Gatten wenig Dank, daß er über Politik und französische Zeitungen die Visiten und Toiletten vergißt.

Was mir allein eine Sorge machte, war Deine neue masurische Heimat, ein Stück Land, das ich mir immer als einen einzigen großen Wald mit hundert Seen und Sümpfen vorgestellt habe. Da dacht ich denn, diese neue Heimat könne Dich leicht in ein melancholisches Träumen versetzen, das dann immer der Anfang zu Heimweh oder wohl gar zu Trauer und Thränen ist. Und davor, so hab ich mir sagen lassen, erschrecken die Männer. Aber ich sehe zu meiner herzlichen Freude, daß Du auch dieser Gefahr entgangen bist, und daß die Birken, die Dein Schloß umstehn, grüne Pfingstmaien und keine Trauerbirken sind. A propos über das Birkenwasser mußt Du mir gelegentlich schreiben. Es gehört zu den Dingen, die mich immer neugierig gemacht haben, und die kennen zu lernen mir bis diesen Augenblick versagt geblieben ist.

Und nun soll ich Dir über uns berichten. Du frägst theilnehmend nach all und jedem, und verlangst sogar von Tante Margueritens neuester Prinzessin und neuester Namensverwechslung zu hören. Ich könnte Dir gerade davon erzählen, denn es sind keine drei Tage, daß wir (wenigstens von diesen Verwechslungen) ein gerüttelt und geschüttelt Maß gehabt haben.

Es war auf einer Spazierfahrt, die Herr von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu der auch das Tantchen aufgefordert werden mußte, weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir sie jeden Dienstag als Gast in unsrem Hause sehn. Sie war denn auch mit uns in der »Kürche«, wo sie, beim Anblick einiger Heiligenbilder aus der katholischen Zeit her, nicht nur beständig auf Ausrottung des Aberglaubens drang, sondern sich mit eben diesem Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie wenn dieser im Konsistorium säße. Und da leg ich denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend habe, mir alles gleich leibhaftig vorzustellen) während des Schreibens die Feder hin, um mich erst herzlich auszulachen. Au fond freilich ist es viel weniger lächerlich, als es im ersten Augenblick erscheint. Er hat etwas konsistorialräthlich Feierliches, und wenn mich nicht alles täuscht, so ist es gerade dies Feierliche, was Bülow so sehr gegen ihn einnimmt. Viel, viel mehr als der Unterschied der Meinungen.

Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner Schilderung Bülow anschlösse. Wirklich, wüßtest Du's nicht besser, Du würdest dieser Charakteristik unsres Freundes nicht entnehmen können, wie sehr ich ihn schätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem Schmerzlichen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt man milde sein, sich trösten, verzeihn. Hätt ich es nicht gelernt, wie könnt ich leben, ich, die ich so gern lebe! Eine Schwäche, die (wie ich einmal gelesen) alle diejenigen haben sollen, von denen man es am wenigsten begreift.

Aber ich sprach von manchem Schmerzlichen, und es drängt mich, Dir davon zu erzählen.

Es war erst gestern auf unsrer Spazierfahrt. Als wir den Gang aus dem Dorf in die Kirche machten, führte Schach Mama. Nicht zufällig, es war arrangirt, und zwar durch mich. Ich ließ beide zurück, weil ich eine Aussprache (Du weißt welche) zwischen beiden herbeiführen wollte. Solche stillen Abende, wo man über Feld schreitet, und nichts hört als das Anschlagen der Abendglocke, heben uns über kleine Rücksichten fort und machen uns freier. Und sind wir erst das, so findet sich auch das rechte Wort. Was zwischen ihnen gesprochen wurde, weiß ich nicht, jedenfalls nicht das, was gesprochen werden sollte. Zuletzt traten wir in die Kirche, die vom Abendroth wie durchglüht war, alles gewann Leben, und es war unvergeßlich schön. Auf dem Heimwege tauschte Schach, und führte mich. Er sprach sehr anziehend, und in einem Tone, der mir ebenso wohlthat, als er mich überraschte. Jedes Wort ist mir noch in der Erinnerung geblieben, und giebt mir zu denken. Aber was geschah? Als wir wieder am Eingange des Dorfes waren, wurd er schweigsamer, und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den Arm, und so gingen sie durch das Dorf nach dem Gasthause zurück, wo die Wagen hielten und viele Leute versammelt waren. Es gab mir einen Stich durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es ihm peinlich gewesen sei, mit mir und an meinem Arm unter den Gästen zu erscheinen. In seiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht freisprechen kann, ist es ihm unmöglich, sich über das Gerede der Leute hinwegzusetzen, und ein spöttisches Lächeln verstimmt ihn auf eine Woche. So selbstbewußt er ist, so schwach und abhängig ist er in diesem einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch vor der Mama nicht, würd ich ein solches Bekenntniß ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab ich Unrecht, so sage mir, daß mein Unglück mich mißtrauisch gemacht habe, so halte mir eine Strafpredigt in allerstrengsten Worten, und sei versichert, daß ich sie mit dankbarem Auge lesen werde. Denn all seiner Eitelkeit unerachtet, schätz ich ihn wie keinen andern. Es ist ein Satz, daß Männer nicht eitel sein dürfen, weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir scheint dies übertrieben. Ist aber der Satz dennoch richtig, so bedeutet Schach eine Ausnahme. Ich hasse das Wort »ritterlich« und habe doch kein anderes für ihn. Eines ist er vielleicht noch mehr, diskret, imponirend, oder doch voll natürlichen Ansehns, und sollte sich mir das erfüllen, was ich um der Mama und auch um meinetwillen wünsche, so würd es mir nicht schwer werden, mich in eine Respektsstellung zu ihm hinein zu finden.

Und dazu noch eins. Du hast ihn nie für sehr gescheidt gehalten, und ich meinerseits habe nur schüchtern widersprochen. Er hat aber doch die beste Gescheidtheit, die mittlere, dazu die des redlichen Mannes. Ich empfinde dies jedesmal, wenn er seine Fehde mit Bülow führt. So sehr ihm dieser überlegen ist, so sehr steht er doch hinter ihm zurück. Dabei fällt mir mitunter auf, wie der Groll, der sich in unserm Freunde regt, ihm eine gewisse Schlagfertigkeit, ja, selbst Esprit verleiht. Gestern hat er Sander, dessen Persönlichkeit Du kennst, den Bülowschen Sancho Pansa genannt. Die weiteren Schlußfolgerungen ergeben sich von selbst, und ich find es nicht übel.

Sanders Publikationen machen mehr von sich reden, denn je; die Zeit unterstützt das Interesse für eine lediglich polemische Litteratur. Außer von Bülow sind auch Aufsätze von Massenbach und Phull erschienen, die von den Eingeweihten als etwas Besonderes und nie Dagewesenes ausgepriesen werden. Alles richtet sich gegen Oesterreich, und beweist aufs neue, daß wer den Schaden hat, für den Spott nicht sorgen darf. Schach ist empört über dies anmaßliche Besserwissen, wie er's nennt, und wendet sich wieder seinen alten Liebhabereien zu, Kupferstichen und Rennpferden. Sein kleiner Groom wird immer kleiner. Was bei den Chinesinnen die kleinen Füße sind, sind bei den Grooms die kleinen Proportionen überhaupt. Ich meinerseits verhalte mich ablehnend gegen beide, ganz besonders aber gegen die chinesisch eingeschnürten Füßchen, und bin umgekehrt froh, in einem bequemen Pantoffel zu stecken. Führen, schwingen werd' ich ihn nie; das überlasse ich meiner theuren Lisette. Thu' es mit der Milde, die Dir eigen ist. Empfiehl mich Deinem theuren Manne, der nur den einen Fehler hat, Dich mir entführt zu haben. Mama grüßt und küßt ihren Liebling, ich aber lege Dir den Wunsch ans Herz, vergiß in der Fülle des Glücks, die Dir zu Theil wurde, nicht ganz Deine, wie Du weißt auf ein bloßes Pflichttheil des Glückes gesetzte Victoire.