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EINLEITUNG

Im getrennten Nachkriegsdeutschland entstanden nicht nur zwei unterschiedliche deutsche Staaten. Auch im Bereich der katholischen Kirche Deutschlands entwickelten sich ab 1945 in den verschiedenen Bereichen der Seelsorge je eigene pastorale Ansätze. Den nach dem Krieg neu entstehenden und sich allmählich entwickelnden Strukturen eines dieser Teilbereiche, der Jugendseelsorge, soll im Folgenden für das Gebiet der SBZ/DDR und zwar am Beispiel des Erzbischöflichen Kommissariates Magdeburg (EKM) nachgegangen werden. Das Gedicht von Reiner Kunze1 beschreibt stellvertretend einige wichtige Aspekte dieser sich entwickelnden Jugendseelsorge.

Jugend in den Pfarrgarten

Christus fährt nicht gen himmel

im rauch der rostbratwürste die

der pfarrer brät (der rauch aber zeigt

den weg)

Der Seelsorger steht hier stellvertretend für die Autorität der die Jugend prägenden Persönlichkeiten, wobei „der pfarrer“ auch durch die Jugendführer2 bzw. später die Helfer ersetzt bzw. ergänzt werden kann. Im „Pfarrgarten“ kann man die notwendige Infrastruktur von Freiräumen sehen und die „rostbratwürste“ stehen exemplarisch für die Methoden, deren sich die Jugendseelsorge bediente.

Inhalt

Diese Arbeit versucht zu beschreiben, wie sich die katholische Jugendseelsorge in der SBZ/DDR, im Rahmen der noch zu erläuternden Einschränkungen, von der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum Ende der 1960er Jahre entwickelte. Dieser zeitliche Ausschnitt der Betrachtungen berücksichtigt, dass die Jugendseelsorge in der Nachkriegszeit nicht aus dem Nichts entstand und nicht ohne Konsequenzen für die nachfolgende Zeit blieb.

Die engagierten katholischen Jugendlichen in der SBZ/DDR, geprägt durch die religiöse Sozialisation in ihren Herkunftsfamilien, waren weniger dem sozialistischen Staat verbunden. Sie fühlten sich eher zur katholischen Kirche hingezogen, die konkret in der Pfarrgemeinde bzw. der eigenen Pfarrjugend erlebbar wurde. Diese Jugendgruppen, die einer Territorialpfarrei angegliedert waren, wurden getragen von den drei konstitutiven Größen der Jugendseelsorge: zunächst von der prägenden Kraft der Persönlichkeit der Bezugsperson, meist der des Priesters, daneben von der Gruppe von Gleichgesinnten und drittens von den vermittelten Inhalten. Abhängig von binnenkirchlichen Faktoren wie auch gesellschaftlichen Strömungen wurde in den verschiedenen, im Folgenden zu untersuchenden, Zeitabschnitten diesen drei konstitutiven Größen eine unterschiedliche Bedeutung beigemessen. Dies und in welchem Verhältnis diese drei Konstitutiva der Jugendseelsorge aufeinander bezogen waren, bestimmte den „Erfolg“ von Jugendseelsorge.

„In größere Zusammenhänge gestellt war die katholische Jugendseelsorge in der DDR wohl eher ein nachgeordnetes Kapitel der noch zu schreibenden kirchlichen Zeitgeschichte jener Jahre. Sie konnte als potentielles Konfliktfeld im Staat-Kirche-Verhältnis und mit ihrer daraus folgenden engen Abhängigkeit von den Bischöfen nie eine wirkliche pastorale Eigenständigkeit erlangen.“3 Daraus ergibt sich die Einschränkung, dass es bei einer Betrachtung der Jugendseelsorge unmöglich ist, diese von einer allgemeinen „DDR-Pastoral“ abzugrenzen. Die nächste Einschränkung ergibt sich aus der Tatsache, dass eine Gesamtschau des Themas für alle Ordinariatsbezirke der SBZ/DDR nicht darstellbar ist. Die sich neu organisierenden Ordinariate waren mehr um ihre binnenkirchliche Eigenständigkeit denn um ein Gesamtkonzept für die SBZ/DDR bemüht. So gab es weder die einheitliche „DDR-Pastoral“ noch „die“ Jugendseelsorge in der DDR. Weiterhin können selbst die optimistischsten Annahmen nur von wenigen Tausend katholischen Jugendlichen ausgehen, die im Bereich des EKM erfasst worden sind. So gesehen ist die vorliegende Arbeit eine Studie über „Minderheiten“ in der DDR.4 Dennoch konnte die Jugendseelsorge als spezielle Form der Standesseelsorge für den einzelnen, sich in der DDR oft isoliert fühlenden, Jugendlichen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die eigene Lebensgestaltung und Lebensorientierung bekommen. Nicht zuletzt aus diesem Grunde scheint es angemessen, die Möglichkeiten und Grenzen der Jugendseelsorge während der Zeit des „real existierenden Sozialismus“ zu beleuchten und zu fragen, welche Bedingungen gegeben sein mussten, damit der kirchliche Anspruch innerhalb dieser Gesellschaftsform erfüllt werden konnte. Exemplarisch wird dieser Fragestellung entlang der Nachkriegsgeschichte der Jugendseelsorge im Kommissariat Magdeburg nachgegangen. Zu den Entwicklungen in den anderen Ordinariatgebieten in der SBZ/DDR werden zu bestimmten Themenbereichen Verbindungslinien dargestellt oder aber Unterschiede aufgezeigt, ohne jedoch den Anspruch auf eine vollständige Darstellung der Jugendseelsorge in der SBZ/DDR erheben zu wollen.

Das Kommissariat Magdeburg befand sich im Nachkriegsdeutschland „an der Nahtstelle der Systeme“5 und hatte zudem eine enge historische, personelle und finanzielle Verbindung zum Erzbistum Paderborn, weshalb ihm eine besondere Rolle in der SBZ/DDR zukam. Die Eingrenzung des Themas auf den Bereich des Kommissariates Magdeburg findet neben der biographischen Verbundenheit des Autors mit dieser Region auch in den zur Verfügung stehenden Dokumenten ihren Grund. Als ein wichtiger Grundstock für diese Arbeit stand das umfangreiche Privatarchiv des dritten diözesanen Jugendseelsorgers von Magdeburg, C. Herold, zur Verfügung. Zudem kann diese Arbeit als inhaltliche Ergänzung zur vorliegenden Monographie über die „Katholische Jugendarbeit im Erzbistum Paderborn nach 1945“ verstanden werden, die aus „forschungsökonomischen Gründen“ den Ostteil des Erzbistums ausklammern musste.6

Weiterhin ist einzuschränken, dass vor allem für die Nachkriegsjahre die Jugendseelsorge hauptsächlich aus der Sicht männlicher Jugendlicher dokumentiert ist. Damit soll keineswegs der Eindruck erweckt werden, dass die weiblichen Jugendlichen weniger engagiert waren. Sie waren nur weniger im Blick der Seelsorger. Das mag neben den allgemeinen patriarchalen Strukturen in der Kirche einerseits daran liegen, dass für den Bereich des Erzbischöflichen Kommissariates Magdeburg in den ersten Nachkriegsjahren kein Jugendseelsorger für die weibliche Jugend gefunden werden konnte. Andererseits aber gewiss auch daran, dass in den jungen Männern immer auch die potentiellen Priesteramtskandidaten gesehen wurden und ihnen deshalb eine verstärkte Aufmerksamkeit zukam.

Inhaltlich ist die vorliegende Arbeit an der Schnittstelle zwischen Pastoraltheologie und Kirchengeschichte einzuordnen. Sie ist als ein Versuch anzusehen, kirchengeschichtliche Veränderungen zu erfassen und auf dem Hintergrund einer pastoralen Fragestellung kritisch zu kommentieren.

Wenn im Folgenden von „Jugendseelsorge“ gesprochen wird, ist dies der Tatsache geschuldet, dass dieser Begriff in der Geschichte der Katholischen Kirche in der DDR für den betreffenden Zeitraum seinen festen Platz hatte. In der SBZ war der bislang auch von der katholischen Kirche, so in den Bischöflichen Richtlinien von 1936, verwendete Terminus der „Jugendarbeit“ vom staatlichen Exklusivanspruch belegt worden und allein schon aus diesem Grunde nicht verwendbar. Außerdem orientierten sich bereits die ersten Überlegungen zu einer Arbeit an der Jugend der Nachkriegszeit an deren Erziehung zu christlicher Persönlichkeit. Die Jugendseelsorge in der SBZ wurde der Verantwortung des Bischofs unterstellt und primär als Jugenderziehung verstanden. Diese Ausrichtung bestätigten später unter den Bedingungen der DDR die Bischöflichen Richtlinien von 1953.7 Deren wesentlicher Vollzug erfolgte unter den Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft zwar im Raum der Kirche, dem Bereich der „ordentlichen Seelsorge“8. Dennoch hatte sie, wenn auch nicht ausdrücklich, als „außerordentliche Seelsorge“ Auswirkungen auf die Gesellschaft. Dies gelang im Umbruch der Nachkriegszeit, eher als in den 50er Jahren, in denen die Jugendseelsorge durch die staatlichen Repressionen in den Raum der Kirche zurückgedrängt wurde. In den 60er Jahren gab es erneute Versuche, die Aktivitäten der Jugendseelsorge in die Gesellschaft einzubringen, was kirchenpolitische Spannungen nach sich zog. Für diese drei Phasen der Jugendseelsorge sind ganz unterschiedliche Akzentuierungen nachzuzeichnen. Auch wenn zweifellos die Entwicklung im „Westen“ Deutschlands von der „Jugendseelsorge“9 über die „kirchliche Jugendarbeit“10 bis hin zur „Jugendpastoral“11 ganz anders verlaufen ist, schloss „Jugendseelsorge“ in der DDR sowohl den kirchlichen Heilsdienst an den Jugendlichen als auch deren aktive Trägerschaft beim jugendseelsorglichen Handeln in Kirche und Gesellschaft, wenn auch nicht ausdrücklich, mit ein. Die dazugehörige theologische Reflexion aber wurde allenfalls aus der Ferne mehr oder weniger wohlwollend verfolgt und nur vereinzelt und zaghaft auf die Situation in der DDR übertragen. Dennoch hatte die Jugendseelsorge in der DDR auch die Hinwendung zur Subjekthaftigkeit der Jugendlichen mit eingeschlossen, der im Begriff der modernen „Jugendpastoral“ inbegriffen ist.12

Forschungstand

Bisher liegt noch keine wissenschaftliche Gesamtschau der Jugendseelsorge in der DDR vor. Die Veröffentlichungen zu pastoralen Themen sind meist nur territorial oder thematisch begrenzten Inhaltes und zudem oft in Sammelbänden mit aus persönlichen Erfahrungen sich speisenden Einzelartikeln veröffentlicht13 oder aber existieren als kleinere Monographien14 bzw. in Form von Magister- oder Diplomarbeiten.15 Obschon bereits eine größere Anzahl von Arbeiten zum Themenbereich „katholische Kirche und Staat in der DDR“ veröffentlicht wurde, waren dies vor allem kirchenpolitische und historische Darstellungen,16 die den Fokus auf die Auseinandersetzungen zwischen katholischer Kirche und Staat richteten. Die pastoralen Innenansichten katholischer Wirklichkeit standen bisher weniger im Blick einer gesamtdeutschen Aufarbeitung nach 1989. Sie entwickelten sich in jüngster Zeit zunächst an biographischpastoralen Würdigungen einzelner Bischöfe in der DDR,17 deren Spuren eher auffindbar sind.

Gliederung

Im Unterschied zu den bisherigen kirchenpolitischen Veröffentlichungen gliedert sich diese Arbeit nicht analog zu den politischen oder kirchenpolitischen Zäsuren jener Zeit, sondern orientiert sich an den Gegebenheiten der Jugendseelsorge des Kommissariates Magdeburg, die sich, wie zu sehen sein wird, markant an dem Wirken des jeweiligen diözesanen Jugendseelsorgers festmachen lassen. Es wird aufzuzeigen sein, dass sich die substanziellen Impulse für die Jugendseelsorge auch weniger aus den politischen Ereignissen ergaben, als vielmehr im Zusammenhang mit der Person des Seelsorgers standen. Einschneidende politische Ereignisse wie die Gründung der DDR 1949 oder der 17. Juni 1953 hatten demgegenüber weniger direkte Konsequenzen für die Jugendseelsorge. Viel wichtiger war für diese die Persönlichkeit des jeweiligen Jugendseelsorgers und wie er auf die betreffenden Ereignisse reagierte. Einzig im Sommer 1961 decken sich die Zäsuren der politischen und der jugendseelsorglichen Veränderung, doch ohne jeden kausalen Zusammenhang. Ähnliches gilt auch für den Exkurs über die Jugendweihe. Dort lässt sich aufzeigen, dass nicht die Einführung der Jugendweihe das entscheidende Problem für die Jugendlichen darstellte. Gravierender war, wie die Verantwortlichen in der Jugendseelsorge, Bischöfe wie Priester, in der Lage waren, diesem Konflikt mit seelsorglichem Einfühlungsvermögen zu begegnen.

Deshalb gliedert sich die Arbeit entsprechend der Wirkungszeiten der diözesanen Jugendseelsorger im Kommissariat Magdeburg. Die erste Phase, die Zeit ohne eigentlichen Jugendseelsorger, betrifft den Zeitraum der sowjetischen Besatzung von 1945 - 1949. Dieser folgt die Zeitspanne der sich etablierenden Jugendseelsorge mit der Ernennung von J. Brinkmann im Mai 1950 bis zu seiner Ablösung als Jugendseelsorger 1959. Der dritte Abschnitt beschreibt den Versuch der Entwicklung einer relativ eigenständigen Jugendseelsorge in der DDR mit dem Beginn der Arbeit von C. Herold im Juli 1961. Dass mit dem Ende des Wirkens von C. Herold als Jugendseelsorger 1968 der zu betrachtende Zeitraum dieser Arbeit abgeschlossen ist, hat vor allem arbeitsökonomische Gründe. Doch auch die inhaltliche Ausrichtung der Jugendseelsorge scheint in dieser Zeit zu einem Neuansatz gekommen zu sein. Die Arbeit versucht weiterhin anzudeuten, dass mit der neuen Generation der Jugendseelsorger DDR Ende der sechziger Jahre zugleich eine Entwicklung zum Abschluss kam: Die sich zaghaft nach dem Krieg entwickelnde Öffnung der Jugendseelsorge in die nunmehr sozialistische Gesellschaft kam zu einem abrupten Ende. Nur vereinzelt können aus dem folgenden, durch die Arbeit nicht mehr näher erfassten Zeitraum Beispiele aufgegriffen werden, die aufzeigen, dass spätere Ansätze der Jugendseelsorge, nicht nur im Kommissariat Magdeburg, wieder verstärkt innerkirchlich ausgerichtet waren. Die konsequente politische Abstinenz der katholischen Bischöfe in der DDR schränkte derartige Aktivitäten aus dem Bereich der Jugendseelsorge ein. Sie lenkte deren Blick auf den eher katechetischspirituellen Bereich. Aus diesen Überlegungen ergeben sich die drei Phasen der historischen Darstellung:

Der Aufbau der Jugendseelsorge nach dem Krieg 1945 - 1950

Die Nachkriegszeit in der Jugendseelsorge umfasst den Zeitraum vom Kriegsende bis zum Beginn der Arbeit des ersten hauptamtlichen Jugendseelsorgers des Kommissariates Magdeburg im Mai 1950. Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Jugendlichen gesammelt und in die entstehenden Gemeinden oder besser die dortigen Jugendgruppen integriert wurden und sich eine neue Identität herausbildete: Jugendseelsorge dieser Zeit lebte in der Spannung zwischen der entwurzelten Jugend aus den Ostgebieten und der „einheimischen“ Diasporajugend bei gleichzeitigem Bemühen um die lokale „Beheimatung“ der Vertriebenen. Zugleich begann in diesem Zeitraum, erzwungenermaßen, die Loslösung des Bereiches Paderborn-Ost vom Erzbistum und seine Verselbständigung zum Kommissariat Magdeburg. Zaghaft bildeten sich die ersten Elemente einer Infrastruktur, die Abteilung Jugendseelsorge im Seelsorgeamt Magdeburg entstand. Überdies begann die Auseinandersetzung mit der sozialistisch werdenden Gesellschaft.

Die Jugendseelsorge etabliert sich unter J. Brinkmann von 1950 bis 1959

Mit dem Beginn des Wirkens von J. Brinkmann sind die ersten, noch unkoordinierten jugendseelsorglichen Suchbewegungen nach dem Krieg zu einem Abschluss gekommen. Das Jugendamt wurde mit dem Amtsantritt des Jugendseelsorgers voll funktionsfähig und als pastorales Team, bestehend aus einem Jugendseelsorger und den zwei hauptamtlichen Jugendhelfern, in den Gemeinden des Kommissariates wirksam. Dieses Team versuchte vor allem, den Jugendlichen flächendeckend religiöse Inhalte zu vermitteln. Der katechetische Bildungsauftrag stand im Vordergrund. Mit der Errichtung eines eigenen Jugendhauses in Roßbach bekam die katholische Jugend des Kommissariates in diesem Zeitabschnitt ein räumliches und soziales Zentrum. Die Auseinandersetzungen mit dem Staat im Vorfeld des 17. 06. 1953 und das Ringen um eine Antwort auf die atheistische Jugendweihe banden viele Energien, die für das Entwickeln neuer pastoraler Ansätze fehlen sollten.

Neue Ansätze in der Jugendseelsorge unter C. Herold von 1961 bis 1968

Mit der Ernennung von C. Herold zum Diözesanjugendseelsorger von Magdeburg im Juli 1961 erfolgte der verzögerte Wechsel zu einer neuen Phase in der Jugendseelsorge fast zeitgleich mit dem politisch einschneidenden Bau des „antiimperialistischen Schutzwalls“. Erste innere Schwierigkeiten ergaben sich bereits aus der Verteilung der Aufgaben auf die beiden Jugendseelsorger D. Lehnert und C. Herold. Mit diesem personalen Übergangskonstrukt gab es neben dem diözesanen Jugendseelsorger einen Rektor für das Exerzitienwerk der Jugend. Viel bedeutsamer aber war, dass die Jugendseelsorge im nunmehr eingegrenzten deutschen „Osten“ versuchte, inspiriert durch die weiterhin bestehenden Einflüsse aus dem westlichen Teil Deutschlands, neue Konzepte zu entwickeln, nicht ohne damit auf Widerstand bei den kirchlichen Oberhirten zu stoßen. Verstanden es Letztere doch als ihre Aufgabe, das Bestehende zu bewahren und die Auseinandersetzungen mit dem sozialistischen Staat zu minimieren.

Begrifflichkeiten

Jugendseelsorge in der DDR war im engeren Sinne Seelsorge an den Jugendlichen im Rahmen der katholischen Kirche und nicht Jugendarbeit, wie sie in der Bundesrepublik entwickelt und umgesetzt wurde. Die Frage, ob Jugendseelsorge oder Jugendarbeit der angemessene Ansatz sei, erübrigte sich unter den gesellschaftlichen Verhältnissen der SBZ/DDR. Katholische Jugendseelsorge, als Heilsdienst der Kirche an den Jugendlichen, ereignete sich unter den Bedingungen in der SBZ/DDR vor allem in der Gemeinde, bzw. deren Jugendgruppen. Kirchliche Jugendarbeit in der Gesellschaft als einem Raum außerhalb der Kirche, war unter den Bedingungen des Sozialismus gar nicht möglich, auch wenn die Auswirkungen der Jugendseelsorge immer wieder gesellschaftlich spürbar wurden.

Wenn im Folgenden von Jugendseelsorge gesprochen wird, dann bezieht sich dies auf die Jugend im engeren Sinne, die Altersgruppe zwischen 14 und maximal 25 Jahren. Da sich aber eine Abgrenzung der Jugendseelsorge zur Kinderseelsorge in der SBZ/DDR erst in den sechziger Jahren herausbildete, werden in dieser Arbeit hin und wieder Themen erfasst, die beide Bereiche betreffen. Auf den Teil der Kinderseelsorge wird aber nicht näher eingegangen, auch wenn damit Ansätze wie die „Religiösen Kinderwochen“ (RKW) unbearbeitet bleiben müssen.18 Auch der Religionsunterricht, der anfangs an Schulen und später nur noch in der Gemeinde möglich war, wird nur am Rande Thema dieser Arbeit sein, was sich neben dem Umfang auch aus der Thematik der Arbeit ergibt. Da bis zur Umsetzung der zehnklassigen Schule in der DDR die kirchliche Jugend hauptsächlich erst nach der Schulentlassung angesprochen wurde, ist die Problematik des Religionsunterrichtes vor allem in den Anfangsjahren im Bereich der Kinderseelsorge anzusiedeln.

Eine Vereinfachung hinsichtlich der Begrifflichkeit wurde im Rahmen dieser Arbeit vorgenommen: Ohne damit kirchenrechtliche Themen anzuschneiden, werden die Administratoren, Kapitelsvikare oder Kommissare, die auf dem Gebiet der SBZ/DDR wirkten, mitunter vereinfachend Bischöfe bzw. Ordinarien genannt.19

Quellen

Eine erhebliche Schwierigkeit für diese Arbeit ergab sich aus der Quellenlage. Nur wenig internes Material ist für den fraglichen Zeitraum überhaupt noch vorhanden. Entweder wurden die entsprechenden Unterlagen nicht archiviert, oder aber sie sind aus Angst vor staatlichen Nachforschungen vernichtet worden. Selbst im damaligen Archiv des Kommissariates Magdeburg wurden aus Sorge vor staatlichen Überprüfungen immer wieder Kassationen durchgeführt.20 Das wenige heute noch vorhandene Material ist meist verstreut in den entsprechenden kirchlichen Archiven und öffentlich nur bedingt zugänglich.

Zu den einzelnen Kapiteln der Arbeit ergab sich somit eine sehr unterschiedliche Datenlage. Selbst durchgängig angelegtes Quellenmaterial wie die Akten der Ordinarienkonferenzen oder der Arbeitsgemeinschaft der Jugendseelsorger standen nicht komplett zur Verfügung und waren nur bedingt verwertbar, weil sich in den Protokollen von Arbeitsgemeinschaften und Bischofskonferenzen nur geglättet und nur zum Teil widerspiegelt, was besprochen wurde. Da z. B. die Protokolle der Arbeitsgemeinschaft der Jugendseelsorger teilweise nicht mehr bzw. nur als Zusammenfassung vorhanden sind, musste diese Arbeit mit einem recht lückenhaften archivarischen Materialbestand auskommen und mit einer recht heterogenen Zusammensetzung der schriftlichen Quellen vorlieb nehmen.

Die Verfügbarkeit von mündlichen Quellen, Aussagen und Berichten von Zeitzeugen zum Thema ist begrenzt und ebenfalls recht unterschiedlich. Viele der damals Verantwortlichen in der Jugendseelsorge leben nicht mehr. Andere fanden sich für ein Gespräch zur Jugendseelsorge nicht mehr bereit. Es sei all meinen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern als den damaligen Verantwortlichen in der Jugendseelsorge gedankt, die mir mit ihrer Gesprächsbereitschaft und durch Einblick in ihre privaten Unterlagen halfen, diese Lücken, wenn auch nur begrenzt, zu schließen.

1R. Kunze, Brief mit blauem Siegel, Leipzig 1974, 57.

2Der Führerbegriff entstammt der Sprache der bündischen Jugend. Er war in Abgrenzung von der nationalsozialistischen Sprache später in der DDR verpönt. Trotzdem wurde er von der FDJ vereinnahmt, während er in der BRD noch bis in die 60er Jahre hinein üblich war. Einzig in der Diözese Dresden wurde der Begriff des Jugendführers beibehalten. Persönliche Mitteilung von H. Donat vom 23. 04. 2009.

3J. Garstecki, Sieben Jahre Aufbruch – Jugendseelsorgeamt Magdeburg 1961 - 1968, Paderborn 1999, 85.

4Vgl. hierzu E. Gatz/L. Ulrich, Grundsätzliches zur Minderheitensituation der katholischen Christenheit, Freiburg, Br. 1994, 19-36.

5S. G. Lange/U. Pruß, An der Nahtstelle der Systeme. Dokumente und Texte aus dem Bistum Berlin 1945 - 1990. Erster Halbband 1945 – 1961, Leipzig 1996.

6S. M. Schulze, Bund oder Schar - Verband oder Pfarrjugend, Paderborn 2001, 18f.

7Bischöfliche Anweisungen für die kirchliche Jugendseelsorge in der Deutschen Demokratischen Republik. G. Lange et al, Katholische Kirche – Sozialistischer Staat DDR. Dokumente und öffentliche Äußerungen, Leipzig 1993, 419-421.

8S. hierzu H. Hobelsberger, Art. Jugendseelsorge, Lexikon für Theologie und Kirche 5, Freiburg, Br. 2006, 1068f.

9S. hierzu H. Halbfas, Handbuch der Jugendseelsorge und Jugendführung, Düsseldorf 1960. Bei R. Bleistein/G. Casel, Lexikon der kirchlichen Jugendarbeit, München 1985, ist dieser Begriff nicht mehr aufgeführt.

10S. hierzu G. Biemer, Der Dienst der Kirche an der Jugend. Grundlegung und Praxisorientierung. Handbuch kirchlicher Jugendarbeit Bd. 1, Freiburg, Br. 1985.

11S. hierzu M. Lechner, Pastoraltheologie der Jugend. Geschichte, theologische und kairologische Bestimmung der Jugendpastoral einer evangelisierenden Kirche, München 1996.

12S. zum Begriff der Jugendpastoral, H. Hobelsberger, Art. Jugendpastoral, Lexikon für Theologie und Kirche 5, Freiburg, Br. 2006, 1066f.

13Für Magdeburg u. a. B.Börger/K. Kröselberg, Die Kraft wuchs im Verborgenen. Katholische Jugend zwischen Elbe und Oder 1945 – 1990, Düsseldorf 1993 oder H. Spring, „Herolde sind Boten eines großen Herrn.“, Paderborn 1999.

14C. Herold, Als katholischer Seelsorger in der DDR, Magdeburg 1998; A. Funke, Die Petersberg-Wallfahrt am 17. Juni 1973. Katholische Jugendarbeit im Visier von SED und MfS, Magdeburg 2002.

15R. Kochinka, „Der Ring“ - Eine Möglichkeit zur Bildung eines Gemeindekerns, Leipzig 1999; M. Müller, Jugendmusikarbeit im Bistum Dresden-Meißen, Dresden 1999; A. Schneider, „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft“. Jugendarbeit auf dem Gebiet des heutigen Bistums Görlitz von 1949 – 1989, Münster 2003.

16U. a. Th. Raabe, SED-Staat und katholische Kirche. Politische Beziehungen 1949 – 1961, Paderborn 1995; B. Schäfer, Staat und katholische Kirche in der DDR, Köln 1998; A. Hoffmann, „Mit Gott einfach fertig“: Untersuchungen zu Theorie und Praxis des Atheismus im Marxismus - Leninismus der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 2000; W. Tischner, Katholische Kirche in der SBZ/DDR 1945 – 1951. Die Formierung einer Subgesellschaft im entstehenden sozialistischen Staat, Paderborn 2001; R. Grütz, Katholizismus in der DDR-Gesellschaft 1960 – 1990, Paderborn 2004; Ch. Kösters/W. Tischner, Katholische Kirche in SBZ/DDR, Paderborn 2005 oder M. Ehm, Die kleine Herde – die katholische Kirche in der SBZ und im sozialistischen Staat DDR, Berlin 2007.

17Für Magdeburg stellvertretend C. Brodkorb, Bruder und Gefährte in der Bedrängnis – Hugo Aufderbeck als Seelsorgeamtsleiter in Magdeburg. Zur pastoralen Grundlegung einer „Kirche in der SBZ/DDR“, Paderborn 2002 und Th. Thorak, Wilhelm Weskamm. Diasporaseelsoger in der SBZ/DDR, Würzburg 2009.

18Zur Geschichte der RKW s. W. Ipolt, Katechese in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Erfurt 1991, 88 – 105.

19S. dazu K. Hartelt, Die Entwicklung der Jurisdiktionsverhältnisse der katholischen Kirche in der DDR von 1945 bis zur Gegenwart, Leipzig 1992 sowie J. Pilvousek, „Innenansichten". Von der „Flüchtlingskirche" zur „katholischen Kirche in der DDR", Baden-Baden 1995 und ders., Gesamtdeutsche Wirklichkeit - Pastorale Notwendigkeit. Zur Vorgeschichte der Ostdeutschen Bischofskonferenz, Leipzig 1996.

20Persönliche Mitteilung von D. Lorek vom 15. 01. 1998.